L 7 SO 3838/09 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 2345/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3838/09 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 23. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die unter Beachtung der Vorschriften der §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 143 SGG. Denn in der Hauptsache wäre die auf Verurteilung der Beklagten zur Erteilung einer Zustimmung nach § 29 Abs. 1 Sätze 5, 7 und 8 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gerichtete Klage kraft Gesetzes berufungsfähig, da sie nicht Geld-, Dienst- oder Sachleistungen oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt beträfe und daher nicht der Zulassungsbeschränkung nach § 144 Abs. 1 SGG unterläge.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet; das Sozialgericht Mannheim (SG) hat im angefochtenen Beschluss den begehrten vorläufigen Rechtsschutz zu Recht abgelehnt. Ist einstweiliger Rechtsschutz weder durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt noch durch die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes (§ 86b Abs. 1 SGG) zu gewährleisten, kann nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung - vorläufige Sicherung eines bestehenden Zustandes -). Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis statthaft, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung - vorläufige Regelung zur Nachteilsabwehr -). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht, da die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustandes nicht begehrt wird. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - und vom 04. April 2008 - L 7 AS 5626/07 - (beide juris)). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen um so niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz unter Umständen nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. z.B. Beschlüsse vom 11. Juni 2008 - L 7 AS 2309/08 ER-B - und vom 4. April 2008 - L 7 AS 5626/07 -; Hk-SGG/Binder, 3. Auflage, § 86b Rdnr. 33; Funke-Kaiser in Bader u.a., VwGO, 4. Auflage, § 123 Rdnr. 62; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage, Rdnr. 1245).

Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Ein solcher kann sich für die am Williams-Beuren-Syndrom erkrankte, schwerbehinderte (Grad der Behinderung: 100) und dauerhaft voll erwerbsgeminderte 26-jährige Antragstellerin vorliegend nur aus § 42 Satz 1 Nr. 2 SGB XII i. V. m. § 29 Abs. 1 Sätze 5, 7 und 8 SGB XII ergeben. Danach gelten im Falle eines Wohnungswechsels die folgenden Bestimmungen: Sind die Aufwendungen für die neue Unterkunft unangemessen hoch, ist der Träger der Sozialhilfe nur zur Übernahme angemessener Aufwendungen verpflichtet, es sei denn, er hat den darüber hinausgehenden Aufwendungen vorher zugestimmt (Satz 5). Wohnungsbeschaffungskosten, Mietkaution und Umzugskosten können bei vorheriger Zustimmung durch den Träger der Sozialhilfe übernommen werden; Mietkautionen sollen als Darlehen erbracht werden (Satz 7). Eine Zustimmung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den Träger der Sozialhilfe veranlasst wird oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zustimmung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann (Satz 8). Vergleichbare Regelungen finden sich in § 22 Abs. 2 und 3 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Nachdem der Mietvertrag für die bisherige Mietwohnung der Antragstellerin, in der sie mit ihrer zur Betreuerin bestellten Mutter lebt, bereits zum 31. März 2009 wegen Eigenbedarfs des Vermieters gekündigt worden ist, ist der Auszug aus der Wohnung zwar nicht durch den Antragsgegner veranlasst, jedoch aus anderen Gründen notwendig. Dies wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Antragstellerin form- und fristgerecht der Kündigung widersprochen hat und ein gerichtliches Räumungsverfahren derzeit wohl noch nicht eingeleitet worden ist.

Der Antrag hat gleichwohl keinen Erfolg. Eine Zustimmung nach § 29 Abs. 1 SGB XII, die rechtlich als Zusicherung im Sinne des § 34 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu qualifizieren ist (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 2. Auflage, § 22 Rdnr. 106; Schmidt in Oestreicher, SGB II, § 22 Rdnr. 125), kann nämlich erst dann abgegeben werden, wenn dem Sozialhilfeträger ein bestimmtes, nach Lage der Wohnung sowie den aufzuwendenden Kosten konkretisiertes Wohnungsangebot vorliegt (st. Rspr. des Senats zur insoweit vergleichbaren Zustimmung nach § 22 Abs. 2 und 3 SGB II, vgl. Urteil vom 25. Juni 2009 - L 7 AS 4590/07 -, Beschlüsse vom 30. Juli 2008 - L 7 AS 2809/08 ER-B- (juris) und vom 26. August 2009 - L 7 SO 2194/09 ER-B; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 7. September 2007 - L 9 AS 489/07 ER - (juris)). Für § 29 Abs. 1 Satz 5 SGB XII ergibt sich dies auch daraus, dass die Zustimmung in Abhängigkeit zur Angemessenheit der künftigen Aufwendungen steht. Eine entsprechende Prüfung setzt die Kenntnis von den Kosten für die neue Unterkunft voraus. Auch der Wortlaut des § 29 Abs. 1 Satz 5 SGB XII, der von den Aufwendungen "für die neue Unterkunft" und nicht von den Aufwendungen für eine neue Unterkunft spricht, belegt, dass die Zusicherung nur im Hinblick auf eine konkrete neue Unterkunft abgegeben werden kann. Dass auch die Zustimmung für die Übernahme der mit dem Umzug verbundenen weiteren Kosten nach § 29 Abs. 1 Satz 7 SGB XII nur für eine bestimmte neue Unterkunft erteilt werden kann, ergibt sich schon daraus, dass diese Kosten erst beziffert werden können, wenn feststeht, wohin der Umzug erfolgen soll und ob und wenn ja in welcher Höhe für die neue Wohnung eine Mietkaution verlangt wird. Die Erteilung einer Zustimmung nach § 29 Abs. 1 SGB XII setzt somit die Angabe der Unterkunft voraus, in die die Antragstellerin beabsichtigt umzuziehen. Andernfalls wäre der Antragsgegner zu einer künftigen Sachbehandlung verpflichtet, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt so hinsichtlich ihrer rechtlichen Voraussetzungen nicht beurteilt werden kann, weil etwa das Kriterium der Angemessenheit erst anhand eines konkreten Wohnungsangebots geprüft werden kann. Mit der schriftlichen Zusicherung erteilt die Behörde jedoch eine rechtlich verbindliche Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Hierdurch soll dem Adressaten die Gewissheit verschafft werden, dass seine Aufwendungen zu dem beabsichtigten Erfolg führen (BSGE 56, 249, 251). Eine derartige den Antragsgegner bindende Zusage ist indes im gegenwärtigen Verfahrensstadium aufgrund der fehlenden Prüfungsvoraussetzungen nicht möglich. Denn die Wohnung, in die die Antragstellerin umziehen wollte und für die sie im Verwaltungs- und erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren eine Zustimmung erstrebt hat, wurde ausweislich des Schriftsatzes des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 9. September 2009 mittlerweile an eine andere Mietpartei vergeben und steht daher nicht mehr zur Verfügung. Es bedarf daher auch keiner Entscheidung darüber, ob - wie vom Antragsgegner beanstandet - die vorgelegte Mietbescheinigung wegen der darin enthaltenen widersprüchlichen Angaben als konkretes Wohnungsangebot zu bewerten ist. Ebenso wenig ist deshalb entscheidungserheblich, ob für die neue Unterkunft unangemessen hohe Aufwendungen i. S. des § 29 Abs. 1 Satz 5 SGB XII entstanden wären, wovon das SG in dem angefochtenen Beschluss bei einer Kaltmiete von 500 EUR/Monat ausgegangen ist. Da die Antragstellerin keine konkrete neue Unterkunft angegeben hat, in die sie umzuziehen wünscht, und daher auch weder deren Kosten noch die Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten oder die Höhe einer Mietkaution beziffern kann, fehlt es an den notwendigen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erteilung einer Zustimmung nach § 29 Abs. 1 SGB XII. Hierbei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin nicht im Beschwerdeverfahren eine im bisherigen Verlauf des Verfahrens zur Prüfung gestellte Wohnung gegen eine andere Unterkunft austauschen kann, sondern für diese neue Unterkunft zunächst im Verwaltungsverfahren und ggf. bei besonderer Eilbedürftigkeit unmittelbar durch Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem erstinstanzlich zuständigen Sozialgericht im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Zustimmung nach § 29 Abs. 1 SGB XII beantragen muss (vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 2009 - L 7 AS 3874/09 ER-B -; Sozialgericht Mannheim, Beschluss vom 18. Juni 2009 - S 9 SO 1827/09 -). Hierdurch wird auch nicht etwa der verfassungsmäßige Anspruch der Antragstellerin auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) in Frage gestellt. Gerade das vorliegende Verfahren zeigt, dass es der Antragstellerin trotz enger zeitlicher Vorgaben möglich ist, eine gerichtliche Entscheidung über das Bestehen eines Anspruchs auf Erteilung einer Zustimmung nach § 29 Abs. 1 SGB XII zu erlangen. Ein weitergehender Anspruch lässt sich aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht ableiten. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG gewährleistet die Rechtsschutzgarantie zwar einen effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt, die Verfassung fordert jedoch keinen Instanzenzug (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 3078/07 - NVwZ-RR 2009, 409).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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