L 1 AS 2795/09 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AS 1282/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 2795/09 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 26.05.2009 wird zurückgewiesen.

2. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides über Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 119,98 EUR im Streit.

Die Beschwerdegegnerin (Bg.) hob mit Bescheid vom 19.11.2008 die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 08.08. bis zum 15.10.2008 wegen Ortsabwesenheit der Tochter der Beschwerdeführerin (Bf.) auf und machte hierbei einen Erstattungsbetrag von 119,98 EUR geltend. Den deswegen eingelegten Widerspruch wies die Bg. mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2009 als unbegründet zurück. Der Widerspruchsbescheid enthielt die Rechtsbehelfsbelehrung, dass innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben werden könne. Der Widerspruchsbescheid wurde von der Bg. am 20.02.2009 zur Post gegeben, was sich aus einem Postausgangsvermerk auf dem Widerspruchsbescheid ergibt.

Mit undatiertem Schreiben, das beim SG am 09.04.2009 einging, hat die Bf. Klage erhoben. Der Umschlag des Briefes, mit dem die Klage erhoben worden ist, trägt einen Poststempel vom 08.04.2009. Die Bf. hat ihre Klage mit der inhaltlichen Unrichtigkeit der angegriffenen Bescheide begründet, die daraus resultiere, dass eine Ortsabwesenheit nicht vorgelegen habe.

Das SG hat die Bf. mit Aufklärungsverfügung vom 20.04.2009 darauf hingewiesen, dass die Klage nicht innerhalb der Monatsfrist des § 87 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben und damit unzulässig sei. Wegen der Verfristung der Klage könne diese inhaltlich nicht geprüft werden. Es werde geraten, die Klage zurückzunehmen und bei der Bg. einen Überprüfungsantrag zu stellen. Sollte die Klage nicht zurückgenommen werden, sei eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid beabsichtigt, wozu eine Äußerungsfrist bis zum 15.05.2009 eingeräumt worden ist.

Die Bf. hat sich hierauf nicht gegenüber dem SG geäußert.

Daraufhin hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26.05.2009 als unzulässig abgewiesen. Die Klagefrist des § 87 Abs. 1 SGG sei nicht gewahrt. Nach § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) gelte ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Damit gelte der Widerspruchsbescheid am 23.02.2009 als bekannt gegeben, wohingegen die Klage erst am 09.04.2009 erhoben worden sei. Eine Verlängerung der Monatsfrist komme nicht in Betracht, da der Widerspruchsbescheid eine zutreffende Rechtsbehelfsbelehrung enthalten habe, § 66 SGG. Gründe für eine Wiedereinsetzung seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen. Der Gerichtsbescheid des SG wurde der Bf. am 28.05.2009 zugestellt.

Am 19.06.2009 hat die Bf. beim Landessozialgericht Beschwerde eingelegt, mit der sie ausschließlich die inhaltliche Unrichtigkeit der angegriffenen Bescheide geltend macht.

Die Bf. beantragt sinngemäß,

die Berufung gegen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 26.05.2009 zuzulassen, und das Verfahren als Berufungsverfahren fortzuführen.

Die Bg. beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Bg. hält den angegriffenen Gerichtsbescheid für rechtmäßig und Zulassungsgründe für nicht gegeben.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.

II. Die nach § 145 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht begründet.

Nach § 105 Abs. 1 SGG kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben, kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt, findet mündliche Verhandlung statt.

Die Bf. hat im Hinblick auf den angegriffenen Gerichtsbescheid weder ausdrücklich die mündliche Verhandlung beim SG beantragt noch ausdrücklich die Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, sondern sich direkt mit der Bitte um eine Korrektur an das Landessozialgericht gewandt. Danach ist der von der Bf. eingelegte Rechtsbehelf als Nichtzulassungsbeschwerde auszulegen, weil dies vorliegend der einzige statthafte Rechtsbehelf für die Bf. beim Landessozialgericht ist.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 Euro nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Satz 2 a.a.O.).

Beide Voraussetzungen sind in Anbetracht des Beschwerdewerts und des Zeitraums, für den Leistungen geltend gemacht werden, nicht gegeben, da allein die Erstattung von Leistungen in Höhe von 119,98 EUR für die Zeit vom 08.08. bis zum 15.10.2008 im Streit ist.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung nur zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder (2.) das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Die Zulassungsgründe des § 144 Abs. 2 Nr. 2 (Abweichung/Divergenz) und Nr. 3 SGG (Verfahrensmangel) liegen nicht vor und werden von der Bf. auch nicht geltend gemacht. Insbesondere ist die Entscheidung des SG in der Form eines Gerichtsbescheids nach § 105 SGG nicht zu beanstanden, weil nach der vom SG angenommenen Verfristung der Klage ein einfacher prozessualer Sachverhalt vorlag, auf den das SG die Bf. zudem ausführlich mit der Aufklärungsverfügung vom 20.04.2009 hingewiesen hat.

Die Bf. bestreitet vielmehr ausschließlich die inhaltliche Richtigkeit der angegriffenen Verwaltungsentscheidungen. Insofern liegt jedoch auch der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG nicht vor. Entsprechend den zu § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG entwickelten Grundsätzen ist eine Rechtssache grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG, wenn sie eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich ist (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Berufungsverfahren zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). An der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt es dann, wenn sich eine Antwort auf dieselbe bereits aus der vorliegenden obergerichtlichen oder höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt, also zur Auslegung der anzuwendenden gesetzlichen Begriffe schon Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben. In diesem Fall geht es nämlich lediglich um die Anwendung der von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze auf den der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt (vgl. zu § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG: BSG, Beschlüsse vom 20.09.2001 - B 11 AL 135/01 B -, und vom 09.12.1998 - B 9 VS 6/98 B -, NVwZ-RR 1999, 323).

Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 144 SGG zu. Die Bf. hat weder vor dem SG noch vor dem Landessozialgericht Angaben dazu gemacht, weshalb sie die Klage vor dem SG verspätet erhoben hat. In diesem Zusammenhang hat das SG zu Recht eine Verfristung der Klage angenommen. Insoweit ist noch darauf hinzuweisen, dass durch den Poststempel auf dem Briefumschlag der Klageschrift vom 08.04.2009 nachgewiesen ist, dass die verspätete Klageerhebung nicht auf einer der Bf. nicht zuzurechnenden verzögerten Zustellung beruht.

Zwar wäre es denkbar, dass die Bf. den Widerspruchsbescheid später als nach der Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 SGB X erhalten hat. Da hierzu keinerlei Vortrag der Bf. erfolgt ist, ist die Zugangsvermutung vorliegend jedoch nicht erschüttert worden. Der Senat hält einen späteren Zugang des Widerspruchsbescheids auch für unwahrscheinlich, weil die Bf. dann aufgrund des Datums des Widerspruchsbescheides im Zusammenhang mit der Rechtsbehelfsbelehrung Veranlassung gehabt hätte, umgehend Klage zu erheben, was sie indes nicht getan hat.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Die vorliegende Nichtzulassungsentscheidung ist unanfechtbar, § 177 SGG.

Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG vom 26.05.2009 wird hiermit rechtskräftig, § 145 Abs. 4 Satz 5 SGG.
Rechtskraft
Aus
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