L 3 SB 2515/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 19 SB 3162/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 2515/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. Februar 2007 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob dem Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 zusteht.

Der 1969 geborene Kläger erlitt im Jahr 1986 einen Motorradunfall, bei dem er eine Oberschenkelhalsfraktur, eine Oberschenkelfraktur und eine Radiustrümmerfraktur, jeweils rechts erlitt. Im Jahr 1995 zog er sich bei einem weiteren Motorradunfall eine Unterschenkelfraktur auf der linken Seite zu.

Anlässlich des Erstantrages des Klägers vom 30.05.1995 wurde dieser im Auftrag des Beklagten durch den Orthopäden Dr. S. begutachtet, wobei im Rahmen der am 26.01.1996 durchgeführten Begutachtung folgende Bewegungsmaße erhoben wurden:

Handgelenk rechts, handrückenwärts/hohlhandwärts 30-0-40 speichenwärts/ellenwärts 20-0-20

Die Kniebeweglichkeit wurde mit 0-0-150, die der Hüfte mit 0-0-130, der FingerbO.nabstand mit 25 cm, das Schober’sche Zeichen mit 10/14 cm, das Ott’sche Zeichen mit 30/33 cm angegeben. Der Faustschluss war rechts geringgradig inkomplett, die grobe Kraft um ein Drittel herabgesetzt. Der Kraftgrad wurde mit 5 gemessen.

Mit Bescheid vom 29.02.1996 stellte der Beklagte beim Kläger einen GdB von 40 ab Mai 1995 fest. Dabei ging der Ärztliche Dienst des Beklagten vom Vorliegen folgender Behinderungen aus:

1. Bewegungseinschränkung beider Hüftgelenke mit verminderter Belastbarkeit, Beinverkürzung rechts, 1,5 cm, operativ behandelte Oberschenkelfraktur, Beinumfangsminderung links nach operativ behandeltem Wadenbeinbruch, Lumbalgie und cervicale Myopathie. (Teil-GdB 30). 2. Operativ behandelte Radiustrümmerfraktur rechts mit Bewegungseinschränkung, Minderung der Armkraft und Beweglichkeit nach Ulnarisläsion (Teil-GdB 20).

Am 06.12.2002 beantragte der Kläger die Neufeststellung seines GdB mit der Begründung, die Bewegung des rechten Hüftgelenks habe sich verschlechtert, er leide unter einer Arthrose des rechten Hüft- und Handgelenks, unter einer Verschiebung der rechten Kniescheibe, Abnützungserscheinungen der Wirbelsäule und einer Verschlechterung der Sehkraft. Hierzu legte er einen augenärztlichen Befundbericht von Dipl.-Med. Z. vom 10.01.2003 vor, nach welchem die Sehschärfe links 0,7 und rechts 1,0 betrug.

Der Beklagte zog im Folgenden einen Befundbericht des behandelnden Arztes für Allgemeinmedizin Dr. B. vom 27.01.2003 bei. Dieser teilte mit, dass der Kläger unter Chondropathia patellae bei Dysplasie, Zustand nach Oberschenkelfraktur, Zustand nach Unterschenkelfraktur, Spondylchondrose/-arthrose der Wirbelsäule, chronischem Wirbelsäulensyndrom bei Beinverkürzung rechts, Coxarthrose rechts, Zustand nach Radiustrümmerfraktur rechts mit beginnender Arthrose und Zustand nach Schenkelhalsfraktur-OP leide. Die Beweglichkeit des Handgelenks rechts sei in allen Ebenen deutlich eingeschränkt. Genaue Messdaten teilte Dr. B. insoweit nicht mit. Die Flexion des rechten Hüftgelenks betrage maximal 90 Grad, die Extension 10 Grad, die Außenrotation 10 Grad, die Innenrotation 15 Grad und die Abduktion 10 Grad. Nach 150 Metern Gehstrecke bestehe eine belastungsabhängige Schmerzsymptomatik. Die LWS sei in ihrer Beweglichkeit erheblich gemindert. Auch insoweit wurden von Dr. B. keine genauen Messdaten genannt. In Ergänzung hierzu übersandte Dr. B. noch Befundberichte des behandelnden Orthopäden Dr. O. vom November und Dezember 2002, die jedoch keine anderen Befunde als die von Dr. B. bereits mitgeteilten, enthielten. Hinsichtlich des genauen Inhalts wird auf Bl. 63 - 66 der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 07.03.2003 mitgeteilt hatte, dass bei ihm nunmehr auch noch eine Arthrose im Mittelfuß/Großzehengrundgelenk festgestellt worden sei, zog der Beklagte einen weiteren Befundbericht von Dr. B. bei.

Dieser teilte mit Schreiben vom 01.08.2003 mit, dass der Kläger zusätzlich unter einer Arthrose des Mittelfußes leide. Er übersandte die bereits bekannten Befundberichte von Dr. O. sowie den OP- und den Entlassbericht des Kreiskrankenhauses Schorndorf über eine Kniearthroskopie rechts im Mai 2003. Hinsichtlich deren Inhalt wird auf Bl. 78 und 79 der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.

Mit Bescheid vom 12.09.2003 lehnte der Beklagte eine Neufeststellung nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ab, da beim Kläger nach wie vor ein GdB von 40 bestehe. Der Ärztliche Dienst des Beklagten ging nunmehr von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen aus:

Gebrauchseinschränkung beider Beine, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Arthrose (Teil-GdB 30). Gebrauchseinschränkung des rechten Armes (Teil-GdB 20). Gebrauchseinschränkung beider Füße (Teil-GdB 10).

Die leichte Sehschwäche des linken Auges und die Chondropathia patellae seien mit keinem GdB von mindestens 10 zu bewerten.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, dass sich die orthopädischen Verhältnisse seit 1996 verschlechtert hätten. Er leide unter degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, Arthrosen in der rechten Hüfte, im rechten Handgelenk sowie der Mittelfußgelenke. Seine Kniescheibe rechts sei verschoben. Er habe die Empfehlung erhalten, sich eine Hüftgelenksprothese rechts einsetzen zu lassen. Allein seine Arthrosen seien mit einem GdB von 20 - 40 zu bewerten. Auch die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule seien mit einem GdB von 20 zu bewerten. Damit sei bei ihm die Schwerbehinderteneigenschaft gegeben. Am rechten Handgelenk sei er im Jahr 2001 von Dr. J. operiert worden. Es werde angeregt, bei dieser eine Beurteilung einzuholen.

Der Beklagte zog daraufhin Befundberichte vom behandelnden Orthopäden Dr. O. vom 20.01.2004 und Dr. J. (ohne Datum) bei. Dr. O. teilte mit, der Befundverlauf habe sich deutlich verbessert. Das rechte Knie weise einen abgeklungenen bzw. rückläufigen Erguss nach OP auf, die Kniescheibe sei normal verschieblich. Dr. J. teilte mit, den Kläger nach einem Arbeitsunfall mit Handgelenksverstauchung rechts vom 22.08. bis 03.09.2001 behandelt zu haben. Er habe damals unter einer anhaltenden Bewegungseinschränkung bei Rotation unter Krafteinwirkung gelitten. Diese Einschränkung müsse aber nicht von Dauer gewesen sein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.2004 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Gegen den am 16.04.2004 zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 19.05.2004 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Begründet hat er diese damit, dass er aufgrund der orthopädischen Diagnosen und der daraus resultierenden Schmerzen deutlich in allen Lebensbereichen einschränkt sei. Insbesondere sei aufgrund der Arthrose in verschiedenen Gelenken schon von einem GdB von 50 auszugehen. Auch sei zu beachten, dass die Behinderungen verschiedene Körperregionen und Funktionssysteme beträfen und dass die erhobenen Befunde ausgehend von seinem Lebensalter von 35 Jahren erheblich von dem altersüblichen Normalzustand abwichen.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines unfallchirurgischen Gutachtens von Dr. D., Oberarzt der Klinik für Unfallchirurgie des Marienhospitals Stuttgart, vom 29.11.2004. Der Gutachter hat auf unfallchirurgischem und orthopädischem Gebiet folgende Diagnosen gestellt:

1. Endgradig eingeschränkte Beweglichkeit im rechten Handgelenk und endgradig eingeschränkte Innenrotationsbeweglichkeit des rechten Unterarms nach ursprünglichem körperfernen Speichenbruch, der in diskreter Verkürzung und den abgeflachten Speichengelenkswinkeln knöchern fest konsolidiert ist; radiologisch dokumentierte leicht- bis mittelgradig ausgeprägte Handgelenksarthrose rechts. 2. In regelrechter Rotationsstellung, jedoch in leichter Verkürzung des rechten Beines (1,5 cm) knöchern fest konsolidierter ehemaliger körperferner Oberschenkelschaftbruch und rechtsseitiger Schenkelhalsbruch mit daraus resultierenden endgradigen Bewegungseinschränkungen im rechten Hüftgelenk bei radiologisch dokumentierter leicht bis mittelgradig ausgeprägter posttraumatischer, durch den Unfall bedingte Hüftgelenksartrose. 3. Endgradig einschränkte Entfaltbarkeit der Brust- und Lendenwirbelsäule (bei radiologisch dokumentierten altersentsprechenden Verschleißerscheinung der Lendenwirbelsäule). 4. Endgradige Streckhemmung des rechten Mittel-, Ring- und Kleinfingers. 5. Radiologisch dokumentierte leicht ausgeprägte Retropatellararthrose und initiale Zeichen einer beginnenden Kniegelenksarthrose rechts, klinischer Verdacht auf eine beginnende Retropatellararthrose (Arthrose im Gelenk zwischen körperfernem Oberschenkelknochen und Kniescheibe (links) bei beidseits freier Kniegelenksbeweglichkeit. 6. Senk-/Spreizfußbildung beidseits ohne klinische Zeichen einer relevanten Minderbelastbarkeit (regelrecht durchführbare Stand- und Gangvaria beidseits).

Im Rahmen der Begutachtung am 19.11.2004 hat der FingerbO.nabstand 14 cm betragen, das Ott’sche Zeichen 30/31,5 cm, das Schober’sche Zeichen 10/14 cm. Die Bewegungsmaße des Handgelenks rechts haben handrückenwärts/hohlhandwärts 50-0-50 und ellenwärts/speichenwärts 50-0-20betragen. Die Bewegungsmaße der Hüfte haben hinsichtlich der Beugung/Streckung 5-0-100 betragen. Die Kniebeweglichkeit ist mit beidseits 0-0-130 nicht eingeschränkt gewesen.

Den Schweregrad der oben genannten Gesundheitsstörungen hat der Gutachter in Bezug auf die Streckhemmung der Finger als geringfügig, im Übrigen als leicht eingeschränkt, den Schweregrad der übrigen Gesundheitsstörungen als leicht eingeschätzt. Bewegungseinschränkungen im rechten Handgelenk, die Bewegungseinschränkung der rechten Hüfte, die endgradig eingeschränkte Entfaltbarkeit der Wirbelsäule und die beginnende Kniegelenksarthrose seien jeweils mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten. Insgesamt ergebe sich ein Gesamt-GdB von 20, da zu berücksichtigen sei, dass die Funktionsbehinderungen unterschiedliche Skelettanteile beträfen.

Der vom Kläger gegen den Sachverständigen Dr. D. gestellte Befangenheitsantrag ist vom SG abgelehnt worden, die dagegen gerichtete Beschwerde hat das LSG zurückgewiesen (Az. S 13 SB 2910/05 A und L 8 SB 4396/05 B).

Das SG hat weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von Dr. V. vom 28.07.2006. Der Gutachter hat folgende Diagnosen gestellt:

1. Zustand nach Schenkelhalsfraktur rechts, Zustand nach Osteosynthese, Zustand nach Fraktur des linken Unterschenkels, Zustand nach Osteosynthese. 2. Coxarthrose rechts. 3. Retropatellararthrose rechts mehr als links; Patelladysplasie Wiberg II beidseits, Zustand nach stationärer Arthroskopie mit lateral Release rechtes Kniegelenk, Zustand nach postoperativem Hämatom und Lavage (2003 Dr. Kramer Kreiskrankenhaus Schorndorf) rechts. 4. Statische Fußbeschwerden beidseits; Senk-Spreiz-Füße beidseits 5. Vertebragenes Syndrom der Wirbelsäule auf degenerativer Basis; Facettensyndrom lumbal; Spondylarthrose der LWS, BS-Schaden L 4/5/S1, degenerativ. 6. Cervicale Osteochondrose; Zustand nach Zerrung der HWS; Blockierung C5/6/7 mit Wurzelreizsymptomatik beidseits. 7. ACG-Arthrose linke Schulter; Impingementsyndrom linke Schulter. 8. Zustand nach Trümmerfraktur des rechten Handgelenkes, Zustand nach Osteosynthese; Handgelenksarthrose rechts; posttraumatisches Nervenkompressionssyndrom ulnare Seite rechte Hand.

Bei der Begutachtung am 31.05.2006 hat die Handgelenksbeweglichkeit rechts handrückewärts/hohlhandwärts 40-0-45 und ellen-/speichenwärts 40-0-20 betragen. Die Hüftgelenksbeweglichkeit rechts hat 5-0-100, die Kniegelenksbeweglichkeit rechts 0-0-120 und links 5-0-140 betragen. Ergusszeichen sind beidseits negativ gewesen. Die Rotation der HWS ist endgradig bewegungsschmerzhaft gewesen, das Schober’sche Zeichen hat 10/13 cm, das Ott’sche Zeichen 30/31 cm betragen.

Den Schweregrad der einzelnen Gesundheitsstörungen hat der Gutachter jeweils als mittelschwer bezeichnet. Die Gebrauchseinschränkung des linken Armes sei mit einem GdB von 20, die Gebrauchseinschränkung des rechten Armes mit einem GdB von 40, die Gebrauchseinschränkung der Wirbelsäule mit einem GdB von 40, die Gebrauchseinschränkung des rechten Beines sei mit einem GdB von 50, die des rechten Kniegelenks mit 30 und die Gebrauchseinschränkung der Füße mit einem GdB von 10 zu bewerten. Insgesamt betrage der GdB 50.

Nach Vorlage der beiden Gerichtsgutachten hat Dr. G. vom Ärztlichen Dienst des Beklagten lediglich noch einen GdB von insgesamt 30 für ausreichend erachtet, wobei er für die Wirbelsäule einen Teil-GdB von 20, die Gebrauchseinschränkung der Beine und Füße einen Teil-GdB von 20 und für die Gebrauchseinschränkung des rechten Armes lediglich noch einen Teil-GdB von 10 angesetzt hat.

Mit Urteil vom 22.02.2007 hat das SG den Beklagten verurteilt, beim Kläger ab 31.05.2006 einen GdB von 50 festzusetzen. Für die Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers sei ein Teil-GdB von 30 anzusetzen, die Kniebeschwerden des Klägers und die Schmerzen in der rechten Hüfte seien mit einem GdB von je 20 zu bewerten, die Handgelenksbeschwerden des Klägers noch mit einem GdB von 10. Die von Dr. V. angesetzten GdB-Werte seien angesichts der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP Stand 2008) zu hoch angesetzt. Hingegen seien die von Dr. D. angesetzten Teil-GdB-Werte angesichts der Erkrankungen des Klägers zu niedrig bemessen. Da eine Bewegungseinschränkung der Schultern nicht vorliege, sei insoweit kein GdB festzustellen. Entsprechendes gelte für die Mittelfußarthrose und auch für die geringgradige Sehschwäche auf dem linken Auge.

Gegen das am 14.05.2007 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 18.05.2007 Berufung mit der Begründung eingelegt, die beim Kläger vorliegenden Behinderungen rechtfertigten lediglich die Feststellung eines Gesamt-GdB von 40. Die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft durch das SG sei nicht gerechtfertigt. Im Hinblick auf die Wirbelsäule bestehe lediglich ein Teil-GdB von 20. Die Funktionsbeeinträchtigungen an der rechten Hüfte und dem rechten Kniegelenk seien insgesamt höchstens mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Dr. H., Orthopädisches Forschungsinstitut Stuttgart, vom 03.04.2008.

Der Gutachter hat folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:

1. Schmerzhafte Bewegungseinschränkung des rechten Hüftgelenks bei radiologisch nachweisbarer mäßiggradiger Hüftarthrose. 2. Schmerzhafte Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks mit diskreten arthrotischen Veränderungen im Röntgenbild 3. Schmerzhafte Funktionsstörung beider Kniegelenke bei diskreten Anzeichen einer Retropatellararthrose 4. Funktionelle Schmerzen in der Schulter-Nacken-Region ohne Hinweis auf eine relevante funktionelle O.r strukturelle Störung 5. Chronische belastungsabhängige Schmerzen der Lendenwirbelsäule ohne neurologische Begleiterscheinungen und ohne Nachweis einer gravierenden strukturellen Störung der Lendenwirbelsäule.

Anlässlich der Begutachtung am 14.03.2008 sind folgende Bewegungsmaße und Befunde erhoben worden. Der FingerbO.nabstand hat 40 cm betragen, das Ott’sche Zeichen hat 30/32 cm, das Schober’sche Zeichen 10/14 cm betragen. Die HWS ist frei beweglich gewesen, die Dornfortsätze der Lendenwirbelsäule sind druck- und klopfschmerzhaft gewesen. Trotz des großen FingerbO.nabstandes hat sich die Wirbelsäule voll entfaltet. Eine Einschränkung der Wirbelsäulenbeweglichkeit ist nicht ersichtlich gewesen. Das Handgelenk konnte rückenwärts/hohlhandwärts um 30 - 0° - 20° gebeugt bzw. gestreckt werden, speichen-/ellenwärts um 10° - 0 - 20°. Der Faustschluss rechts ist schwach möglich gewesen. Die Hüftbeugung bzw. Streckung auf der rechten Seite hat 100 - 10 - 0 betragen. Die Bewegung ist endgradig schmerzhaft gewesen. Die Beweglichkeit der Kniegelenke hat bei 0 - 0 - 140 gelegen. Es haben sich bei der Untersuchung keine Ergusszeichen gezeigt.

Den Schweregrad der Gesundheitsstörung hat der Gutachter im Hinblick auf die Funktionsbeeinträchtigungen der Hand und des Hüftgelenks als mittelschwer, hinsichtlich der Kniegelenke und der Wirbelsäule als leicht bewertet. Für die Funktionsbehinderung des rechten Hüftgelenks, die Funktionsbehinderung des rechten Handgelenks und die Wirbelsäulenbeschwerden hat er einen GdB von jeweils 20 angesetzt, für die beginnende Retropatellararthrose der Kniegelenke einen GdB von 10. Insgesamt hat er die Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 40 bewertet.

Der Senat hat ergänzenden Beweis erhoben durch Beiziehung der aktuellen Befundberichte des behandelnden Orthopäden Dr. O ... Dieser hat mit Schreiben vom 07.04.2009 drei Befundberichte vom 16.11.2006, 09.07.2008 und 21.07.2008 übersandt. Bei seinen Vorstellungen im J.li 2008 hat der Kläger bei Dr. O. über Hüftschmerzen mit deutlichem Druckschmerz geklagt. Die Beweglichkeit rechts ist deutlich eingeschränkt gewesen, wobei sich in den Befundberichten keine genauen Maßangaben finden. Auf Nachfrage des Senats hat Herr Dr. O. bestätigt, dass der Kläger ihn zuletzt am 03.07.2008 aufgesucht hat.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. Februar 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet das Urteil des SG für zutreffend. Der GdB für seine Wirbelsäulenschäden sei mit 30, für die Knorpelschäden an den Knien mit 20, für die Bewegungseinschränkungen und Schmerzen am rechten Handgelenk mit 30 und so insgesamt mit 50 zu bewerten. Er nehme mehrmals wöchentlich Ibuprofen in der Dosierung von 800 mg ein, da er unter Hüft- und Rückenschmerzen sowie Knieschmerzen leide und in seinem Alltag schwer eingeschränkt sei.

Die den Kläger betreffende Verwaltungsakte hat dem Senat ebenso wie die Verfahrensakten beider Instanzen vorgelegen. Auf den Inhalt dieser Akten und den Inhalt der Protokolle des Erörterungstermins vom 25.06.2009 und der mündlichen Verhandlung vom 05.08.2009 wird ergänzend zur näheren Darstellung des Sachverhalts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, insbesondere sind keine Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG ersichtlich.

Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des SG ist aufzuheben. Die Klage des Klägers ist abzuweisen, denn die angegriffenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Eine wesentliche Änderung im Sinne von § 48 SGB X liegt nicht vor. Der GdB des Klägers beträgt nach der Überzeugung des Senats nach wie vor 40 v.H. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen macht sich der Senat die Darstellungen des SG im Hinblick auf die maßgeblichen Rechtsgrundlagen für die Festsetzung des GdB zueigen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend ist auszuführen, dass ab dem 01.01.2009 anstelle der AHP 2008 gem. § 69 Abs. 1 Satz 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) die auf der Grundlage von § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetz erlassene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 und die dazugehörige Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG) Anwendung findet.

Die Beschwerden des Klägers im Bereich der Wirbelsäule sind mit einem GdB von 20 angemessen und ausreichend bewertet. Der Senat stützt seine Überzeugung dahingehend maßgeblich auf das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten von Dr. H., der in Übereinstimmung mit Nr. 26.18 (S. 116) der AHP bzw. Teil B Nr. 18.9 (S. 90) der VMG einen Teil-GdB von 20 ansetzt. Nach den Kriterien der AHP 2008 bzw. der VMG sind Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt mit einem GdB von 20 zu bewerten. Die Beschwerden des Klägers sind insoweit als mittelgradige funktionelle Auswirkungen zu bewerten. Ausweislich der Begutachtung durch Dr. H. war lediglich die Lendenwirbelsäule des Klägers druckschmerzhaft verspannt. Wesentliche Bewegungseinschränkungen haben im Übrigen nicht bestanden. Da der Kläger seit einem Jahr keinen Orthopäden mehr aufgesucht hat und dort zuletzt lediglich über Hüftbeschwerden geklagt hat, sind für den Senat insoweit auch keine schweren funktionellen Auswirkungen im Sinne von Wochen andauernden Wirbelsäulen-syndromen ersichtlich. Da der Kläger insoweit jedoch angegeben hat, regelmäßig Schmerzmittel einzunehmen und über die Beschwerden zumindest seit Antragstellung klagt, kann der Auffassung des Gutachters im erstinstanzlichen Verfahren Dr. D., die Wirbelsäulenbeschwerden lediglich mit einem GdB von 10 zu bewerten, nicht gefolgt werden, da hier nicht nur geringe funktionelle Auswirkungen vorliegen. Die Einschätzung des Gutachters nach § 109 SGG - Dr. V. - ist für den Senat nicht nachzuvollziehen, denn schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten, die nach den AHP bzw. VMG einen GdB von 40 rechtfertigen würden, liegen beim Kläger definitiv nicht vor.

Für die Beschwerden des rechten Hüftgelenks ist ein Teil-GdB von 20 angemessen, aber auch ausreichend. Die Hüftgelenksbeweglichkeit rechts ist nur geringgradig eingeschränkt und nach der Überzeugung des Senats auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. H. mit 20 zu bewerten. Angesichts der Vorgaben von Nr. 26.18 (S. 124) der AHP und Teil B Nr. 18.14 (S. 98 f.) der VMG ist diese Beurteilung durchaus großzügig bemessen, denn die Bewegungsmaße des Klägers haben sich erst im Laufe der Zeit verschlechtert. Im Jahr 1996 haben sie noch 0-0-130 betragen, während sie erst bei der Begutachtung durch Dr. H. im Berufungsverfahren auf 0-10-100 reduziert waren. Eine Bewegungseinschränkung geringen Grades liegt nach den Kriterien der AHP bzw. der VMG aber erst vor, wenn nur eine Beugung/Streckung bis 0-10-90° erfolgen kann. Da der Kläger eine Streckung bis 100° vornehmen kann, liegt damit die geringgradige Bewegungseinschränkung auch nur grenzwertig vor. Die geringgradige Bewegungseinschränkung (einseitig) ist nach den o.g. Bewertungskriterien mit einem GdB von 10 - 20 zu bewerten. Angesichts der Operationsindikation und der vom Kläger geltend gemachten Schmerzen erachtet der Senat in Übereinstimmung mit Dr. H. insoweit einen Teil-GdB von 20 für gegeben. Die Einschätzung des vom SG bestellten Sachverständigen Dr. D. erscheint dem Senat zu niedrig, angesichts der damals besseren Bewegungsmaße aber nicht ganz abwegig.

Die auf den Motorradunfall mit Radiustrümmerfraktur von 1986 zurückgehenden Handgelenksprobleme rechts sind nach der Überzeugung des Senates ebenfalls mit einem GdB von 20 zu bewerten. Gemäß Nr. 26.18 (S. 120) der AHP 2008 bzw. Teil B Nr. 18.13 (S. 94 f.) der VMG, ist eine Bewegungseinschränkung des Handgelenks stärkeren Grades, z.B. Streckung/Beugung bis 30-0-40 mit einem GdB von 20 - 30 zu bewerten. Die Bewegungseinschränkungen des Handgelenks sind im Jahr 1996 mit Bewegungsmaßen von 30-0-40 und bei der Begutachtung durch Dr. H. 2008 mit 30-0-20 am deutlichsten ausgeprägt gewesen. Auch ist dem Kläger zuzugestehen, dass er aufgrund der Radiustrümmerfraktur unter Schmerzen und einer Kraftminderung der rechten Hand leidet. Angesichts des Gutachtens von Dr. H. ist der Senat jedoch davon überzeugt, dass ein höherer GdB als 20 nicht besteht, zumal bei den Begutachtungen durch Dr. D. und auch durch Dr. V. erheblich geringere Bewegungseinschränkungen gemessen worden sind. Einbezogen hat der Senat insoweit auch, dass der Kläger im Hinblick auf diese Beschwerden seinen behandelnden Orthopäden seit längerem nicht mehr aufgesucht hat. Den GdB von 10, den Dr. D. bei den damals besseren Bewegungsgraden angenommen hat, erachtet der Senat aber angesichts der bestehenden Schmerzen und der Kraftminderung als zu gering. Der von Dr. V. angesetzte GdB von 40 ist für den Senat nicht nachvollziehbar, da auch eine Versteifung des Handgelenks in ungünstiger Stellung nach den AHP 2008 bzw. den VMG nur einen GdB von 30 rechtfertigen würde erst eine Versteifung des Ellenbogengelenkes in ungünstiger Position nach den AHP 2008 bzw. den VMG einen GdB von 40 rechtfertigt.

Die Knorpelschäden des rechten Kniegelenks mit dem Schweregrad II bis III sind mit einem GdB von 10 angemessen und ausreichend bewertet. Auch diesbezüglich stützt der Senat seine Überzeugung auf das Gutachten von Dr. H., der in Übereinstimmung mit den AHP und VMG den Knorpelschaden mit einem GdB von 10 bewertet. Eine Einschränkung der Kniebeweglichkeit hat bei keiner Begutachtung des Klägers bestanden. Auch hat sich nie ein Ergussbefund ergeben. In den Akten befindet sich lediglich einmal ein Ergussbefund, und zwar im Jahr 2005 als Folge der Knieoperation. Damit ist in Entsprechung von Teil B Nr. 18.14 VMG bzw. Nr. 26.18 AHP bei einseitigen Knorpelschäden mit anhaltenden Reizerscheinungen ein GdB von 10 bis 30 anzusetzen, wenn keine Bewegungseinschränkungen bestehen. Da bislang nur ein Erguss dokumentiert ist, erachtet der Senat in Übereinstimmung mit Dr. H. und Dr. D. einen GdB von 10 für ausreichend. Angesichts der klaren Vorgaben der AHP und VMG vermag der Senat auch hier der Einschätzung von Dr. V. nicht zu folgen.

Für die korrigierte leichte Sehminderung, die Mittelfußarthrose, die Divertikulitis und den operierten Nierenrindentumor war mangels Funktionsbeeinträchtigung kein GdB anzunehmen.

Der Gesamt-GdB von 40 ergibt sich hier daraus, dass sich die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers gegenseitig verstärken, weswegen in Abweichung von der generellen Regel der höchste GdB von 20 nicht um 10, sondern um 20 zu erhöhen ist (Nr. 19 Abs. 3 AHP 2008 bzw. Teil A Nr. 3c und d bb) VMG).

Damit ist das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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