L 7 SO 2561/09 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 SO 1321/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 2561/09 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 15. Mai 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschriften der §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Hierbei geht der Senat allerdings - anders als im angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts Mannheim (SG) eingangs unterstellt - davon aus, dass der Antragsteller mit seinem am 22. April 2009 beim SG gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht nur die Übernahme seiner Mietkosten durch den Antragsgegner, sondern insgesamt Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU) begehrt. In dieser Weise hat das SG zu Recht den Antrag letztlich auch sinngemäß ausgelegt.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet; das SG hat im angefochtenen Beschluss den begehrten vorläufigen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt. Ist einstweiliger Rechtsschutz weder durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt noch durch die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes (§ 86b Abs. 1 SGG) zu gewährleisten, kann nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung - vorläufige Sicherung eines bestehenden Zustandes -). Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung - vorläufige Regelung zur Nachteilsabwehr -). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht, da die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustandes nicht begehrt wird. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - und vom 04. April 2008 - L 7 AS 5626/07 - (beide juris)). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen um so niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - und vom 4. April 2008 - L 7 AS 5626/07 -; Hk-SGG/Binder, 3. Auflage, § 86b Rdnr. 33; Funke-Kaiser in Bader u.a., VwGO, 4. Auflage, § 123 Rdnr. 62; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage, Rdnr. 1245).

Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Als solcher kommt vorliegend ausschließlich ein Anspruch auf HLU nach §§ 19 Abs. 1, 27 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Betracht. Zu Recht ist das SG trotz der im Antragsschreiben vom 20. April 2009 verwandten Formulierung " Antrag von ALG II" davon ausgegegangen, dass der Antragsteller nicht Leistungen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) begehrt. Auch wenn im Antragsschreiben nicht ausdrücklich ein Antragsgegner genannt ist, ergibt sich aus der Bezugnahme auf das dem Antrag beigefügte Schreiben des Antragsgegners, dass der Antragsteller seinen Antrag nicht gegen die Neckar-Odenwald-Arbeitsgemeinschaft (NOA) als den für die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) II-Leistungen nach dem SGB II zuständigen Träger, sondern gegen den Landkreis Neckar-Odenwald-Kreis als zuständigen Sozialhilfeträger gerichtet hat. Dass der Antragsteller die Weiterbewilligung der zum 31. Januar 2009 eingestellten HLU nach dem SGB XII begehrt, ergibt sich auch daraus, dass er den "Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen einer vorläufigen Weitergewährung der Leistungen vom ALG II im Sinne der Nahtlosigkeit" (Unterstreichungen durch den Senat) beantragt hat. Da der Antragsteller bereits seit 20. Februar 2008 Leistungen nach dem SGB XII und nicht nach dem SGB II bezog, ist davon auszugehen, dass er die Fortsetzung der zuletzt gewährten Leistungen begehrt.

Ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das SG ausschließlich § 19 SGB XII als Anspruchsgrundlage in Betracht gezogen und nicht geprüft hat, ob dem Antragsteller ein Anspruch auf Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach § 41 Abs. 1 und 3 SGB XII zusteht. Denn leistungsberechtigt wäre der Antragsteller danach nur, wenn er dauerhaft voll erwerbsgemindert wäre. An der hierfür erforderlichen Feststellung durch den nach § 45 Satz 1 SGB XII, § 109a Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch zuständigen Träger der Rentenversicherung fehlt es bislang. Infolgedessen ist aufgrund der auf dem Gutachten von Dr. Brandi vom 16. Oktober 2007 beruhenden Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit vom 9. November 2007 zwar die für eine Leistungsberechtigung nach dem SGB II vorauszusetzende Erwerbsfähigkeit ausgeschlossen, Leistungen der Grundsicherung nach § 41 SGB XII sind gleichwohl (noch) nicht möglich. Dem Antragsteller kann daher allenfalls ein im Verhältnis zur Grundsicherung nach § 41 SGB XII nachrangiger Anspruch auf HLU nach § 19 Abs. 1 i. V. m. §§ 27 ff. SGB XII zustehen (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 3 SGB XII).

Anders als nach § 41 SGB XII vorausgesetzt ist die HLU nicht antragsabhängig. Dies belegt § 18 Abs. 1 SGB XII, wonach die Sozialhilfe, mit Ausnahme der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, einsetzt, sobald dem Träger der Sozialhilfe bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen. Das aus der vorliegenden Behördenakte erkennbare Beharren des Antragsgegners auf einer förmlichen Antragstellung entbehrt daher einer rechtlichen Grundlage. Einem Anspruch des Antragstellers nach § 19 SGB XII steht jedoch entgegen, dass er bislang keine hinreichenden Angaben zu seiner Bedürftigkeit gemacht hat. HLU ist nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB XII Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen können. Hiermit korrespondiert der in § 2 Abs. 1 SGB XII normierte Grundsatz des Nachrangs des Sozialhilfe, wonach Sozialhilfe nicht erhält, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderlichen Leistungen von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Da im Rahmen eines Antrags auf Eilrechtsschutz nach § 86b Abs. 2 SGG der Anordnungsanspruch nach Satz 4 der Vorschrift i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen ist, müssen die dem Anordnungsanspruch zugrunde liegenden Tatsachen überwiegend wahrscheinlich sein; die bloße Möglichkeit reicht hierfür nicht aus (Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Aufl., § 86b Rdnrn. 41, 16b). Wie das Gericht diesen Grad der Überzeugung erlangt, ob es sich hierbei auf Erklärungen des Antragstellers, auf Vorgänge aus den Verwaltungsakten oder auf sonstige Umstände bezieht, ist letztlich unerheblich. Hält das Gericht jedoch letztendlich das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen zwar für möglich, nicht aber für überwiegend wahrscheinlich, kann die beantragte einstweilige Anordnung nicht erlassen werden. Im Bereich der Sozialhilfe, ebenso wie bei Leistungen nach dem SGB II, gehören im allgemeinen die den sozialhilferechtlichen Bedarf begründenden Tatsachen zur persönlichen Sphäre des Antragstellers. Seine Einkommens- und Vermögenslage ist ebenso wie die Frage, ob Unterhalt durch Angehörige oder sonstige Hilfe durch Dritte geleistet wird, einer Aufklärung durch das Gericht oder den Leistungsträger ohne Angaben des Antragstellers selbst nicht zugänglich. Ohne entsprechende Erklärungen kann daher ein sozialhilferechtlicher Bedarf grundsätzlich nicht festgestellt werden. Da der Antragsteller weder im Verwaltungsverfahren gegenüber dem Antragsgegner, noch im gerichtlichen Verfahren trotz ausdrücklicher Aufforderung durch gerichtliche Verfügung vom 9. Juni 2009, seine Einkommen- und Vermögensverhältnisse mitzuteilen und den von ihm geltend gemachten Bedarf einschließlich der tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft zu beziffern, keinerlei Angaben zu seiner wirtschaftlichen Situation gemacht und auch nicht angegeben hat, wie er für seinen Lebensunterhalt seit 1. Februar 2009 ohne die ihm verweigerten Sozialhilfeleistungen aufgekommen ist, steht derzeit nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, dass er bedürftig ist i. S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Das Bemühen des Gerichts, im Rahmen eines Erörterungstermins den Sachverhalt weiter aufzuklären, blieb erfolglos, da sich der Antragsteller trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens anlässlich eines Telefonats mit dem Berichterstatter geweigert hat, hieran teilzunehmen. Bei dieser Gelegenheit hat der Antragsteller weiter erklärt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohnehin nur gestellt zu haben, um zu erreichen, dass die Akten an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden. Da der Antragsteller auch im Schreiben vom 27. August 2009 von gegen ihn gerichteten Straftaten berichtet (Freiheitsberaubung im Amt, gefährliche Körperverletzung im Amt) sowie einen schweren Raub angezeigt haben will und nochmals auf die Verpflichtung des Gerichts hinweist, die Angelegenheit weiterzuleiten, muss im Übrigen bezweifelt werden, ob ein den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigendes Eilbedürfnis besteht, da es dem Antragsteller ersichtlich um ganz andere Belange zu gehen scheint als um die kurzfristige vorläufige Behebung einer existenziellen Notlage. Insgesamt fehlt es somit an der Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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