S 42 AS 39/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
42
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 42 AS 39/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Der Bescheid der Beklagten vom 18.11.2005, geändert durch Bescheid vom 16.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2006 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für die Zeit von Dezember 2005 bis Mai 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 208,14 Euro zu bewilligen und abzüglich geleisteter monatlicher Zahlungen in Höhe von 148,82 Euro an den Kläger nachzuzahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen. 2. Die Beklagte trägt 1/5 der außergerichtlichen erstattungsfähigen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob im Rahmen der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) Leistungen der Mutter des Klägers im Rahmen von § 9 Abs. 5 SGB II anzurechnen sind.

Der am 00.00.1967 geborene Kläger beantragte nach dem Bezug von Arbeitslosenhilfe am 28.10.2004 Leistungen nach dem SGB II. In seinem Antrag gab er im Antragsformular unter Ziffer 3 an, im gemeinsamen Haushalt lebe seine Mutter, Frau N L1-T. Er habe bei seiner Mutter in deren 3-Zimmer-Wohnung ein freies Wohnrecht.

Die Mutter des Klägers ist Eigentümerin der vorgenannten Wohnung. Mit Schreiben vom 01.11.2004 erklärte sie, sie lasse ihren Sohn in ihrer Wohnung kostenlos mitwohnen. Die anfallenden Nebenkosten würden zwischen ihr und ihrem Sohn hälftig geteilt. Ausweislich ihrer Erklärung vom 7.11.2005 fallen monatlich pro Person 92,48 Euro an, wovon der Anteil für Strom 33.- Euro beträgt und mit diesem Betrag im übrigen Wasser, Schmutzwasser, Heizung, Müllabfuhr, Allgemeinstrom und Hausreinigung abgedeckt werden (vgl. Bl. III 9, 12 Verwaltungsakte).

Die am 00.00.1939 geborene Mutter des Klägers ist ausweislich des am 12.05.2005 ausgestellten Schwerbehindertenausweises mit einem Grad der Behinderung (GdB) mit 60 und dem festgestellten Merkzeichen "G" schwerbehindert. Sie erzielt ein Renteneinkommen in Höhe von insgesamt 2.064,93 Euro (Altersrente in Höhe von 943,72 Euro und Witwenrente in Höhe von 1.121,21 Euro). Für ihr Kraftfahrzeug zahlt sie gemäß Beitragsrechnung der R+V Versicherung einen Jahresbetrag von 403,83 Euro (33,65 Euro pro Monat).

Die Beklagte bewilligte zunächst für die Zeit ab Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 421,43 Euro (Bl. 5 Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 18.11.2005 bewilligte sie Leistungen für die Zeit von Dezember 2005 bis Mai 2006 in Höhe von 119,08 Euro. Sie legte hinsichtlich des Bedarfs die Regelleistung von 345,00 Euro und ein zu berücksichtigendes monatliches Einkommen aus Unterhalt in Höhe von 225,92 Euro zugrunde. Dem widersprach der Kläger mit Widerspruch vom 05.12.2005. Er wies in seinem Widerspruch darauf hin, dass eine Bedarfsgemeinschaft zwischen ihm und seiner Mutter nicht bestehe: gemeinsame Konten bestünden nicht , aus einer gemeinsamen Kasse werde nicht gewirtschaftet; es werde getrennt eingekauft, gekocht, gegessen und auch die Wäsche gewaschen. Seine Mutter lasse ihn lediglich in ihrer Wohnung wohnen, damit er die Mietkosten sparen könne. Die Vermutung des § 9 Abs. 5 SGB II sei daher widerlegt. Der Kläger ist Inhaber eines Kontos mit der Nr. 00000000 bei der Sparkasse L2. Der Kläger bot an, nach vorheriger Terminabsprache könne von der Beklagten eine Ortsbesichtigung der Wohnung durchgeführt werden. Ausweislich Bl. 3, 50 der Verwaltungsakte scheiterte der Versuch einer Terminabsprache zur Wohnungsbesichtigung, welcher von der Beklagten am 16.01.2006, 19.01.2006 und 02.02.2006 telefonisch abzusprechen versucht wurde.

Mit Änderungsbescheid vom 16.03.2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit von Dezember 2005 bis Mai 2006 monatliche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 148,82 Euro. Sie legte im Bescheid vom 16.03.2006 einen Bedarf in Höhe von insgesamt 404,48 Euro (Regelleistung 345,00 Euro, Kosten für Unterkunft und Heizung: 59,48 Euro) und ein zu berücksichtigendes Gesamteinkommen in Form von Unterhalt in Höhe von 255,66 Euro zugrunde. Hinsichtlich der Unterhaltszahlungen ging die Beklagte ausweislich der Berechnungen (Bl. 3, 63 Verwaltungsakte) von einem (Renten-) Einkommen der Mutter des Klägers in Höhe von 2.064,93 Euro und zog hiervon eine Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 Euro sowie Kosten für sonstige Versicherungen in Höhe von 33,65 Euro ab. Bei Kosten der Unterkunft seitens der Mutter des Klägers in Höhe von 799,96 Euro für Schuldzinsen und Tilgung, Nebenkosten inclusive Heizkosten abzüglich Stromkosten und abzüglich des Nebenkostenanteiles des Sohnes i.H.v. 59,48 Euro (vgl. Bl. III, 40, 66 Verwaltungsakte) berechnete die Beklagte den Eigenbedarf der Mutter des Klägers mit insgesamt 1.489,96 Euro (799,96 Euro zuzüglich zweifache Regelleistung in Höhe von insgesamt 690,00 Euro). Auf dieser Grundlage berechnete sie die Differenz zwischen Eigenbedarf und Einkommen mit 511,32 Euro (2.001,28 abzüglich 1.489,96 Euro) und legt im Rahmen der Anrechnung nach § 9 Abs. 5 SGB II hiervon die Hälfte (255,66 Euro) zugrunde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2006 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 18.11.2005 im Übrigen zurück. Zur Begründung führte sie aus, unter Einbeziehung des nunmehr ergangenen Änderungsbescheides vom 16.03.2006 seien höhere Leistungen nach dem SGB II nicht begründbar. Die Mutter des Klägers sei zwar nicht Teil der Bedarfsgemeinschaft des Klägers, allerdings sei sie Teil der Haushaltsgemeinschaft i.S.v. § 9 Abs. 5 SGB II. Die dort statuierte gesetzliche Vermutung sei vom Kläger nicht widerlegt worden. Das gemeinsame Wirtschaften ergebe sich insbesondere daraus, dass die Mutter der Klägers für diesen tatsächliche Leistungen - insbesondere in Form der unentgeltlichen Überlassung eines Teils der Wohnung - erbringe. Die Mutter des Klägers übernehme die Darlehensverpflichtungen für die Wohnung alleine, was typischerweise für eine Einstandsgemeinschaft spreche. Soweit für die Zeit vor Dezember 2005 Leistungen nach dem SGB II ohne Unterhaltsanrechnungen bewilligt worden seien, beruhe dies lediglich auf einem Fehler, da zuvor fälschlicherweise eine Prüfung des § 9 Abs. 5 SGB II unterblieben sei.

Am 20.04.2006 hat der Kläger Klage gegen den Bescheid vom 18.11.2005, geändert durch Bescheid vom 16.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom "21.03.2006" erhoben und begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ohne Anrechnung von Unterhaltsleistungen seiner Mutter. Er hat zur Begründung angeführt, die Haushalts- und Lebensführung zwischen ihm und seiner Mutter erfolge unabhängig voneinander. Soweit ein Hausbesuch nicht zustande gekommen sei, müsse dies ohne Einfluss auf die rechtliche Bewertung bleiben, da er zur Zulassung eines derartigen Hausbesuches nicht verpflichtet sei. Auch sei die Höhe des Einkommens der Mutter falsch berechnet. Aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen habe sie erhöhte Aufwendungen für ihre medizinische Versorgung.

Der Kläger hat eine eidesstattliche Versicherung seiner Mutter vom 18.04.2006 vorgelegt, in der diese erklärt: "Ich gewähre meinem Sohn S L1, der in derselben Wohnung wohnt wie ich, jedoch einen getrennten Haushalt unterhält, keinerlei finanzielle Leistungen. Er erhält keinerlei Zuwendungen aus meinen Einkünften, insbesondere nicht aus meinen Renten."

Am 26.06.2006 hat der Kläger sein Begehren im Wege eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verfolgt (Az ... S 42 AS 80/06 ER). Im Rahmen des Eilverfahrens hatte der Kläger erklärt, er erhalte von seiner Mutter auf Darlehensbasis seit Juli 2006 monatlich 100,00 Euro. Sobald das gerichtliche Verfahren erfolgreich ende, wolle seine Mutter dieses zinslos gewährte Darlehen aber zurückerhalten. Anlässlich eines Erörterungstermins im Verfahren S 42 AS 80/06 ER haben sowohl der Kläger als auch die als Zeugin vernommene Mutter Angaben zum Sachverhalt gemacht. Für die weiteren Einzelheiten betreffend des Erörterungstermins am 15.09.2006 wird auf das diesbezügliche Protokoll (Bl. 51 Gerichtsakte S 42 AS 80/06 ER) verwiesen. Der Kläger hat seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Termin am 15.09.2006 auf Hinweis des Gerichts, dass derzeit an Anordnungsgrund nicht gesehen werde, zurückgenommen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 18.11.2005 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 16.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2006 zu verpflichten, dem Kläger Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 404,48 Euro für die Zeit sei 01.12.2005 abzüglich bereits gezahlter Teilleistungen in Höhe von 148,82 Euro für die Monate Dezember 2005 bis April 2006 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Vermutungsregelung des § 9 Abs. 5 SGB II sei bereits deshalb nicht widerlegt, da die Mutter des Klägers dessen Bedarf zu einem erheblichen Teil tatsächlich decke. Sie zahle die Darlehensraten für ihre Wohnung allein und decke daher einen wesentlichen Teil des Bedarfs. Auch müsse es zu Lasten des Klägers gehen, dass er einen Hausbesuch abgelehnt habe. Sie verweist auf den Ermittlungsbericht ihres Außendienstes vom 24.08.2006 (Bl. 42 Gerichtsakte). Der Versuch, die Wohnung des Klägers und die seiner Mutter in Augenschein zu nehmen, sei gescheitert. Der Ermittlungsdienst sei trotz Anwesenheit von Kläger und seiner Mutter nicht in die Wohnung hineingelassen worden.

Auf Rückfrage des Gerichts hat der Kläger weiter erklärt, dass er für die Waschmaschine, die er von seiner Mutter übernommen habe, nichts bezahlt habe. Seine Mutter hätte diese Waschmaschine auch ansonsten entsorgt. Seine Mutter sei Ende des Jahres 2000 in die von ihr käuflich erworbene Wohnung eingezogen. Er sei im März 2001 in die Wohnung seiner Mutter eingezogen. Die Wohnung sei mit einer Einbauküche ausgestattet, die die Mutter bezahlt habe. Ausweislich der Rechnung der Firma Möbel C (Bl. 65 Gerichtsakte) hat die Einbauküche inklusive Einbau 12.525,00 DM gekostet.

Betreffend der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte S 42 AS 39/06, auf den der beigezogenen Verwaltungsakte sowie auf den der Gerichtsakte S 42 AS 80/06 ER verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht legt den Antrag des Klägers so aus, dass entsprechend des streitgegenständlichen Bescheides vom 18.11.2005, geändert durch Bescheid vom 16.3.2006 in Gestalt des Widerspruchsbecheides vom 17.3.2006 streitgegenständlich die Monate Dezember 2005 bis Mai 2006 sein sollen. Nur diese Monate sind Gegenstand der vorgenannten Bescheide. Soweit für nachfolgende Zeiträume Leistungen erbracht wurden, sind diese nicht streitgegenstädnlich, da insoweit § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) keine Anwendung findet. Soweit der Kläger sich gegen einen Widerspruchsbescheid vom "21.3.2006" wendet, geht das Gericht von einem Schreibfehler aus, der bislang nicht aufgefallen ist. Ein Widerspruchsbescheid mit vorgenanntem Datum ist der Verwaltungsakte nicht ersichtlich; auch nennt der Kläger in seiner Klagebegründung einen Widerspruchsbescheid vom 17.3.2006.

Die so verstandene Klage ist zulässig und teilweise begründet. Der Kläger ist i.S.v. § 54 Abs. 1, Abs. 2 SGG durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 18.11.2005, geändert durch Bescheid vom 16.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.03.2006 teilweise beschwert, denn ihm steht für die Zeit von Dezember 2005 bis Mai 2006 ein höherer Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zu. Er hat Anspruch auf monatliche Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 208,14 Euro. Einen darüber hinausgehenden Anspruch kann das Gericht nicht feststellen.

Leistungen nach dem SGB II erhalten nach § 7 SGB II Personen, die erwerbsfähig und hilfebedürftig sind. Hilfebedürftig ist nach § 9 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln - insbesondere nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen - sichern kann und die erforderliche Hilfe auch nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Der Kläger benötigt im streitigen Zeitraum seit Dezember 2005 bis einschließlich Mai 2006 zur Sicherung seines Lebensunterhaltes monatlich 404,48 Euro. Dies setzt sich zusammen aus dem Regelsatz nach § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II in Höhe von 345.- Euro und den Nebenkosten für die Wohnung in Höhe von 59,48 Euro, die der Kläger gemäß der Abrede mit seiner Mutter an diese monatlich zu entrichten hat. Da der Kläger das 25. Lebensjahr überschritten hat, ist er gemäß §§ 9 Abs. 3, 20 Abs. 2 S. 2 SGB II hinsichtlich seines Bedarfs nicht als Teil einer Bedarfsgemeischaft anzusehen. Die zugrundegelegten Nebenkosten von 59,48 Euro enthalten den Anteil für die Stromkosten nicht, da derartige Kosten als Haushaltsenergie im Sinne von § 20 Abs. 1 SGB II aus der Regelleistung zu bestreiten sind.

Bedarfsmindernd sind aber die nach § 9 Abs. 5 SGB II zu vermutenden Leistungen der Mutter des Klägers anzurechnen. Anders als die Beklagte bislang zugrunde gelegt hat, kann das Gericht aber nicht von einem anrechenbaren Einkommen in Höhe von 255,55 Euro, sondern nur von einem anrechenbaren Einkommen in Höhe von 196,34 Euro ausgehen.

Nach § 9 Abs. 5 SGB II wird vermutet, dass Hilfebedürftige, die in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten leben, von diesen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen oder Vermögen erwartet werden kann. Die - widerlegbare - gesetzliche Vermutung des § 9 Abs. 5 SGB II setzt das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft voraus. Eine Haushaltsgemeinschaft setzt zunächst - als notwendige aber noch nicht hinreichende Voraussetzung - voraus, dass die Betroffenen in einer gemeinsamen Wohnung leben. Dies ist im Fall des Klägers und seiner Mutter der Fall, da diese Küche, Flur, Bad und das darin befindliche Mobiliar und gelegentlich auch das Wohnzimmer gemeinsam benutzen. Eine Haushaltsgemeinschaft im Sinne von § 9 Abs. 5 SGB II geht aber über eine bloße Wohngemeinschaft zwischen dem Hilfebedürftigen und seinen Angehörigen hinaus und erfordert eine Wirtschaftsgemeinschaft, d.h. ein Wirtschaften "aus einem Topf" (Landessozialgericht (LSG) NRW, Beschluss vom 11.09.2007, Az. L 1 B 45/07 AS ER). Ob eine derartige Haushaltsgemeinschaft vorliegt, muss im Rahmen einer einzelfallorientierten Gesamtschau gewürdigt werden (LSG NRW, Beschluss vom 28.11.2007, Az.: L 1 B 55/07 AS ER). Je enger das Verwandschaftsverhältnis der gemeinsam wohnenden Personen ist, desto schwerer ist es, die Vermutung des § 9 Abs. 5 SGB II zu widerlegen (SG Aachen, Beschluss vom 21.4.2005, Az.: S 9 AS 21/05).

Ob aus der Tatsache, dass der von der Beklagten angestrebte Hausbesuch im Ergebnis nicht zustande kam, für den Kläger nachteilige Folgerungen gezogen werden können, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Bei Betrachtung der weiteren Ermittlungsergebnisse ist im Rahmen einer Gesamtschau auch ohne die Erkenntnisse, die sich möglicherweise aus einem Hausbesuch ergeben hätten, von einer Haushaltsgemeinschaft i.S.d. § 9 Abs. 5 SGB II auszugehen.

Eine Haushaltsgemeinschaft kann nicht bereits deshalb verneint werden, weil die Mutter des Klägers eidesstattlich versichert hat, der Kläger führe seinen eigenen Haushalt. Eine derartige Erklärung ist angesichts der erforderlichen umfassenden Gesamtwürdigung zu pauschal.

Dass der Kläger und seine Mutter in einer Haushaltsgemeinschaft leben ergibt sich maßgebend daraus, dass die Mutter des Klägers diesem tatsächliche Unterstützungsleistungen erbringt. Sie zahlt die Aufwendungen für die Wohnung insbesondere in Form der Darlehensverbindlichkeiten alleine und hat anlässlich ihrer Zeugenaussage im Verfahren S 42 AS 80/06 ER erklärt, sie verlange von ihrem Sohn keine Miete. Sie finanziert damit einen erheblichen Teil des Lebensunterhaltes ihres Sohnes aus ihren eigenen Mitteln. Auch hat sie für den durchaus erheblichen Betrag von 12.525.- DM bei Einzug in die Wohnung eine Einbauküche erworben, ohne dass ihr Sohn sich an diesen Kosten beteiligt hat. Sie verlangt von ihrem Sohn dafür auch keine Nutzungsgebühr - wie es bei der Vermietung von Räumlichkeiten durchaus möglich wäre. Auch sonst erbringt die Mutter Leistungen an den Kläger, wie sie im Zusammenleben zwischen Eltern und Kind durchaus üblich sind. So übernimmt die Mutter des Klägers ausweislich ihrer vorgenannten Zeugenaussage die Grundgebühr für das gemeinsam genutzte Telefon alleine, hat ihren Sohn über ihre Haftpflichtversicherung mitversichert und zahlt die Versicherungsbeiträge alleine. Auch fordert sie von ihrem Sohn keine finanzielle Beteiligung, wenn für verbrauchsabhängige Kosten wie Strom nach der Jahresendabrechnung eine Nachzahlung fällig wird. Zwar handelt es sich bei den vorgenannten Leistungen nicht um direkte Zuwendungen der Mutter an den Kläger. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ist im Ergebnis aber das Unterlassen der Geltendmachung einer Forderung mit einer Zuwendung gleichzusetzten. Würde der Kläger alleine wirtschaften, hätte er Miete, Nebenkosten, Versicherung und Telefon aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Ihm werden durch die Unterstützung seitens seiner Mutter daher erhebliche Aufwendungen erspart.

Zuwendungen der Mutter zugunsten des Klägers sind auch darin zu sehen, dass sie von ihm seit Dezember 2005 die Zahlung der vereinbarten monatlichen Nebenkosten nicht mehr verlangt. Die Mutter hat zwar in ihrer Zeugenaussage im Verfahren S 42 AS 80/06 ER erklärt, sie hätte dieses Geld gerne zurück und betrachte die offenen Zahlungen als "Schulden" ihres Sohnes. Der Kläger geht ausweislich seiner Erklärung im Termin zur mündlichen Verhandlung davon aus, dass seine Mutter die Zahlung gestundet hat. Einen Fälligkeitstermin hat der Kläger mit seiner Mutter aber nicht vereinbart und ist mit ihr so verblieben, dass er das Geld dann, wenn er dazu wirtschaftlich in der Lage ist, zahlt. Die Mutter des Kägers ist daher gewillt, auf ihr Geld so lange zu verzichten, wie der Kläger wirtschaftlich nicht leistungsfähig ist. Eine derartige Praxis - vergleichbar einem Darlehen ohne Fälligkeitsvereinbarung - ist typisch für eine wirtschaftliche Einstandsgemeinschaft, in der das wirtschaftlich leistungsfähigere Familienmitglied bereit ist, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des anderen aufzufangen (SG Detmold, Urteil vom 15.12.2006, Az.: S 18 AS 14/05).

Im Rahmen der Gesamtschau nicht ausschlaggebend ist, dass der Kläger und seine Mutter ihren Alltag weitgehend getrennt bestreiten. Der Kläger hat erklärt, er kaufe getrennt von seiner Mutter ein, wasche seine Wäsche getrennt von ihr und nehme die Mahlzeiten in der Regel auch nicht mit seiner Mutter zusammen ein. Dies hat die Mutter in ihrer vorgenannten Zeugenaussage auch bestätigt. Auch verfügt der Kläger über ein eigenes Girokonto. Angesichts des Alters des 1967 geborenen Klägers spricht dies aber nicht gegen einen gemeinsamen Haushalt. Bei volljährigen Kindern ist es durchaus üblich, wenn diese nicht mit ihren Eltern zusammen essen (SG Aachen, Beschluss vom 21.4.2005, Az.: S9 AS 21/05). Auch spricht eine getrennte Kontoführung nicht gegen ein gemeinsames Wirtschaften (SG Detmold, Urteil vom 15.12.2006, Az.: S 18 AS 14/05). Der Kläger ist laut seiner Erklärung im Termin zur mündlichen Verhandlung bemüht, wirtschaftlich und hinsichtlich seiner Freizeitgestaltung unabhängig von seiner Mutter zu agieren, was angesichts seines Alters durchaus lebensnah ist. Allein dieser Wille reicht aber nicht aus, um ein getrenntes Wirtschaften anzunehmen.

Steht mithin fest, dass eine Haushaltsgemeinschaft nach § 9 Abs. 5 SGB II besteht, wird - dem Grunde nach - vermutet, dass der Kläger von seiner Mutter Leistungen erhält und des weiteren - der Höhe nach - die Höhe der vermuteten Leistungen durch § 1 Abs. 2 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld vom 20.10.2004, geändert durch Änderungsverordnung vom 22.8.2005 (Alg II-V) konkretisiert (Bundessozialgericht, Urteil vom 7.11.2006, Az.: B 7b AS 6/06 R). Der Umfang der Unterhaltsleistung richtet sich nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Mutter des Klägers. Nach § 1 Abs. 2 Alg II-V sind die nach § 11 Abs. 2 SGB II bereinigten Einnahmen der Mutter in der Regel nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie einen Freibetrag in Höhe des doppelten Satzes der nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgebenden Regelleistung zuzüglich der (anteiligen) Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sowie darüber hinaus 50 Prozent der diesen Freibetrag übersteigenden bereinigten Einnahmen nicht überschreiten.

Dieser gesetzlichen Vermutung folgend geht das Gericht von einem zu vermutenden Unterhaltsbetrag in Höhe von 226,34 Euro aus. Der streitgegenständliche Bescheid vom 18.11.2005, geändert durch Bescheid vom 16.3.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.3.2006 ist insofern rechtlich zu beanstanden, als dass dort 255,66 Euro als Unterhaltszahlung zugrunde gelegt wurde. Das Gericht schließt sich der Berechnung der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 17.3.2006 hinsichtlich der Berechnung des anzurechnenden Einkommens nicht vollumfänglich an und geht entgegen der Berechnung der Beklagten nicht von einem anrechenbaren Einkommen in Höhe von 2001,28 Euro, sondern nur von einem anrechenbaren Einkommen in Höhe von 1942,63 Euro aus.

Nach Auffassung des Gerichts ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die 1939 geborene Mutter des Klägers im streitigen Zeitraum das 65. Lebensjahr vollendet hatte und einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX mit dem Merkzeichen "G" besitzt. Die damit gesundheitsbedingten Mehraufwendungen sind über die ausdrückliche Regelung des § 11 Abs. 2 SGB II hinaus in angemessenem Umfang einkommensmindernd zu berücksichtigen. Zwar enthält § 11 Abs. 2 SGB II diesbezüglich keine Regelung. Es ist aber zu berücksichtigen, dass die besondere Situation älterer Menschen über 65 Jahre mit einer Behinderung im Regelungssystem des SGB II nicht erfasst werden, da diese wegen § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II nicht Leistungsempfänger nach dem SGB II sein können. Da die Unterhaltsvermutung des § 9 Abs. 5 SGB II betreffend der Höhe von der Leistungsfähigkeit der Mutter des Klägers abhängt, muss § 1 Abs. 2 Alg II-V als nicht abschließende Regelung gelesen werden. Es muss sichergestellt sein, dass besonderen, an anderer Stelle im Sozialgesetzbuch vom Gesetzgeber anerkannten Bedarfen, die aufgrund der Beschränkung des Anwendungsbereichs des SGB II dort naturgemäß nicht Regelungsgegenstand sein können, bei der Feststellung der Leistungsfähigkeit im Rahmen von § 9 Abs. 5 SGB II hinreichend Rechnung getragen wird.

Wie sich aus § 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) ergibt, geht der Gesetzgeber bei Personen mit dem Merkzeichen "G" und einem Alter von mindestens 65 Jahren von einem Mehrbedarf von 17 % des (maßgebenden) Regelsatzes aus. Bei einem Regelsatz von 345.- Euro, den die Beklagte zu Recht betreffend der Mutter des Klägers zugrunde gelegt hat, beläuft sich der gesundheitsbedingte Mehrbedarf der Mutter des Klägers auf 58,65 Euro. In Höhe dieses Betrages kann das Gericht nicht von einem verfügbaren Einkommen der Mutter ausgehen, so dass das Einkommen um diesen Betrag zu bereinigen ist.

Im übrigen schließt sich das Gericht der Berechnung der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 17.3.2006 an und geht daher von einem anrechenbaren Einkommen in Höhe von 1942, 63 Euro aus (2001,28 Euro - 58,65 Euro). Abzüglich der von der Beklagten rechtlich nicht zu beanstandenden Bedarfsberechnung (zweifacher Regelsatz zuzüglich Unterkunftskosten in Höhe von 799,96 Euro) verbleibt ein Betrag von 452,67 Euro. Nach § 1 Abs. 2 Alg II-V ist zu vermuten, dass an den Kläger davon Leistungen in Höhe der Hälfte, d.h. 226,34 Euro erbracht werden.

Dieser nach § 9 Abs. 5 SGB II vermutete Unterhaltsbetrag ist nach § 11 Abs. 1 SGB II Einkommen des Klägers. Anders als die Beklagte in den streitgegenständlichen Bescheiden errechnet hat, ist beim Kläger dieses Einkommen aber nur in Höhe von 196,34 Euro bedarfsmindernd anzurechnen. Vom Einkommen ist nach § 11 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 3 Nr. 1 Alg II-V ein Pauschalbetrag von 30.- Euro für private Versicherungen abzuziehen. Da der Kläger mit seiner Mutter keine Bedarfgemeinschaft bildet, kann er nicht darauf verwiesen werden, dass die Beklagte in ihrer Berechnung im Widerspruchsbescheid vom 17.3.2006 die sog. "Versicherungspauschale" bereits bei der Mutter des Klägers einkommensmindernd berücksichtigt hat (vgl. hierzu allgemein: Bayrisches LSG, Urteil vom 13.4.2007, Az.: L 7 AS 332/06). Der monatliche Bedarf des Klägers in Höhe von 404,48 Euro ist damit lediglich in Höhe von 196,34 Euro durch - zu vermutendes - Einkommen gedeckt. Hinsichtlich des verbleibenden Teils in Höhe von 208,14 Euro ist er hilfebedürftig.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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