L 7 SO 48/08 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SO 6187/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 48/08 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 2. Januar 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers, der das Sozialgericht Karlsruhe (SG) nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit welcher der Antragsteller die Gewährung von Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) begehrt, zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.). Der Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG ist schon vor Klageerhebung zulässig (Abs. 3 a.a.O.).

Vorliegend kommt, wie das SG zutreffend erkannt hat, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - FEVS 57, 72 und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - FEVS 57, 164 (beide auch in juris; jeweils m.w.N.)). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. schon Beschluss vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B - (juris) unter Verweis auf Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Antragstellerin vorzunehmen (vgl. schon Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - (juris) unter Hinweis auf BVerfG NVwZ 1997, 479; NVwZ 2005, 927; ferner Puttler in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 2. Auflage, § 123 Rdnrn. 79, 96, 100; Funke-Kaiser in Bader u.a., VwGO, 3. Auflage, Rdnrn. 15, 25). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Senatsbeschlüsse vom 1. August 2005 L 7 AS 2875/05 ER-B - a.a.O. und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B - a.a.O.; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O., Rdnr. 78; Funke-Kaiser in Bader u.a., a.a.O., Rdnr. 62 (alle m.w.N.)). Die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung ist im Übrigen regelmäßig zu verneinen, soweit Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Rechtsschutzantrags abgelaufene Zeiträume erhoben werden (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 1. und 17. August 2005 a.a.O.; Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Auflage, Rdnr. 259 (alle m.w.N.)).

Hiervon ausgehend hat das SG zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung verneint. Das Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, die Richtigkeit der Entscheidung des SG in Zweifel zu ziehen. Auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats ist bereits kein Anordnungsanspruch im Verhältnis zur Antragsgegnerin als der Trägerin der Leistungen nach dem SGB XII glaubhaft gemacht.

Nach § 21 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) leistungsberechtigt sind, - vom Ausnahmefall des § 34 SGB XII abgesehen - keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII; eine entsprechende Ausschlussregelung ist in § 5 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vorgesehen. Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die u. a. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind. Nach der gesetzlichen Definition in § 8 Abs. 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbsfähig zu sein. Hiervon ist - bis auf Weiteres - beim Antragsteller auszugehen, der bis zur endgültigen Feststellung der Erwerbsfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger gemäß § 45 SGB XII oder durch die Agentur für Arbeit gemäß § 44a SGB II grundsätzlich Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II (Alg II)) hat (vgl. dazu auch den Beschluss des Senats vom 1. August 2006 - L 7 SO 3704/06 ER-B -). Bei ungeklärter Erwerbsfähigkeit gilt dies so lange, bis eine verbindliche Feststellung erfolgt ist. Diese Rangfolge ergibt sich aus dem Gesetz und entspricht der Systematik der Hilfen zum Lebensunterhalt nach SGB II und SGB XII (vgl. zum Vorrang der Leistungen nach SGB II u. a. Beschlüsse des Senats vom 1. Juni 2005 - L 7 SO 1840/06 ER-B -, FEVS 57, 170, vom 14. Juli 2006 - L 7 SO 3419/06 ER-B - und vom 21. Mai 2007 - L 7 SO 1845/07 PKH-B -).

Soweit sich der Antragsteller auf seine (angebliche) Erwerbsunfähigkeit und eine daraus folgende Einstandspflicht der Antragsgegnerin beruft, verkennt er, dass eine solche Erwerbsunfähigkeit keineswegs festgestellt ist und er selbst bislang auch nichts zur Ermöglichung einer solchen Feststellung beigetragen hat. Solange aber die Erwerbsfähigkeit i.S.v. § 8 Abs. 1 SGB II nicht in einer - auch für die Antragsgegnerin - verbindlichen Weise geklärt ist, gehen die Leistungen nach dem SGB II solchen nach dem SGB XII vor, wie sich aus § 44a Abs. 1 Satz 3 SGB II eindeutig ergibt. An dieser Beurteilung ändert es nichts, dass unter dem 27. Dezember 2007 ein Ablehnungsbescheid des Jobcenters Stadt Karlsruhe als zuständigem Träger der SGB II-Leistungen ergangen ist. Denn dieser Bescheid ist, wie sich der Akte des SG entnehmen lässt, offenbar - entgegen der Begründung der Ablehnung im Bescheid - vor dem Hintergrund ergangen, dass der Antragsteller einen Leistungsantrag gestellt, sich aber gleichzeitig geweigert hat, SGB II-Leistungen in Empfang zu nehmen bzw. sich einer amtsärztlichen Untersuchung zur Begutachtung seiner Erwerbsfähigkeit zu unterziehen. Dieses Verhalten vermag indessen keine Zuständigkeit der Antragsgegnerin zu begründen (vgl. nochmals § 21 Satz 1 SGB XII). Denn es liegt nach der vom SG zutreffend zitierten Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 1. Juni 2005, a.a.O.) nicht in der Hand des Hilfebedürftigen, durch Verweigerung der Mitwirkung (vgl. hierzu §§ 60 ff. des Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I)) das Eintreten des Trägers der Sozialhilfe zu erzwingen. In diesen Fällen folgt eine (vorläufige) Leistungspflicht des SGB XII-Trägers auch weder aus dem Auffangcharakter der Leistungen nach dem dritten Kapitel des SGB XII noch aus § 43 Abs. 1 SGB I (vgl. dazu zuletzt Urteil des Senats vom 22. November 2007 - L 7 SO 6420/06 -).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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