L 25 B 1838/07 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 21 AS 2769/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 B 1838/07 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 18. September 2007 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, insbesondere statthaft nach § 172 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierzu hat der betreffende An-tragsteller das Bestehen des zu sichernden materiellen Anspruches (Anordnungsanspruch) sowie die besondere Dringlichkeit des Erlasses der begehrten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung).

Hiervon ausgehend hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem die Antragstellerin die Übernahme höherer Unterkunftskosten einschließlich anfallender Betriebs- und Heizkosten für die Zeit vom 1. August 2007 bis zum 31. Januar 2008 in Hö-he der tatsächlichen Aufwendungen von monatlich 539,20 EUR – anstelle der übernommenen Kosten von monatlich 316,- EUR – begehrt, unter Hinweis darauf, dass ein Anordnungsgrund nicht gegeben sei, zu Recht abgelehnt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Beschluss vom 7. Januar 2008, Az: L 25 B 1311/07 AS ER) beurteilt sich in einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO], § 123 Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifi-sches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann.

Die rückwirkende Feststellung einer – einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden – besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im – grundsätzlich vorrangigen – Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Be-seitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfas-sungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 – 1 BvR 1586/02 – und vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.

Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Absatz 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchen-den geschaffen worden sind, die sich durch eine – stattgebende – Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen.

Dies zugrunde gelegt, drohen der Antragstellerin keine schweren und unzumutbaren Nachteile, wenn ihrem Begehren auf Übernahme höherer Unterkunftskosten für vergangene Zeiträume, d.h. vom 1. August 2007 bis zur Entscheidung des Senats, nicht entsprochen wird. Soweit die Antragstellerin diesbezüglich im Beschwerdeverfahren darauf verweist, sie könne mit den vom Antragsgegner übernommenen Unterkunftskosten ihre Kreditverpflichtungen gegenüber der ihr selbst genutztes Wohneigentum finanzierenden Bank nicht mehr (vollständig) erfüllen, rechtfertigt dies das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht. Allein der Umstand, dass die An-tragstellerin mit ihren Tilgungs- und Zinsverpflichtungen gegenüber ihrem Kreditunternehmen in Zahlungsrückstand gerät, führt insoweit nicht dazu, dass die Antragstellerin etwa von Wohnungslosigkeit oder Obdachlosigkeit bedroht wäre oder ihr sonst Nachteile entstünden, die im Hauptsacheverfahren nicht wieder gutgemacht werden könnten. Überdies hat die Antragstellerin nicht dargelegt, dass ihre finanzierende Bank bereits konkrete Maßnahmen ergriffen hat, die auf einen alsbaldigen Verlust der Unterkunft schließen lassen. Die mit dem Antrag allein verfolgte Schuldenübernahme rechtfertigt die begehrte einstweilige Anordnung nicht. Die Antragstellerin kann insoweit nicht besser gestellt werden als derjenige Hilfebedürftige, der im Rahmen eines bestehenden Mietverhältnisses mangels Übernahme seitens des Grundsicherungsträ-gers seine Mietzinsverpflichtungen nicht (vollständig) erfüllen kann. Auch diesem entstehen keine unzumutbaren Nachteile, wenn seinem Begehren auf Übernahme der (rückständigen) Unterkunftskosten in Form der tatsächlich anfallenden Miete nicht sofort entsprochen wird, solange er nicht unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedroht ist. Daran fehlt es selbst dann, wenn bereits eine Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsrückstandes durch den Vermieter ausgesprochen worden wäre. Denn die Kündigung des Mietverhältnisses wird unwirksam, wenn der Vermieter innerhalb von 2 Monaten nach Rechtshängigkeit des Räumungsanspruches befriedigt wird (vgl. § 569 Abs. 3 Nr. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches).

Ein Anordnungsgrund lässt sich vorliegend auch nicht feststellen, soweit die Antragstellerin für die Zeit ab der Entscheidung des Senats bis zum 31. Januar 2008 die Übernahme der Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe begehrt. Insoweit ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass allein mit der Verpflichtung des Antragsgegners zur Übernahme des insoweit mit dem Antrag geltend gemachten Differenzbetrages zwischen den übernommenen und tatsächlich entstehenden Unterkunftskosten eine bereits eingetretene oder drohende Notlage abgewendet oder zugunsten der Antragstellerin wesentlich gebessert werden kann. Dass seitens des finanzierenden Kreditinstituts Maßnahmen getroffen worden wären oder zumindest beabsichtigt sind, die auf einen alsbaldigen Verlust der Unterkunft schließen lassen und durch eine insoweit stattgebende Entscheidung abgewendet werden können, sind nicht glaubhaft gemacht.

Ob bezüglich der Übernahme der geltend gemachten Unterkunftskosten in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen ein Anordnungsanspruch gegeben ist, kann angesichts dessen dahinstehen. Insoweit besteht allerdings Anlass darauf hinzuweisen, dass die von der Antragstellerin bewohnte Wohnung mit einer Wohnfläche von 102,83 qm unter Zugrundelegung der Recht-sprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006, Az: B 7 b AS 2 /05 R) für einen Einpersonenhaushalt auch nach Auffassung des Senats unangemessen groß sein dürfte. Dies dürfte im Ergebnis dazu führen, dass die insoweit anfallenden tatsächlichen Aufwendungen vorliegend die Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II überschreiten. Dem vermag die Antragstellerin auch nicht entgegenzuhalten, dass sie in Wahrheit nur eine Fläche von 79,76 qm nutze. Denn mit ihrem Begehren verfolgt die Antragstellerin die Übernahme der Aufwendungen, wie sie für eine Wohnfläche von 102,83 qm tatsächlich anfallen.

Die Antragstellerin kann sich hinsichtlich der begehrten Übernahme der Unterkunftskosten auch nicht erfolgreich auf § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II berufen. Soweit danach die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheiten des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des u. a. allein stehenden Hilfebedürftigen so lange anzuerkennen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen nicht möglich oder zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel für sechs Monate. Diesbezüglich erforderliche ernsthafte Bemühungen die Unter-kunftskosten zu senken, hat die Antragstellerin nicht hinreichend glaubhaft gemacht, nachdem der Antragsgegner die Unterkunftskosten zunächst bis zum 31. Juli 2007 in tatsächlicher Höhe (ab 1. Januar 2006 allerdings reduziert hinsichtlich der Höhe der Heizkosten) übernommen und die Antragstellerin mit Schreiben vom 13. April 2007 auch hinreichend auf ihre diesbezüglichen Mitwirkungspflichten hingewiesen hatte. Die in der Vergangenheit erfolgten Nachweis-bemühungen (vgl. Schreiben der Antragstellerin vom 9. Juli 2007) bzgl. der Suche nach einem Untermieter beschränkten sich offensichtlich mehr darauf, einen Wohn- und Lebenspartner zu finden (vgl. insoweit auch den anwaltlichen Schriftsatz vom 17. September 2007), womit ernsthafte Bemühungen um Senkung der Unterkunftskosten nicht hinreichend deutlich belegt sind. Dies gilt allerdings auch insoweit, als die Antragstellerin nunmehr eine Kopie eines zur Veröffentlichung in der Zeitung "Märkischen Allgemeine" vorgesehenen Anzeigentextes vom 2. Januar 2008 zu den Gerichtsakten gereicht hat. Insoweit dokumentiert die Antragstellerin zwar formal, dass sie einen Mitbewohner sucht. Die Ernsthaftigkeit der Bemühung zur Senkung der Unterkunftskosten lässt sich hieraus jedoch nicht ableiten. Denn allein die Suche nach einem "Mitbewohner - Mieter" unter der Rubrik "möbliertes Zimmer" ohne nähere Angabe zu Ort, Lage, Größe und Mietzins sowie dgl. lässt es als nicht glaubhaft erscheinen, dass insoweit ein in Betracht kommender Personenkreis von Mietinteressenten überhaupt erreicht werden kann und dass dies von der Antragstellerin auch tatsächlich beabsichtigt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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