Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 30/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 U 1556/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu Unrecht anerkannte BK - nach Fristablauf nach § 45 SGB X: Berufsgenossenschaft kann Feststellung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 3 SGB X ("Einfrieren", "Abschmelzen") auch schon vor Änderung der relevanten Verhältnisse treffen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18.12.2006 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Beklagte erstattet der Klägerin ein Drittel ihrer außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen.
Tatbestand:
Umstritten ist, ob die Beklagte zu Recht festgestellt hat, dass die Anerkennung der Erkrankung als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BeKV - im Folgenden nur BK 4301) im Widerspruchsbescheid vom 17.4.1997 fehlerhaft gewesen ist.
Die am 1962 geborene Klägerin arbeitete von 1979 bis 22.3.1994 (Ausbildung bis Arbeitsunfähigkeit, mit kurzer Unterbrechung in einer Massagepraxis u. Mutterschaftsurlaub) als Arzthelferin (ab 1990 Teilzeit) in verschiedenen Arztpraxen, wo sie während der überwiegenden Zeit gegenüber latexhaltigen gepuderten Handschuhen und Materialien exponiert war. Während dessen – die Angaben variieren in den verschiedenen Befunderhebungen zwischen 1979 bzw. ab dem 3. Berufsjahr - stellte sich verstärkender Niesreiz und Augenjucken ein, nach Hinzutreten von Hauterscheinungen an Dekolletee, Kniekehlen, Ellenbogen, Hals und Händen sowie Atemnot und Kreislaufkollaps erfolgte eine diagnostische Abklärung bei Prof. Dr. L. in der Universitäts-Hautklinik T., der nach positiver Prick-Testung mit 5% Latexmilch der Fa. B. die Diagnose Latex-Allergie und Atopie stellte (Bericht vom 28.2.1994). Er zeigte der Beklagten den Verdacht einer BK an. Nasale und bronchiale Symptome traten auch später während einer Bürotätigkeit in einer Rechtsanwaltskanzlei von November 1998 bis November 1999 auf. Darüber hinaus war die Klägerin nicht berufstätig.
Die Beklagte ermittelte in Richtung auf eine Berufskrankheit sowohl durch Atemwegserkrankung als auch durch Hauterkrankung. Prof. Dr. S., Institut für Arbeits- und Sozialmedizinische Allergiediagnostik, Bad Salzuflen, begutachtete die Klägerin auf Haut- und Atemwegserkrankungen vom 27.2. bis 4.3.1995 stationär. In seinem Gutachten vom 26.3.1995 teilte er mit, dass weder basisimmunologisch, noch in nasalen und bronchialen Provokationstestungen mit Latex-Extrakten und Latexhandschuhen verschiedener Hersteller - auch der von der Klägerin von ihrem Arbeitsplatz zur Verfügung gestellten - sich Empfindlichkeitssteigerungen oder Sensibilisierungen nachweisen ließen. Die Beschwerden der Klägerin seien als bronchiales Reizsyndrom mit unspezifischer bronchialer Hyperreagibilität unter dem Einfluss von Dämpfen und Stäuben nach rezidivierendem Auftreten von Infekten zu werten, weiter liege ein Sinupathie vor, was insgesamt die Anerkennung einer BK 4301/4302 nicht rechtfertige. Bezüglich der Hauterkrankung liege lediglich eine - klinisch stumme - Sensibilisierung gegen Nickelsulfat vor, die sowohl beruflich als auch privat erworben sein könne. Mit Bescheiden vom 10.8.1995 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Atemwegserkrankung als BK 4301/4302 sowie der Hautkrankheit als BK 5101 ab.
Dagegen legte die Klägerin unter Hinweis auf die erneut positive Prick- und Scratch-Testung (Naturlatex braun der Fa. H., Sempermed Latexhandschuhe) an der Universitäts-Hautklinik T. mit zweimalig eindeutigem Nachweis der Latex-Allergie (Bericht Prof. Dr. G. vom 18.12.1995, Bl. 148 VA) Widerspruch ein.
Prof. Dr. Stresemann äußerte in seiner Stellungnahme vom 23.4.1996 Zweifel an der Validität der Testungen in T. und wies auf eine blutgasanalytisch gesicherte – latexunabhängige - Hyperventilität bei der Klägerin hin, die zu Ohnmachtszuständen führen könne. Er verblieb bei seiner Einschätzung im Gutachten, dass eine aktuelle Latexsensibilisierung des Hautorgans und der Atemwege nicht vorliege. Ergänzend holte die Beklagte die Stellungnahme nach Aktenlage von Prof. Dr B., Berufsgenossenschaftliches Forschungsinstitut für Arbeitsmedizin an der Ruhr-Universität B., vom 19.6.1996 ein. Er hielt auf Grund der eindeutigen Anamnese und der Hauttestungen zumindest im Februar 1994 eine kutane Sensibilisierung gegenüber Naturlatex mit rhinokonjunktivalen Symptomen für gegeben, so dass die Voraussetzung für die Anerkennung einer BK 4301 gegeben sei. Allerdings hätte durch konsequente Maßnahmen, nämlich Meiden von gepuderten Latexhandschuhen, Austausch in Vinylhandschuhe auch bei den Kolleginnen der Verbleib am Arbeitsplatz stattfinden können. Die Interpretation hinsichtlich der Ohnmachtsanfälle von Prof. Dr. S. als hyperventilationsbedingt entspreche auch seiner Erfahrung. Die MdE schätzte er auf 0 v.H. (ergänzende Stellungnahme v. 11.2.1997).
Die Beklagte vertrat die Auffassung, dass die Meidung des Allergens bei Latexallergikern mit Schleimhautsymptomen in der Praxis kaum durchführbar sei (Schreiben v. 4.11.1996, Bl. 195 VA). Im Widerspruchsbescheid vom 17.4.1997 half sie dem Widerspruch die Atemwegserkrankung betreffend unter Abweisung im Übrigen durch Anerkennung als BK 4301 ab. Nach Prof. Dr. B. liege eine Rhinopathie, ausgelöst durch Sensibilisierung gegenüber Naturlatex vor; die MdE betrage 0 v.H ... Der Widerspruch hinsichtlich der Hauterkrankung wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid ebenfalls vom 17.4.1997). Die Beklagte erbrachte in der Folgezeit Leistungen (Übergangsleistungen für 5 Jahre Bl. 307 VA, Heilbehandlung Bl. 345 VA, Medikamente, Erstattung von Krankengeld Bl. 264 VA, Kostenübernahme Lehrgang für moderne Bürokommunikation).
Am 12.5.1997 erhob die Klägerin dagegen Klagen zum Sozialgericht Reutlingen (SG), mit denen sie sich sowohl gegen die Ablehnung der Hauterkrankung als Berufskrankheit (Az S 3 U 1190/97) und hinsichtlich der anerkannten Atemwegserkrankung gegen die Versagung einer Verletztenrente (Az. S 3 U 1062/97) wandte. Im Hinblick auf das die Hauterkrankung betreffende Verfahren hat das SG jenes die Atemwegserkrankung betreffend mit Beschluss vom 17.12.1998 zum Ruhen gebracht. Mit Urteil vom 14.10.1999 hob das SG den angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Hauterkrankung auf und verurteilte die Beklagte, gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. P., Dermatologische Klinik und Poliklinik der L.-M.-Universität M. (LMU) vom 26.7.1999, der Klägerin ab 20.9.1995 wegen einer berufsbedingten Hautkrankheit Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. zu gewähren. Auf die Berufung der Beklagten hob der Senat das Urteil auf und wies die Klage mit der Begründung ab, dass ein objektiver Zwang zur Aufgabe der Tätigkeit von den Gutachtern nicht bestätigt worden sei (Urteil vom 17.1.2001- L 2 U 4862/99). Die dagegen eingelegte Beschwerde vor dem Bundessozialgericht nahm die Klägerin zurück.
Das SG nahm das Klageverfahren hinsichtlich der Atemwegserkrankung am 3.12.2001 wieder auf (Az. S 3 U 3280/01) und holte auf das Kostenrisiko der Klägerin gem. § 109 SGG mit der Fragestellung, ob außer der Rhinopathie auch eine latexbedingte obstruktive Atemwegserkrankung vorliege, und zur Höhe der MdE bei der BK 4301, das arbeitsmedizinische Gutachten von Prof. Dr. N., Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Umweltmedizin der LMU vom 1.10.2003 ein. Nach ambulanter Untersuchung am 24. und 25.9.2003 mit negativer Inhalationsprovokation eines Latexextrakts und negativer Prick-Testung auf Latex teilte der Gutachter mit, dass sich kein Hinweis auf eine durch Latexexposition bedingte obstruktive Erkrankung der unteren Atemwege ergebe. Grundsätzlich könne das Latexallergen zu zwei verschiedenen Reaktionstypen führen: Spätreaktion vom Typ IV– Hautveränderungen, Sofortreaktion vom Typ I – allergische Rhinopathie, Konjunktivitis etc ... Anamnestische Hinweise auf Atemnot und Hustenreiz seien nicht in einen kausalen Bezug auf eine Latexexposition zu bringen. Die Klägerin nahm daraufhin am 16.3.2004 die Klage zurück.
Die Beklagte kam in Folge dessen zu der Auffassung, dass die Anerkennung der BK zu Unrecht erfolgt sei. Mit Schreiben vom 16.3.2004 hörte sie die Klägerin an und stellte mit Bescheid vom 23.9.2004 gestützt auf die Gutachten von Prof. Dr. N. und Prof. Dr. S. fest, dass die Anerkennung der BK 4301 im Widerspruchsbescheid vom 17.4.1997 fehlerhaft gewesen sei, eine obstruktive Atemwegserkrankung i.S. von § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 4301 nicht bestehe und künftig gem. § 48 Abs. 3 SGB X keine Leistungen mehr erfolgten (Ziff. 3). Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos, eine Latexallergie habe zu keiner Zeit bestanden (Widerspruchsbescheid vom 17.12.2004).
Dagegen hat die Klägerin am 7.1.2005 erneut Klage zum SG erhoben und die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 45 SGB X nicht vorlägen. Eine andere Beurteilung des gleichen medizinischen Sachverhalts durch Prof. N. reiche hierzu nicht aus. Mit Urteil vom 18.12.2006 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 23.9.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2004 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich bei dem aufgehobenen Bescheid vom 17.4.1997 um einen begünstigenden Bescheid gehandelt habe, dessen Rechtswidrigkeit nicht nachgewiesen sei. Von der anerkannten BK 4301 sei neben der obstruktiven Atemwegserkrankung als Erkrankung der unteren Atemwege ausdrücklich auch die Rhinopathie, nämlich die Erkrankung der oberen Atemwege als Vorstadium der Obstruktion mit umfasst. Diese habe die Beklagte im Bescheid vom 17.4.1997 gestützt auf die Feststellungen von Prof. Dr. B. anerkannt. Sie könne sich nun nicht mehr auf die früheren Feststellungen von Prof. Dr. S. stützen und das Gutachten von Prof. Dr. N. treffe zur anerkannten Rhinopathie keine Aussage. Doch selbst wenn die Anerkennung der Rhinopathie als BK zu Unrecht erfolgt sei, könne die Beklagte diese wegen Verstreichung der Frist nicht mehr nach § 45 SGB X zurücknehmen. Auch die Voraussetzungen der "Abschmelzung" nach § 48 Abs. 3 SGB X lägen nicht vor. Diese Vorschrift, deren Anwendungsbereich mehr und mehr ausgedehnt worden sei, sei vorliegend zwar grundsätzlich einschlägig, weil die Klägerin tatsächlich Leistungen erhalten habe. Gegen die Anwendbarkeit spreche aber, dass die tatbestandlich vorgesehene Änderung der Verhältnisse nicht vorliege, vor deren Eintreten die Beklagte nicht zu der getroffenen Feststellung berechtigt sei.
Gegen das ihr am 6.3.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23.3.2007 Berufung eingelegt. Sie hält ihre Feststellungen im angefochtenen Bescheid für rechtmäßig, da sämtliche Testungen auf Latex bei Prof. Dr. S. und Prof. Dr. N. negativ verlaufen seien. Prof. Dr. B. habe sich irrtümlich auf die Untersuchungen der Universität Tübingen unter Verkennung der RAST und IgE-Antikörper-Untersuchungen gestützt. Bei fehlender Sensibilisierung auf Latex scheide eine Anerkennung der Rhinopathie als BK aus. Nach einhelliger Meinung könne die Feststellung nach § 48 Abs. 3 SGB X auch vor Eintritt einer Änderung getroffen werden. In der mündlichen Verhandlung am 8.7.2009 hat die Beklagte die Verfügung Ziff. 3 im Bescheid vom 23.9.2004 aufgehoben. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat die Klage insoweit für erledigt erklärt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Dezember 2006 aufzuheben und die Klage bzgl. Ziff. 1 und Ziff. 2 des Bescheids vom 23.9.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2004 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise Prof. P. und Prof. N. ergänzend dazu zu hören, a) welche Gesichtspunkte es dafür gibt, dass im Hinblick auf die Atemwegserkrankung auch 1998 bzw. heute Arztpraxen latexfrei sind, so dass Latexanteile in der Atemluft nicht mehr vorkommen und daher die Klägerin sich dann, wenn sie latexhaltige Luft einatmet, nicht gefährdet; b) hilfsweise Prof. P. und Prof. N. ergänzend dazu zu hören, ob er auf Grund der Bescheinigung Dr. Blumenschein vom 10.5.2009 und der dort attestierten Latexreaktion weiterhin der Auffassung ist, dass ein Zwang zur Aufgabe der Berufstätigkeit der Klägerin nicht gegeben sei.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat ein weiteres Gutachten bei Prof. Dr. N., Facharzt für Arbeitsmedizin, Internist/Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie und Umweltmedizin - im Hinblick auf die Untersuchungen vom 24. und 25.9.2003 nun nach Aktenlage - eingeholt. In seinem Gutachten vom 29.7.2008 führte der Gutachter aus, dass die Begutachtung 2003 nur unter der Fragestellung einer obstruktiven Atemwegserkrankung erfolgt sei, nicht aber in Bezug auf eine ebenfalls von der BK 4301 erfasste Rhinopathie, weshalb zwar eine bronchiale aber keine nasale Provokationstestung mit Rhinomanometrie durchgeführt worden sei. Nach Aktenlage seien im April 1997 die Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 4301 nicht vorgelegen. Für die Kausalkette zum Nachweis einer Rhinopathie sei erster Baustein der Nachweis einer Latex-Sensibilisierung, für den Haut-Prick-Testungen bzw. IgE Antikörper-Untersuchungen ausschlaggebend seien. In einem zweiten Schritt müsse eine typische allergologische Anamnese oder ein positiver nasaler Provokationstest mit Latex-Allergenen hinzutreten. Bis zur Einstellung der belastenden Tätigkeit seien Hauttestungen allein in der Universitäts-Hautklinik T. vorgenommen worden, wo mit einer Quaddelgröße von 2+ (entspricht 3-4 mm) für das Jahr 1994 allenfalls eine grenzwertig positive Hautreaktion auf Latex dokumentiert worden sei, Befunde der späteren Untersuchung im Dezember 1995 lägen nicht vor. Die Diagnose einer Latex-Allergie durch die T. Ärzte sei lediglich als hypothetisch anzusehen. Auch die anamnestischen Angaben der Klägerin, wiederholte Rhinorrhoe oder nasale Obstruktion, seien nämlich nicht spezifisch für eine Rhinopathie, deshalb sei für einen Nachweis eine positive nasale Provokationstestung zu fordern. Diese habe sich jedoch bei der ersten entsprechenden Untersuchung durch Prof. Dr. S. nicht positiv gezeigt, was auf Grund der Art der durchgeführten Untersuchungen und auch nach 11-monatiger Expositionskarenz - die Reaktionsbereitschaft könne im Laufe der Zeit nachlassen - beim Vorliegen einer relevanten Typ I-Sensibilisierung mit einer entsprechend ausgeprägten klinischen Symptomatik zu fordern gewesen wäre. Eine durch Latex-Allergene verursachte allergische Rhinopathie könne deshalb nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit begründet werden. Allenfalls seien auf Grund der vorliegenden Befunde die niederschwelligeren § 3-Maßnahmen mit Verwendung latexfreier Arbeitsmittel, nicht aber eine krankheitsbedingte Tätigkeitsaufgabe angezeigt gewesen. Wie auch Prof. B. begründet habe, sei dadurch eine Aufgabe der Tätigkeit zu verhindern gewesen. Die von der Klägerin berichtete, insbesondere anaphylaktoide Reaktion sei nicht typisch für eine Latex-Allergie und eher einem hyperventilatorischen Zustand zuzuordnen.
Auf das Kostenrisiko der Klägerin nach § 109 SGG hat der Senat noch erneut ein Gutachten in der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie der LMU bei Prof. Dr. Dr. R. (ehemaliger Leiter Prof. Dr. P.) eingeholt. Im hautärztlichen Gutachten vom 22.1.2009 führte er aus, dass sich bei der Untersuchung am 7.1.2009 keine allergische Reaktion auf Naturlatex ergeben habe. Labordiagnostisch hätten spezifische Antikörper vom IgE-Typ gegen Naturlatex nicht nachgewiesen werden können; die Haut- und konjunktivale (am Auge) Provokation mit Naturlatex habe die Klägerin reaktionslos vertragen. Die Durchführung einer Rhinomanometrie sei nicht möglich gewesen, da bereits das Einträufeln der latexfreien Trägerlösung als Negativkontrolle zu einer Zunahme der Durchflussstörung geführt habe. Bei der intranasalen Provokation mit der Naturlatexlösung sei es zwar zu einer starken Reaktion mit Verdrehen der Augen, Schieflage des Kopfes und In-sich-Zusammensacken gekommen. Diese Symptome seien anamnestisch bereits früher unter starken psychischen Belastungen aufgetreten. Eine Erklärung habe sich hierfür nicht finden lassen, da die Vitalparameter bei mehreren Messungen und untypischerweise die Mastzelltryptase unauffällig gewesen seien. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit habe es sich dabei nicht um eine allergische Reaktion gehandelt, sondern sei eher neurologischer oder psychovegetativer Ursache. Dennoch sei die BK 4301 zu Recht anerkannt worden. Nach Aktenlage und Anamnese habe eine latexbedingte Rhinopathie vorgelegen. Die Sensibilisierung auf Naturlatex habe in der Universitätsklinik Tübingen und 1999 bei ihnen im Institut eindeutig nachgewiesen werden können. Die konsequente Meidung eines Allergens könne zur Reduktion des Sensibilisierungsgrades führen, nach heutigem Wissensstand bestehe diese jedoch lebenslang und könne bei entsprechendem Kontakt wieder klinisch relevant werden. Eine Reaktion der Klägerin auch während der Tätigkeit als Rechtsanwaltsgehilfin müsse auf Grund der dort vorhandenen Büromaterialien (Radiergummi, Briefumschläge) nicht unbedingt den Kontakt mit Latex ausgeschlossen haben. Prof. Dr. Dr. R. schloss sich der Auffassung von Prof. Dr. B. an, dass die positiven Hauttestungsergebnisse gut mit der klinischen Symptomatik (Beschwerden der oberen Atemwege) der Klägerin zusammenpassten. Prof. Dr. N. schließe er sich jedoch insoweit an, als dieser davon ausgehe, dass die Klägerin unter konsequenten Arbeitsschutzmaßnahmen und unter Verwendung nicht gepuderter Naturlatex-freier Handschuhe weiter in ihrem Beruf hätte tätig bleiben können. Die Bewusstlosigkeit von 1994 sei eindeutig nicht auf Naturlatex-Kontakt zurückzuführen. Diesbezüglich sei eine neurologische Abklärung erforderlich.
Die Klägerin hat die Bescheinigung von Dr. B. vom 10.5.2009 über eine notfallmäßige Behandlung am 24.3.2009 vorgelegt. Danach habe sie eine anaphylaktische Reaktion nach Kontakt mit Latex-Material durch Handschuhe und Atem-Maske im Rahmen eines Einsatzes des roten Kreuzes nach Kreislaufsynkope mit kurzer Bewusstlosigkeit gehabt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (3 Band), die Prozessakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen Akten des SG Az. S 3 U 1190/97, S 3 U 3280/01, S 3 RA 198/02 und die Akten des Senats Az. L 2 U 4862/99 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Die gem. § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist gem. §§ 143, 144 SGG zulässig und in der Sache begründet. Das SG hat zu Unrecht den Bescheid der Beklagten vom 23.9.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2004 aufgehoben. Dieser erweist sich - soweit der Senat noch darüber zu befinden hatte - als rechtmäßig.
Streitgegenstand im Berufungsverfahren ist der Bescheid vom 23.9.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2004 nach Aufhebung der Ziffer 3 und entsprechender Erledigterklärung der Klage in der mündlichen Verhandlung am 8.7.2009 noch insoweit, als die Beklagte festgestellt hat, dass die Anerkennung der Erkrankung der Klägerin im Bescheid vom 17.4.1997 fehlerhaft war und eine obstruktive Atemwegserkrankung im Sinne der BK 4301 nicht besteht. Dagegen geht die Klägerin zulässigerweise mit der Anfechtungsklage vor.
Rechtsgrundlage für den Bescheid der Beklagten vom 23.9.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2004 ist nicht § 45 SGB X, nachdem die Fristen für die Aufhebung des Verwaltungsakts vom 17.4.1997 gem. § 45 Abs. 3 SGB X lange abgelaufen sind. Auch ein "Aussparen", "Abschmelzen" oder "Einfrieren" nach § 48 Abs. 3 SGB X kommt nicht direkt in Betracht. § 48 Abs. 3 Satz 1 SGB X sieht vor: "Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt". Geklärt ist, dass die "Aussparungsregelung" nicht nur eingreift, wenn sich der zur Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Bescheides führende Fehler auf die Höhe einer Geldleistung auswirkt, sondern auch dann, wenn er die Grundlage der Leistungsbewilligung betrifft. Zweifel, ob Abs 3 auch bei solchen Fehlern des Ursprungsbescheids eingreift, die dessen Grund erfassen- wie zum Beispiel Gewährung der Verletztenrente auf Grund einer nicht bestehenden BK - und nicht nur die Höhe der Leistung, sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (9. und 2. Senat) inzwischen behoben: Abs 3 gilt auch dann, wenn die Grundlage der Leistungsbewilligung rechtswidrig war. Vielmehr ist die Aussparungsregelung auf jeden rechtswidrigen Ursprungs-Verwaltungsakt anzuwenden, der einen materiell rechtswidrigen Rechtsgrund für die nach Abs 1 oder Abs 2 an sich gebotene Anpassung an die veränderten rechtlichen oder tatsächlichen Umstände gibt und demzufolge dazu führen würde, dass "das bestehende Unrecht weiter wächst" (vgl Bundessozialgericht (BSG) Urteil v. 20.03.2007, Az. B 2 U 38/05 R ermittelt über Juris, Rn. 18 = SozR 1300 § 48 Nr 51 S 144 f; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 48 SGB X, Stand Mai 2006, Rn. 65).
Entgegen der vom SG vertretenen Auffassung ist es zulässig, dass die Beklagte die entsprechende Feststellung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 3 SGB X auch schon vor einer Änderung der relevanten Verhältnisse zugunsten der Klägerin - etwa einer Verschlimmerung der Gesundheitsstörung bis zu einem MdE berechtigenden Grade - getroffen hat als ihr die Rechtswidrigkeit bewusst wurde. Denn ein Bescheid, der nach Abs 3 die (volle) nach Abs 1 an sich zustehende Leistungserhöhung ablehnt, setzt die gesonderte ausdrückliche Feststellung voraus, dass der Ursprungsbescheid rechtswidrig ist, die entweder selbstständig ergehen oder mit dem eine Erhöhung nach Abs 1 ablehnenden bzw einschränkenden Bescheid verbunden sein kann (Steinwedel in Kass.Komm aaO, Rn. 63 mit Hinweis auf BSGE 63, 266, 269 = SozR 3642 § 9 Nr 3; BSG SozR 1300 § 48 Nr 51 S 146; zu der insoweit überholten Entscheidung BSGE 60, 287, 291 = SozR 1300 § 48 Nr 29 s Steinwedel SGb 1987, 511 ff). Die Befugnis hierzu ergibt sich aus der Systematik des Gesetzes und aus der Eigenart des zwischen der Behörde und dem Einzelnen bestehenden Rechtsverhältnisses. Ein Sozialrechtsverhältnis, das laufende Leistungen zum Gegenstand hat, erfordert - gerade im Interesse des Leistungsberechtigten - möglichst bald Klarheit darüber, ob der Berechtigte mit weiteren Leistungserhöhungen rechnen kann oder nicht. Es widerspricht dem existenzsichernden Zweck laufender Sozialleistungen und des ihnen zugrunde liegenden Dauerrechtsverhältnisses, die alsbaldige verbindliche Klärung dieser Grundfrage einer vom Berechtigten möglicherweise nicht oder zu spät erhobenen vorbeugenden Feststellungsklage zu überlassen (vgl. BSG Urteil vom 15.12.1999, Az. B 9 V 26/98 R, Rn. 13 ermittelt über Juris).
In der älteren Entscheidung des BSG aus dem Jahr 1989, auf die das SG seine Rechtsauffassung stützt, wurden wohl entgegen der Rechtsprechung des 9. Senats lediglich Zweifel geäußert, ob §48 Abs. 3 SGB X den Leistungsträger überhaupt ermächtige, vor Eintritt einer "Änderung nach Abs 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen" eine Feststellung zu treffen, der bindend (§ 77 SGG) festgestellte und daher auch für ihn maßgebliche Zahlbetrag sei rechtswidrig, und in die dem Berechtigten materiell bestandskräftig zuerkannte Rechtsposition einzugreifen. Dies brauchte aber nicht entschieden zu werden (vgl. BSG Urteil v. 16.03.1989, Az. 4/11a RA 70/87 =SozR 1300 § 48 Nr 55 = BSGE 65, 8-21, über Juris Rn. 10). Die Entscheiung ist als überholt anzusehen.
Der Feststellungsbescheid vom 23.9.2004, vor dessen Erlass die Klägerin angehört wurde, ist auch hinreichend bestimmt. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte in dem Bescheid vom 23.9.2004 im Verfügungssatz unter Ziff. 2. festgestellt hat, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung, also eine Erkrankung der unteren Atemwege nicht besteht, obwohl sie im zugrunde liegenden Ausgangsbescheid vom 17.4.1997 in der Begründung eine Rhinopathie, eine Erkrankung der oberen Atemwege benannt hatte. Denn Kernaussage des Bescheids vom 23.9.2004 ist, dass die Erkrankung der Klägerin fehlerhaft als BK anerkannt wurde. Damit wird allumfassend klar, dass die Beklagte davon ausgeht, dass überhaupt keine für die BK nach Nr. 4301 relevante Erkrankung vorliegt.
Entscheidend ist deshalb, ob die Voraussetzungen des § 45 SGB X vorliegen und die Beklagte zu Recht von der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 17.4.1997 ausgegangen ist. Das ist der Fall, denn die Anerkennung der BK Nr. 4301 ist im Bescheid vom 17.4.1997 zu Unrecht erfolgt.
Unter Nr. 4301 werden obstruktive Atemwegserkrankungen einschließlich Rhinopathie erfasst, die durch allergisierende Stoffe verursacht sind und die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Eine obstruktive Atemwegserkrankung, also eine Erkrankung der unteren bzw. tiefen Atemwege liegt bei der Klägerin definitiv nicht vor, ist ärztlicherseits auch nicht diskutiert worden und wurde von Prof. Dr. N. unter der gegebenen Fragestellung im Gutachten vom 1.10.2003 ausgeschlossen. In Frage konnte bei der Klägerin daher nur eine allergische Rhinopathie kommen, die als fakultativ obligatorisches Vorstadium einer Obstruktion der tiefen Atemwege im Sinne eines Asthma bronchiale zu betrachten ist (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 1124). Hierunter erfasst sind nur krankhafte Veränderungen der Nase im Zusammenhang mit allergisierenden Stoffen. In engem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Allergenexposition kommt es zu charakteristischen Symptomen wie Nasenjucken, Niesreiz und Niessalven, wässrigem Fließschnupfen, Nasenschleimhautschwellung mit verstopfter Nase, gelegentlich Mitbeteiligung der Augenbindehäute (Konjunktivitis) und der Nasennebenhöhlen (Sinusitis - vgl. Mehrtens/Brandenburg, die Berufskrankheitenverordnung, M 4301, Rn 4, S. 8).
Der Senat lässt offen, ob die Beschwerden der Klägerin, die mit Niesreiz, verlegte Nasenatmung, Heiserkeit, trockener Husten, rezidivierende Anginen, geschwollenes Gesicht, Augenjucken bis hin zu Atemnot und Kreislaufkollaps neben auftretenden Hauterscheinungen angegeben wurden, überhaupt mit einer allergischen Rhinopathie auf Latex in Einklang zu bringen sind. Prof. Dr. N. vertritt in seinem Gutachten vom 29.7.2008 die Auffassung, dass dies nicht der Fall ist, Prof. Dr. R. in seinem Gutachten vom 22.1.2009 die gegenteilige Auffassung.
Für den Senat ist nachvollziehbar, dass es sich insoweit grundsätzlich um allergische Reaktionen bei der Klägerin gehandelt haben kann, nicht jedoch, dass diese mit dem beruflichen Allergen Latex i.S. der BK 4301 in Zusammenhang stehen. Der Senat folgt hier dem Gutachten von Prof. Dr. N. vom 29.7.2008, in dem die medizinischen theoretischen Zusammenhänge auch für die Kausalkette dargestellt werden, diese anhand der im Laufe des Verfahrens erhobenen Befunde detailgenau belegt werden und schlüssig und nachvollziehbar dargelegt wird, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 4301 nicht vorgelegen haben. Prof. Dr. N. weist überzeugend darauf hin, dass bei der Klägerin sich kein Hinweis auf eine ausgeprägte Typ I-Sensibilität - also vom Soforttyp - auf Latexallergene findet. Bei keiner Untersuchung konnten weder spezifische IgE-Antikörper gegen Latex nachgewiesen werden, noch kam es zu einer deutlichen Erhöhung des Gesamt-IgE. Die Hautpricktestungen zeigten trotz zahlreicher Wiederholungen in den verschiedenen gutachterlichen Untersuchungssituationen nur z.T. überhaupt eine positive Reaktion, nämlich in der Hautklinik Tübingen im Februar 1994 und Dezember 1995, bei Prof. Dr. S. im März 1995 und bei Prof. Dr. P. im Oktober 1999, wobei diese aber nur leicht ausgeprägt, alle unter dem Histaminniveau waren und bei Prof. Dr. S. sich sogar nur eine unspezifische, sehr schwache Hautreaktion auf eine Latexsorte gezeigt hat, wohingegen eine Reaktion auf die mitgebrachten Handschuhe vom Arbeitsplatz überhaupt nicht erfolgte. Diese Einschätzung einer allenfalls schwachen Ausprägung überzeugt auch vor dem Hintergrund, dass zu keinem Zeitpunkt konjunktivale, nasale oder bronchiale Reizungen, wie sie relativ zeitnah zum Expositionsende und sehr umfassend bei der einwöchigen stationären Begutachtung bei Prof. Dr. Stresemann auch unter Verwendung des Arbeitsmaterials der Klägerin durchgeführt wurden, nie ein positives Ergebnis gezeigt haben. Zumindest durch Testungen in Abständen von 2 Tagen hätte bei Vorliegen einer relevanten Sensibilisierung gegen Latex mit einer entsprechenden, ausgeprägten klinischen Symptomatik am 4.3.1995 sich eine nasale Obstruktion beweisen lassen müssen. Unverständlich im Zusammenhang mit der Anschuldigung von Latex ist vor dem Hintergrund, dass die Klägerin demgegenüber ein nicht regelhaftes Auftreten von massiven Beschwerden bis hin zur Atemnot auch noch aktuell im Erörterungstermin bei vermeintlich relativ geringem Kontakt mit Latex berichtet, so etwa, wenn Speisen in einem Restaurant mit Handschuhen zubereitet werden oder Wurst mit Handschuhen abgepackt wird, und eine Beschwerdezunahme auch im Laufe der strikten Meidung von Latexkontakt mitgeteilt hat. Prof. Dr. N. wertet das Fortbestehen einer nasalen und bronchialen Symptomatik auch ohne Latex-Exposition als Zeichen dafür, dass diese nicht ausschließlich durch das angeklagte Allergen, sondern auch durch andere Allergene, respektive Noxen, hervorgerufen werden kann. Die geschilderte Symptomatik, vor allem die anaphylaktoide Reaktion sind auch nicht typisch für eine Latex-Allergie. Letztlich wurde bei der Klägerin auch keine Obstruktion festgestellt, so dass sich die Atemnot nicht durch Latexsensibilisierung erklärt. Demgegenüber haben sowohl Prof. Dr. S. als auch Prof. Dr. N. im Gutachten von 2003 bei der Klägerin ein mittelgradig hyperreagibles Bronchialsystem festgestellt, was eine unspezifische Überempfindlichkeit der Atemwege bedeutet und charakterisiert wird durch eine überschießende Antwort auf unterschiedlichste Reize wie Infektallergene, chemische, pharmakologische und physikalische Substanzen, das allerdings nicht auf Latex reagierte. Im Ergebnis hält damit der Senat mit Prof. Dr. N. und Prof. Dr. S. aufgrund der dokumentierten Befunde eine durch Latex-Allergene verursachte allergische Rhinopathie auch 1997 nicht für nachgewiesen.
Nicht zu folgen vermag der Senat hingegen dem Gutachten des Prof. Dr. R., der sich dem Gutachten von Prof. Dr. B. angeschlossen hat, soweit dieser die Hauttestungen im Zusammenhang mit den erhobenen Befunden als ausreichend für die Diagnose einer Rhinopathie ansieht. Es bestehen bereits Bedenken dagegen, dass der Gutachter als Dermatologe die fachliche Kompetenz zur Beurteilung der BK 4301, die Atemwegserkrankungen betrifft, besitzt. Das Institut selbst hatte hieran im SG-Verfahren die Atemwegserkrankung betreffend Zweifel, als der ursprünglich an Prof. Dr. P. gerichtete Gutachtensauftrag aus dem Grund zurückgegeben wurde und von dort Prof. Dr. Nowak als kompetenter Gutachter vorgeschlagen wurde (Schreiben v. 19.3.2003, Bl. 55 SG S 3U 3280/01). Für seine Annahme einer latexbedingten Rhinopathie hat er – anders als Prof. Dr. N. – keine durch entsprechende Befunde belegte Begründung gegeben und auch nicht näher bezeichnet, welche der Beschwerden genau er für die latexbedingte Rhinopathie zielführend findet, nachdem die Reaktion der Klägerin nasal bereits auf die latexfreie Kontrolllösung erfolgte und die Reaktion auf die latexhaltige Lösung keinesfalls eine Schockreaktion darauf war. Den Ausprägungsgrad der Sensibilisierung auf Latex, der ein wesentliches Argument bei Prof. Dr. N. ist, diskutiert er nicht. Nicht plausibel ist die Erklärung, dass es bei der Tätigkeit in einem Rechtsanwaltbüro durch latexhaltiges Büromaterial zu Beschwerden gekommen sein könnte, obwohl die Auslösung von Beschwerden trotz massiver Provokation bei Prof. Dr. S. nicht möglich war. Durch die Bezugnahme auf das hautärztliche Gutachten von 1999 und die allgemein gehaltenen Aussagen drängt sich der Verdacht auf, dass hier nicht strikt zwischen den verschiedenen BK’en Nr. 4301 und 5101 getrennt wurde.
Doch selbst wenn vom Nachweis einer latexbedingten Rhinopatie ausgegangen werden müsste, ergibt sich daraus nicht die Folge, dass die BK zu Recht anerkannt worden ist. Denn alle Gutachter sind sich darin einig, dass die Klägerin durch konsequente Arbeitsschutzmaßnahmen weiter in ihrem Beruf hätte tätig bleiben können und damit ein medizinisch gebotener Unterlassungszwang nicht vorgelegen hat. Diese bestehen in der Meidung des Kontakts mit Latex und Umstellungsmaßnahmen in Form von latexfreien Handschuhen. Dies haben alle Gutachter auch bezogen auf Aerosole von Latex in der Luft so eingestuft und für möglich gehalten. Einzig die Beklagte ist insoweit Prof. Dr. B. nicht gefolgt und hielt die Umsetzung in der Praxis - möglicherweise irrig ausgehend von einer starken Sensibilisierung gegen Latex - nicht für möglich, wie der Klägerin im Schreiben vom 4.11.1996 mitgeteilt wurde. Im Nachhinein hat sich jedoch die Annahme von Prof. Dr. S. und Prof. Dr. B. bestätigt, dass die teilweise als anaphylaktoid eingeschätzten Reaktionen der Klägerin auf Latex keine solchen sind und auch schon 1994 nicht waren, sondern eventuell Folgen von Hyperventilation sind oder einen anderen Krankheitshintergrund haben. Prof. Dr. R. hat den Ausschluss bei der Untersuchung am 7.1.2009 eindeutig dadurch belegen können, dass ein Abfall der Vitalfunktionen, wie Blutdruck, Puls, Atemfrequenz und Blutzuckerwert, oder die Erhöhung der Mastezelltryptase, die bei akuten systemischen allergischen Reaktionen vom Soforttyp oft deutlich ansteigt, bei dem dort nach Latexexposition auch stattgehabten Zusammenbruch nach mehrmaligem Messen nicht vorgelegen haben. Ausdrücklich hat er darauf hingewiesen, dass es sich nicht um eine allergische Reaktion gehandelt hat und erst recht kein Zusammenhang mit Latex hergestellt werden kann, die Ursache hierfür jedoch dringend auf anderem Fachgebiet, nämlich neurologisch abgeklärt werden muss. Ebenso hat er, wie schon zuvor Prof. Dr. N. bestätigt, dass dies auch für den Zusammenbruch 1994 gilt. Von daher vermag den Senat die bloße Diagnose einer anaphylaktischen Reaktion nach Kontakt mit Latexmaterialien von Dr. B. in der Bescheinigung vom 10.5.2009 ohne den Nachweis von entsprechenden Befunden, wie sie eben bei Prof. Dr. R. nicht normabweichend erhoben werden konnten, nicht zu überzeugen und löst keinen weiteren Ermittlungsbedarf aus. Somit kann auch nicht als belegt gelten, dass die Klägerin anaphylaktoid auf eine Arbeitskollegin reagiert hat, die zuvor mit Latexhandschuhen gearbeitet hatte, wie es ihr damaliger Arbeitgeber Dr. M. der Beklagten mitgeteilt hatte, und aus diesem Grund ein Verbleiben in der Arztpraxis nicht für möglich hielt (Schreiben v. 3.4.1994, Bl. 3 VA). Im Übrigen ergeben sich aus den Akten Hinweise, dass Arbeitsschutzmaßnahmen erfolgversprechend gewesen wären. In der Internistenpraxis Dr. B., in der sie Arzthelferinnentätigkeiten im Anmeldungsbereich ausgeführt hatte, war die Klägerin beschwerdefrei. Den Beweisanträgen des Klägervertreters brauchte daher nicht nachgegangen zu werden.
Für die Zukunft bedeutet dies, dass die Klägerin in der Rechtsstellung, die durch § 45 SGB X vermittelt wird und danach nicht zurückgenommen werden kann, geschützt ist (BSG SozR 1300 § 48 Nr 51 = Breith 1989, 418 = HV–Info 1989, 47 und BSG SozR 1300 § 48 Nr 49 = BSGE 63, 259 = Breith 1989, 837; BSG SozR 2200 § 1255 a Nr 19 = Breith 1989, 390 = SozSich 1989 RsprNr 4161). Auf Grund der der Klägerin in der Vergangenheit erbrachten Leistungen vermochte der Senat nicht zu überblicken, ob dies für die Zukunft jegliche Leistung ausschließt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt die nachträgliche Aufhebung der Ziffer 3 des Bescheids vom 23.9.2004 durch die Beklagte.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Tatbestand:
Umstritten ist, ob die Beklagte zu Recht festgestellt hat, dass die Anerkennung der Erkrankung als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BeKV - im Folgenden nur BK 4301) im Widerspruchsbescheid vom 17.4.1997 fehlerhaft gewesen ist.
Die am 1962 geborene Klägerin arbeitete von 1979 bis 22.3.1994 (Ausbildung bis Arbeitsunfähigkeit, mit kurzer Unterbrechung in einer Massagepraxis u. Mutterschaftsurlaub) als Arzthelferin (ab 1990 Teilzeit) in verschiedenen Arztpraxen, wo sie während der überwiegenden Zeit gegenüber latexhaltigen gepuderten Handschuhen und Materialien exponiert war. Während dessen – die Angaben variieren in den verschiedenen Befunderhebungen zwischen 1979 bzw. ab dem 3. Berufsjahr - stellte sich verstärkender Niesreiz und Augenjucken ein, nach Hinzutreten von Hauterscheinungen an Dekolletee, Kniekehlen, Ellenbogen, Hals und Händen sowie Atemnot und Kreislaufkollaps erfolgte eine diagnostische Abklärung bei Prof. Dr. L. in der Universitäts-Hautklinik T., der nach positiver Prick-Testung mit 5% Latexmilch der Fa. B. die Diagnose Latex-Allergie und Atopie stellte (Bericht vom 28.2.1994). Er zeigte der Beklagten den Verdacht einer BK an. Nasale und bronchiale Symptome traten auch später während einer Bürotätigkeit in einer Rechtsanwaltskanzlei von November 1998 bis November 1999 auf. Darüber hinaus war die Klägerin nicht berufstätig.
Die Beklagte ermittelte in Richtung auf eine Berufskrankheit sowohl durch Atemwegserkrankung als auch durch Hauterkrankung. Prof. Dr. S., Institut für Arbeits- und Sozialmedizinische Allergiediagnostik, Bad Salzuflen, begutachtete die Klägerin auf Haut- und Atemwegserkrankungen vom 27.2. bis 4.3.1995 stationär. In seinem Gutachten vom 26.3.1995 teilte er mit, dass weder basisimmunologisch, noch in nasalen und bronchialen Provokationstestungen mit Latex-Extrakten und Latexhandschuhen verschiedener Hersteller - auch der von der Klägerin von ihrem Arbeitsplatz zur Verfügung gestellten - sich Empfindlichkeitssteigerungen oder Sensibilisierungen nachweisen ließen. Die Beschwerden der Klägerin seien als bronchiales Reizsyndrom mit unspezifischer bronchialer Hyperreagibilität unter dem Einfluss von Dämpfen und Stäuben nach rezidivierendem Auftreten von Infekten zu werten, weiter liege ein Sinupathie vor, was insgesamt die Anerkennung einer BK 4301/4302 nicht rechtfertige. Bezüglich der Hauterkrankung liege lediglich eine - klinisch stumme - Sensibilisierung gegen Nickelsulfat vor, die sowohl beruflich als auch privat erworben sein könne. Mit Bescheiden vom 10.8.1995 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Atemwegserkrankung als BK 4301/4302 sowie der Hautkrankheit als BK 5101 ab.
Dagegen legte die Klägerin unter Hinweis auf die erneut positive Prick- und Scratch-Testung (Naturlatex braun der Fa. H., Sempermed Latexhandschuhe) an der Universitäts-Hautklinik T. mit zweimalig eindeutigem Nachweis der Latex-Allergie (Bericht Prof. Dr. G. vom 18.12.1995, Bl. 148 VA) Widerspruch ein.
Prof. Dr. Stresemann äußerte in seiner Stellungnahme vom 23.4.1996 Zweifel an der Validität der Testungen in T. und wies auf eine blutgasanalytisch gesicherte – latexunabhängige - Hyperventilität bei der Klägerin hin, die zu Ohnmachtszuständen führen könne. Er verblieb bei seiner Einschätzung im Gutachten, dass eine aktuelle Latexsensibilisierung des Hautorgans und der Atemwege nicht vorliege. Ergänzend holte die Beklagte die Stellungnahme nach Aktenlage von Prof. Dr B., Berufsgenossenschaftliches Forschungsinstitut für Arbeitsmedizin an der Ruhr-Universität B., vom 19.6.1996 ein. Er hielt auf Grund der eindeutigen Anamnese und der Hauttestungen zumindest im Februar 1994 eine kutane Sensibilisierung gegenüber Naturlatex mit rhinokonjunktivalen Symptomen für gegeben, so dass die Voraussetzung für die Anerkennung einer BK 4301 gegeben sei. Allerdings hätte durch konsequente Maßnahmen, nämlich Meiden von gepuderten Latexhandschuhen, Austausch in Vinylhandschuhe auch bei den Kolleginnen der Verbleib am Arbeitsplatz stattfinden können. Die Interpretation hinsichtlich der Ohnmachtsanfälle von Prof. Dr. S. als hyperventilationsbedingt entspreche auch seiner Erfahrung. Die MdE schätzte er auf 0 v.H. (ergänzende Stellungnahme v. 11.2.1997).
Die Beklagte vertrat die Auffassung, dass die Meidung des Allergens bei Latexallergikern mit Schleimhautsymptomen in der Praxis kaum durchführbar sei (Schreiben v. 4.11.1996, Bl. 195 VA). Im Widerspruchsbescheid vom 17.4.1997 half sie dem Widerspruch die Atemwegserkrankung betreffend unter Abweisung im Übrigen durch Anerkennung als BK 4301 ab. Nach Prof. Dr. B. liege eine Rhinopathie, ausgelöst durch Sensibilisierung gegenüber Naturlatex vor; die MdE betrage 0 v.H ... Der Widerspruch hinsichtlich der Hauterkrankung wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid ebenfalls vom 17.4.1997). Die Beklagte erbrachte in der Folgezeit Leistungen (Übergangsleistungen für 5 Jahre Bl. 307 VA, Heilbehandlung Bl. 345 VA, Medikamente, Erstattung von Krankengeld Bl. 264 VA, Kostenübernahme Lehrgang für moderne Bürokommunikation).
Am 12.5.1997 erhob die Klägerin dagegen Klagen zum Sozialgericht Reutlingen (SG), mit denen sie sich sowohl gegen die Ablehnung der Hauterkrankung als Berufskrankheit (Az S 3 U 1190/97) und hinsichtlich der anerkannten Atemwegserkrankung gegen die Versagung einer Verletztenrente (Az. S 3 U 1062/97) wandte. Im Hinblick auf das die Hauterkrankung betreffende Verfahren hat das SG jenes die Atemwegserkrankung betreffend mit Beschluss vom 17.12.1998 zum Ruhen gebracht. Mit Urteil vom 14.10.1999 hob das SG den angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Hauterkrankung auf und verurteilte die Beklagte, gestützt auf das Gutachten des Prof. Dr. P., Dermatologische Klinik und Poliklinik der L.-M.-Universität M. (LMU) vom 26.7.1999, der Klägerin ab 20.9.1995 wegen einer berufsbedingten Hautkrankheit Verletztenrente nach einer MdE um 30 v.H. zu gewähren. Auf die Berufung der Beklagten hob der Senat das Urteil auf und wies die Klage mit der Begründung ab, dass ein objektiver Zwang zur Aufgabe der Tätigkeit von den Gutachtern nicht bestätigt worden sei (Urteil vom 17.1.2001- L 2 U 4862/99). Die dagegen eingelegte Beschwerde vor dem Bundessozialgericht nahm die Klägerin zurück.
Das SG nahm das Klageverfahren hinsichtlich der Atemwegserkrankung am 3.12.2001 wieder auf (Az. S 3 U 3280/01) und holte auf das Kostenrisiko der Klägerin gem. § 109 SGG mit der Fragestellung, ob außer der Rhinopathie auch eine latexbedingte obstruktive Atemwegserkrankung vorliege, und zur Höhe der MdE bei der BK 4301, das arbeitsmedizinische Gutachten von Prof. Dr. N., Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Umweltmedizin der LMU vom 1.10.2003 ein. Nach ambulanter Untersuchung am 24. und 25.9.2003 mit negativer Inhalationsprovokation eines Latexextrakts und negativer Prick-Testung auf Latex teilte der Gutachter mit, dass sich kein Hinweis auf eine durch Latexexposition bedingte obstruktive Erkrankung der unteren Atemwege ergebe. Grundsätzlich könne das Latexallergen zu zwei verschiedenen Reaktionstypen führen: Spätreaktion vom Typ IV– Hautveränderungen, Sofortreaktion vom Typ I – allergische Rhinopathie, Konjunktivitis etc ... Anamnestische Hinweise auf Atemnot und Hustenreiz seien nicht in einen kausalen Bezug auf eine Latexexposition zu bringen. Die Klägerin nahm daraufhin am 16.3.2004 die Klage zurück.
Die Beklagte kam in Folge dessen zu der Auffassung, dass die Anerkennung der BK zu Unrecht erfolgt sei. Mit Schreiben vom 16.3.2004 hörte sie die Klägerin an und stellte mit Bescheid vom 23.9.2004 gestützt auf die Gutachten von Prof. Dr. N. und Prof. Dr. S. fest, dass die Anerkennung der BK 4301 im Widerspruchsbescheid vom 17.4.1997 fehlerhaft gewesen sei, eine obstruktive Atemwegserkrankung i.S. von § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 4301 nicht bestehe und künftig gem. § 48 Abs. 3 SGB X keine Leistungen mehr erfolgten (Ziff. 3). Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos, eine Latexallergie habe zu keiner Zeit bestanden (Widerspruchsbescheid vom 17.12.2004).
Dagegen hat die Klägerin am 7.1.2005 erneut Klage zum SG erhoben und die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 45 SGB X nicht vorlägen. Eine andere Beurteilung des gleichen medizinischen Sachverhalts durch Prof. N. reiche hierzu nicht aus. Mit Urteil vom 18.12.2006 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 23.9.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2004 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich bei dem aufgehobenen Bescheid vom 17.4.1997 um einen begünstigenden Bescheid gehandelt habe, dessen Rechtswidrigkeit nicht nachgewiesen sei. Von der anerkannten BK 4301 sei neben der obstruktiven Atemwegserkrankung als Erkrankung der unteren Atemwege ausdrücklich auch die Rhinopathie, nämlich die Erkrankung der oberen Atemwege als Vorstadium der Obstruktion mit umfasst. Diese habe die Beklagte im Bescheid vom 17.4.1997 gestützt auf die Feststellungen von Prof. Dr. B. anerkannt. Sie könne sich nun nicht mehr auf die früheren Feststellungen von Prof. Dr. S. stützen und das Gutachten von Prof. Dr. N. treffe zur anerkannten Rhinopathie keine Aussage. Doch selbst wenn die Anerkennung der Rhinopathie als BK zu Unrecht erfolgt sei, könne die Beklagte diese wegen Verstreichung der Frist nicht mehr nach § 45 SGB X zurücknehmen. Auch die Voraussetzungen der "Abschmelzung" nach § 48 Abs. 3 SGB X lägen nicht vor. Diese Vorschrift, deren Anwendungsbereich mehr und mehr ausgedehnt worden sei, sei vorliegend zwar grundsätzlich einschlägig, weil die Klägerin tatsächlich Leistungen erhalten habe. Gegen die Anwendbarkeit spreche aber, dass die tatbestandlich vorgesehene Änderung der Verhältnisse nicht vorliege, vor deren Eintreten die Beklagte nicht zu der getroffenen Feststellung berechtigt sei.
Gegen das ihr am 6.3.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23.3.2007 Berufung eingelegt. Sie hält ihre Feststellungen im angefochtenen Bescheid für rechtmäßig, da sämtliche Testungen auf Latex bei Prof. Dr. S. und Prof. Dr. N. negativ verlaufen seien. Prof. Dr. B. habe sich irrtümlich auf die Untersuchungen der Universität Tübingen unter Verkennung der RAST und IgE-Antikörper-Untersuchungen gestützt. Bei fehlender Sensibilisierung auf Latex scheide eine Anerkennung der Rhinopathie als BK aus. Nach einhelliger Meinung könne die Feststellung nach § 48 Abs. 3 SGB X auch vor Eintritt einer Änderung getroffen werden. In der mündlichen Verhandlung am 8.7.2009 hat die Beklagte die Verfügung Ziff. 3 im Bescheid vom 23.9.2004 aufgehoben. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat die Klage insoweit für erledigt erklärt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18. Dezember 2006 aufzuheben und die Klage bzgl. Ziff. 1 und Ziff. 2 des Bescheids vom 23.9.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2004 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise Prof. P. und Prof. N. ergänzend dazu zu hören, a) welche Gesichtspunkte es dafür gibt, dass im Hinblick auf die Atemwegserkrankung auch 1998 bzw. heute Arztpraxen latexfrei sind, so dass Latexanteile in der Atemluft nicht mehr vorkommen und daher die Klägerin sich dann, wenn sie latexhaltige Luft einatmet, nicht gefährdet; b) hilfsweise Prof. P. und Prof. N. ergänzend dazu zu hören, ob er auf Grund der Bescheinigung Dr. Blumenschein vom 10.5.2009 und der dort attestierten Latexreaktion weiterhin der Auffassung ist, dass ein Zwang zur Aufgabe der Berufstätigkeit der Klägerin nicht gegeben sei.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat ein weiteres Gutachten bei Prof. Dr. N., Facharzt für Arbeitsmedizin, Internist/Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie und Umweltmedizin - im Hinblick auf die Untersuchungen vom 24. und 25.9.2003 nun nach Aktenlage - eingeholt. In seinem Gutachten vom 29.7.2008 führte der Gutachter aus, dass die Begutachtung 2003 nur unter der Fragestellung einer obstruktiven Atemwegserkrankung erfolgt sei, nicht aber in Bezug auf eine ebenfalls von der BK 4301 erfasste Rhinopathie, weshalb zwar eine bronchiale aber keine nasale Provokationstestung mit Rhinomanometrie durchgeführt worden sei. Nach Aktenlage seien im April 1997 die Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 4301 nicht vorgelegen. Für die Kausalkette zum Nachweis einer Rhinopathie sei erster Baustein der Nachweis einer Latex-Sensibilisierung, für den Haut-Prick-Testungen bzw. IgE Antikörper-Untersuchungen ausschlaggebend seien. In einem zweiten Schritt müsse eine typische allergologische Anamnese oder ein positiver nasaler Provokationstest mit Latex-Allergenen hinzutreten. Bis zur Einstellung der belastenden Tätigkeit seien Hauttestungen allein in der Universitäts-Hautklinik T. vorgenommen worden, wo mit einer Quaddelgröße von 2+ (entspricht 3-4 mm) für das Jahr 1994 allenfalls eine grenzwertig positive Hautreaktion auf Latex dokumentiert worden sei, Befunde der späteren Untersuchung im Dezember 1995 lägen nicht vor. Die Diagnose einer Latex-Allergie durch die T. Ärzte sei lediglich als hypothetisch anzusehen. Auch die anamnestischen Angaben der Klägerin, wiederholte Rhinorrhoe oder nasale Obstruktion, seien nämlich nicht spezifisch für eine Rhinopathie, deshalb sei für einen Nachweis eine positive nasale Provokationstestung zu fordern. Diese habe sich jedoch bei der ersten entsprechenden Untersuchung durch Prof. Dr. S. nicht positiv gezeigt, was auf Grund der Art der durchgeführten Untersuchungen und auch nach 11-monatiger Expositionskarenz - die Reaktionsbereitschaft könne im Laufe der Zeit nachlassen - beim Vorliegen einer relevanten Typ I-Sensibilisierung mit einer entsprechend ausgeprägten klinischen Symptomatik zu fordern gewesen wäre. Eine durch Latex-Allergene verursachte allergische Rhinopathie könne deshalb nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit begründet werden. Allenfalls seien auf Grund der vorliegenden Befunde die niederschwelligeren § 3-Maßnahmen mit Verwendung latexfreier Arbeitsmittel, nicht aber eine krankheitsbedingte Tätigkeitsaufgabe angezeigt gewesen. Wie auch Prof. B. begründet habe, sei dadurch eine Aufgabe der Tätigkeit zu verhindern gewesen. Die von der Klägerin berichtete, insbesondere anaphylaktoide Reaktion sei nicht typisch für eine Latex-Allergie und eher einem hyperventilatorischen Zustand zuzuordnen.
Auf das Kostenrisiko der Klägerin nach § 109 SGG hat der Senat noch erneut ein Gutachten in der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie der LMU bei Prof. Dr. Dr. R. (ehemaliger Leiter Prof. Dr. P.) eingeholt. Im hautärztlichen Gutachten vom 22.1.2009 führte er aus, dass sich bei der Untersuchung am 7.1.2009 keine allergische Reaktion auf Naturlatex ergeben habe. Labordiagnostisch hätten spezifische Antikörper vom IgE-Typ gegen Naturlatex nicht nachgewiesen werden können; die Haut- und konjunktivale (am Auge) Provokation mit Naturlatex habe die Klägerin reaktionslos vertragen. Die Durchführung einer Rhinomanometrie sei nicht möglich gewesen, da bereits das Einträufeln der latexfreien Trägerlösung als Negativkontrolle zu einer Zunahme der Durchflussstörung geführt habe. Bei der intranasalen Provokation mit der Naturlatexlösung sei es zwar zu einer starken Reaktion mit Verdrehen der Augen, Schieflage des Kopfes und In-sich-Zusammensacken gekommen. Diese Symptome seien anamnestisch bereits früher unter starken psychischen Belastungen aufgetreten. Eine Erklärung habe sich hierfür nicht finden lassen, da die Vitalparameter bei mehreren Messungen und untypischerweise die Mastzelltryptase unauffällig gewesen seien. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit habe es sich dabei nicht um eine allergische Reaktion gehandelt, sondern sei eher neurologischer oder psychovegetativer Ursache. Dennoch sei die BK 4301 zu Recht anerkannt worden. Nach Aktenlage und Anamnese habe eine latexbedingte Rhinopathie vorgelegen. Die Sensibilisierung auf Naturlatex habe in der Universitätsklinik Tübingen und 1999 bei ihnen im Institut eindeutig nachgewiesen werden können. Die konsequente Meidung eines Allergens könne zur Reduktion des Sensibilisierungsgrades führen, nach heutigem Wissensstand bestehe diese jedoch lebenslang und könne bei entsprechendem Kontakt wieder klinisch relevant werden. Eine Reaktion der Klägerin auch während der Tätigkeit als Rechtsanwaltsgehilfin müsse auf Grund der dort vorhandenen Büromaterialien (Radiergummi, Briefumschläge) nicht unbedingt den Kontakt mit Latex ausgeschlossen haben. Prof. Dr. Dr. R. schloss sich der Auffassung von Prof. Dr. B. an, dass die positiven Hauttestungsergebnisse gut mit der klinischen Symptomatik (Beschwerden der oberen Atemwege) der Klägerin zusammenpassten. Prof. Dr. N. schließe er sich jedoch insoweit an, als dieser davon ausgehe, dass die Klägerin unter konsequenten Arbeitsschutzmaßnahmen und unter Verwendung nicht gepuderter Naturlatex-freier Handschuhe weiter in ihrem Beruf hätte tätig bleiben können. Die Bewusstlosigkeit von 1994 sei eindeutig nicht auf Naturlatex-Kontakt zurückzuführen. Diesbezüglich sei eine neurologische Abklärung erforderlich.
Die Klägerin hat die Bescheinigung von Dr. B. vom 10.5.2009 über eine notfallmäßige Behandlung am 24.3.2009 vorgelegt. Danach habe sie eine anaphylaktische Reaktion nach Kontakt mit Latex-Material durch Handschuhe und Atem-Maske im Rahmen eines Einsatzes des roten Kreuzes nach Kreislaufsynkope mit kurzer Bewusstlosigkeit gehabt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (3 Band), die Prozessakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen Akten des SG Az. S 3 U 1190/97, S 3 U 3280/01, S 3 RA 198/02 und die Akten des Senats Az. L 2 U 4862/99 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Die gem. § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist gem. §§ 143, 144 SGG zulässig und in der Sache begründet. Das SG hat zu Unrecht den Bescheid der Beklagten vom 23.9.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2004 aufgehoben. Dieser erweist sich - soweit der Senat noch darüber zu befinden hatte - als rechtmäßig.
Streitgegenstand im Berufungsverfahren ist der Bescheid vom 23.9.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2004 nach Aufhebung der Ziffer 3 und entsprechender Erledigterklärung der Klage in der mündlichen Verhandlung am 8.7.2009 noch insoweit, als die Beklagte festgestellt hat, dass die Anerkennung der Erkrankung der Klägerin im Bescheid vom 17.4.1997 fehlerhaft war und eine obstruktive Atemwegserkrankung im Sinne der BK 4301 nicht besteht. Dagegen geht die Klägerin zulässigerweise mit der Anfechtungsklage vor.
Rechtsgrundlage für den Bescheid der Beklagten vom 23.9.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.12.2004 ist nicht § 45 SGB X, nachdem die Fristen für die Aufhebung des Verwaltungsakts vom 17.4.1997 gem. § 45 Abs. 3 SGB X lange abgelaufen sind. Auch ein "Aussparen", "Abschmelzen" oder "Einfrieren" nach § 48 Abs. 3 SGB X kommt nicht direkt in Betracht. § 48 Abs. 3 Satz 1 SGB X sieht vor: "Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt". Geklärt ist, dass die "Aussparungsregelung" nicht nur eingreift, wenn sich der zur Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Bescheides führende Fehler auf die Höhe einer Geldleistung auswirkt, sondern auch dann, wenn er die Grundlage der Leistungsbewilligung betrifft. Zweifel, ob Abs 3 auch bei solchen Fehlern des Ursprungsbescheids eingreift, die dessen Grund erfassen- wie zum Beispiel Gewährung der Verletztenrente auf Grund einer nicht bestehenden BK - und nicht nur die Höhe der Leistung, sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (9. und 2. Senat) inzwischen behoben: Abs 3 gilt auch dann, wenn die Grundlage der Leistungsbewilligung rechtswidrig war. Vielmehr ist die Aussparungsregelung auf jeden rechtswidrigen Ursprungs-Verwaltungsakt anzuwenden, der einen materiell rechtswidrigen Rechtsgrund für die nach Abs 1 oder Abs 2 an sich gebotene Anpassung an die veränderten rechtlichen oder tatsächlichen Umstände gibt und demzufolge dazu führen würde, dass "das bestehende Unrecht weiter wächst" (vgl Bundessozialgericht (BSG) Urteil v. 20.03.2007, Az. B 2 U 38/05 R ermittelt über Juris, Rn. 18 = SozR 1300 § 48 Nr 51 S 144 f; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 48 SGB X, Stand Mai 2006, Rn. 65).
Entgegen der vom SG vertretenen Auffassung ist es zulässig, dass die Beklagte die entsprechende Feststellung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 3 SGB X auch schon vor einer Änderung der relevanten Verhältnisse zugunsten der Klägerin - etwa einer Verschlimmerung der Gesundheitsstörung bis zu einem MdE berechtigenden Grade - getroffen hat als ihr die Rechtswidrigkeit bewusst wurde. Denn ein Bescheid, der nach Abs 3 die (volle) nach Abs 1 an sich zustehende Leistungserhöhung ablehnt, setzt die gesonderte ausdrückliche Feststellung voraus, dass der Ursprungsbescheid rechtswidrig ist, die entweder selbstständig ergehen oder mit dem eine Erhöhung nach Abs 1 ablehnenden bzw einschränkenden Bescheid verbunden sein kann (Steinwedel in Kass.Komm aaO, Rn. 63 mit Hinweis auf BSGE 63, 266, 269 = SozR 3642 § 9 Nr 3; BSG SozR 1300 § 48 Nr 51 S 146; zu der insoweit überholten Entscheidung BSGE 60, 287, 291 = SozR 1300 § 48 Nr 29 s Steinwedel SGb 1987, 511 ff). Die Befugnis hierzu ergibt sich aus der Systematik des Gesetzes und aus der Eigenart des zwischen der Behörde und dem Einzelnen bestehenden Rechtsverhältnisses. Ein Sozialrechtsverhältnis, das laufende Leistungen zum Gegenstand hat, erfordert - gerade im Interesse des Leistungsberechtigten - möglichst bald Klarheit darüber, ob der Berechtigte mit weiteren Leistungserhöhungen rechnen kann oder nicht. Es widerspricht dem existenzsichernden Zweck laufender Sozialleistungen und des ihnen zugrunde liegenden Dauerrechtsverhältnisses, die alsbaldige verbindliche Klärung dieser Grundfrage einer vom Berechtigten möglicherweise nicht oder zu spät erhobenen vorbeugenden Feststellungsklage zu überlassen (vgl. BSG Urteil vom 15.12.1999, Az. B 9 V 26/98 R, Rn. 13 ermittelt über Juris).
In der älteren Entscheidung des BSG aus dem Jahr 1989, auf die das SG seine Rechtsauffassung stützt, wurden wohl entgegen der Rechtsprechung des 9. Senats lediglich Zweifel geäußert, ob §48 Abs. 3 SGB X den Leistungsträger überhaupt ermächtige, vor Eintritt einer "Änderung nach Abs 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen" eine Feststellung zu treffen, der bindend (§ 77 SGG) festgestellte und daher auch für ihn maßgebliche Zahlbetrag sei rechtswidrig, und in die dem Berechtigten materiell bestandskräftig zuerkannte Rechtsposition einzugreifen. Dies brauchte aber nicht entschieden zu werden (vgl. BSG Urteil v. 16.03.1989, Az. 4/11a RA 70/87 =SozR 1300 § 48 Nr 55 = BSGE 65, 8-21, über Juris Rn. 10). Die Entscheiung ist als überholt anzusehen.
Der Feststellungsbescheid vom 23.9.2004, vor dessen Erlass die Klägerin angehört wurde, ist auch hinreichend bestimmt. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte in dem Bescheid vom 23.9.2004 im Verfügungssatz unter Ziff. 2. festgestellt hat, dass eine obstruktive Atemwegserkrankung, also eine Erkrankung der unteren Atemwege nicht besteht, obwohl sie im zugrunde liegenden Ausgangsbescheid vom 17.4.1997 in der Begründung eine Rhinopathie, eine Erkrankung der oberen Atemwege benannt hatte. Denn Kernaussage des Bescheids vom 23.9.2004 ist, dass die Erkrankung der Klägerin fehlerhaft als BK anerkannt wurde. Damit wird allumfassend klar, dass die Beklagte davon ausgeht, dass überhaupt keine für die BK nach Nr. 4301 relevante Erkrankung vorliegt.
Entscheidend ist deshalb, ob die Voraussetzungen des § 45 SGB X vorliegen und die Beklagte zu Recht von der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 17.4.1997 ausgegangen ist. Das ist der Fall, denn die Anerkennung der BK Nr. 4301 ist im Bescheid vom 17.4.1997 zu Unrecht erfolgt.
Unter Nr. 4301 werden obstruktive Atemwegserkrankungen einschließlich Rhinopathie erfasst, die durch allergisierende Stoffe verursacht sind und die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Eine obstruktive Atemwegserkrankung, also eine Erkrankung der unteren bzw. tiefen Atemwege liegt bei der Klägerin definitiv nicht vor, ist ärztlicherseits auch nicht diskutiert worden und wurde von Prof. Dr. N. unter der gegebenen Fragestellung im Gutachten vom 1.10.2003 ausgeschlossen. In Frage konnte bei der Klägerin daher nur eine allergische Rhinopathie kommen, die als fakultativ obligatorisches Vorstadium einer Obstruktion der tiefen Atemwege im Sinne eines Asthma bronchiale zu betrachten ist (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 1124). Hierunter erfasst sind nur krankhafte Veränderungen der Nase im Zusammenhang mit allergisierenden Stoffen. In engem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Allergenexposition kommt es zu charakteristischen Symptomen wie Nasenjucken, Niesreiz und Niessalven, wässrigem Fließschnupfen, Nasenschleimhautschwellung mit verstopfter Nase, gelegentlich Mitbeteiligung der Augenbindehäute (Konjunktivitis) und der Nasennebenhöhlen (Sinusitis - vgl. Mehrtens/Brandenburg, die Berufskrankheitenverordnung, M 4301, Rn 4, S. 8).
Der Senat lässt offen, ob die Beschwerden der Klägerin, die mit Niesreiz, verlegte Nasenatmung, Heiserkeit, trockener Husten, rezidivierende Anginen, geschwollenes Gesicht, Augenjucken bis hin zu Atemnot und Kreislaufkollaps neben auftretenden Hauterscheinungen angegeben wurden, überhaupt mit einer allergischen Rhinopathie auf Latex in Einklang zu bringen sind. Prof. Dr. N. vertritt in seinem Gutachten vom 29.7.2008 die Auffassung, dass dies nicht der Fall ist, Prof. Dr. R. in seinem Gutachten vom 22.1.2009 die gegenteilige Auffassung.
Für den Senat ist nachvollziehbar, dass es sich insoweit grundsätzlich um allergische Reaktionen bei der Klägerin gehandelt haben kann, nicht jedoch, dass diese mit dem beruflichen Allergen Latex i.S. der BK 4301 in Zusammenhang stehen. Der Senat folgt hier dem Gutachten von Prof. Dr. N. vom 29.7.2008, in dem die medizinischen theoretischen Zusammenhänge auch für die Kausalkette dargestellt werden, diese anhand der im Laufe des Verfahrens erhobenen Befunde detailgenau belegt werden und schlüssig und nachvollziehbar dargelegt wird, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung der BK 4301 nicht vorgelegen haben. Prof. Dr. N. weist überzeugend darauf hin, dass bei der Klägerin sich kein Hinweis auf eine ausgeprägte Typ I-Sensibilität - also vom Soforttyp - auf Latexallergene findet. Bei keiner Untersuchung konnten weder spezifische IgE-Antikörper gegen Latex nachgewiesen werden, noch kam es zu einer deutlichen Erhöhung des Gesamt-IgE. Die Hautpricktestungen zeigten trotz zahlreicher Wiederholungen in den verschiedenen gutachterlichen Untersuchungssituationen nur z.T. überhaupt eine positive Reaktion, nämlich in der Hautklinik Tübingen im Februar 1994 und Dezember 1995, bei Prof. Dr. S. im März 1995 und bei Prof. Dr. P. im Oktober 1999, wobei diese aber nur leicht ausgeprägt, alle unter dem Histaminniveau waren und bei Prof. Dr. S. sich sogar nur eine unspezifische, sehr schwache Hautreaktion auf eine Latexsorte gezeigt hat, wohingegen eine Reaktion auf die mitgebrachten Handschuhe vom Arbeitsplatz überhaupt nicht erfolgte. Diese Einschätzung einer allenfalls schwachen Ausprägung überzeugt auch vor dem Hintergrund, dass zu keinem Zeitpunkt konjunktivale, nasale oder bronchiale Reizungen, wie sie relativ zeitnah zum Expositionsende und sehr umfassend bei der einwöchigen stationären Begutachtung bei Prof. Dr. Stresemann auch unter Verwendung des Arbeitsmaterials der Klägerin durchgeführt wurden, nie ein positives Ergebnis gezeigt haben. Zumindest durch Testungen in Abständen von 2 Tagen hätte bei Vorliegen einer relevanten Sensibilisierung gegen Latex mit einer entsprechenden, ausgeprägten klinischen Symptomatik am 4.3.1995 sich eine nasale Obstruktion beweisen lassen müssen. Unverständlich im Zusammenhang mit der Anschuldigung von Latex ist vor dem Hintergrund, dass die Klägerin demgegenüber ein nicht regelhaftes Auftreten von massiven Beschwerden bis hin zur Atemnot auch noch aktuell im Erörterungstermin bei vermeintlich relativ geringem Kontakt mit Latex berichtet, so etwa, wenn Speisen in einem Restaurant mit Handschuhen zubereitet werden oder Wurst mit Handschuhen abgepackt wird, und eine Beschwerdezunahme auch im Laufe der strikten Meidung von Latexkontakt mitgeteilt hat. Prof. Dr. N. wertet das Fortbestehen einer nasalen und bronchialen Symptomatik auch ohne Latex-Exposition als Zeichen dafür, dass diese nicht ausschließlich durch das angeklagte Allergen, sondern auch durch andere Allergene, respektive Noxen, hervorgerufen werden kann. Die geschilderte Symptomatik, vor allem die anaphylaktoide Reaktion sind auch nicht typisch für eine Latex-Allergie. Letztlich wurde bei der Klägerin auch keine Obstruktion festgestellt, so dass sich die Atemnot nicht durch Latexsensibilisierung erklärt. Demgegenüber haben sowohl Prof. Dr. S. als auch Prof. Dr. N. im Gutachten von 2003 bei der Klägerin ein mittelgradig hyperreagibles Bronchialsystem festgestellt, was eine unspezifische Überempfindlichkeit der Atemwege bedeutet und charakterisiert wird durch eine überschießende Antwort auf unterschiedlichste Reize wie Infektallergene, chemische, pharmakologische und physikalische Substanzen, das allerdings nicht auf Latex reagierte. Im Ergebnis hält damit der Senat mit Prof. Dr. N. und Prof. Dr. S. aufgrund der dokumentierten Befunde eine durch Latex-Allergene verursachte allergische Rhinopathie auch 1997 nicht für nachgewiesen.
Nicht zu folgen vermag der Senat hingegen dem Gutachten des Prof. Dr. R., der sich dem Gutachten von Prof. Dr. B. angeschlossen hat, soweit dieser die Hauttestungen im Zusammenhang mit den erhobenen Befunden als ausreichend für die Diagnose einer Rhinopathie ansieht. Es bestehen bereits Bedenken dagegen, dass der Gutachter als Dermatologe die fachliche Kompetenz zur Beurteilung der BK 4301, die Atemwegserkrankungen betrifft, besitzt. Das Institut selbst hatte hieran im SG-Verfahren die Atemwegserkrankung betreffend Zweifel, als der ursprünglich an Prof. Dr. P. gerichtete Gutachtensauftrag aus dem Grund zurückgegeben wurde und von dort Prof. Dr. Nowak als kompetenter Gutachter vorgeschlagen wurde (Schreiben v. 19.3.2003, Bl. 55 SG S 3U 3280/01). Für seine Annahme einer latexbedingten Rhinopathie hat er – anders als Prof. Dr. N. – keine durch entsprechende Befunde belegte Begründung gegeben und auch nicht näher bezeichnet, welche der Beschwerden genau er für die latexbedingte Rhinopathie zielführend findet, nachdem die Reaktion der Klägerin nasal bereits auf die latexfreie Kontrolllösung erfolgte und die Reaktion auf die latexhaltige Lösung keinesfalls eine Schockreaktion darauf war. Den Ausprägungsgrad der Sensibilisierung auf Latex, der ein wesentliches Argument bei Prof. Dr. N. ist, diskutiert er nicht. Nicht plausibel ist die Erklärung, dass es bei der Tätigkeit in einem Rechtsanwaltbüro durch latexhaltiges Büromaterial zu Beschwerden gekommen sein könnte, obwohl die Auslösung von Beschwerden trotz massiver Provokation bei Prof. Dr. S. nicht möglich war. Durch die Bezugnahme auf das hautärztliche Gutachten von 1999 und die allgemein gehaltenen Aussagen drängt sich der Verdacht auf, dass hier nicht strikt zwischen den verschiedenen BK’en Nr. 4301 und 5101 getrennt wurde.
Doch selbst wenn vom Nachweis einer latexbedingten Rhinopatie ausgegangen werden müsste, ergibt sich daraus nicht die Folge, dass die BK zu Recht anerkannt worden ist. Denn alle Gutachter sind sich darin einig, dass die Klägerin durch konsequente Arbeitsschutzmaßnahmen weiter in ihrem Beruf hätte tätig bleiben können und damit ein medizinisch gebotener Unterlassungszwang nicht vorgelegen hat. Diese bestehen in der Meidung des Kontakts mit Latex und Umstellungsmaßnahmen in Form von latexfreien Handschuhen. Dies haben alle Gutachter auch bezogen auf Aerosole von Latex in der Luft so eingestuft und für möglich gehalten. Einzig die Beklagte ist insoweit Prof. Dr. B. nicht gefolgt und hielt die Umsetzung in der Praxis - möglicherweise irrig ausgehend von einer starken Sensibilisierung gegen Latex - nicht für möglich, wie der Klägerin im Schreiben vom 4.11.1996 mitgeteilt wurde. Im Nachhinein hat sich jedoch die Annahme von Prof. Dr. S. und Prof. Dr. B. bestätigt, dass die teilweise als anaphylaktoid eingeschätzten Reaktionen der Klägerin auf Latex keine solchen sind und auch schon 1994 nicht waren, sondern eventuell Folgen von Hyperventilation sind oder einen anderen Krankheitshintergrund haben. Prof. Dr. R. hat den Ausschluss bei der Untersuchung am 7.1.2009 eindeutig dadurch belegen können, dass ein Abfall der Vitalfunktionen, wie Blutdruck, Puls, Atemfrequenz und Blutzuckerwert, oder die Erhöhung der Mastezelltryptase, die bei akuten systemischen allergischen Reaktionen vom Soforttyp oft deutlich ansteigt, bei dem dort nach Latexexposition auch stattgehabten Zusammenbruch nach mehrmaligem Messen nicht vorgelegen haben. Ausdrücklich hat er darauf hingewiesen, dass es sich nicht um eine allergische Reaktion gehandelt hat und erst recht kein Zusammenhang mit Latex hergestellt werden kann, die Ursache hierfür jedoch dringend auf anderem Fachgebiet, nämlich neurologisch abgeklärt werden muss. Ebenso hat er, wie schon zuvor Prof. Dr. N. bestätigt, dass dies auch für den Zusammenbruch 1994 gilt. Von daher vermag den Senat die bloße Diagnose einer anaphylaktischen Reaktion nach Kontakt mit Latexmaterialien von Dr. B. in der Bescheinigung vom 10.5.2009 ohne den Nachweis von entsprechenden Befunden, wie sie eben bei Prof. Dr. R. nicht normabweichend erhoben werden konnten, nicht zu überzeugen und löst keinen weiteren Ermittlungsbedarf aus. Somit kann auch nicht als belegt gelten, dass die Klägerin anaphylaktoid auf eine Arbeitskollegin reagiert hat, die zuvor mit Latexhandschuhen gearbeitet hatte, wie es ihr damaliger Arbeitgeber Dr. M. der Beklagten mitgeteilt hatte, und aus diesem Grund ein Verbleiben in der Arztpraxis nicht für möglich hielt (Schreiben v. 3.4.1994, Bl. 3 VA). Im Übrigen ergeben sich aus den Akten Hinweise, dass Arbeitsschutzmaßnahmen erfolgversprechend gewesen wären. In der Internistenpraxis Dr. B., in der sie Arzthelferinnentätigkeiten im Anmeldungsbereich ausgeführt hatte, war die Klägerin beschwerdefrei. Den Beweisanträgen des Klägervertreters brauchte daher nicht nachgegangen zu werden.
Für die Zukunft bedeutet dies, dass die Klägerin in der Rechtsstellung, die durch § 45 SGB X vermittelt wird und danach nicht zurückgenommen werden kann, geschützt ist (BSG SozR 1300 § 48 Nr 51 = Breith 1989, 418 = HV–Info 1989, 47 und BSG SozR 1300 § 48 Nr 49 = BSGE 63, 259 = Breith 1989, 837; BSG SozR 2200 § 1255 a Nr 19 = Breith 1989, 390 = SozSich 1989 RsprNr 4161). Auf Grund der der Klägerin in der Vergangenheit erbrachten Leistungen vermochte der Senat nicht zu überblicken, ob dies für die Zukunft jegliche Leistung ausschließt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt die nachträgliche Aufhebung der Ziffer 3 des Bescheids vom 23.9.2004 durch die Beklagte.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
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