Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 3245/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2322/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 29. April 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung der Eigenschaft als Schwerbehinderter.
Der 1956 geborene Kläger stellte am 24.07.2006 den Erstantrag nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Der Beklagte zog daraufhin medizinische Unterlagen bei, u.a. den Entlassbericht der Reha-Klinik H. vom 29.06.2006 über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vom 04.05.2006 bis 01.06.2006. Darin werden die Diagnosen Zustand nach akutem Vorderwandinfarkt, Zustand nach PTCA und Stenting LAD am 18.04.2006, koronare Ein-Gefäßerkrankung, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus Typ II b sowie Übergewicht genannt.
Mit Bescheid vom 02.10.2006 stellte der Beklagte den Grad der Behinderung (GdB) mit 30 ab Antragstellung fest.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, woraufhin der Beklagte weitere Arztberichte beizog. In Auswertung dieser Unterlagen stellte der Medizinische Dienst des Beklagten in der gutachtlichen Stellungnahme vom 22.06.2007 folgende Funktionsbeeinträchtigungen fest:
Koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck Teil-GdB 20 Diabetes Mellitus (mit Diät und oralen Antidiabetika einstellbar) Teil-GdB 20 Bandscheibenschaden, Spinalkanalstenose, Schulter-Arm-Syndrom, Mittelnervendruckschädigung beidseitig (Carpaltunnelsyndrom) Teil-GdB 20 Schwerhörigkeit beidseitig Teil-GdB 20.
Der Gesamt-GdB betrage 40.
Mit Teil-Abhilfebescheid vom 02.07.2007 stellte der Beklagte einen GdB von 40 ab dem 24.07.2006 fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.08.2007, auf den Bezug genommen wird, wies er den Widerspruch im Übrigen zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 31.08.2007 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und einen Befundbericht des Orthopäden Dr. Mohrbacher vom 09.09.2007 sowie den Entlassbrief des Krankenhauses M. über eine stationäre Behandlung vom 08.10.2007 bis 12.10.2007 vorgelegt, während der eine Teilresektion des rechten Innenmeniskushinterhorns durchgeführt worden war. Im Entlassbrief wird hierzu ausgeführt, es bestehe ein unkomplizierter postoperativer Verlauf bei reizlosen Wundverhältnissen, der Kläger sei weitgehend beschwerdefrei.
Mit Gerichtsbescheid vom 29.04.2008 hat das SG den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 02.10.2006 in der Fassung des (Teil-Abhilfe-) Bescheides vom 02.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2007 verurteilt, beim Kläger einen GdB von 50 seit dem 24.07.2006 festzustellen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die beim Kläger vorliegenden Änderungen seien einzeln zutreffend mit einem Teil-GdB von jeweils 20 bewertet. Als schwerste Funktionseinschränkung sei die Behinderung "koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck" zugrunde zu legen. Die weiteren drei, ebenfalls jeweils mit einem Teil-GdB von 20 zu bewertenden Behinderungen, erhöhten den GdB um jeweils 10, so dass ein Gesamt-GdB von 50 erreicht werde. Denn die Erkrankungen, die den jeweiligen Teil-GdB zugrunde lägen, wirkten sich jede für sich auf verschiedene Bereiche des täglichen Lebens aus und führten deshalb jeweils zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB um 10.
Gegen den am 05.05.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 15.05.2008 Berufung eingelegt. Er trägt vor, in Übereinstimmung mit der angefochtenen Entscheidung sei zwar zutreffend, dass von vier Funktionseinschränkungen mit einem Teil-GdB von jeweils 20 auszugehen sei. Eine Erhöhung des Ausgangs-GdB von 20 um jeweils 10 durch die übrigen Beeinträchtigungen könne jedoch insbesondere im Hinblick auf den Diabetes mellitus nicht vertreten werden, weil dieser nicht insulinpflichtig sei.
Die als sachverständige Zeugin gehörte Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. K. hat unter dem 13.09.2008 mitgeteilt, beim Kläger bestünden seit 2000 ein noch allein mit Tabletten behandelbarer Diabetes mellitus Typ II, eine koronare Herzkrankheit, wobei die kardialen Beschwerden unter Medikation und bei Zustand nach Stent weitgehend kompensiert seien, zunehmende Wirbelsäulenbeschwerden insbesondere der Halswirbelsäule mit einem Bandscheibenvorfall im Jahr 2004 in Höhe C 6/7 und einem akuten Bandscheibenvorfall im Juli 2008 lumbal im Segment L 4/5. Darüber hinaus bestünden seit Jahren Beschwerden im rechten Knie mit arthroskopischer Intervention im Oktober 2007. Wegen einer darüber hinaus bestehenden Hörminderung befinde sich der Kläger in HNO-ärztlicher Behandlung. Beigefügt waren mehrere Arztbriefe, u.a. ein Arztbrief des Neurologen Dr. A. vom 01.07.2008, in dem ausgeführt wird, die vor vier Wochen aufgetretene akute Lumboischialgie sei wahrscheinlich Folge des breitbasigen Bandscheibenvorfalls L 4/5, wobei sich gegenwärtig keine radikulären Ausfälle fänden. Der Kläger wolle weder eine analgetische Medikation noch eine physikalische Behandlung in Anspruch nehmen.
In der Versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 03.02.2009 hat Dr. W. ausgeführt, der Teil-GdB von 20 für den Diabetes mellitus sei nicht nachvollziehbar. Dem bereits aktenkundigen Entlassungsbericht vom 29.06.2006 der Reha-Klinik H. lasse sich entnehmen, dass der Diabetes mellitus oral mit Metformin, einem Biguanidpräparat, behandelt werde. Dies ergebe sich ebenfalls aus dem aktuellen Befundbericht vom 28.10.2007 des Krankenhauses M ... Der Diabetes mellitus sei deshalb lediglich mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 29. April 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die durch die verschiedenen Erkrankungen bedingten Funktionsbeeinträchtigungen überschnitten sich nicht in ihren Auswirkungen und führten deshalb jeweils zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mindestens 50.
Gemäß § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer Behinderung fest. Behindert sind Menschen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX dann, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Liegen dabei mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Als schwerbehinderter Mensch ist anzuerkennen, wer die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines GdB von wenigstens 50 erfüllt und seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX hat.
Maßgeblich für die Beurteilung des GdB ist die zum 01.01.2009 in Kraft getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG) zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), welche die im Wesentlichen gleichlautenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) ersetzt hat.
Nach Teil A Nr. 3 a) der VMG, der Nr. 19 der AHP 2008 entspricht, dürfen bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sind unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von Ausnahmefällen abgesehen führen dabei zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Nach Teil A Nr. 3 d) ee) VMG (ebenso Nr. 19 Abs. 4 AHP 2008) führen, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben liegt beim Kläger kein Gesamt-GdB von 50 vor. Denn der beim Kläger vorliegende Diabetes mellitus ist unter Zugrundelegung der VMG lediglich mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten. Nach Teil A Nr. 15.1 VMG bedingt ein Diabetes mellitus folgenden Teil-GdB:
mit Diät allein (ohne blutzuckerregulierende Medikamente) 0 mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung nicht erhöhen 10 mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung erhöhen 20 unter Insulintherapie, auch in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Medikamenten, je nach Stabilität der Stoffwechsellage (stabil oder mäßig schwankend) 30-40 unter Insulintherapie instabile Stoffwechsellage einschließlich gelegentlicher schwerer Hypoglykämien 50 häufige, ausgeprägte oder schwere Hypoglykämien sind zusätzlich zu be- werten. Schwere Hypoglykämien sind Unterzuckerungen, die eine ärztliche Hilfe erfordern.
Der Diabetes mellitus des Klägers ist derzeit medikamentös eingestellt mit dem Medikament Metformin, durch welches die Hypoglykämieneigung nicht erhöht wird. Bereits während der Rehabilitationsmaßnahme im Jahr 2006 und noch während der stationären Behandlung im Kreiskrankenhaus M. im Oktober 2007 erfolgte die medikamentöse Behandlung des Diabetes mellitus allein mit diesem Medikament. Dies rechtfertigt allein einen Teil-GdB von 10. Auch soweit der Kläger vorgetragen hat, bei erhöhten Blutzuckerwerten bekomme er Kopfschmerzen, könne er schwerer Wasser lassen und habe Schmerzen in der rechten Niere, rechtfertigt dies nach den VG nicht die Zuerkennung eines höheren Teil-GdB. Ein insoweit allein relevantes Auftreten von Hypoglykämien hat er nämlich nicht genannt.
Die weiteren Erkrankungen des Klägers, nämlich die koronare Herzkrankheit mit Bluthochdruck, die beidseitige Schwerhörigkeit sowie die Erkrankungen der Wirbelsäule und das Schulter-Arm-Syndrom sind, wovon auch die Beteiligten ausgehen, zutreffend mit einem Teil-GdB von jeweils 20 bewertet. Insbesondere führt der Mitte des Jahres 2008 stattgehabte Bandscheibenvorfall im Segment L 4/5 nicht zu einer Erhöhung des GdB für die Erkrankungen auf orthopädischem Gebiet. Denn es bestehen weder radikuläre Ausfälle noch findet eine analgetische oder physikalische Therapie statt, wie dem Arztbrief des behandelnden Neurologen Dr. A. vom 01.07.2008 entnommen werden kann.
Ergänzend ist auszuführen, dass selbst unter Zugrundelegung eines Teil-GdB von 20 für die Erkrankung an Diabetes mellitus die Feststellung eines Gesamt-GdB von 50 nicht gerechtfertigt wäre. Denn die von den einzelnen Gesundheitsstörungen ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen sind nicht gänzlich voneinander unabhängig und betreffen auch nicht ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens, so dass sie jeweils erhöhend wirken. Das SG hat im angefochtenen Gerichtsbescheid hierzu lediglich ausgeführt, es gehe davon aus, dass sich die durch die vier festgestellten Behinderungen einhergehenden Funktionseinschränkungen nicht überschnitten. Zu der Frage, wie sich die einzelnen Funktionseinschränkungen auswirken, hat es keine Feststellungen getroffen. Demgegenüber überschneiden sich zumindest die durch die koronare Herzkrankheit und die Erkrankung der Wirbelsäule bedingten Funktionseinschränkungen. Denn beide wirken sich gleichermaßen dahingehend aus, dass der Kläger beim Treppensteigen, Bergangehen oder bei schwerer körperlicher Arbeit eingeschränkt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung der Eigenschaft als Schwerbehinderter.
Der 1956 geborene Kläger stellte am 24.07.2006 den Erstantrag nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Der Beklagte zog daraufhin medizinische Unterlagen bei, u.a. den Entlassbericht der Reha-Klinik H. vom 29.06.2006 über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vom 04.05.2006 bis 01.06.2006. Darin werden die Diagnosen Zustand nach akutem Vorderwandinfarkt, Zustand nach PTCA und Stenting LAD am 18.04.2006, koronare Ein-Gefäßerkrankung, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus Typ II b sowie Übergewicht genannt.
Mit Bescheid vom 02.10.2006 stellte der Beklagte den Grad der Behinderung (GdB) mit 30 ab Antragstellung fest.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, woraufhin der Beklagte weitere Arztberichte beizog. In Auswertung dieser Unterlagen stellte der Medizinische Dienst des Beklagten in der gutachtlichen Stellungnahme vom 22.06.2007 folgende Funktionsbeeinträchtigungen fest:
Koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck Teil-GdB 20 Diabetes Mellitus (mit Diät und oralen Antidiabetika einstellbar) Teil-GdB 20 Bandscheibenschaden, Spinalkanalstenose, Schulter-Arm-Syndrom, Mittelnervendruckschädigung beidseitig (Carpaltunnelsyndrom) Teil-GdB 20 Schwerhörigkeit beidseitig Teil-GdB 20.
Der Gesamt-GdB betrage 40.
Mit Teil-Abhilfebescheid vom 02.07.2007 stellte der Beklagte einen GdB von 40 ab dem 24.07.2006 fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.08.2007, auf den Bezug genommen wird, wies er den Widerspruch im Übrigen zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 31.08.2007 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und einen Befundbericht des Orthopäden Dr. Mohrbacher vom 09.09.2007 sowie den Entlassbrief des Krankenhauses M. über eine stationäre Behandlung vom 08.10.2007 bis 12.10.2007 vorgelegt, während der eine Teilresektion des rechten Innenmeniskushinterhorns durchgeführt worden war. Im Entlassbrief wird hierzu ausgeführt, es bestehe ein unkomplizierter postoperativer Verlauf bei reizlosen Wundverhältnissen, der Kläger sei weitgehend beschwerdefrei.
Mit Gerichtsbescheid vom 29.04.2008 hat das SG den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 02.10.2006 in der Fassung des (Teil-Abhilfe-) Bescheides vom 02.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2007 verurteilt, beim Kläger einen GdB von 50 seit dem 24.07.2006 festzustellen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die beim Kläger vorliegenden Änderungen seien einzeln zutreffend mit einem Teil-GdB von jeweils 20 bewertet. Als schwerste Funktionseinschränkung sei die Behinderung "koronare Herzkrankheit, Bluthochdruck" zugrunde zu legen. Die weiteren drei, ebenfalls jeweils mit einem Teil-GdB von 20 zu bewertenden Behinderungen, erhöhten den GdB um jeweils 10, so dass ein Gesamt-GdB von 50 erreicht werde. Denn die Erkrankungen, die den jeweiligen Teil-GdB zugrunde lägen, wirkten sich jede für sich auf verschiedene Bereiche des täglichen Lebens aus und führten deshalb jeweils zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB um 10.
Gegen den am 05.05.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 15.05.2008 Berufung eingelegt. Er trägt vor, in Übereinstimmung mit der angefochtenen Entscheidung sei zwar zutreffend, dass von vier Funktionseinschränkungen mit einem Teil-GdB von jeweils 20 auszugehen sei. Eine Erhöhung des Ausgangs-GdB von 20 um jeweils 10 durch die übrigen Beeinträchtigungen könne jedoch insbesondere im Hinblick auf den Diabetes mellitus nicht vertreten werden, weil dieser nicht insulinpflichtig sei.
Die als sachverständige Zeugin gehörte Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. K. hat unter dem 13.09.2008 mitgeteilt, beim Kläger bestünden seit 2000 ein noch allein mit Tabletten behandelbarer Diabetes mellitus Typ II, eine koronare Herzkrankheit, wobei die kardialen Beschwerden unter Medikation und bei Zustand nach Stent weitgehend kompensiert seien, zunehmende Wirbelsäulenbeschwerden insbesondere der Halswirbelsäule mit einem Bandscheibenvorfall im Jahr 2004 in Höhe C 6/7 und einem akuten Bandscheibenvorfall im Juli 2008 lumbal im Segment L 4/5. Darüber hinaus bestünden seit Jahren Beschwerden im rechten Knie mit arthroskopischer Intervention im Oktober 2007. Wegen einer darüber hinaus bestehenden Hörminderung befinde sich der Kläger in HNO-ärztlicher Behandlung. Beigefügt waren mehrere Arztbriefe, u.a. ein Arztbrief des Neurologen Dr. A. vom 01.07.2008, in dem ausgeführt wird, die vor vier Wochen aufgetretene akute Lumboischialgie sei wahrscheinlich Folge des breitbasigen Bandscheibenvorfalls L 4/5, wobei sich gegenwärtig keine radikulären Ausfälle fänden. Der Kläger wolle weder eine analgetische Medikation noch eine physikalische Behandlung in Anspruch nehmen.
In der Versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 03.02.2009 hat Dr. W. ausgeführt, der Teil-GdB von 20 für den Diabetes mellitus sei nicht nachvollziehbar. Dem bereits aktenkundigen Entlassungsbericht vom 29.06.2006 der Reha-Klinik H. lasse sich entnehmen, dass der Diabetes mellitus oral mit Metformin, einem Biguanidpräparat, behandelt werde. Dies ergebe sich ebenfalls aus dem aktuellen Befundbericht vom 28.10.2007 des Krankenhauses M ... Der Diabetes mellitus sei deshalb lediglich mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 29. April 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die durch die verschiedenen Erkrankungen bedingten Funktionsbeeinträchtigungen überschnitten sich nicht in ihren Auswirkungen und führten deshalb jeweils zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mindestens 50.
Gemäß § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer Behinderung fest. Behindert sind Menschen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX dann, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Liegen dabei mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Als schwerbehinderter Mensch ist anzuerkennen, wer die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines GdB von wenigstens 50 erfüllt und seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX hat.
Maßgeblich für die Beurteilung des GdB ist die zum 01.01.2009 in Kraft getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG) zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), welche die im Wesentlichen gleichlautenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) ersetzt hat.
Nach Teil A Nr. 3 a) der VMG, der Nr. 19 der AHP 2008 entspricht, dürfen bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sind unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von Ausnahmefällen abgesehen führen dabei zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Nach Teil A Nr. 3 d) ee) VMG (ebenso Nr. 19 Abs. 4 AHP 2008) führen, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben liegt beim Kläger kein Gesamt-GdB von 50 vor. Denn der beim Kläger vorliegende Diabetes mellitus ist unter Zugrundelegung der VMG lediglich mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten. Nach Teil A Nr. 15.1 VMG bedingt ein Diabetes mellitus folgenden Teil-GdB:
mit Diät allein (ohne blutzuckerregulierende Medikamente) 0 mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung nicht erhöhen 10 mit Medikamenten eingestellt, die die Hypoglykämieneigung erhöhen 20 unter Insulintherapie, auch in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Medikamenten, je nach Stabilität der Stoffwechsellage (stabil oder mäßig schwankend) 30-40 unter Insulintherapie instabile Stoffwechsellage einschließlich gelegentlicher schwerer Hypoglykämien 50 häufige, ausgeprägte oder schwere Hypoglykämien sind zusätzlich zu be- werten. Schwere Hypoglykämien sind Unterzuckerungen, die eine ärztliche Hilfe erfordern.
Der Diabetes mellitus des Klägers ist derzeit medikamentös eingestellt mit dem Medikament Metformin, durch welches die Hypoglykämieneigung nicht erhöht wird. Bereits während der Rehabilitationsmaßnahme im Jahr 2006 und noch während der stationären Behandlung im Kreiskrankenhaus M. im Oktober 2007 erfolgte die medikamentöse Behandlung des Diabetes mellitus allein mit diesem Medikament. Dies rechtfertigt allein einen Teil-GdB von 10. Auch soweit der Kläger vorgetragen hat, bei erhöhten Blutzuckerwerten bekomme er Kopfschmerzen, könne er schwerer Wasser lassen und habe Schmerzen in der rechten Niere, rechtfertigt dies nach den VG nicht die Zuerkennung eines höheren Teil-GdB. Ein insoweit allein relevantes Auftreten von Hypoglykämien hat er nämlich nicht genannt.
Die weiteren Erkrankungen des Klägers, nämlich die koronare Herzkrankheit mit Bluthochdruck, die beidseitige Schwerhörigkeit sowie die Erkrankungen der Wirbelsäule und das Schulter-Arm-Syndrom sind, wovon auch die Beteiligten ausgehen, zutreffend mit einem Teil-GdB von jeweils 20 bewertet. Insbesondere führt der Mitte des Jahres 2008 stattgehabte Bandscheibenvorfall im Segment L 4/5 nicht zu einer Erhöhung des GdB für die Erkrankungen auf orthopädischem Gebiet. Denn es bestehen weder radikuläre Ausfälle noch findet eine analgetische oder physikalische Therapie statt, wie dem Arztbrief des behandelnden Neurologen Dr. A. vom 01.07.2008 entnommen werden kann.
Ergänzend ist auszuführen, dass selbst unter Zugrundelegung eines Teil-GdB von 20 für die Erkrankung an Diabetes mellitus die Feststellung eines Gesamt-GdB von 50 nicht gerechtfertigt wäre. Denn die von den einzelnen Gesundheitsstörungen ausgehenden Funktionsbeeinträchtigungen sind nicht gänzlich voneinander unabhängig und betreffen auch nicht ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens, so dass sie jeweils erhöhend wirken. Das SG hat im angefochtenen Gerichtsbescheid hierzu lediglich ausgeführt, es gehe davon aus, dass sich die durch die vier festgestellten Behinderungen einhergehenden Funktionseinschränkungen nicht überschnitten. Zu der Frage, wie sich die einzelnen Funktionseinschränkungen auswirken, hat es keine Feststellungen getroffen. Demgegenüber überschneiden sich zumindest die durch die koronare Herzkrankheit und die Erkrankung der Wirbelsäule bedingten Funktionseinschränkungen. Denn beide wirken sich gleichermaßen dahingehend aus, dass der Kläger beim Treppensteigen, Bergangehen oder bei schwerer körperlicher Arbeit eingeschränkt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BWB
Saved