L 12 U 3620/09 KO-A

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 U 3620/09 KO-A
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Vergütung des Antragstellers für das Gutachten vom 1. August 2009 wird auf 1.380,50 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

In dem beim Landessozialgericht (LSG) Baden- Württemberg anhängigen Berufungsverfahren L 9 U 3539/08 geht es um die Feststellung zusätzlicher Unfallfolgen aus einem Arbeitsunfall sowie die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung.

Im Februar 2009 ist der Antragsteller unter Beifügung von 407 Bl. Akten auf Antrag des Klägers zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und um die Erstattung eines Gutachtens gebeten worden. Unter dem Datum des 1. August 2009 hat er sein 38-seitiges orthopädisches Gutachten (davon 11 Seiten Wiedergabe der Anamnese und Darstellung der Befunde, 2 Seiten Darstellung mitgebrachter Röntgenaufnahmen und 20 Seiten zusammenfassende Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen) erstattet, wofür er eine Vergütung in Höhe von insgesamt 3.615,22 Euro verlangt. Abgerechnet hat der Antragsteller 35 Stunden zu 85 Euro, Schreibgebühren und Porto. Das Gutachten umfasst ca. 38.796 Anschläge.

Der Kostenbeamte hat 10,5 Stunden zu einem Stundensatz von 85 Euro, antragsgemäß Schreibgebühren und das verauslagte Porto, insgesamt einen Betrag von 1.137,05 Euro vergütet.

Hiergegen hat der Antragsteller richterliche Festsetzung beantragt. Es handele sich um ein Obergutachten, bei dem zu mehreren voran gegangenen wissenschaftlich begründeten Gutachten Stellung genommen werden musste. Dies stelle einen erheblichen Arbeitsaufwand dar. Die berechnete Summe decke in keinster Weise den entstandenen Aufwand und sei nicht adäquat. Das Diktat sei nicht während der Untersuchung und Anamnese erfolgt, weshalb hierfür zusätzlich Zeit angesetzt werden müsse. Bezüglich des Aufwands des Studiums der Akten unterscheide sich die Maßgabe von 200 Aktenseiten mit bis zu 50% gutachtensrelevantem Anteil mit Ansatz für eine Stunde deutlich von dem Ansatz aller anderen Gerichte. Das LSG Nordrhein-Westfalen habe festgesetzt, dass ein durchschnittlich befähigter medizinischer Sachverständige in der Regel innerhalb einer Stunde 50 Seiten einer mit medizinischen Angaben durchsetzten Akte erfassen könne. Dieser Erfahrungswert werde auch von anderen Landessozialgerichten geteilt (unter Hinweis auf LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 31. Juli 2002 - L 4 SF 6/01 -; LSG Thüringen, Beschluss vom 1. August 2003 - L 6 SF 220/03 -). Für Diktat von Anamnese und Befund seien entsprechend der Rechtsprechung in Bayern für vier Seiten eine Stunde anzusetzen. Die Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen sei bei einem Obergutachten, bei dem der Unterschied zu den Vorgutachten diskutiert werden müsse, ausgesprochen aufwendig. Hier sei es nicht möglich, zweieinhalb Seiten innerhalb von einer Stunde abzufassen. In diesem Arbeitsschritt werde die eigentliche Gedankenarbeit im Hinblick auf die Beweisfrage sowie die diktatreife Vorbereitung abgegolten. Entsprechend werde hier pro Seite eine Stunde Arbeitszeit abgerechnet (unter Hinweis auf LSG Nordrhein- Westfalen). Zusätzlich müsse Einspruch gegen die Auslegung der Standardseite erhoben werden. Zu den angenommenen 2.700 Anschlägen gebe es klar differierende Rechtsprechung. Für die Korrektur werde eine Stunde für vier Seiten angesetzt. Auch der Aufwand der Literatursuche und des Literaturstudiums sei zusätzlich zu berücksichtigen, da bei einem Gutachten mit Stellungnahme zu mehreren differierenden Vorgutachten das allgemeine medizinische Sachverständnis nicht ausreichend für eine fundierte Beurteilung sei, sondern eine Beurteilung anhand der Begründung der medizinischen Literatur notwendig sei. Die vorgeschlagene Vergütung könne absolut nicht als ausreichend angesehen werden. Sie entspreche nicht dem erheblichen Arbeitsaufwand, der hinter der Erstellung stecke. Nach Abzug der Schreibauslagen verblieben 892,50 Euro für den Sachverständigen, von denen er nochmals 24 % pauschal an das Universitätsklinikum entsprechend den gesetzlichen Vorschriften abgeben müsse. Es sei nicht einzusehen, warum das LSG Baden-Württemberg ohne vorherigen Hinweis an den Gutachter so stark von der üblichen Abrechnungspraxis bei Gutachtensaufträgen abweiche.

Im Einzelnen stehen sich folgende Beurteilungen gegenüber:

Zeitaufwand in Stunden Antragsteller Kostenbeamter Aktendurchsicht u. Literaturstudium 3 2 (ohne Literaturstudium) Untersuchung und Anamnese 2 2 Ausarbeitung Gutachten 20 4 (einschließlich Diktat) Beurteilung Röntgenbilder 0,5 0,5 Diktat und Durchsicht 9,5 0,5 Diktat Anamnese/Befunde 1,2 Korrektur Gesamtzeitaufwand 35 10,5 (gerundet).

II.

Im vorliegenden Fall finden die Regelungen des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern Übersetzerinnen- und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritte (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG)) Anwendung, weil der Gutachtensauftrag nach dem 30. Juni 2004 an den Antragsteller erteilt worden ist (§ 25 Satz 1 JVEG).

Der Senat entscheidet nach § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG in voller Besetzung, nachdem die Einzelrichterin das Verfahren auf den Senat übertragen hat.

Nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 JVEG erhält der Sachverständige als Vergütung ein Honorar für seine Leistungen, das nach Stundensätzen bemessen ist. Dementsprechend wird es gemäß § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit gewährt, wobei die letzte bereits begonnene Stunde voll gerechnet wird, wenn sie zu mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war; anderenfalls beträgt das Honorar die Hälfte des sich für eine volle Stunde ergebenden Betrages. Für die Ermittlung der Anzahl der zu vergütenden Stunden kommt es nicht auf die vom Sachverständigen tatsächlich aufgewandten Stunden an. Die Zeit, die erforderlich ist, hängt nicht von der individuellen Arbeitsweise des jeweiligen Sachverständigen ab, sondern ist nach einem objektiven Maßstab zu bestimmen (Meyer/Höver/Bach, JVEG, 24. Aufl., § 8 Rdnr. 8.48).

Medizinische Sachverständige erhalten nach § 9 Abs. 1 JVEG für jede Stunde ein Honorar in Höhe von 50, 60 oder 85 Euro, je nachdem, welcher Honorargruppe (M1 - M3) das von ihnen erstattete Gutachten nach der Anlage 1 JVEG zuzuordnen ist. Die Zuordnung zur Honorargruppe M 3 ist vorliegend zu Recht nicht umstritten.

Aus § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG ergibt sich, dass sich die Anzahl der zu vergütenden Stunden nicht daran orientiert, wie viele Stunden der Sachverständige zur Erstattung des Gutachtens aufgewandt hat, sondern daran, wie viele Stunden für die Erstattung des Gutachtens erforderlich, also notwendig waren.

Wie bisher schon kann auch unter der Geltung des JVEG davon ausgegangen werden, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich aufgewandte Zeit richtig sind und dass die vom Sachverständigen zur Vergütung verlangten Stunden für die Erstellung des Gutachtens auch notwendig waren. Dementsprechend findet regelmäßig nur eine Plausibilitätsprüfung der Kostenrechnung anhand allgemeiner Erfahrungswerte statt (Beschluss des Senats vom 22. September 2004 - L 12 RJ 3686/04 KO-A -). Zur weiteren Darstellung der Plausibilitätsprüfung selbst wird auf die zutreffenden Ausführungen im Schreiben des Kostenbeamten verwiesen.

Zusammenfassend gestaltet sich die kostenrechtliche Prüfung demnach so (Beschluss v. 5. April 2005 - L 12 SB 795/05 KO-A - (juris)), dass in einem ersten Schritt im Rahmen der Plausibilitätsprüfung das Gutachten und seine einzelnen Teile auf sogenannte Standardseiten mit 2.700 Anschlägen je Seite umgerechnet wird und anhand von Erfahrungswerten (Blätter je Stunde im Fall der Aktendurchsicht bzw. Seiten je Stunde) für die jeweilige Tätigkeit (Aktendurchsicht, Diktat von Anamnese und Befunden, Beurteilung einschließlich Beantwortung der Beweisfragen, Korrektur) ein Zeitaufwand ermittelt wird, der im Fall eines Routinegutachtens zu erwarten ist. Überschreitet der Sachverständige mit seinem geltend gemachten Zeitaufwand das Ergebnis dieser Plausibilitätsprüfung, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob sich - insbesondere aus dem Gutachten selbst unter Berücksichtigung des tatsächlichen Zeitaufwandes und ggf. vom Sachverständigen dargelegter Umstände - Hinweise ergeben, die eine Abweichung vom Ergebnis der Plausibilitätsprüfung rechtfertigen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Sachverständige eine Kostenrechnung vorlegt, anhand derer eine solche Prüfung vorgenommen werden kann. Dies ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn der Sachverständige die Kostenrechnung unter Mitteilung seines tatsächlichen Zeitaufwandes entsprechend der Vorgaben verfasst, wie sie ihm im Hinweisblatt mitgeteilt worden sind. Diese Anforderungen hat der Antragsteller erfüllt.

Eine Abweichung von diesen nach der ständigen Rechtsprechung des Kostensenats geltenden Grundsätzen ist nicht deshalb geboten, weil von anderen Obergerichten zum Teil abweichende Festsetzungen und andere Erfahrungssätze entwickelt wurden (z.B. LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17. Juli 2009 - L 1 SF 30/09 KO - (juris): Aktendurchsicht 100 - 150 Blatt pro Stunde; Standardseite = 2.000 Anschläge; Hessisches LSG, Beschluss vom 27. Februar 2007 - L 2 SF 112/05 P - (juris): Aktendurchsicht 75 Blatt pro Stunde, Standardseite 1.800 Anschläge). Der Senat ist sich durchaus bewusst, dass die abweichenden Beurteilungen hinsichtlich der Vergütung für medizinische Gutachten in der Sozialgerichtsbarkeit insbesondere für Gutachter misslich sind, die wie der Antragsteller für unterschiedliche Obergerichte gutachtlich tätig sind. Für eine verbindliche länderübergreifende Vereinheitlichung besteht jedoch derzeit keine Grundlage. Die divergierenden Auffassungen bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "erforderlichen Zeit" nach § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG sind daher hinzunehmen.

Soweit der Kostenbeamte vorliegend abgelehnt hat, Zeitaufwand für das Literaturstudium anzuerkennen, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar gilt grundsätzlich, dass der Zeitaufwand für ein Literaturstudium nur im Ausnahmefall anerkannt werden kann, denn ein allgemeines Literaturstudium, dass lediglich auf den Erwerb des von einem Gutachter zu erwartenden Kenntnisstandes gerichtet ist, ist nicht zu vergüten (vgl. LSG Baden- Württemberg, Beschluss vom 18. März 1977 - L 9 KO 145/76-2 -; Bayerisches LSG, Beschluss vom 15. Juni 2009 - L 15 SF 129/09 BE - (beide juris)). Anderes gilt jedoch, wenn - wie hier - ganz spezielle Fragestellungen zu untersuchen sind. Angesichts der bereits vorhandenen und von Spezialisten des Fachgebiets gefertigten Vorgutachten war ein spezielles Literaturstudium zur vertieften Auseinandersetzung erforderlich. Der Antragsteller hat insgesamt für Akten- und Literaturstudium einen Zeitaufwand von drei Stunden angesetzt. Angesichts der nach der Plausibilitätsprüfung nicht zu beanstandenden zwei Stunden für das Aktenstudium verbleibt somit eine Stunde für das Literaturstudium, welche hier als angemessen anerkannt werden kann, so dass die insgesamt angegebenen drei Stunden antragsgemäß zu entschädigen sind.

Die nach der vom Kostenbeamten zutreffend vorgenommenen Plausibilitätsprüfung allerdings noch vorzunehmende weitere Prüfung, ob sich Hinweise ergeben, die eine Abweichung vom Ergebnis der Plausibilitätsprüfung rechtfertigen, ergibt hier teilweise höhere Werte. Nicht zu beanstanden ist der Ansatz von 0,5 Stunden für das Diktat von Anamnese und Befunden, der entgegen der Befürchtung des Antragstellers unabhängig von der Untersuchungszeit bereits anerkannt ist. Ebenso nicht zu beanstanden ist der Ansatz von 1,2 Stunden für die abschließende Durchsicht und Korrektur. Insoweit sind weder aus dem Gutachten noch aus dem Vorbringen des Antragstellers Anhaltspunkte ersichtlich, die einen erhöhten Zeitaufwand begründen könnten. Indes erscheint dem Senat der Ansatz von lediglich vier Stunden nach der Plausibilitätsprüfung für die Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen einschließlich Diktat im Hinblick auf den Inhalt des Gutachtens und die erforderliche Auseinandersetzung mit den Vorgutachten nicht angemessen. Auf der anderen Seite erscheinen die vom Antragsteller für die Ausarbeitung des Gutachtens selbst angegebenen 20 Stunden als deutlich überhöht. Angesichts der Komplexität der Angelegenheit und der stringent gefassten Darstellung ohne überflüssige Wiederholungen hält es der Senat für angemessen, die nach der Plausibilitätsprüfung erforderliche Zeit zu verdoppeln, so dass insgesamt für die Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen einschließlich Diktat acht Stunden anzusetzen sind. Damit wird jedoch dem Aufwand des Antragstellers in ausreichendem Maße entsprochen.

Zusammengefasst sind damit 15,5 Stunden zu je 85 Euro zu vergüten. Einschließlich der unstreitigen Positionen (Schreibgebühren und Porto) ergibt sich somit eine festzusetzende Vergütung in Höhe von 1.380,50 Euro.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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