Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 171/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Kürzung der Verletztenrente - dauerhafte Heimpflege - Ermessen
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Kürzung der Verletztenrente für den Zeitraum von Juni 2006 bis Dezember 2006.
Der 1949 geborene Kläger erlitt am 01.03.2000 einen bei der Beklagten versicherten Wegeunfall, aufgrund dessen er sich in einem komatösen Zustand befindet und seit 08.11.2000 im Pflegeheim der A-Stadt untergebracht ist. Die Beklagte trägt sämtliche Kosten im Zusammenhang mit der Unterbringung im Pflegeheim, außerdem erhielt der Kläger wegen der Folgen des Unfalles Verletztenrente nach einer MdE von 100 v.H., aus der er Unterhaltsansprüche seiner 1953 geborenen Ehefrau M. sowie seiner Söhne C. (geb. 1980) und D. (geb. 1985) zu bedienen hatte.
Die Ehefrau des Klägers ist am xx.xx.2005 an den Folgen eines Aneurysmas verstorbenen, die beiden Söhne befanden sich zu diesem Zeitpunkt jeweils in Berufsausbildung bzw. Studium. Nach dem Tod der Frau A. gelangte der gemeinschaftliche Erbschein vom 10.08.2005 zur Akte, wonach diese von dem Kläger zu 1/2 sowie den Söhnen und zu je 1/4 beerbt wurde, außerdem der Betreuerausweis vom 28.11.2005, wonach der A. zum Betreuer des Klägers bestellt wurde. Aus den weiteren übersandten Unterlagen ergibt sich, dass A. studierte und daneben eine geringfügige Beschäftigung ausübte, A. stand in einem Ausbildungsverhältnis zum Bankkaufmann, beide erhielten zudem jeweils befristete Halbwaisenrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Beklagte hörte die Söhne des Klägers mit Schreiben vom 06.03.2006 hinsichtlich der Kürzung der Unfallrente des Klägers um die Hälfte wegen Unterbringung im Pflegeheim zum 01.05.2006 gemäß § 60 SGB VII an. Mit Anwaltsschreiben vom 22.03.2006 widersprach der Kläger der Kürzung im Hinblick auf eine fehlende Rechtsgrundlage. Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 30.03.2006 auf § 60 SGB VII hingewiesen hatte, wies der Sohn des Klägers mit Schriftsatz vom 10.04.2006 auf die besonderen Belastungen durch die Weiterführung des Haushaltes der Eltern einerseits und Besuche und Pflegebedarf des Vaters andererseits hin.
Durch Bescheid vom 26.04.2006 kürzte die Beklagte die Verletztenrente des Klägers wegen Unterbringung im Pflegeheim zum 01.06.2006 um die Hälfte auf 2111,07 EUR monatlich.
Der Kläger legte hiergegen fristgerecht Widerspruch ein und trug vor, die Beklagte habe nicht berücksichtigt, dass Hauskosten von monatlich 261,01 EUR fielen, laufende Versicherungen von circa 281 EUR zu regulieren seien und Fahrtkosten sowie Fußpflege und Pflegemittel in Höhe von 156 EUR in die Ermessensentscheidung einzufließen hätten. Die Söhne des Klägers könnten aufgrund der Belastungen durch ihre Ausbildungen den Hausverkauf frühestens ab Juni 2006 in Angriff nehmen und mit einer Abwicklung sei erst bis Ende 2006 zu rechnen, so dass die Hauskosten zumindest für den Zeitraum von 01.06.2006 bis 31.12.2006 zu berücksichtigen seien.
Durch Widerspruchsbescheid vom 13.07.2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, die Verwertung (Vermietung/Verkauf) des seit mehr als 10 Monaten leer stehenden Elternhauses hätte bereits einem Makler übertragen werden können und sei deshalb unabhängig vom jeweiligen Ausbildungsabschnitt der Söhne zu betrachten.
Der Kläger hat hiergegen am 26.07.2006 vor dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben.
Der Kläger vertritt die Auffassung, der Verkauf des Hauses habe erst im Juni 2006 in die Wege geleitet werden können, er werde sich mindestens bis Ende 2006 hinziehen. Dies beruhe darauf, dass der Sohn in der Zeit von September 2005 bis Ostern 2006 in Paris studiert und diese Phase seiner Ausbildung im Mai 2006 durch ein Kolloquium in Paris abgeschlossen habe. Von daher sei er nicht in der Lage gewesen, sich bis Ende Mai 2006 um die Veräußerung der Liegenschaft zu kümmern. Der Sohn habe im Mai 2006 seine Abschlussprüfung gefertigt, so dass er auch in der Zeit zwischen dem Tod der Mutter und Mai 2006 durch seine eigene Ausbildung in Zusammenhang mit den oben dargestellten Schwierigkeiten derartig gebunden gewesen sei, dass er nicht die Zeit und die Kraft aufgebracht habe, einen Makler für den Verkauf des Hauses zu beauftragen und diesem die notwendigen Unterlagen zur Verfügung zu stellen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 26.04.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2007 aufzuheben, soweit die Kürzung der Verletztenrente vor dem 01.01.2007 ausgesprochen wurde, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen,
nach der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat EMA-Auskünfte eingeholt bzgl. des Wohnsitzes der beiden Söhne des Klägers. C. war ab 15.05.2007 nicht mehr unter der Adresse des Elternhauses gemeldet, sein Bruder D. ab 01.09.2005. Zum Sach- und Streitstand im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten des Klägers bei der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben. Sie ist hinsichtlich des Hilfsantrages auch zulässig, und als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG statthaft (so genannte Verpflichtungsbescheidungsklage, vergleiche BSG Urteil vom 18.04.2000, Az. B 2 U 19/99 R m. w. N.). Hinsichtlich des Hauptantrages ist die Klage jedoch unzulässig, da ein Fall der so genannten "Ermessensreduzierung auf Null" vorliegend unter keinem Aspekt gegeben ist.
Soweit die Klage zulässig ist, ist sie jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig und war daher nicht aufzuheben. Insbesondere kann das Gericht keine fehlerhafte Ermessensentscheidung feststellen.
Maßgebliche Rechtsgrundlage ist § 60 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII. Danach kann der Unfallversicherungsträger für die Dauer einer Heimpflege von mehr als einem Kalendermonat die Rente um höchstens die Hälfte mindern, soweit dies den persönlichen Bedürfnissen und Verhältnissen der Versicherten angemessen ist. Hintergrund dieser Vorschrift ist die Schaffung eines finanziellen Ausgleichs, weil dem Versicherten in der Regel während der Heimpflege wesentlich geringere Aufwendungen für das Bestreiten des Lebensunterhaltes erwachsen, da grundsätzlich sein kompletter Lebensunterhalt im Rahmen der Unterbringung abgedeckt wird.
Der Gesetzgeber hat, wie sich aus der Formulierung "kann" ergibt, die Minderung der Verletztenrente in das pflichtgemäße Ermessen der Beklagten gestellt. Das hat zur Folge, dass die Beklagte ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten hat (§ 39 Abs. 1 S. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I; § 54 Abs. 2 S. 2 SGG). Umgekehrt hat der Versicherte Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs. 1 S. 2 SGB I). Die gerichtliche Kontrolle dieses Teils der Verwaltungsentscheidung beschränkt sich darauf, ob die Beklagte ihr Ermessen pflichtgemäß und fehlerfrei ausgeübt hat. Das Gericht darf nicht darüber hinaus sein Ermessen an Stelle desjenigen der Verwaltung setzen. Eine Verurteilung der Beklagten zur Gewährung der konkret begehrten Leistungen im Sinne des Hauptantrages ist dabei nur möglich, wenn eine so genannte "Ermessensreduzierung auf Null" hinsichtlich dieser Leistung eingetreten ist, d.h. wenn jeder andere Entscheidung als die Gewährung genau dieser Leistung sich zwingend als rechtswidrig darstellen würde. Liegt ein derartiger Ausnahmefall nicht vor, kann ein ermessensfehlerhafter Verwaltungsakt lediglich im Wege des so genannten Verpflichtungsbescheidungsurteils aufgehoben und die Beklagte zur erneuten Bescheidung des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet werden (vergleiche BSG Urteil vom 18.04.2000, Az. B 2 U 19/99 R).
Als so genannte Ermessensfehler kommen zum einen eine so genannte Ermessensunterschreitung beziehungsweise ein Ermessensnichtgebrauch in Betracht (die Beklagte unterlässt es, das ihr eingeräumte Ermessen auszuüben), zum anderen eine so genannte Ermessensüberschreitung (die Beklagte setzt eine im Gesetz nicht vorgesehene Rechtsfolge). Schließlich stellt es einen Ermessensfehler dar, wenn die Beklagte von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung widersprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn die Beklagte ihrer Entscheidung entweder einen unrichtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt, für die Entscheidung objektiv wesentliche Gesichtspunkte nicht ermittelt oder berücksichtigt oder objektiv gemessen am Ermächtigungszweck sachfremde bzw. und unsachliche Erwägungen zur Entscheidungsgrundlage gemacht hat (vergleiche Meyer-Ladewig, SGG, neunte Auflage, § 54 Rdziff. 29 ff.; Kasseler Kommentar, § 39 SGB I, Rdziff. 6 ff.). Welche Umstände in diesem Sinne wesentlich und deshalb vollständig und zutreffend zu ermitteln sowie im Rahmen der Ermessensausübung zu würdigen sind, ergibt sich insbesondere aus der einschlägigen Ermächtigungsnorm (hier § 60 SGB VII) sowie gegebenenfalls weiteren, sich hierauf beziehende gesetzliche Regelungen.
Für derartige Ermessensfehler gibt es im vorliegenden Fall keinen Anhaltspunkt. Der angegriffene Bescheid lässt erkennen, dass die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen gesehen und davon auch innerhalb des Rahmens der Ermächtigungsnorm sachgerecht Gebrauch gemacht hat.
Bei der Prüfung der Frage, ob und in wieweit eine Minderung der Verletztenrente bei dauerhafter Heimpflege den persönlichen Bedürfnissen und Verhältnissen des Versicherten angemessen ist, kommt es neben der der Höhe des Einkommens insbesondere darauf an, welche fixen Kosten unbeschadet der Heimunterbringung weiter laufen, ob der Versicherte verheiratet ist, Kinder hat, wie die Einkommensverhältnisse der übrigen Familienmitglieder sind und welche sonstigen Verpflichtungen er hat. Andererseits ist zu berücksichtigen, inwieweit Aufwendungen für den eigenen Lebensunterhalt eingespart werden. Bei der Ermessensentscheidung ist eine Orientierung am BVG-Grundbetrag gemäß § 31 BVG sachgerecht (Bereiter-Hahn/Mertens, § 60 SGB VII, RdZiff. 4).
Diese Gesichtspunkte hat die Beklagte bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Im Bescheid vom 26.04.2006 hat die Beklagte zu den Ermessenserwägungen ausgeführt, man habe geprüft, welche fixen Kosten für den Versicherten unbeschadet der Heimunterbringung weiter liefen. Durch die Unterbringung im Pflegeheim, deren Kosten in vollem Umfang durch die Beklagte getragen würden, fielen keine Lebenshaltungskosten im häuslichen Bereich an. Es würden somit erhebliche finanzielle Mittel erspart. Der Unterhaltsbedarf habe sich durch den Tod der Ehefrau verringert, ebenso bezögen die beiden Söhne mittlerweile eigenes Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung beziehungsweise Ausbildungsvergütung, es seien somit lediglich noch die Unterhaltsansprüche der beiden Söhne und sowie die monatlich zusätzlich anfallenden Pflegekosten, soweit sie nicht im Rahmen der Heimpflege abgedeckt sind, zu berücksichtigen. Die Beklagte hat weiter ausgeführt, dass nach der Kürzung der Unfallrente um die Hälfte den beiden Söhnen ein monatlicher Unterhalt von 2111,07 EUR zur Verfügung stehe, dies stelle einen ausreichenden finanziellen Lebensunterhalt dar. Da beide Söhne nicht mehr im Elternhaus lebten, könne dieses verwertet werden (Vermietung/Verkauf), so dass hieraus keine weiteren Nebenkosten für den Versicherten anfielen. In der aktuellen Situation des Versicherten seien nach Auffassung der Beklagten weder eine Lebensversicherung noch eine Rechtschutzversicherung als angemessene Aufwendungen anzusehen, so dass diese bei der Ermessensausübung deswegen nicht berücksichtigt würden.
Diese Erwägungen stellen nach Auffassung des Gerichts zulässige und sachgerechte Gesichtspunkte zur Ausübung des Ermessens dar, der angefochtene Bescheid ist demnach nicht ermessensfehlerhaft, weshalb die Klage abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 143 SGG.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Im Streit steht die Kürzung der Verletztenrente für den Zeitraum von Juni 2006 bis Dezember 2006.
Der 1949 geborene Kläger erlitt am 01.03.2000 einen bei der Beklagten versicherten Wegeunfall, aufgrund dessen er sich in einem komatösen Zustand befindet und seit 08.11.2000 im Pflegeheim der A-Stadt untergebracht ist. Die Beklagte trägt sämtliche Kosten im Zusammenhang mit der Unterbringung im Pflegeheim, außerdem erhielt der Kläger wegen der Folgen des Unfalles Verletztenrente nach einer MdE von 100 v.H., aus der er Unterhaltsansprüche seiner 1953 geborenen Ehefrau M. sowie seiner Söhne C. (geb. 1980) und D. (geb. 1985) zu bedienen hatte.
Die Ehefrau des Klägers ist am xx.xx.2005 an den Folgen eines Aneurysmas verstorbenen, die beiden Söhne befanden sich zu diesem Zeitpunkt jeweils in Berufsausbildung bzw. Studium. Nach dem Tod der Frau A. gelangte der gemeinschaftliche Erbschein vom 10.08.2005 zur Akte, wonach diese von dem Kläger zu 1/2 sowie den Söhnen und zu je 1/4 beerbt wurde, außerdem der Betreuerausweis vom 28.11.2005, wonach der A. zum Betreuer des Klägers bestellt wurde. Aus den weiteren übersandten Unterlagen ergibt sich, dass A. studierte und daneben eine geringfügige Beschäftigung ausübte, A. stand in einem Ausbildungsverhältnis zum Bankkaufmann, beide erhielten zudem jeweils befristete Halbwaisenrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Beklagte hörte die Söhne des Klägers mit Schreiben vom 06.03.2006 hinsichtlich der Kürzung der Unfallrente des Klägers um die Hälfte wegen Unterbringung im Pflegeheim zum 01.05.2006 gemäß § 60 SGB VII an. Mit Anwaltsschreiben vom 22.03.2006 widersprach der Kläger der Kürzung im Hinblick auf eine fehlende Rechtsgrundlage. Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 30.03.2006 auf § 60 SGB VII hingewiesen hatte, wies der Sohn des Klägers mit Schriftsatz vom 10.04.2006 auf die besonderen Belastungen durch die Weiterführung des Haushaltes der Eltern einerseits und Besuche und Pflegebedarf des Vaters andererseits hin.
Durch Bescheid vom 26.04.2006 kürzte die Beklagte die Verletztenrente des Klägers wegen Unterbringung im Pflegeheim zum 01.06.2006 um die Hälfte auf 2111,07 EUR monatlich.
Der Kläger legte hiergegen fristgerecht Widerspruch ein und trug vor, die Beklagte habe nicht berücksichtigt, dass Hauskosten von monatlich 261,01 EUR fielen, laufende Versicherungen von circa 281 EUR zu regulieren seien und Fahrtkosten sowie Fußpflege und Pflegemittel in Höhe von 156 EUR in die Ermessensentscheidung einzufließen hätten. Die Söhne des Klägers könnten aufgrund der Belastungen durch ihre Ausbildungen den Hausverkauf frühestens ab Juni 2006 in Angriff nehmen und mit einer Abwicklung sei erst bis Ende 2006 zu rechnen, so dass die Hauskosten zumindest für den Zeitraum von 01.06.2006 bis 31.12.2006 zu berücksichtigen seien.
Durch Widerspruchsbescheid vom 13.07.2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, die Verwertung (Vermietung/Verkauf) des seit mehr als 10 Monaten leer stehenden Elternhauses hätte bereits einem Makler übertragen werden können und sei deshalb unabhängig vom jeweiligen Ausbildungsabschnitt der Söhne zu betrachten.
Der Kläger hat hiergegen am 26.07.2006 vor dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben.
Der Kläger vertritt die Auffassung, der Verkauf des Hauses habe erst im Juni 2006 in die Wege geleitet werden können, er werde sich mindestens bis Ende 2006 hinziehen. Dies beruhe darauf, dass der Sohn in der Zeit von September 2005 bis Ostern 2006 in Paris studiert und diese Phase seiner Ausbildung im Mai 2006 durch ein Kolloquium in Paris abgeschlossen habe. Von daher sei er nicht in der Lage gewesen, sich bis Ende Mai 2006 um die Veräußerung der Liegenschaft zu kümmern. Der Sohn habe im Mai 2006 seine Abschlussprüfung gefertigt, so dass er auch in der Zeit zwischen dem Tod der Mutter und Mai 2006 durch seine eigene Ausbildung in Zusammenhang mit den oben dargestellten Schwierigkeiten derartig gebunden gewesen sei, dass er nicht die Zeit und die Kraft aufgebracht habe, einen Makler für den Verkauf des Hauses zu beauftragen und diesem die notwendigen Unterlagen zur Verfügung zu stellen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 26.04.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2007 aufzuheben, soweit die Kürzung der Verletztenrente vor dem 01.01.2007 ausgesprochen wurde, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen,
nach der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat EMA-Auskünfte eingeholt bzgl. des Wohnsitzes der beiden Söhne des Klägers. C. war ab 15.05.2007 nicht mehr unter der Adresse des Elternhauses gemeldet, sein Bruder D. ab 01.09.2005. Zum Sach- und Streitstand im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten des Klägers bei der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben. Sie ist hinsichtlich des Hilfsantrages auch zulässig, und als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG statthaft (so genannte Verpflichtungsbescheidungsklage, vergleiche BSG Urteil vom 18.04.2000, Az. B 2 U 19/99 R m. w. N.). Hinsichtlich des Hauptantrages ist die Klage jedoch unzulässig, da ein Fall der so genannten "Ermessensreduzierung auf Null" vorliegend unter keinem Aspekt gegeben ist.
Soweit die Klage zulässig ist, ist sie jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig und war daher nicht aufzuheben. Insbesondere kann das Gericht keine fehlerhafte Ermessensentscheidung feststellen.
Maßgebliche Rechtsgrundlage ist § 60 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII. Danach kann der Unfallversicherungsträger für die Dauer einer Heimpflege von mehr als einem Kalendermonat die Rente um höchstens die Hälfte mindern, soweit dies den persönlichen Bedürfnissen und Verhältnissen der Versicherten angemessen ist. Hintergrund dieser Vorschrift ist die Schaffung eines finanziellen Ausgleichs, weil dem Versicherten in der Regel während der Heimpflege wesentlich geringere Aufwendungen für das Bestreiten des Lebensunterhaltes erwachsen, da grundsätzlich sein kompletter Lebensunterhalt im Rahmen der Unterbringung abgedeckt wird.
Der Gesetzgeber hat, wie sich aus der Formulierung "kann" ergibt, die Minderung der Verletztenrente in das pflichtgemäße Ermessen der Beklagten gestellt. Das hat zur Folge, dass die Beklagte ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten hat (§ 39 Abs. 1 S. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I; § 54 Abs. 2 S. 2 SGG). Umgekehrt hat der Versicherte Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs. 1 S. 2 SGB I). Die gerichtliche Kontrolle dieses Teils der Verwaltungsentscheidung beschränkt sich darauf, ob die Beklagte ihr Ermessen pflichtgemäß und fehlerfrei ausgeübt hat. Das Gericht darf nicht darüber hinaus sein Ermessen an Stelle desjenigen der Verwaltung setzen. Eine Verurteilung der Beklagten zur Gewährung der konkret begehrten Leistungen im Sinne des Hauptantrages ist dabei nur möglich, wenn eine so genannte "Ermessensreduzierung auf Null" hinsichtlich dieser Leistung eingetreten ist, d.h. wenn jeder andere Entscheidung als die Gewährung genau dieser Leistung sich zwingend als rechtswidrig darstellen würde. Liegt ein derartiger Ausnahmefall nicht vor, kann ein ermessensfehlerhafter Verwaltungsakt lediglich im Wege des so genannten Verpflichtungsbescheidungsurteils aufgehoben und die Beklagte zur erneuten Bescheidung des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet werden (vergleiche BSG Urteil vom 18.04.2000, Az. B 2 U 19/99 R).
Als so genannte Ermessensfehler kommen zum einen eine so genannte Ermessensunterschreitung beziehungsweise ein Ermessensnichtgebrauch in Betracht (die Beklagte unterlässt es, das ihr eingeräumte Ermessen auszuüben), zum anderen eine so genannte Ermessensüberschreitung (die Beklagte setzt eine im Gesetz nicht vorgesehene Rechtsfolge). Schließlich stellt es einen Ermessensfehler dar, wenn die Beklagte von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung widersprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn die Beklagte ihrer Entscheidung entweder einen unrichtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt, für die Entscheidung objektiv wesentliche Gesichtspunkte nicht ermittelt oder berücksichtigt oder objektiv gemessen am Ermächtigungszweck sachfremde bzw. und unsachliche Erwägungen zur Entscheidungsgrundlage gemacht hat (vergleiche Meyer-Ladewig, SGG, neunte Auflage, § 54 Rdziff. 29 ff.; Kasseler Kommentar, § 39 SGB I, Rdziff. 6 ff.). Welche Umstände in diesem Sinne wesentlich und deshalb vollständig und zutreffend zu ermitteln sowie im Rahmen der Ermessensausübung zu würdigen sind, ergibt sich insbesondere aus der einschlägigen Ermächtigungsnorm (hier § 60 SGB VII) sowie gegebenenfalls weiteren, sich hierauf beziehende gesetzliche Regelungen.
Für derartige Ermessensfehler gibt es im vorliegenden Fall keinen Anhaltspunkt. Der angegriffene Bescheid lässt erkennen, dass die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen gesehen und davon auch innerhalb des Rahmens der Ermächtigungsnorm sachgerecht Gebrauch gemacht hat.
Bei der Prüfung der Frage, ob und in wieweit eine Minderung der Verletztenrente bei dauerhafter Heimpflege den persönlichen Bedürfnissen und Verhältnissen des Versicherten angemessen ist, kommt es neben der der Höhe des Einkommens insbesondere darauf an, welche fixen Kosten unbeschadet der Heimunterbringung weiter laufen, ob der Versicherte verheiratet ist, Kinder hat, wie die Einkommensverhältnisse der übrigen Familienmitglieder sind und welche sonstigen Verpflichtungen er hat. Andererseits ist zu berücksichtigen, inwieweit Aufwendungen für den eigenen Lebensunterhalt eingespart werden. Bei der Ermessensentscheidung ist eine Orientierung am BVG-Grundbetrag gemäß § 31 BVG sachgerecht (Bereiter-Hahn/Mertens, § 60 SGB VII, RdZiff. 4).
Diese Gesichtspunkte hat die Beklagte bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Im Bescheid vom 26.04.2006 hat die Beklagte zu den Ermessenserwägungen ausgeführt, man habe geprüft, welche fixen Kosten für den Versicherten unbeschadet der Heimunterbringung weiter liefen. Durch die Unterbringung im Pflegeheim, deren Kosten in vollem Umfang durch die Beklagte getragen würden, fielen keine Lebenshaltungskosten im häuslichen Bereich an. Es würden somit erhebliche finanzielle Mittel erspart. Der Unterhaltsbedarf habe sich durch den Tod der Ehefrau verringert, ebenso bezögen die beiden Söhne mittlerweile eigenes Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung beziehungsweise Ausbildungsvergütung, es seien somit lediglich noch die Unterhaltsansprüche der beiden Söhne und sowie die monatlich zusätzlich anfallenden Pflegekosten, soweit sie nicht im Rahmen der Heimpflege abgedeckt sind, zu berücksichtigen. Die Beklagte hat weiter ausgeführt, dass nach der Kürzung der Unfallrente um die Hälfte den beiden Söhnen ein monatlicher Unterhalt von 2111,07 EUR zur Verfügung stehe, dies stelle einen ausreichenden finanziellen Lebensunterhalt dar. Da beide Söhne nicht mehr im Elternhaus lebten, könne dieses verwertet werden (Vermietung/Verkauf), so dass hieraus keine weiteren Nebenkosten für den Versicherten anfielen. In der aktuellen Situation des Versicherten seien nach Auffassung der Beklagten weder eine Lebensversicherung noch eine Rechtschutzversicherung als angemessene Aufwendungen anzusehen, so dass diese bei der Ermessensausübung deswegen nicht berücksichtigt würden.
Diese Erwägungen stellen nach Auffassung des Gerichts zulässige und sachgerechte Gesichtspunkte zur Ausübung des Ermessens dar, der angefochtene Bescheid ist demnach nicht ermessensfehlerhaft, weshalb die Klage abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 143 SGG.
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