L 28 AS 953/09 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 133 AS 15126/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AS 953/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Mai 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Mai 2009 ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft und zulässig. Allerdings ist sie nicht begründet.

Soweit der Antragsteller mit seinem am 18. Mai 2009 beim Sozialgericht Berlin eingegangenen Antrag zu 1. begehrt hat, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab Rechtshängigkeit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) zu gewähren, hat sich sein Rechtsschutzbegehren während des Beschwerdeverfahrens erledigt. Denn nachdem der Antragsteller am 12. Mai 2009 bei der Bundesagentur für Arbeit vorgesprochen, sich dort erneut arbeitslos gemeldet und schließlich am 15. Mai 2009 die Gewährung ergänzender Leistungen nach dem SGB II beantragt hatte, wurden ihm diese vom Antragsgegner mit Bescheiden vom 05. und 22. Juni 2009 für die Zeit vom 12. Mai bis zum 31. Oktober 2009 bewilligt. Dabei hat der Antragsgegner der Leistungsberechnung für den gesamten Zeitraum Unterkunftskosten in Höhe von 600,00 EUR zugrunde gelegt, mithin die laut Mietvertrag für die sich aus dem Rubrum ergebende Wohnung des Antragstellers tatsächlich zu zahlenden Kosten in vollem Umfang angesetzt. Insoweit besteht mithin für die Fortsetzung des Verfahrens kein Rechtsschutzbedürfnis mehr. Der Antrag ist vielmehr unzulässig geworden (vgl. Hk-SGG/Binder, 2. Aufl. 2006, § 86b Rn. 7).

Eine weitergehende Verpflichtung des Antragsgegners im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes dahin, dem Antragsteller auch für die Zeit vom 01. Dezember 2008 bis zum 11. Mai 2009 Leistungen zur Grundsicherung zu gewähren, scheidet hingegen aus. Der Senat geht bereits nicht davon aus, dass der Antragsteller dieses Begehren überhaupt an das Gericht herangetragen hat. Denn in der Antragsschrift seiner Verfahrensbevollmächtigten wird zu 2. lediglich "ersatzweise" beantragt, dem Antragsteller gegen Anerkenntnis der Antragstellerin (gemeint ist ersichtlich: des Antragsgegners) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab dem 01. Dezember 2008 zu gewähren. Zwar ist das Gericht nach § 123 SGG, der für das einstweilige Rechtsschutzverfahren entsprechend gilt, gehalten, über den vom Antragsteller erhobenen Anspruch zu entscheiden, ohne dabei an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Der formulierte Antrag ist einer sachgerechten Auslegung jedoch nicht zugänglich. Die begehrte Verpflichtung ist zum einen schon vor dem Hintergrund unmöglich, dass der Senat den Antragsgegner nicht zu einem Anerkenntnis verpflichten kann. Zum anderen wäre der Antrag zu 2. bei isolierter Betrachtung vermutlich noch dahin zu verstehen, dass Leistungen ab dem 01. Dezember 2008 gewährt werden sollen. Bei entsprechender Auslegung ginge der "ersatzweise" gestellte Antrag jedoch erheblich über den Hauptantrag hinaus, was kaum gemeint sein kann.

Selbst wenn jedoch die vorläufige Gewährung der Leistungen schon für die Zeit ab dem 01. Dezember 2008 verfahrensgegenständlich wäre, könnte der Antragsteller mit diesem Begehren keinen Erfolg haben. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung lägen insoweit nicht vor.

Nach § 86b Abs. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Dies hat der Antragsteller nicht getan.

Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass für den genannten Zeitraum eine Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig wäre. Denn das Vorliegen eines Anordnungsgrundes beurteilt sich nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung [Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungs¬lieferung 2005, § 123 Rn. 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO]. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 des Grundgesetzes (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im – grundsätzlich vorrangigen – Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22.11.2002 – 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, 1236 und vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit lediglich vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat. Insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt; das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar. Dass hier ausnahmsweise anderes zu gelten hätte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere gilt dies mit Blick auf den Erhalt des Wohnraumes. Denn ausweislich der Beschwerdeschrift liegt mittlerweile ein Räumungsurteil vor, sodass eine Zahlung für die Vergangenheit nicht zum Erhalt der Wohnung führen kann.

Im Übrigen erscheint auch das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs durchaus zweifelhaft. Zwar hat der Senat keine Zweifel, dass der Antragsteller am 01. Dezember 2008 einen Leistungsantrag gestellt hat, den der Antragsgegner noch zu bearbeiten haben wird. Ob es aufgrund dieses Antrages jedoch zu einer Gewährung (ergänzender) Leistungen nach dem SGB II kommen muss, ist ungewiss. Insoweit wird zu klären sein, ob dem Antragsteller überhaupt ein Anspruch zustehen kann oder einem solchen möglicherweise die von seiner Verfahrensbevollmächtigten für die Zeit ab dem 23. April 2009 (Zustellung der Räumungsklage) mitgeteilten mindestens zweiwöchigen Ortsabwesenheit und/oder die dem Antragsteller von der Bundesagentur für Arbeit für den entsprechenden Zeitraum vorgeworfene mangelnde Verfügbarkeit entgegensteht. Selbst falls dies nicht der Fall sein sollte, wäre indes zu klären, ob er tatsächlich ergänzender Hilfe bedurfte. Denn anlässlich seiner Arbeitslosmeldung am 12. Mai 2009 hat der Antragsteller dem Vermerk der Sachbearbeiterin zufolge dieser gegenüber gemutmaßt, ob die Post, die er in den ersten Monaten des Jahres 2009 von der Bundesagentur nicht erhalten haben will, möglicherweise von seiner Untermieterin entfernt worden sei, nachdem er ihr gekündigt habe. Danach ist davon auszugehen, dass der Antragsteller im fraglichen Zeitraum keine Unterkunftskosten in Höhe von 600,00 EUR zu tragen, sondern geringere Kosten hatte, sodass er seinen Bedarf u.U. mit dem ihm gewährten Arbeitslosengeld I befriedigen konnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog. Anlass, den Antragsgegner mit den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu belasten, sieht der Senat nicht. Zur Leistungsbewilligung ist es nicht infolge des gerichtlichen Verfahrens, sondern unabhängig hiervon aufgrund der erneuten Antragstellung im Mai 2009 gekommen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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