Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) handelt es sich bei Leistungen der Eingliederungshilfe seit dem 1. Januar 2020 um eine "neue" Leistung. Enthalten die streitgegenständllichen Bescheide allein Regelungen zur bis zum 31. Dezember 2019 gültigen Rechtslage, ist die Klage demnach unzulässig (Bezug auf BSG, Urteil vom 28. Januar 2021 - B 8 SO 9/19 R - juris Rn 19; Urteil vom 18. Dezember 2024 - B 8 SO 14/22 R [Terminsbericht]). Im Einzelfall wirkt sich dieses Verständnis von den übergangsrechtlichen Herausforderungen für die behinderten Menschen besonders nachteilig aus, da Anträge auf begehrte Leistungen der nun "neuen" Eingliederungshilfe" (hier: ein Elektrorollstuhl als Leistung zur Sozialen Teilhabe) erst geraume Zeit später verbeschieden werden können, obwohl bereits mehrere Jahre aufgrund erfolgloser Rechtsbehelfsverfahren verstrichen sind.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 26. Mai 2021 geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion.
Die am ... 1996 geborene Klägerin leidet als frühgeborenes Kind (28. Schwangerschaftswoche) nach einem Atemnotsyndrom unter wiederkehrend aussetzender Atmung bei hypoxischem Hirnschaden sowie einer spastischen bein- und linksbetonten Tetraparese (GMFCS IV) mit Kontrakturen und Hüftluxation rechts. Im Bereich der Arme bestehen spastische Teillähmungen. Die Klägerin erhält regelmäßig physiotherapeutische und psychologische Behandlungen. Wegen Strabismus convergens unterzieht sie sich augenärztlichen Kontrollen. Die Klägerin besuchte zunächst das Landesbildungszentrum für körperbehinderte Menschen in H., schließlich die Förderschule des CJD S.. Ausweislich des Berichts des Krankenhauses „St. E.... “ vom 21. Dezember 2011 konnte die Klägerin mit der Gabel essen. Das Schneiden war ihr nicht möglich – diese Verrichtung übernahmen ihre Eltern. Das An- und Auskleiden war nur mit Hilfe möglich. Die Körperpflege übernehmen die Eltern. Mit ihrem Aktivrollstuhl (kombiniert mit einem Speedy bike) bewegte sie sich selbständig in der Wohnung, in der sie noch heute mit ihren Eltern lebt. Weil das Wohnhaus an einer mit Kopfsteinen gepflasterten Straße liegt, ist es der Klägerin nicht möglich, sich ohne fremde Hilfe außerhalb des elterlichen Hausgrundstücks fortzubewegen. Die Klägerin war damals außerdem mit folgenden Hilfsmitteln versorgt: Pflegebett, Badewannenlifter, Stehständer, Therapiestuhl, Rollator flux und Orthesen. Weil die Hände gelähmt sind, ist sie mit einem Laptop versorgt, um schreiben zu können. Für die Klägerin ist die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch festgestellt mit einem Grad der Behinderung von 100. Zudem sind ihr die Merkzeichen „G“, „aG“, „H“ und „B“ zuerkannt. Aus der sozialen Pflegeversicherung bezog sie Leistungen nach der Pflegestufe 2 bis Ende Dezember 2016 und seit Januar 2017 solche nach dem Pflegegrad 3. Aufgrund ihrer Behinderungen war die Klägerin in der Schule und während der Freizeit ständig auf Assistenz und Hilfe angewiesen (amtsärztliche Stellungnahme der Kinderärztin Dr. A. vom 7. Oktober 2014).
Am 25. März 2019 verordnete der Facharzt f. Orthopädie G. der Klägerin den Elektrorollstuhl mit Stehfunktion „Evo Altus HM-Nr. 18.99.03.2031“ zu Lasten der beigeladenen AOK S. Ausweislich des Voranschlags der „reha team H. GmbH“ vom 2. April 2019 kostet dieser Rollstuhl mit den darin erwähnten Aus- und Zurüstungen 26.183,81 Euro. Der Rollstuhl kombiniere die Möglichkeit zum Fahren und Stehen. Dies sei für die Klägerin wichtig, um Kontrakturen zu vermeiden. Die Beigeladene erfragte bei der Mutter der Klägerin am 5. April 2019 telefonisch die Verwendungszwecke für den verordneten Elektrorollstuhl. Die Mutter habe nach der an diesem Tag gefertigten Telefonnotiz mitgeteilt, dass die Klägerin den Elektrorollstuhl bei der Arbeit in der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) nutzen wolle. Dort befänden sich lange Flure, die sie regelmäßig durchqueren müsse, da sie in verschiedenen Abteilungen tätig sei. Die vorhandenen Kräfte reichten nicht aus, um diese Strecken mit dem Greifenrollstuhl zu absolvieren. Zudem wünsche sich die Klägerin, außerhalb des Wohnhauses allein unterwegs zu sein; dies sei mit dem verordneten Elektrorollstuhl möglich. Den vorhandenen Aktivrollstuhl könne sie sodann in der Wohnung verwenden.
Die Beigeladene hat sich daraufhin mit Schreiben vom 10. April 2019 an den Landkreis M. gewandt. Dieser sei der für die beantragte Leistung zuständige Träger. Der krankenversicherungsrechtlich geschuldete Basisausgleich sei mit dem Greifenrollstuhl mit angepasster Sitzschale erfüllt. Diesen könne die Klägerin sowohl im Innen- als auch im Außenbereich verwenden. Der verordnete Elektrorollstuhl diene der Teilhabe der Klägerin am gesellschaftlichen Leben und reiche demgemäß über den erwähnten Basisausgleich hinaus. Für die Ausstattung mit Hilfsmitteln für die Arbeit in der WfbM seien die gesetzlichen Krankenkassen nicht zuständig. Mit den vorhandenen Hilfsmitteln sei die Klägerin im Rahmen der Grundbedürfnisse ausreichend und zweckmäßig versorgt. Sie sei in der Häuslichkeit und im nahen Umfeld mobil. Deshalb leitete die Beigeladene den Antrag der Klägerin auf Versorgung mit dem genannten Hilfsmittel unter Hinweis auf § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) an den Landkreis weiter und informierte die Klägerin über ihr Vorgehen.
Der Landkreis M. lehnte den Antrag im Namen des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe des Landes Sachsen-Anhalt ab (Bescheid vom 26. April 2019). Der Elektrorollstuhl sei im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) nicht notwendig. Die Klägerin sei nach Auskunft der WfbM nur im Bereich der Verpackung beschäftigt und demzufolge nicht dazu gehalten, auch andere Abteilungen in der Werkstatt aufzusuchen.
Dagegen legte die Klägerin am 8. Mai 2019 Widerspruch ein. Auf Bitte des genannten Landkreises legte die „CJD S. “ als Träger der WfbM den Entwicklungsbericht vom 5. September 2019 vor. Demnach absolvierte die Klägerin das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich; seit Dezember 2018 ist sie im Arbeitsbereich beschäftigt (seinerzeit im Verpackungsbereich 2). Von dort aus seien lange Wegstrecken zu überwinden bis zum Speisesaal und zu den Toiletten. Bei der Rollstuhlbenutzung sei die Klägerin auf den ständigen Einsatz ihrer Hände und Arme angewiesen. Dies koste sie viel Kraft. Zur Stärkung ihres Selbstwertgefühls sei es wichtig, der Klägerin die Unabhängigkeit und Selbständigkeit zu erhalten. Mit Schreiben von 27. September 2019 führte die Klägerin aus, dass es ihr mit dem Greifenrollstuhl nicht möglich sei, sich außerhalb des Hausgrundstücks der Eltern zu bewegen, da der Rollstuhl auf dem Kopfsteinpflaster nicht zu verwenden sei. Ihre Eltern müssten sie deshalb stets schieben. Der verordnete Elektrorollstuhl sei mit einer Stehfunktion auszustatten, da die Klägerin zeitweise stehen müsse, damit sich ihre Sehnen nicht verkürzen. Das Hilfsmittel sei notwendig, um in der WfbM mobil zu sein und um ein selbstbestimmtes Leben auch in der Freizeit zu realisieren mit privaten Kontakten und dem Besuch von kulturellen und sportlichen Veranstaltungen. Zudem sei es der Klägerin möglich, sich mit dem Elektrorollstuhl den Nahbereich ihres Wohnumfeldes zu erschließen. Die beklagte Sozialagentur des Landes Sachsen-Anhalt erließ am 21. Februar 2020 den Widerspruchsbescheid. Die Versorgung der Klägerin mit einem Elektrorollstuhl sei nicht erforderlich, da dieses Hilfsmittel für die Bewältigung von Strecken über den Nahbereich hinaus konzipiert sei. Weil die Klägerin beim An- und Ausziehen sowie beim Waschen Hilfe benötige, sei es der Begleitperson möglich, die Klägerin während ihrer Beschäftigung in der WfbM auf ihren Wegen zur Toilette zu schieben. Der Elektrorollstuhl sei auch nicht notwendig zur Teilhabe der Klägerin am Leben in der Gemeinschaft. Ihr Bedarf sei durch die von der Beigeladenen gewährten Hilfsmittel vollständig gedeckt. Darüber hinausgehende Bedarfe habe die Klägerin nicht vorgetragen.
Dagegen hat sich die am 13. März 2020 vor dem Sozialgericht Halle erhobene Klage gerichtet. Die Klägerin wolle selbstbestimmt leben und mobil sein. Ihre Eltern als Pflegepersonen würden mit zunehmendem Alter schwächer. Es sei ihnen nicht mehr möglich, den Greifenrollstuhl zu schieben. Die Klägerin könne daher ihre Ergotherapeutin nicht mehr aufsuchen – sie komme nunmehr zur Klägerin – ,weshalb die Arbeit mit dem Therapiehund nicht mehr erfolge. Der Klägerin habe der Umgang mit dem Hund viel Freude bereitet. Aus demselben Grund sei der Klägerin das Training mit speziellen Geräten im Turnraum der Physiotherapeutin verwehrt. Um die Schwester und Neffen in der Nachbarschaft zu besuchen, seien die Eltern der Klägerin dazu gehalten, den Rollstuhl über das Kopfsteinpflaster bergauf zu schieben. Wegen nachlassender Kräfte sei dies den Eltern nicht mehr möglich. Während des vom Sozialgericht anberaumten Erörterungstermins am 9. September 2020 erklärte die Klägerin, den Rollstuhl auch allein fahren zu wollen. Mit dem Greifenrollstuhl könne sie lediglich einen Weg von 7 m außerhalb des Hausgrundstücks der Eltern zurücklegen. Sie erleide Schmerzen, wenn sie diesen Rollstuhl über längere Strecken verwende. Außerdem gerate sie dann in Luftnot. Die langen Gänge in der WfbM könne sie nicht allein absolvieren. Das Handbike könne sie nicht mehr nutzen. Die Klägerin sei damit bereits auf das Kopfsteinpflaster gestürzt.
Das Sozialgericht hat den Beklagten unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides verurteilt, die Klägerin mit einem Elektrorollstuhl nebst Zubehör zu versorgen. Dieser sei nach erfolgter Weiterleitung des Antrags der Klägerin durch die Beigeladene zuständiger Rehabilitationsträger (Bezug auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX). Der Sache nach könne die Klägerin den Elektrorollstuhl nach § 33 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB V) beanspruchen, wobei hier der mittelbare Behinderungsausgleich einschlägig sei. Das begehrte Hilfsmittel ermögliche das Gehen nicht, sondern gleiche lediglich die Funktionsbeeinträchtigung der Beine in Form des eingeschränkten Gehvermögens aus. Mit dem begehrten Elektrorollstuhl könne sich die Klägerin den ihre Wohnung umgebenden Nahbereich erschließen. Sie habe nachvollziehbar geschildert, dass es ihr nicht möglich sei, den 800 m bis 900 m langen Weg zu ihren Verwandten ohne fremde Hilfe zurückzulegen, da ihre Kraft dafür nicht ausreiche. Die Versorgung mit dem Elektrorollstuhl sei auch mit Blick auf das Zubehör wirtschaftlich im Sinne des § 12 SGB V. Auf der Grundlage des vorgelegten Kostenvoranschlags sei nicht ersichtlich, dass das Hilfsmittel günstiger beschafft werden könnte.
Gegen das ihm am 11. Juni 2021 zugestellte Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner am 8. Juli 2021 bei dem Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegten Berufung. Die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion und Zubehör für 27.976,70 Euro sei weder notwendig noch wirtschaftlich. Nach den eingeholten Befund- und Entwicklungsberichten sei die angestrebte Versorgung mit diesem Hilfsmittel nicht erforderlich. Damit verbleibe einzig die ärztliche Verordnung des behandelnden Orthopäden sowie der Vortrag der Klägerin, dass sie sich mit dem Greifenrollstuhl außerhalb des Wohngrundstücks lediglich 7 m weit bewegen könne. Alternativ sei unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebots zu prüfen, ob die Versorgung mit einem elektrischen Zusatzantrieb ausreiche. Schließlich sei auch ein gewöhnlicher Elektrorollstuhl in Betracht zu ziehen bei gleichzeitiger Versorgung der Klägerin mit einem neuen Stehständer. Zudem habe das Sozialgericht die eingereichten Kostenvoranschläge nicht geprüft. Es sei zweifelhaft, ob die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion sowie anatomischem Sitzkissen und Rücken im Sonderbau dem Wirtschaftlichkeitsgebot entspreche. Zudem sei die Ausstattung mit einem Standard-Joystick (anstelle des beantragten Joystick mit Display) ausreichend.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 26. Mai 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie sei sehr enttäuscht darüber, dass der Beklagte das erstinstanzliche Urteil anfechte, nachdem er sich während des Erörterungstermins vom 9. September 2020 mit der Beigeladenen darauf verständigt habe, das begehrte Hilfsmittel jeweils zur Hälfte zu finanzieren. Der Gesundheitszustand der Klägerin verschlechtere sich zunehmend. Dasselbe gelte für ihre Eltern als Pflege- und Betreuungspersonen – ihnen falle der Transport der Klägerin immer schwerer. Die Zurüstung des Rollstuhls mit Stehfunktion sei erforderlich, da es der Klägerin gesundheitlich nicht mehr möglich sei, sich selbständig in einen Stehständer umzusetzen. Die Eltern könnten ihr altersbedingt dabei nicht mehr helfen. Außerdem ermögliche ihr der Rollstuhl mit Stehfunktion das selbständige Einkaufen. Sie könne dann in Regale hineingreifen, die sie nur in aufgerichteter Position erreichen könne. Da ein Elektrorollstuhl ohne Stehfunktion nach den Kostenvoranschlägen vom 29. August 2023 nur rund 3.000 Euro günstiger sei als ein solcher, der mit dieser Funktion ausgestattet sei, möge die Beigeladene ein Anerkenntnis abgeben. Die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens erscheine aufgrund der Dringlichkeit der Versorgung als nicht sachgerecht. Schließlich habe sich die Physiotherapeutin der Klägerin in ihrer Stellungnahme (Anlage zum Schriftsatz vom 29. Juli 2024) dahin geäußert, dass sich die Stehfunktion am Elektrorollstuhl sehr vorteilhaft auf die Klägerin auswirken würde, da sie damit selbständig ihre verkürzten Strukturen dehnen und den Muskelaufbau forcieren könne. Die Klägerin meint, der Elektrorollstuhl mit Stehfunktion sei nach § 33 Abs. 1 SGB V zum Behinderungsausgleich erforderlich.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Der Orthopädietechniker der Beigeladenen hat einen Hausbesuch bei der Klägerin durchgeführt. Ausweislich des Schriftsatzes der Beigeladenen vom 1. Februar 2021 sei der Klägerin das selbständige Fahren im Außenbereich im nahen Wohnumfeld überhaupt nicht möglich. Sie wohne im elterlichen Einfamilienhaus sehr dörflich. Fußwege und Straßen befänden sich in schlechtem Zustand. Der Elektrorollstuhl solle stundenweise für Spazierfahrten genutzt werden. Für die Arbeit benötige sie Verstellmöglichkeiten, da die Arbeitstische in der Werkstatt nicht rollstuhlgerecht seien. Zudem sei es ihr damit möglich, zeitweise die Körperhaltung zu wechseln. Dafür sei jedoch die gesetzliche Krankenkasse nicht zuständig. Die Beigeladene erklärte sich sodann im Schriftsatz vom 10. August 2022 dazu bereit, die Klägerin mit einem Elektrorollstuhl mit großen Fronträdern (Typ Otto Bock B 500S) zu versorgen – allerdings ohne Stehfunktion, da diese Zurüstung medizinisch nicht notwendig sei. Eine ärztliche Einschätzung dazu finde sich bisher nicht. Auch sei die begehrte Stehfunktion nicht notwendig, um der Klägerin den Einkauf zu ermöglichen. Dieser sei behinderungsbedingt von ihren Eltern als Pflegepersonen zu erledigen (Bezug auf das Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Sachsen-Anhalt vom 12. Oktober 2020). Auf Bitte des Senats hat die Beigeladene die Kostenvoranschläge des Leistungserbringers „reha team H.“ vom 29. August 2023 vorgelegt. Demnach kostet ein Elektrorollstuhl ohne Stehfunktion 27.036,28 Euro, ein solcher mit einer derartigen Funktion 30.896,04 Euro. Die Beigeladene meint, sie sei für die Versorgung der Klägerin mit einem mit einer Stehfunktion ausgerüsteten Elektrorollstuhl nicht zuständig.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 23. Januar 2025 auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. Januar 2021 (Az.: B 8 SO 9/19 R) und vom 18. Dezember 2024 (Az.: B 8 SO 14/22 R) hingewiesen. Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Nach Zustimmung der Beteiligten entscheidet der Senat über den Rechtstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 153 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG) des Beklagten erweist sich als begründet. Die Klage ist bereits unzulässig. Dabei ist der erhobene Anspruch der Klägerin von vornherein auf Leistungen der Eingliederungshilfe gerichtet gewesen und nicht auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Die Abgrenzung zwischen Hilfsmitteln im Sinne der medizinischen und der sozialen Rehabilitation (im Sinne der Eingliederungshilfe) richtet sich nämlich entscheidend nach den Zwecken und Zielen, denen das Hilfsmittel dienen soll. Nachdem die Klägerin erläutert hat, selbstbestimmt lange Spazierfahrten auch ohne Begleitung unternehmen sowie an kulturellen und sportlichen Veranstaltungen teilnehmen zu wollen, steht nicht die medizinische, sondern die soziale Rehabilitation im Fokus. Damit hat die Beigeladene das Begehren der Klägerin zutreffend als Antrag auf Leistungen zur Teilhabe aufgefasst und diesen mit Schreiben vom 10. April 2019 gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX an den Landkreis M. weitergeleitet, welcher im Auftrag des Beklagten als seinerzeit für die Leistungen der Eingliederungshilfe zuständiger Träger der Sozialhilfe gehandelt hat.
Streitgegenständlich ist daher der (für den überörtlichen Träger der Sozialhilfe erlassene) Bescheid des Landkreises M. vom 26. April 2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des beklagten Landes Sachsen-Anhalt, vertreten durch die Sozialagentur, vom 21. Februar 2020 (§ 95 SGG). Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1, Abs. 4; 56 SGG). Damit ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (hier: vor dem erkennenden Senat des LSG Sachsen-Anhalt) maßgeblich.
Zu berücksichtigen ist diesbezüglich, dass das Bundessozialgericht (BSG) davon ausgeht, dass es sich bei Leistungen der Eingliederungshilfe ab dem 1. Januar 2020 um eine neue Leistung handelt und dafür ein neuer Antrag notwendig sei. Einen solchen Antrag hätte die Klägerin zwar noch während des Berufungsverfahrens stellen können. Allerdings ist nach dem Terminbericht des BSG (48/24) anzunehmen, dass die hiesige Klage unzulässig (geworden) ist. Denn die streitgegenständlichen Verwaltungsakte enthalten allein Regelungen zur bis zum 31. Dezember 2019 gültigen Rechtslage (vgl. dazu BSG, Urteil vom 28. Januar 2021 – B 8 SO 9/19 R – juris Rn. 19; Urteil vom 18. Dezember 2024 – B 8 SO 14/22 R). Über einen gegebenenfalls zu stellenden oder konkludent gestellten Antrag nach § 108 SGB IX müsste der Beklagte (der nach dem zitierten Urteil des BSG nicht Funktionsnachfolger des bis zum 31. Dezember 2019 zuständig gewesenen Trägers der Sozialhilfe ist) zunächst aufgrund eines einzuleitenden Verwaltungsverfahrens entscheiden, wobei der erhobene Anspruch der Klägerin auf die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 99 ff. SGB IX in der ab dem 1. Januar 2020 gültigen Fassung gerichtet ist. In diesem Fall wäre der Beklagte dazu gehalten, den individuellen Rehabilitationsbedarf der Klägerin nach Maßgabe des § 13 SGB IX in Verbindung mit §§ 117, 118 SGB IX zu ermitteln und die Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß §§ 121, 120 Abs. 2 SGB IX festzustellen.
Diesen Anforderungen ist der Beklagte nicht gerecht geworden. Auch wenn die Vorschriften über das Gesamtplanverfahren mit Wirkung vom 1. Januar 2020 in das SGB IX eingefügt worden sind, kann § 58 SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2019 gültigen Fassung als Vorläufer der §§ 117 ff. SGB IX angesehen werden. Dieser sah vor, dass der Sozialhilfeträger so früh wie möglich einen Gesamtplan zur Durchführung der einzelnen Leistungen der Eingliederungshilfe aufzustellen und dabei mit dem behinderten Menschen, den sonst im Einzelfall Beteiligten (Arzt, Gesundheitsamt, Landesarzt, Jugendamt) zusammenzuwirken hat (vgl. Lange in: Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, 5. Aufl. 2023, § 117 Rn. 2). Dies ist nicht geschehen.
Dem Beklagten als seit dem 1. Januar 2020 zuständigen Träger der Eingliederungshilfe war es nach der dargestellten Rechtsansicht des BSG nicht möglich, den in seinem Auftrag ergangenen Bescheid des Landkreises M. zu ändern oder aufzuheben. Denn im Januar 2020 konnte er über den erhobenen Anspruch der Klägerin nicht mehr auf der Grundlage des SGB XII entscheiden, nachdem das (neue) Recht der Eingliederungshilfe in das SGB IX überführt worden war. Der Beklagte hat daher als nunmehr unzuständige Widerspruchsbehörde (da handelnd als Sozialhilfeträger) den Widerspruchsbescheid in materieller Hinsicht auf ungültige Rechtsgrundlagen (§§ 53 ff. SGB XII a.F.) gestützt.
Womöglich hätte der Beklagte auf die Erledigung des Ausgangsbescheides vom 26. April 2019 („auf andere Weise“) nach § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sowie auf die „neue“ Rechtslage ab dem 1. Januar 2020 hinweisen und darauf hinwirken können, dass die Klägerin einen Antrag auf Leistungen der „neuen“ Eingliederungshilfe nach § 108 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellt. Einzuräumen ist dabei, dass auch der Beklagte die Überlegungen des BSG im zitierten Urteil vom 28. Januar 2021 zum „neuen“ Recht der Eingliederungshilfe nicht vorhersehen konnte. Sein verwaltungsmäßiges Vorgehen lässt vielmehr erkennen, dass er – ungeachtet der Überführung des Rechts der Eingliederungshilfe in das SGB IX – davon ausgegangen ist, Träger der Eingliederungshilfe über den 31. Dezember 2019 hinaus zu bleiben (was tatsächlich so geschehen ist; nach der Ansicht des BSG handelt es sich dabei allerdings um ein rein zufälliges Ergebnis, da die Länder nach § 94 Abs. 1 SGB IX die Träger der Eingliederungshilfe bestimmen [vgl. Urteil vom 28. Januar 2021 – B 8 SO 9/19 R – juris Rn. 19]). Die dogmatische Einordnung der aufgezeigten übergangsrechtlichen Herausforderungen durch das BSG ist im Einzelfall – wie dem der Klägerin – mit besonderen Nachteilen für die davon betroffenen behinderten Menschen verbunden. Aufgrund des Terminberichts über das Urteil vom 18. Dezember 2024 (B 8 SO 14/22 R) ist anzunehmen, dass es sich nunmehr um eine „gefestigte“ Rechtsprechung handelt. Nachdem die Klägerin inzwischen seit sechs Jahren auf die Versorgung mit dem begehrten Elektrorollstuhl wartet, der ihr nach der Ansicht des Senats grundsätzlich zusteht, sollen die weiteren Ausführungen dazu beitragen, das einzuleitende Verwaltungsverfahren unter Berücksichtigung der Maßgabe aus § 2 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zügig abzuwickeln: Danach ist sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden.
Der Anspruch der Klägerin auf das begehrte Hilfsmittel und dessen Kostenübernahme durch den Beklagten ergibt sich (wie oben erwähnt; siehe dazu auch weiter unten) aus den Vorschriften der Eingliederungshilfe in Form von Leistungen der Sozialen Teilhabe nach §§ 102 Abs. 1 Nr. 4, 113 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 8, 84 Abs. 1 SGB IX. Für den Bereich der von den Leistungen der Eingliederungshilfe umfassten Leistungen der Sozialen Teilhabe (§ 102 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX) bestimmt § 113 Abs. 1 SGB IX, dass Leistungen zur Sozialen Teilhabe erbracht werden, um eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, soweit sie nicht nach den Kapiteln 3 bis 5 erbracht werden. Hierzu gehört, Leistungsberechtigte zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung im eigenen Wohnraum sowie in ihrem Sozialraum zu befähigen oder sie hierbei zu unterstützen. Maßgeblich sind die Ermittlungen und Feststellungen nach Kapitel 7. Leistungen zur Sozialen Teilhabe sind gemäß § 113 Abs. 2 Nr. 8 SGB IX auch Hilfsmittel, wobei gemäß §§ 113 Abs. 3 SGB IX, 84 Abs. 1 Satz 1 SGB IX solche Hilfsmittel erforderlich sein müssen, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen.
Leistungen zur Eingliederung in die Gesellschaft nach § 113 Abs. 1 und 2 Nr. 8 SGB IX haben – vergleichbar zur alten Rechtslage nach §§ 53 Abs. 4, 54 Abs. 1 SGB XII i. V. m. § 55 Abs. 1 und 2 Nr. 7 SGB IX a. F. – die Aufgabe, dem behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft bzw. – seit dem 1. Januar 2020 – an der Sozialen Teilhabe zu ermöglichen. Solche Hilfsmittel bezwecken die gesamte Alltagsbewältigung; sie ermöglichen dem behinderten Menschen den Kontakt mit seiner Umwelt, nicht nur mit Familie und Nachbarschaft, sowie die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben (vgl. zu § 55 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 7 und § 58 SGB IX a. F.: BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 – B 8 SO 32/07 R - BSGE 103, 171 = SozR 4-3500 § 54 Nr. 5, juris Rn. 17). Für den Anspruch auf Leistungen der Sozialen Teilhabe ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) vom 23. Dezember 2016 den Behinderungsbegriff in § 2 SGB IX ausdrücklich entsprechend dem Verständnis der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) neu gefasst und dabei dem Wechselwirkungsansatz noch mehr Gewicht beigemessen hat als nach dem bis dahin geltenden Recht. Danach kommt es nicht allein auf die wirklichen oder vermeintlichen gesundheitlichen Defizite an. Im Vordergrund stehen vielmehr das Ziel der Teilhabe (Partizipation) an den verschiedenen Lebensbereichen (zur alten Rechtslage vgl. bereits Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum SGB IX, BT-Drucks. 14/5074 S. 94 unter II.1.; zum BTHG vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung,BT-Drucks. 18/9522 S. 192 unter II.1 S. 227 zu § 2) sowie die Stärkung der Möglichkeiten einer individuellen und den persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -gestaltung unter Berücksichtigung des Sozialraums (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 18/9522 S. 3 unter A., S. 191 unter 1.5.) und der individuellen Bedarfe zum Wohnen (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 18/9522 S. 4 drittletzter Absatz).
Für den Anspruch auf Leistungen der Sozialen Teilhabe ist ferner zu berücksichtigen, dass es nach § 90 Abs. 5 SGB IX besondere Aufgabe der Sozialen Teilhabe ist, dem behinderten Menschen die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht, und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Leistung soll sie befähigen, ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können (§ 90 Abs. 1 SGB IX).
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klägerin aufgrund ihrer Behinderungen zum anspruchsberechtigten Personenkreis für Leistungen der Sozialen Teilhabe nach §§ 102 Abs. 1 Nr. 4, 113 Abs. 1 und 2 SGB IX gehört. Nach § 99 SGB IX erhalten Personen Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 53 Abs. 1 und 2 SGB XII und den §§ 1 bis 3 der Eingliederungshilfe-Verordnung in der am 31. Dezember 2019 geltenden Fassung, womit eine Behinderung der maßgebliche Ansatz für den anspruchsberechtigten Personenkreis ist. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX a. F. (i. d. F. bis 31. Dezember.2017) sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist. Seit dem 1. Januar 2018 erfasst § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX (i. d. F. des BTHG) als Menschen mit Behinderungen solche, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (§ 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX i. d. F. des BTHG).
Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung zu erwarten ist (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB IX i. d. F. des BTHG). Die Klägerin leidet bei hypoxischem Hirnschaden unter einer spastischen bein- und linksbetonten Tetraparese mit Kontrakturen und Hüftluxation rechts. Auch im Bereich der Arme bestehen spastische Teillähmungen. Sie erfüllt damit die Behinderteneigenschaft des § 2 Abs. 1 SGB IX in allen Gesetzesfassungen.
Leistungen nach dem Kapitel 3, hier insbesondere solche zur medizinischen Rehabilitation nach den Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 109 Abs. 1 und 2 SGB IX), kommen für die Klägerin jedenfalls nicht vorrangig in Betracht. Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB IX werden Leistungen zur Sozialen Teilhabe im Sinne dieser Vorschrift nur erbracht, soweit sie nicht nach den Kapiteln 3 bis 5 des Zweiten Teils des SGB IX erbracht werden. Die Abgrenzung zwischen Hilfsmitteln im Sinne der medizinischen Rehabilitation und der sozialen Rehabilitation - hier im Sinne der Eingliederungshilfe – erfolgt nicht nach den in Betracht kommenden Leistungsgegenständen. Sie richtet sich entscheidend nach den Zwecken und Zielen, denen das Hilfsmittel dienen soll. Die Zwecke können sich überschneiden, sie können aber auch unterschiedlicher Art sein, denn die Zwecksetzung der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist mit der Zwecksetzung der Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist nicht identisch (vgl. zur alten Rechtslage BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 – B 8 SO 32/07 R – juris Rn. 17; Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 19/08 R – juris Rn. 21). Die grundsätzliche Zuordnung eines Hilfsmittels zur medizinischen Rehabilitation im Sinne der GKV bedeutet daher nicht, dass es unter einer anderen Zielsetzung für eine mögliche Leistungserbringung nicht auch infrage kommt. Die medizinische Rehabilitation für Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohter Menschen richtet sich nach § 42 SGB IX. Es werden die erforderlichen Leistungen erbracht, um
1. Behinderungen einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, eine Verschlimmerung zu verhüten oder
2. Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern, eine Verschlimmerung zu verhindern sowie den vorzeitigen Bezug von laufenden Sozialleistungen zu verhüten oder laufende Sozialleistungen zu mindern.
Zu den Leistungen der medizinischen Rehabilitation ist nach §§ 109 Abs. 1, § 42 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX grundsätzlich auch das – hier im Streit stehende – Hilfsmittel zu zählen, wobei die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen (§ 109 Abs. 2 SGB IX).
Die Versorgung der Klägerin mit einem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion entsprechend einer Rehabilitationsleistung der gesetzlichen Krankenversicherung wäre demnach für den Fall einer originäre Leistung der GKV grundsätzlich nach § 109 Abs. 2 SGB IX i. V. m. § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V zu beurteilen. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (Var. 1), einer drohenden Behinderung vorzubeugen (Var. 2) oder eine Behinderung auszugleichen (Var. 2), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Zu den Leistungen der medizinischen Rehabilitation nach dem SGB V kann nach ständiger Rechtsprechung auch die Versorgung mit sächlichen Hilfsmitteln der GKV nach § 33 SGB V gehören (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 – B 3 KR 5/12 R - SozR 4-3250 § 14 Nr. 19, juris Rn. 21 m. w. N.). Hilfsmittel können nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V – wie erwähnt – drei unterschiedlichen Zielrichtungen dienen: der „Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" (Var. 1), dem „Vorbeugen vor Behinderung" (Var. 2) oder dem „Behinderungsausgleich" (Var. 3).
Das BSG hat in seiner Rechtsprechung bereits ausgeführt, dass es sich bei der Versorgung mit einem sächlichen Hilfsmittel nicht um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation handelt, wenn der Einsatz des Hilfsmittels der „Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" dient (vgl. BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 30/15 R – juris Rn. 35 ff.). Hilfsmittel dienen dann der „Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung", wenn sie im Rahmen einer Krankenbehandlung, d.h. zu einer medizinisch-therapeutischen Behandlung einer Erkrankung als der Kernaufgabe der GKV nach dem SGB V eingesetzt werden. Krankenbehandlung umfasst dabei nach der Definition des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V die notwendigen Maßnahmen, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Begriff der Krankheit ist im SGB V nicht näher definiert. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist eine Krankheit ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand, der behandlungsbedürftig ist oder den Versicherten arbeitsunfähig macht (vgl. nur BSG, Urteil vom 15. März 2018 – B 3 KR 12/17 R – juris Rn. 27). Dies hat die höchstrichterliche Rechtsprechung im Laufe der Zeit dahingehend präzisiert, dass nicht schon jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert zukommt. Erforderlich ist vielmehr zusätzlich, dass der Versicherte dadurch in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder die Abweichung vom Regelzustand entstellende Wirkung hat (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 30/15 R – juris Rn. 22; vgl. auch Hauck, NJW 2016, 2695, 2696 f.).
Ausgehend von diesen rechtlichen Maßgaben kann die Klägerin jedenfalls den Anspruch auf Versorgung mit dem Elektrorollstuhl mit Stehfunktion nicht aus dem Grund „zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGB V herleiten. Zwar können bewegliche sächliche Mittel zur Förderung oder Ermöglichung der Mobilisation in besonders gelagerten Fällen Hilfsmittel „zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V sein (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 7. Oktober 2010 – B 3 KR 5/10 R – SozR 4-2500 § 33 Nr. 32, juris Rn. 21 ff.). Der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung dient ein bewegliches sächliches Mittel nach der Rechtsprechung des BSG dann, wenn es spezifisch im Rahmen ärztlich verantworteter Krankenbehandlung eingesetzt wird, um zu ihrem Erfolg beizutragen (vgl. BSG, Urteil vom 19. April 2007 – B 3 KR 9/06 R – SozR 4-2500 § 33 Nr. 15 = juris Rn. 11; BSG, Urteil vom 16. September 2004 – B 3 KR 19/03 R – SozR 4-2500 § 33 Nr. 7 = juris Rn. 11). Jedoch ist nicht jedwede gesundheitsfördernde Betätigung als "spezifischer Einsatz im Rahmen der ärztlich verordneten Krankenbehandlung" anzusehen. Einen fehlenden engen Bezug zu einer konkreten Krankenbehandlung weisen gesundheitsförderliche Maßnahmen auf, die (nur) allgemein auf die Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, die Mobilisierung von Restfunktionen des behinderten Menschen, die Erhöhung der Ausdauer und Belastungsfähigkeit sowie die Hilfe bei der Krankheitsbewältigung zielen. Andernfalls bedürfte es nicht der besonderen Leistungstatbestände u. a. der §§ 20 ff. SGB V sowie des § 44 Abs. 1 Nr. 3 und 4 SGB IX a. F. (bzw. § 64 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 SGB IX i. d. F. des BTHG), mit denen die Leistungspflicht der GKV unter den jeweils dort genannten Voraussetzungen über die gezielte Krankheitsbekämpfung als Kernaufgabe hinaus (BSG, Urteil vom 9. Dezember 1997 – 1 RK 23/95 – BSGE 81, 240, 243 = SozR 3-2500 § 27 Nr. 9 S. 29) auf Aufgaben im Rahmen der gesundheitlichen Prävention und Rehabilitation ausgedehnt worden ist. Ein weitergehender spezifischer Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung kommt daher nur solchen Maßnahmen zur körperlichen Mobilisation zu, die in engem Zusammenhang mit einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche und ärztlich angeleitete Leistungserbringer stehen und für die gezielte Versorgung im Sinne der Behandlungsziele des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V als erforderlich anzusehen sind. Davon ist auszugehen, wenn der Versicherte aufgrund der Schwere seiner körperlichen Beeinträchtigung dauerhaft Anspruch auf Maßnahmen der physikalischen Therapie hat, die durch das beanspruchte Hilfsmittel unterstützte eigene körperliche Betätigung entweder wesentlich fördert oder die therapeutische Behandlungsfrequenz infolge der eigenen Betätigung geringer ausfallen kann und sich deshalb die Versorgung mit dem Hilfsmittel im Rahmen der Wahlmöglichkeit des Versicherten (vgl. § 33 SGB I und § 8 Abs. 1 SGB IX) als wirtschaftlich darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 18. Mai 2011 – B 3 KR 10/10 R – SozR 4-2500 § 33 Nr. 35 = juris Rn. 11).
Vorliegend kommt im Fall der Klägerin aber keine Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung in Betracht. Zum einen existiert vorliegend kein ärztlich angeleitetes Therapiekonzept – jedenfalls geht aus den beigezogenen Befundberichten der behandelnden Ärzte der Klägerin kein solcher ärztlicher Therapieplan hervor – und zum anderen liegt es nahe, dass bei dem gesundheitlichen Zustand der Klägerin von einem gesundheitlichen Endzustand auszugehen ist. Eine wesentliche Verbesserung der Beweglichkeit und Koordination im Bereich der Arme und Beine scheint mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen zu sein. Derzeit spricht nichts dafür, dass ein mit der begehrten Stehfunktion ausgerüsteter Rollstuhl daran etwas ändern könnte. Die Variante der Sicherung der Krankenbehandlung scheidet damit aus. Die Versorgung der Klägerin mit dem begehrten Hilfsmittel hat hier offenbar keinen solch engen Bezug zur Krankenbehandlung mehr, wie ihn das BSG in den oben erwähnten Entscheidungen fordert.
Der Elektrorollstuhl mit Stehfunktion erscheint auch nicht zum Behinderungsausgleich in dem von der GKV abzudeckenden Bereich der medizinischen Rehabilitation als erforderlich (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Var. 3 SGB V). Im Bereich des von der GKV zu erfüllenden Behinderungsausgleichs bemisst sich die originäre Leistungszuständigkeit der GKV nach dem Zweck des Hilfsmittels, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des Gehens und Stehens, der Erschließung des Nahbereichs und einem möglichst selbstbestimmten Leben und selbstständigen Leben befriedigt (vgl. allgemein zu den Grundbedürfnissen z. B. BSG, Urteil vom 18. April 2024 – B 3 KR 7/23 R – juris Rn. 20; Urteil vom 29. April 2010 – B 3 KR 5/09 R – SozR 4-2500 § 33 Nr. 30 = juris Rn. 12; BSG, BSGE 116, 120 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 42 = juris Rn. 18; BSG, Urteil vom 30. September 2015 – B 3 KR 14/14 R – SozR 4-2500 § 33 Nr. 48 = juris Rn. 18, jeweils m. w. N.). Für den Versorgungsumfang, insbesondere die Qualität, Quantität und Diversität der Hilfsmittelausstattung kommt es aber sowohl beim unmittelbaren als auch beim mittelbaren Behinderungsausgleich allein auf den Umfang der mit dem begehrten Hilfsmittel zu erreichenden Gebrauchsvorteile an (vgl. z. B. BSG, SozR 3-2500 § 33 Nr. 44, S. 248 ff.). Ohne Wertungsunterschiede besteht in beiden Bereichen Anspruch auf die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung. Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet ist. Demgemäß haben die Krankenkassen nicht für solche „Innovationen" aufzukommen, die keine wesentlichen Gebrauchsvorteile für den Versicherten bewirken, sondern sich auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch oder eine bessere Optik beschränken (st. Rspr.; vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 16. April 1998 – B 3 KR 6/97 R – SozR 3-2500 § 33 Nr. 26, S. 152; BSG, Urteil vom 6. Juni 2002 – B 3 KR 68/01 R – SozR 3-2500 § 33 Nr. 44, S. 149; BSG, Urteil vom 18. Juni 2014 – B 3 KR 8/13 R – BSGE 116, 120, 123 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 42, Rn. 16 ff.; BSG, Urteil vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 13/13 R – SozR 4-2500 § 33 Nr. 44 Rn. 19 ff.; BSG, Urteil vom 30. September 2015 – B 3 KR 14/14 R – SozR 4-2500 § 33 Nr. 48 Rn. 18, jeweils m. w. N.).
Speziellen Wünschen im Hinblick auf Komfort oder Ästhetik ist nur nachzukommen, wenn der Versicherte die Mehrkosten trägt (§ 33 Abs. 1 Satz 6 SGB V i. d. F. von Art. 1 Nr. 2 Buchst. a Buchst. aa Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung, Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz - HHVG, vom 4. April 2017, BGBl. I 778, m. W. v. 11. April 2017 i. V. m. § 47 Abs. 3 SGB IX i. d. F. des BTHG). Als ein solches allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens ist in Bezug auf Bewegungsmöglichkeiten die Erschließung des Nahbereichs der Wohnung von Versicherten anerkannt, nicht aber das darüber hinausreichende Interesse an Fortbewegung oder an der Erweiterung des Aktionsraums. Maßgebend für den von der GKV insoweit zu gewährleistenden Behinderungsausgleich ist der Bewegungsradius, den ein nicht behinderter Mensch üblicherweise noch zu Fuß erreicht (st. Rspr.; vgl. BSG, Urteil vom 6. August 1998 – B 3 KR 3/97 R – SozR 3-2500 § 33 Nr. 29, S. 175, BSG, Urteil vom 16. September 1999 – B 3 9/98 R – SozR 3-2500 § 33 Nr. 32, S. 192; BSG, Urteil vom 30. November 2017 – B 3 KR 3/16 R – juris Rn. 19 ff.). Ausnahmen hiervon sind in Einzelfällen beim Vorliegen eines zusätzlichen qualitativen Moments, etwa für Mobilitätshilfen zum mittelbaren Behinderungsausgleich bei Kindern und Jugendlichen angenommen worden, wenn diese zum Schulbesuch oder zur Integration in der kindlichen und jugendlichen Entwicklungsphase erforderlich waren (vgl. BSG, Urteil vom 18. Mai 2011 – B 3 KR 10/10 R – SozR 4-2500 § 33 Nr. 35 Rn. 16 m. w. N.).
Für die Grundbedürfnisse des Gehens und der Erschließung des Nahbereichs ist das von der Klägerin begehrte Hilfsmittel zwar geeignet. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das BSG darauf abstellt, dass sich der Mensch mit Behinderungen den Nahbereich entsprechend der örtlichen Gegebenheiten erschließen können muss. Die motorunterstützte Mobilitätshilfe muss vor diesem Hintergrund erforderlich sein (BSG, Urteil vom 18. April 2024 – B 3 KR 7/23 R – juris Rn. 26). Diese Voraussetzungen dürften bei der Klägerin vorliegen: Ausweislich des Berichts des Orthopädietechnikers der Beigeladenen befindet sich das Wohnhaus auf einer Anhöhe und wird durch eine mit Kopfsteinen gepflasterte Straße erschlossen. Mit ihrem Greifenrollstuhl vermag sich die Klägerin nur wenige Meter außerhalb des Hausgrundstücks zu bewegen; nach ihrem Vortrag ist sie bereits gestürzt.
Allerdings hat sie vorgetragen, den Elektrorollstuhl für weitergehende Zwecke verwenden zu wollen – etwa zum selbstbestimmten Leben auch in der Freizeit mit privaten Kontakten und dem Besuch kultureller und sportlicher Veranstaltungen. Damit besteht vorliegend kein Vorrang der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach den Vorschriften der gesetzlichen Krankenkasse (§ 109 Abs. 1 und 2 SGB IX) nach dem Kapitel 3 des Zweiten Teils des SGB IX.
Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Hilfsmittels als Soziale Teilhabeleistung zur Eingliederung in die Gesellschaft nach § 113 Abs. 1 und 2 Nr. 8 SGB IX i. V. m. § 84 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, die Erforderlichkeit, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen, liegen im Falle der Klägerin mit dem begehrten Elektrorollstuhl ersichtlich vor. Die Unterstützung durch einen Elektroantrieb ist erforderlich, um die angestrebten Ziele der Gesunderhaltung, der Teilhabe am Leben sowie einer ausreichenden Mobilität zu erreichen. Aufgrund der Lähmungen sowie der Kraftminderung in Armen und Beinen ist dies bei einem Aktivrollstuhl ohne Elektrounterstützung nicht ausreichend gegeben. Der Elektrorollstuhl kann daher einen erheblichen Beitrag zur Mobilität und damit zur Teilhabe am Leben und Aktivität des täglichen Lebens leisten. Durch die Bewegung im Freien wird die Lebensfreude gestärkt, was sich positiv auf die Psyche auswirkt. Es erhöht die Motivation, sich zu bewegen, was wiederum Voraussetzung für die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen darstellt und im konkreten Fall der Verhinderung weiterer kardiovaskulärer Ereignisse dient. Darüber hinaus vermag die Klägerin mit einem Elektrorollstuhl eigenständig und ohne fremde Hilfe größere Strecken als nur den Nahbereich ihrer Wohnung zu bewältigen. Sie möchte unabhängiger von ihren Eltern werden, was auch für diese eine willkommene Entlastung bedeuten würde; zumal die Eltern die Klägerin als Pflegepersonen umfassend unterstützen. Die Klägerin beabsichtigt, längere Spazierfahrten an der frischen Luft zu absolvieren. Sie möchte außerdem selbstbestimmt an kulturellen und sportlichen Veranstaltungen teilnehmen. Insgesamt dient das begehrte Hilfsmittel somit auch dazu, der Vereinsamung vorzubeugen.
Damit liegt es nahe, dass die Klägerin mit dem Elektrorollstuhl in der Lage wäre, trotz der beschriebenen gravierenden Funktionseinschränkungen deutlich intensiver am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben. Das Hilfsmittel ermöglicht ihr eine insoweit gesteigerte individuelle Lebensführung, die der Würde des Menschen entspricht, und fördert eine wirksame Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, in dem sie in den von ihm gewünschten Bereichen ihre Lebensplanung und -führung selbstbestimmter und eigenverantwortlicher wahrnehmen kann. Die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl ist auch kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens (vgl. BSG, Urteil vom 7. Oktober 2010 – B 3 KR 13/09 R – SozR 4-2500 § 33 Nr. 31 = juris Rn. 25 m. w. N.). Die von der Beigeladenen zur Verfügung gestellten Hilfsmittel (darunter der Aktivrollstuhl) sind dafür allein nicht ausreichend (vgl. hierzu auch LSG B.-B., Urteil vom 17. Oktober 2012 – L 9 KR 392/10 – juris Rn. 31 ff.).
Im Übrigen dürfte dem Anliegen der Klägerin nach der gesetzlichen Neuausrichtung des Bundesteilhaberechts, insbesondere mit dem Wunsch- und Wahlrecht des behinderten Menschen (§ 8 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SGB IX), Rechnung zu tragen sein. Der Beklagte darf die Klägerin jedenfalls nicht pauschal auf die von der Beigeladenen bereitgestellten Hilfsmittel verweisen; zumal er bisher deren Bedarf weder ermittelt noch festgestellt hat. Er hätte nach erfolgter Bedarfsfeststellung sodann individuell prüfen müssen, wie die Behinderung der Klägerin ihrem Wunsch entsprechend und in einer dem Teilhaberecht des SGB IX angemessenen Weise ausgeglichen wird (§ 8 SGB IX; vgl. schon BSG, Urteil vom 3. November 1999 – B 3 KR 16/99 R – SozR 3-1200 § 33 Nr. 1 S. 4 zum Wahlrecht zwischen Elektrorollstuhl und Shoprider). Dabei hätte der Beklagte die individuellen Bedürfnisse der Klägerin im Kontakt mit ihrer Umwelt, nicht nur mit Familie und Nachbarschaft, sowie die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben (vgl. zu § 55 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 7 und § 58 SGB IX a. F.: BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 – B 8 SO 32/07 R – SozR 4-3500 § 54 Nr. 5 = juris Rn. 17) und das Ziel der Teilhabe (Partizipation) an den verschiedenen Lebensbereichen berücksichtigen müssen.
Nach alldem liegt es nahe, dass die Klägerin der Sache nach einen Anspruch auf die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl gegen den Beklagten hat. Soweit der Beklagte im Widerspruchsbescheid ausgeführt hat, dass der Elektrorollstuhl deshalb nicht erforderlich sei, weil sich die Klägerin von einer Begleitperson schieben lassen könne, weist der Senat auf § 1 Satz 1 SGB IX in der seit dem 1. Januar 2018 gültigen Fassung hin. Danach erhalten Menschen mit Behinderungen Leistungen nach dem SGB IX und den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. Diesen Grundsätzen ist der Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid nicht gerecht geworden. Offen erscheint allerdings die Frage, ob sie die Ausrüstung dieses Hilfsmittels mit der Stehfunktion verlangen kann. Ärztliche Einschätzungen dazu fehlen bislang. Die Physiotherapeutin hat ausgeführt, dass sich eine solche Funktion für die Klägerin als vorteilhaft erweisen würde. Diese Ansicht mag man teilen. Die rechtlich notwendige „Erforderlichkeit“ ist daraus aber noch nicht abzuleiten. Weil dem Senat für diese Bewertung die nötige Sachkunde fehlt, wäre insoweit ein Sachverständigengutachten einzuholen. Die Fragen an den Sachverständigen müssten sich dabei auch auf das weitere Zubehör erstrecken, das im Kostenvoranschlag vom 29. August 2023 erwähnt wird. Da die Klage – wie oben ausgeführt – unzulässig ist, sind diese Feststellungen vom Beklagten zu treffen, der die angefochten Bescheide noch als Sozialhilfeträger aufgrund der bis zum 31. Dezember 2019 gültigen Rechtslage erlassen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG. Zwar hat der Beklagte obsiegt, was bei der Kostenentscheidung in der Regel dazu führt, dass er die Kosten der Klägerin nicht zu tragen hat. Jedoch gilt im sozialgerichtlichen Verfahren auch das „Veranlassungsprinzip“, das bei der Kostenentscheidung auch das Verschulden einbezieht, welches ein Beteiligter an der Entstehung eines von vornherein vermeidbaren Prozesses trägt. Daher kann das Gericht auch einem obsiegenden Beteiligten die außergerichtlichen Kosten des Prozessgegners ganz oder teilweise auferlegen, z.B. wenn die beklagte Behörde durch eine unrichtige Begründung des angefochtenen Verwaltungsakts die Klageerhebung veranlasst hat (BSG, Urteil vom 18. Juli 1989 – 10 RKg 22/88 – juris Rn. 24; Wehrhahn in: jurisPK-SGG, 2. Aufl., Stand: 22. August 2024, § 193 Rn. 44). Hier hat der Beklagte den erhobenen Anspruch der Klägerin lediglich aufgrund der bis zum 31. Dezember 2019 maßgeblichen Rechtslage gestützt und diese damit schließlich zur Erhebung der (unzulässigen) Klage veranlasst. Außerdem berücksichtigt der Senat, dass der Beklagte – wie aufgezeigt - bereits den eingliederungshilferechtlichen Bedarf der Klägerin nicht erfasst und den erhobenen Anspruch deshalb aufgrund einer unzureichenden tatsächlichen Grundlage unter Missachtung des Grundsatzes der Selbstbestimmung nach § 1 SGB IX abgelehnt hat. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, da sie keinen Antrag gestellt und demgemäß keinem Prozessrisiko ausgesetzt gewesen ist.
Die Nichtzulassung der Revision folgt aus § 160 Abs. 2 SGG.