S 12 KA 262/07

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 262/07
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Bei einer Genehmigung zur Beschäftigung eines Entlastungsassistenten aus familiären und berufspolitischen Gründen ist zu berücksichtigen, dass freiberuflich Erwerbstätige im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten ihre Berufstätigkeit sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch der Art und Weise der Ausübung frei gestalten können.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

3. Der Streitswert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Genehmigung eines Entlastungsassistenten.

Der Kläger ist als psychologischer Psychotherapeut und als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Er übt seine Tätigkeit in Gemeinschaftspraxis mit dem psychologischen Psychotherapeuten C aus.

Der Kläger beantragte am 08.03.2004 die Genehmigung eines Entlastungsassistenten aus berufspolitischen Gründen möglichst bis zum Juni 2006. Er trug vor, er benötige die Entlastung wegen seiner berufspolitischen Aktivitäten. Außer seiner Tätigkeit in den Gremien der KV Hessen und Bezirksstelle (Abgeordnetentätigkeit und GA, beratender Fachausschuss für Psychotherapie, Berufungsausschuss, AG für Psychotherapie auf Landesebene) sei er in der neu gegründeten Psychotherapeutenkammer im Vorstand tätig und gehöre dem gemeinsamen Beirat der Landesärztekammer und Psychotherapeutenkammer Hessen an. Außerdem betreue er als Vorstandsmitglied den Ausschuss für Berufsordnung, sei Delegierter der Landes- und Bundespsychotherapeutenkammer. In jüngster Zeit sei er zusätzlich mit der Aufgabe der Vorbereitung zur Gründung eines Psychotherapeutenversorgungswerkes und mit der Leitung der Arbeitsgruppe Versorgungswerk der Landespsychotherapeutenkammer Hessen beauftragt worden. Da sich die Termine aufgrund dieser vielfältigen Funktionen immer häufiger mit seinen Patiententerminen überkreuzten und er dadurch immer mehr Patiententermine absagen müsse, benötige er in seiner Praxis eine Entlastung. Der Geschäftsausschuss der Bezirksstelle genehmigte laut Beschlussprotokoll vom 10.03.2004 einen Entlastungsassistenten aus berufspolitischen Gründen bis zum 30.06.2006 mit der Auflage, dass keine wesentliche Ausweitung des Praxisumfanges erfolgen solle.

Am 03.07.2006 beantragte der Kläger die Verlängerung der Genehmigung. Er führte aus, bei der jetzt erfolgten Wahl zur Delegiertenversammlung der Psychotherapeutenkammer Hessen habe er erneut ein Mandat für fünf Jahre erhalten, welches er wahrnehme. Zusätzlich zu seinen bisherigen Funktionen in der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen habe er seit Januar 2006 den Vorsitz des beratenden Fachausschusses für Psychotherapie in der KVH inne.

Mit Bescheid vom 20.07.2006 lehnte die Beklagte die Genehmigung für die Beschäftigung eines Entlastungsassistenten aus berufspolitischen Gründen ab. Zur Begründung führte sie aus, die Beschäftigung eines Entlastungsassistenten komme nur aus Gründen der Sicherstellung der vertragspsychotherapeutischen Versorgung in Betracht, wenn der Vertragspsychotherapeut vorübergehend gehindert sei. Dies sei im Fall des Klägers nicht gegeben. Aufgrund des zweiten GKV-Neuordnungsgesetzes habe er die Möglichkeit, auch in einem überversorgten Gebiet, bei gleichzeitiger Leistungsbegrenzung, die den bisherigen Praxisumfang nicht wesentlich überschreite, einen angestellten Psychotherapeuten oder einen Job-Sharing-Partner in Gemeinschaftspraxis zu beschäftigen. Hierüber entscheide der Zulassungsausschuss/Psychotherapie.

Hiergegen legte der Kläger am 14.08.2006 Widerspruch ein. Zur Begründung seines Widerspruchs trug er vor, er benötige einen Entlastungsassistenten nicht nur aus berufspolitischen Gründen, sondern auch aus persönlichen und familiären Gründen. Er sei in der KV Hessen in verschiedenen Funktionen tätig. Er gehöre der Vertreterversammlung und dem Bezirksausschuss B-Stadt an und sei weiterhin als psychologischer Vorsitzender des beratenden Fachausschusses für Psychotherapie tätig. Er arbeite als vom Vorstand berufenes Mitglied in der Psychotherapie-Kommission und in dem Plausibilitätsausschuss, HVV-Ausschuss mit und sei stellvertretendes Mitglied im Zulassungsausschuss. In der Psychotherapeutenkammer Hessen sei er Delegierter und nunmehr seit dem 19.02.2007 auch gewählter Delegierter in dem Psychotherapeutenversorgungswerk. Auf der Verbandsebene sei er Landesvorsitzender im Berufsverband Deutsche Psychotherapeutenvereinigung und Bundesdelegierter. Beim Ausbildungsinstitut AWKG PK. übe er eine Dozententätigkeit zur Ausbildung von psychologischen Psychotherapeuten und auch Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten aus und führe Supervisionen durch. Neu hinzugekommen sei, und das sei ein erhebliches Problem, eine neue familiäre Situation. Nachdem seine erste Ehefrau verstorben sei, habe er wieder geheiratet. Mit seiner zweiten Ehefrau habe er eine Tochter von jetzt sieben Jahren. Die Tochter sei im Herbst 2006 in die erste Klasse eingeschult worden und benötige daher eine besondere Betreuung. Seine Frau arbeite als Krankenschwester im Schichtdienst (Früh- und Spätschicht) und es bedürfe eines erheblichen zeitlichen und organisatorischen Aufwandes, bei wechselnden Schulzeiten ihr Kind zu versorgen und nachmittags und abends zu betreuen. Um seine Patienten ausreichend und ohne finanzielle Einbußen versorgen können, benötige er dringend einen Entlastungsassistenten. Er reichte eine Bescheinigung der Taunus-Residenzen ein mit Datum vom 21.11.2006, in der Frau A. eine Beschäftigung seit 22.08.2005 mit einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden mit Einsatz im Schichtdienst bescheinigt wird.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2007, dem Kläger am 11.05. zugestellt, wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Im Widerspruchsbescheid führte die Beklagte aus, nach § 32 Abs. 1 Satz 1 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte habe der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben. Nach § 32 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV dürfe er einen Vertreter oder Assistenten beschäftigen, wenn dies aus Gründen der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung erfolge, die vorherige Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung sei erforderlich. Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben. Im Planungsbereich Main-Taunus-Kreis mit der Stadt A-Stadt liege keine Unterversorgung vor. Auch die Aufrechterhaltung des Praxisbetriebs sei nicht gefährdet. Die Durchschnittswerte der Prüfgruppe hätten in den Quartalen I und II/06 bei 40 bzw. 39 Fällen gelegen. Nach den Abrechnungsunterlagen der Gemeinschaftspraxis seien als Fallzahlen für die Quartale I und II/06 205 Fälle bzw. 185 Fälle aufgeführt. Nach § 32 Abs. 2 Satz 3 Ärzte-ZV sei auch die Dauer der Beschäftigung des Assistenten oder Vertreters zu befristen. Nach einem Beschluss des LSG Schleswig-Holstein vom 07.05.2001 (Az.: L 6 B 28/01 KA ER) verdeutliche diese Regelung, dass die Beschäftigung eines so genannten Entlastungsassistenten nur in Betracht komme, wenn der Vertragsarzt vorübergehend gehindert sei, seinen vertragsärztlichen Pflichten in vollem Umfang nachzukommen, mithin die Sicherstellungsgründe so geschaffen seien, dass sie einen zeitlich befristeten Bedarf begründeten. Ein Abstellen auf den Erziehungsbedarf von Kindern habe zur Folge, dass nicht nur von einer vorübergehenden, sondern von einer langen, unabsehbaren Zeitdauer hinsichtlich des Bedarfs an Hilfe auszugehen wäre. In der Ablehnung liege auch kein Verstoß gegen Artikel 6 GG. Gehöre es zum Wesen des freien Berufs, dass dieser in persönlicher Ausübung verrichtet werde, so dürften Vertretungsregelungen nur sehr eingeschränkt zugelassen werden, da sie andernfalls den Status der selbständigen Tätigkeit veränderten. Ein Abweichen von diesen wesentlichen Gründen gebiete auch die Verfassung nicht. Im Übrigen bestehe für den Kläger mit Hilfe eines angestellten Psychotherapeuten oder eines Job-Sharing-Partners die Möglichkeit, den Status als zugelassener Psychotherapeut frei zu halten und sich gleichzeitig um sein Kind zu kümmern bzw. seine berufspolitischen Verpflichtungen wahrzunehmen.

Hiergegen hat der Kläger am 11.06.2007 die Klage erhoben, die er trotz wiederholter Aufforderung der Kammer nicht begründet hat.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Bescheids vom 20.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 10.05.2007 die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Genehmigung zur Beschäftigung eines Entlastungsassistenten zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Klage abzuweisen.

Sie hat die Termine der verschiedenen Selbstverwaltungsgremien zur Gerichtsakte gereicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG entscheiden. Die Sache hat keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art und der Sachverhalt ist geklärt. Die Kammer hat die Beteiligten hierzu mit Verfügung vom 30.01.2008, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Empfangsbekenntnis am 06.02.2008 und der Beklagten am 08.02.2008 zugegangen, angehört. Dem Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers auf Verlängerung der Anhörungsfrist bis zum 05.03.2008 hat die Kammer stattgegeben. Nach Ablauf dieser Frist konnte die Kammer aber durch Gerichtsbescheid entscheiden.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 20.07.2006 in der Gestallt des Widerspruchsbescheids vom 10.05.2007 ist rechtmäßig und war daher nicht aufzuheben. Die Beklagte hat zu Recht dem Kläger eine Genehmigung zur Beschäftigung eines Entlastungsassistenten nicht bewilligt.

Der Vertragsarzt kann einen Vertreter oder einen Assistenten nur beschäftigen, wenn dies im Rahmen der Aus- oder Weiterbildung oder aus Gründen der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung erfolgt; die vorherige Genehmigung der Kassenärztlichen Vereinigung ist erforderlich. Die Dauer der Beschäftigung ist zu befristen (§ 32 Abs 2 S. 2 und 3 Ärzte-ZV).

Gründe der Aus- oder Weiterbildung scheiden vorliegend aus. Der Kläger beruft sich auf Gründe der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung aufgrund seiner berufpolitischen und familiären Verpflichtungen. Der Kläger hat im Verwaltungsverfahren vorgetragen, es bedürfe eines erheblichen zeitlichen und organisatorischen Aufwandes, bei wechselnden Schulzeiten sein Kind zu versorgen und nachmittags und abends zu betreuen. Der Kläger hat im Einzelnen nicht dargelegt, weshalb er hierzu nicht in Absprache mit seiner Ehefrau nicht in der Lage ist, gegebenenfalls auch unter Beschränkung seiner vertragsärztlichen Arbeitsstunden (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.2002 – B 6 KA 20/01 RBSGE 89, 134 = SozR 3 -5520 § 20 Nr. 3 = NJW 2002, 3278 = MedR 2002, 660, zitiert nach juris, Rdnr. 27). Im Gegensatz zu abhängig Beschäftigten, die in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert sind, auf die sie in der Regel keinen Einfluss nehmen können, können freiberuflich Erwerbstätige im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten ihre Berufstätigkeit sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch der Art und Weise der Ausübung frei gestalten. Der Vertragsarzt kann einen Arzt anstellen (§ 32b Abs: 1 Ärzte-ZV). Dies entbindet einen Vertragsarzt zwar nicht von seinen Pflichten, kann aber dennoch geeignet sein, seine unmittelbare Mitarbeit in der täglichen Vertragsarztpraxis erheblich einzuschränken. Nach § 15 Bundeserziehungsgesetz kann Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Elternzeit von grundsätzlich 3 Jahren zugebilligt werden, jedoch dies nur für die ersten 3 Lebensjahre. Weitergehende Ansprüche sieht der Gesetzgeber für abhängig beschäftigte Personen nicht vor (vgl. LSG Hessen, Urteil vom 15.03.2006 – L 4 KA 29/05 – juris, Rdnr. 20). Auch wenn solche Regelungen nicht auf feiberuflich tätige Personen unmittelbar übertragen werden können, so ist zu berücksichtigen, dass ein Vertragsarzt nach § 32 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV grundsätzlich die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich auszuüben hat. Insofern geht die Beklagte zutreffend davon aus, dass die Beschäftigung eines Assistenten aus Sicherstellungsgründen nur vorübergehend erfolgen kann. Wenn auch nicht grundsätzlich unterstellt werden kann, dass der Erziehungsbedarf von Kindern grundsätzlich eine lange unabsehbare Zeitdauer beinhaltet, so hat der Kläger im Verwaltungsverfahren nicht dargelegt, weshalb dieser Erziehungsbedarf nur vorübergehend sein sollte.

Soweit der Kläger weiter auf seine berufspolitischen Tätigkeiten hinweist, so handelt es sich um ehrenamtliche Tätigkeiten. Die Beklagte hat im Einzelnen dargelegt, dass die Tätigkeit des Klägers als Plausibilitätsbeauftragter Ende 2005 endete. Die Funktionen, die der Kläger weiterhin noch ausübt, haben in der Vergangenheit jeweils zu Zeiten außerhalb der üblichen Sprechstunden stattgefunden. Die Vertreterversammlung der Beklagten findet im Regelfall an Samstagen statt, der Fachausschuss/PT hat bisher ausschließlich in den Abendstunden stattgefunden. Das Amt des Vorsitzenden des Fachausschusses/PT hatte der Kläger ausschließlich in der Zeit vom 21.03.2006 bis zum 30.01.2007 inne. Die Vertreterversammlung der Psychotherapeutenkammer und des Psychotherapeutenversorgungswerkes sind ebenfalls auf ehrenamtliche Tätigkeiten ausgerichtet und finden vergleichsweise selten statt. Auch wenn der Kläger nach seinem Vorbringen berufspolitisch engagiert ist, so handelt es sich um ein Engagement, dass neben der Tätigkeit als Vertragspsychotherapeut zu bewerkstelligen ist. Es obliegt insoweit der eigenen Entscheidung des Klägers, inwieweit er seine berufpolitischen und familiären Verpflichtungen in Einklang mit den vertragspsychotherapeutischen Pflichten bringt. Sein Engagement in der beruflichen Selbstverwaltung findet jedenfalls nicht in einem Ausmaße statt, dass eine vertragspsychotherapeutische Tätigkeit auch unter Berücksichtigung familiärer Verpflichtungen im üblichen Rahmen nicht mehr möglich wäre.

Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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