B 6 KA 36/06 B

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 1385/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 46/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 36/06 B
Datum
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 18. Januar 2006 wird zurückgewiesen. Der Kläger hat dem Beklagten auch dessen außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I

1

Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Zulassungsentziehung.

2

Der nunmehr 54 Jahre alte Kläger ist Facharzt für Chirurgie und seit Dezember 1993 zur vertragsärztlichen Versorgung in M. zugelassen. Er nahm seine Praxistätigkeit im Mai 1995 in Praxisgemeinschaft mit einem Anästhesisten im Rahmen einer chirurgischen Tagesklinik auf. Ab Mitte 1997 war er dort mit einem weiteren Chirurgen in einer Gemeinschaftspraxis tätig, die wiederum in Praxisgemeinschaft mit dem Anästhesisten verbunden war. Mittlerweile ist der Kläger in W. in einer Einzelpraxis niedergelassen.

3

Das Amtsgericht M. verurteilte den Kläger am 5.2.1999 in einem rechtskräftig gewordenen Strafbefehl wegen Titelmissbrauchs und Abrechnungsbetrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten, die für zwei Jahre und sechs Monate zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dem waren weitere Verurteilungen zu Geldstrafen wegen Trunkenheit im Verkehr, Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Urkundenfälschung (hinsichtlich einer Promotionsurkunde) und wegen Missbrauchs von Titeln in den Jahren 1997 und 1998 vorausgegangen, wobei der Kläger den ihm nicht zukommenden akademischen Grad eines "Dr. med." selbst nach Rechtskraft der ersten Bestrafung wegen Titelmissbrauchs weiterhin führte. Die Verurteilung wegen Abrechnungsbetrugs bezog sich darauf, dass der Kläger in den Quartalen I/1996 bis II/1998 bei zahlreichen Patienten Leistungen für die ambulante postoperative und tagesklinische Betreuung nach Nr 63 bis 69 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen zum Ansatz gebracht und in den jeweiligen Abrechnungs-Sammelerklärungen die alleinige Abrechnung dieser Leistungen durch ihn - entsprechend einer Vereinbarung mit den anderen an der Leistungserbringung beteiligten Ärzten - bekräftigt hatte, obgleich in dem Praxisgemeinschaftsvertrag bestimmt war, dass Leistungen der postoperativen Überwachung ausschließlich vom Anästhesisten abgerechnet werden. Dementsprechend hatte der Anästhesist diese Leistungen bei den betreffenden Patienten gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) ebenfalls geltend gemacht, was Doppelzahlungen mit einer Schadenssumme in Höhe von ca 35.000 DM zur Folge hatte. Die Fälschung der Promotionsurkunde und die unberechtigte Führung des Titels "Dr. med." wurden vom Berufsgericht für Heilberufe - ebenfalls rechtskräftig - mit einer Geldbuße in Höhe von 20.000 DM geahndet. Bemühungen des Klägers um eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens hatten auch in der Beschwerdeinstanz vor dem Landgericht keinen Erfolg.

4

Die Zulassungsgremien entzogen dem Kläger wegen Abrechnungsbetrugs, Titelmissbrauchs und unzureichender Mitwirkung bei der Schadenswiedergutmachung die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung, sahen allerdings von einer Anordnung der sofortigen Vollziehung dieser Entscheidung ab (Bescheid des Zulassungsausschusses vom 16.6.1999 und des beklagten Berufungsausschusses vom 4.5.2000). Das Sozialgericht hat der Klage gegen die Zulassungsentziehung stattgegeben (Urteil vom 22.1.2003), während das Landessozialgericht (LSG) sie auf Berufung des Beklagten und der zu 1. beigeladenen KÄV abgewiesen hat. Das LSG hat ausgeführt, der Kläger habe mit seinem Verhalten gröbliche Pflichtverletzungen begangen, die eine Zulassungsentziehung rechtfertigten. Daran könne der Umstand, dass der Kläger nach Auskunft der KÄV zwischenzeitlich im Wesentlichen korrekt abrechne, nichts ändern. Zwar dürfe der Gesichtspunkt des Wohlverhaltens bei lang dauernden Verfahren nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben, doch reiche hierfür allein die Vermeidung weiterer Falschabrechnungen und das Unterlassen des Führens des nicht zustehenden akademischen Grades nicht aus. Aufgrund des Vorbringens des Klägers im Klage- und Berufungsverfahren entstehe im Gegenteil der Eindruck, dass dieser den Unrechtsgehalt seiner Falschabrechnungen nicht einsehe und weiterhin der Auffassung sei, die Abrechnung der Nachsorgeleistungen habe ihm zugestanden. Das Berufungsgericht bezweifle deshalb die Einsichtsfähigkeit des Klägers und sei von einer Wiedererlangung der Eignung des Klägers als Vertragsarzt nicht überzeugt (Urteil vom 18.1.2006).

5

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

II

6

Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Der von ihm in der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Rechtsfrage kommt keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu.

7

Der Kläger benennt als in einem Revisionsverfahren grundsätzlich klärungsbedürftig einzig die Rechtsfrage, ob - sinngemäß - das Wohlverhalten eines Vertragsarztes auch dann nicht zu seinen Gunsten zu berücksichtigen sei, wenn es sich über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren zwischen der Zulassungsentziehung und der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht in nunmehr korrekter Abrechnung und im Verzicht auf die weitere Führung des Doktortitels manifestiert habe.

8

Die Darlegung dieser Grundsatzrüge durch den Kläger ist als noch ausreichend anzusehen und die Beschwerde mithin zulässig (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Vorlage seiner Beschwerdebegründung am 26.7.2006 das Senatsurteil vom 19.7.2006 (B 6 KA 1/06 R - SozR 4-2500 § 95 Nr 12, dort RdNr 16 ff) noch nicht in vollständiger Form vorlag, sodass der Kläger nur auf der Grundlage der Pressemitteilung über diese Entscheidung Ausführungen machen konnte. Diese Pressemitteilung (Nr 40/06 vom 20.7.2006, Fall Nr 3) enthielt zu der genannten Frage jedoch keine detaillierten Angaben (zum gegebenenfalls erforderlichen Abstellen auf die Pressemitteilung über eine bereits verkündete BSG-Entscheidung bei der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde vgl Senatsbeschluss vom 31.5.2006 - B 6 KA 44/05 B - MedR 2006, 672, mwN).

9

Eine Revisionszulassung scheidet jedoch aus, weil die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage bereits durch das genannte Senatsurteil in Übereinstimmung mit der dem Berufungsurteil zugrunde liegenden Rechtsauffassung geklärt ist. In dieser Entscheidung hat der Senat näher ausgeführt, dass bei einer nicht im Wege des Sofortvollzugs tatsächlich umgesetzten Zulassungsentziehung das Berufungsgericht insbesondere im Falle längerer Verfahrensdauer sorgfältig zu prüfen hat, ob sich die Sachlage während des Prozesses zu Gunsten des Arztes in einer Weise geändert hat, die eine Entziehung der Zulassung nicht mehr als angemessen erscheinen lässt (BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 12, RdNr 16). Hierzu müssen die Umstände festgestellt werden, welche auf Grund der Praxistätigkeit des klagenden Arztes während des sozialgerichtlichen Verfahrens für und gegen dessen künftig ordnungsgemäßes Verhalten sprechen, und diese sind sodann im Rahmen einer Prognose wertend zu gewichten. Dabei kann eine durch gröbliche Pflichtverletzungen in der Vergangenheit indizierte Ungeeignetheit des Vertragsarztes infolge veränderter Umstände während des sozialgerichtlichen Verfahrens nur dann relativiert werden, wenn die Prognose künftig ordnungsgemäßen Verhaltens zweifelsfrei zur Überzeugung des Tatsachengerichts feststeht (BSG, aaO, RdNr 18-19). Ein Wohlverhalten ist nicht anzunehmen, wenn durch Tatsachen belegte ernstliche Zweifel daran bestehen, ob bei dem betroffenen Vertragsarzt eine nachhaltige Verhaltensänderung wirklich eingetreten ist. Eine Würdigung nur der zu Gunsten des Arztes sprechenden Tatsachen scheidet ebenso aus wie die Berücksichtigung lediglich eines Zeitraums von fünf Jahren nach Ausspruch der Zulassungsentziehung im Rahmen der Prognose (BSG, aaO; s zum Ganzen auch den Senatsbeschluss vom 27.6.2007 - B 6 KA 20/07 B - BeckRS 2007, 45493, RdNr 13 - auch zur Veröffentlichung in MedR vorgesehen).

10

Mithin ist durch die genannten Entscheidungen höchstrichterlich geklärt, dass allein das Unterlassen weiterer Pflichtverletzungen während der gesamten Zeit eines länger als fünf Jahre dauernden sozialgerichtlichen Verfahrens über die Zulassungsentziehung jedenfalls dann kein Wohlverhalten iS einer Prognose künftig ordnungsgemäßen Verhaltens belegen kann, wenn zugleich aufgrund konkreter Tatsachen ernstliche Zweifel an einer nachhaltigen Verhaltensänderung des Vertragsarztes bestehen. Solche tatsächlichen Umstände hat das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats in seiner Urteilsbegründung nachvollziehbar benannt und daraus in nicht zu beanstandender Weise gefolgert, dass es die Überzeugung einer positiven Prognose nicht gewinnen kann (vgl zum entgegengesetzten Fall den Senatsbeschluss vom 27.6.2007, aaO). Ein darüber hinausgehender, einer generalisierenden Beurteilung durch das Revisionsgericht zugänglicher Klärungsbedarf zur Frage des Wohlverhaltens im Verlauf eines Rechtsstreits über die Rechtmäßigkeit einer nicht sofort vollzogenen Zulassungsentziehung besteht nicht.

11

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG abgesehen.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und Abs 4 Satz 2 SGG (in der bis zum 1.1.2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung).
Rechtskraft
Aus
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