L 1 R 920/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 32 RJ 1771/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 R 920/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 2006 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1949 geborene Kläger erlernte zunächst den Beruf eines Bautechnikers; versicherungspflichtig beschäftigt war er zuletzt vom 01. November 1989 bis Ende Dezember 1995 als Barmann und Kellner. Seitdem bezieht er Transferleistungen (Teilnahme an Umschulungsmaßnahmen, Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit).

Am 13. Dezember 2000 beantragte der Kläger wegen Schmerzen am Rücken und am linken Bein bei der Beklagten Rente wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte ließ ihn durch die Internistin Dr. R und den Chirurgen P untersuchen. Frau Dr. R stellte die Diagnosen Wirbelsäulensyndrom bei Bandscheibenleiden und allergische Diathese, Herr P diagnostizierte eine Lumboischialgie S1 links bei Prolaps L5/S1 und eine Ventrolisthesis L5/S1. Beide Gutachter leiteten daraus ein Leistungsvermögen dahingehend ab, dass der Kläger körperlich leichte Arbeiten sechs Stunden und mehr täglich ausüben könne.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02. Juli 2001 den Rentenantrag ab.

Den Widerspruch des Klägers hiergegen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 2002 zurück.

Hiergegen hat sich die am 23. Juli 2002 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage gerichtet, mit der geltend gemacht wird, seine Beschwerden an den Lendenwirbelsäule und der Hüfte verunmöglichten es dem Kläger, weiter als Kellner zu arbeiten. Er habe zuletzt als Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion gearbeitet.

Die Beklagte ist dem unter Bezugnahme auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide entgegengetreten.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen und sodann den Orthopäden Dr. R zum Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Gutachtens über das dem Kläger verbliebene Leistungsvermögen beauftragt.

In dem am 18. Juni 2003 erstatteten Gutachten gelangt der Sachverständige zu den Diagnosen:

- chronisches Lumbalsyndrom mit Pseudoradikulärsymptomatik bei Ventrolisthesis L5/S1 und degenerativen Veränderungen an der Lendenwirbelsäule, - thorakales Schmerzsyndrom ohne Funktionsminderung, - Zervikobrachialsyndrom mit Brachialgien des rechten Armes bei degenerativ veränderter Halswirbelsäule.

Eine Coxarthrose sei beidseitig auszuschließen.

Mit diesen Beschwerden könne der Kläger noch leichte Arbeiten im Wechsel der Körperhaltungen vollschichtig verrichten.

Das Sozialgericht hat im Erörterungstermin vom 12. Mai 2003 den Gastronomen C W als Zeugen vernommen. Dieser war im Café E und im Lokal M Geschäftsführer der jeweils diese Lokale betreibenden GmbH gewesen. Er hat bekundet, der Kläger habe dort zunächst als Barmann, sodann als Kellner eigenverantwortlich seine Tätigkeit ausgeübt. Er sei mit sämtlichen anfallenden Kellnertätigkeiten und tagsüber insoweit auch mit Aufsichtskontrolle und Vorgesetztenfunktionen gegenüber anderen beschäftigten Kellnern betraut gewesen. Um echte Vorgesetztenfunktionen habe es sich dabei jedoch nicht gehandelt, da diese bei der Geschäftsführung angefallen seien. Der Kläger habe in etwa die Funktion eines Oberkellners während der Tagschicht ausgeübt. Während der Spätschicht sei jedoch ein anderer Kollege als Schichtleiter eingesetzt worden. Dies sei die Situation im Café E gewesen. Im Lokal M sei neben dem Kläger ein weiterer Kellner beschäftigt gewesen, gegenüber dem der Kläger weisungsbefugt gewesen sei. Er sei entsprechend der Lohngruppe 6 bezahlt worden, was einem Facharbeiter mit mehrjähriger Berufserfahrung entspreche. Oberkellner würden seiner Erinnerung nach mindestens zwei Lohngruppen höher in Lohngruppe 8 eingestuft.

Mit Urteil vom 16. Januar 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei unter Anwendung des bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Rechts nicht berufsunfähig. Bisheriger Beruf sei der des Kellners auf Facharbeiterebene, da der Kläger nicht Vorgesetzter mehrerer anderer Facharbeiter gewesen sei. Diese Tätigkeit könne der Kläger mit dem von der Beklagten und von dem Gerichtssachverständigen Dr. R festgestellten Leistungsvermögen nicht mehr ausüben, er sei jedoch zumutbar auf die Tätigkeit eines Tages- beziehungsweise Nachtportiers verweisbar. Da der Kläger vollschichtig einsatzfähig sei, könne er auch keine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder wegen Erwerbsminderung nach neuem Recht beziehen.

Gegen dieses den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 21. März 2006 zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung vom 18. April 2006. Diese wird im Wesentlichen damit begründet, dem Gutachten des Dr. R könne nicht gefolgt werden. Tatsächlich lägen beim Kläger deutlich stärkere gesundheitliche Einschränkungen vor, die es ihm verunmöglichten, vollschichtig zu arbeiten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 2006 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2001 zu verurteilen, dem Kläger ab Dezember 2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat medizinischen Beweis erhoben und den Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie der C Krankenhaus, Dr. J A, zum Sachverständigen ernannt. In dem am 30. August 2006 erstatteten Gutachten berichtet Dr. A über ein chronisches Lumbalsyndrom im Sinne einer Lumboischialgie beidseits ohne neurologische Ausfälle sowie über atypische Kopfschmerzen.

Eine psychiatrische Störung sei nicht zu erkennen. Neue Befunde habe er nicht erhoben. Die somatischen Störungen bedingten qualitative Leistungseinschränkungen wie sie zuletzt vom orthopädischen Gerichtssachverständigen Dr. R beschrieben worden seien. Da eine psychiatrische Erkrankung nicht vorliege, seien diese Symptome und Beschwerden leistungslimitierend. Ein weiteres Gutachten sei nicht erforderlich.

Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters über die Berufung erklärt.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte mit den gewechselten Schriftsätzen sowie die Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht erhoben, somit insgesamt zulässig.

Über sie konnte der Berichterstatter entscheiden, da die Beteiligten übereinstimmend ihr Einverständnis hiermit erklärt haben (§ 155 Sozialgerichtsgesetz SGG ).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Bescheid vom 02. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2002 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbs- beziehungsweise Berufsunfähigkeit und auch nicht auf eine solche wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit nach § 43 Sozialgesetzbuch Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (a. F.) erfüllt der Kläger nicht. Diese Vorschrift ist auf den vorliegenden Fall anwendbar. Zwar wurde sie durch das Gesetz vom 20. Dezember 2000 durch eine andere ersetzt. Grundsätzlich sind gemäß § 300 Abs. 1 SGB VI die Vorschriften dieses Gesetzbuches von dem Zeitpunkt ihres In Kraft Tretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt dieser Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Gemäß § 300 Abs. 2 SGB VI jedoch sind aufgehobene oder durch das Gesetz ersetzte Vorschriften auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn dieser, wie hier, bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird.

Nach § 43 Abs. 2 SGB VI a. F. sind berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.

Ausgangspunkt für die Beurteilung des Vorliegens von Berufsunfähigkeit ist der "bisherige Beruf". Dies ist in der Regel die letzte nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte Beschäftigung oder Tätigkeit, hier die als Kellner im Café E und im Lokal M. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger diese Tätigkeit nicht mehr verrichten kann, da sie fast ausschließlich im Gehen und Stehen zu verrichten ist und eine mittelschwere bis schwere Tätigkeit darstellt.

Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB a. F. ist ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente dann nicht gegeben, wenn zwar die Ausübung des bisherigen Berufes aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zumutbar ist, der Kläger aber zumutbar auf eine andere Erwerbstätigkeit verwiesen werden kann. Zur Feststellung der Wertigkeit des bisherigen Berufs und der Möglichkeiten der Verweisung auf andere Tätigkeiten sind in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts BSG - die Arbeiterberufe in Gruppen eingeteilt worden (Mehrstufenschema). Bei den Arbeiterberufen sind dies die Tätigkeiten der Vorarbeiter, der Facharbeiter mit über zweijähriger Regelausbildung, der angelernten sowie der ungelernten Arbeiter. Zumutbar ist jeweils eine Tätigkeit der nächst tieferen Stufe. Der Kläger ist zur Überzeugung des Gerichts in die Stufe der Facharbeiter einzugruppieren, obwohl er eine regelrechte Berufsausbildung für den Beruf des Kellners nicht durchlaufen hat. Er hat jedoch, wie sich aus den Bekundungen des Zeugen W und aus der vom Sozialgericht beigeholten Arbeitgeberauskunft ergibt, die Tätigkeit eines Kellners mehrjährig vollwertig ausgeübt. Aus diesen Bekundungen ergibt sich jedoch auch, dass der Kläger nicht als Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion anzusehen ist. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Kläger gegenüber mehreren Facharbeitern regelmäßig weisungsbefugt war. Da im Lokal M, der zuletzt ausgeübten Tätigkeit, insgesamt nur zwei Kellner beschäftigt waren, scheidet dies aus (BSG vom 30. Oktober 1991 8 RKN 4/90 , juris). Jedoch auch zuvor im Café E, worauf es letztlich aber nicht ankäme, ist nach den Bekundungen des Zeugen W und der Arbeitgeberauskunft keine Tätigkeit eines Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion ausgeübt worden.

Der Kläger ist hiernach auf Berufe mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren verweisbar. Nach den in das erstinstanzliche Verfahren eingeführten berufskundlichen Unterlagen, insbesondere den Gutachten für das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen vom 30. August 2000, handelt es sich bei der Tätigkeit des Nachtportiers um eine solche, die einerseits Verantwortung und Entgelt eines angelernten Arbeiters voraussetzt, andererseits jedoch für einen Kellner innerhalb von zwei Monaten erlernbar ist.

Das notwendige Leistungsvermögen für diese überwiegend im Sitzen mit Gelegenheit zum Wechsel der Haltungsarten und in klimatisierten Räumen ausgeübte Tätigkeit entspricht dem, das die Sachverständigen beim Kläger festgestellt haben. Da die Darlegungen der Sachverständigen Dr. R und Dr. A in sich schlüssig sind und dem Erfahrungswert entsprechen, dass mit Beeinträchtigungen der Wirbelsäule und der Hüften keine schweren Tätigkeiten mehr verrichtet werden können, dass jedoch Arbeiten im Wechsel der Körperhaltung noch zumutbar sind, überzeugen diese Gutachten. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb etwa die Tätigkeit eines Nachtportiers, die kaum anders körperlich belastet als ein Aufenthalt in häuslicher Umgebung, nach drei oder sechs Stunden abgebrochen werden müsste, so dass eine quantitative Leistungseinschränkung ebenfalls von den Sachverständigen zu Recht verneint wurde.

Ist der Kläger jedoch nicht berufsunfähig, so kann er auch nicht erwerbsunfähig sein, da hierfür noch weitergehende Leistungsminderungen Voraussetzung sind (§ 44 SGB VI a. F.).

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI neuer Fassung, denn nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Diese Voraussetzungen liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme wie dargelegt nicht vor.

Die Berufung war daher insgesamt mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision ist keiner der in § 160 Abs. 2 SGG bezeichneten Gründe ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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