S 15 R 2430/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 15 R 2430/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Witwenrente. Die 1953 geborene Klägerin ist die Witwe des am 19.02.1954 geborenen und am 15.05.2003 verstorbenen Versicherten H M S, geb. D. Der Versicherte bezog seit 1995 eine Rente wegen Erwerbunfähigkeit von der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg. Mit dem Versicherten war die Klägerin seit dem 10.11.2002 verheiratet. Am 15.06.2003 verstarb der Versicherte. Die Klägerin beantragte am 05.09.2003 die Gewährung einer Witwenrente nach dem Versicherten. Auf ein Anschreiben der Beklagten vom 06.10.2003, mit dem die Klägerin zur Widerlegung der Vermutung der Versorgungsehe aufgefordert wurde, machte die Klägerin folgendes geltend: Zum Zeitpunkt der Eheschließung sei mit einem Ableben ihres Ehemannes nicht zu rechnen gewesen. Sie habe den Versicherten bis Mai 2003 gepflegt, erst danach sei dieser ins Krankenhaus gekommen. Auch habe mit der Eheschließung weder eine Versorgung des Versicherten, noch ihrer Person stattgefunden. Vielmehr sei sie selbständig und habe sowohl vor, als auch während der Ehe und auch weiterhin ihren Lebensunterhalt selbst bestritten. Im Jahr 2002 habe der vorläufig errechnete Gewinn aus ihrer selbständigen Tätigkeit 4785,- Euro betragen, für das Jahr 2003 liege die Gewinnschätzung bei 6000,- Euro. Über weiteres Einkommen verfügt die Klägerin nach ihren Angaben nicht. Der Aufforderung der Beklagten, medizinische Unterlagen zum Nachweis, dass der Tod nicht vorhersehbar war, einzureichen, kam die Klägerin nicht nach. Durch Bescheid vom 23.02.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung der Witwenrente ab. Es bestehe gemäß § 46 Abs. 2 SGB VI in der seit dem 01.01.2002 geltenden Fassung die Vermutung der Versorgungsehe, die nicht widerlegt worden sei. Am 18.03.2004 legte die Klägerin Widerspruch ein, der nicht weiter begründet wurde. Durch Widerspruchsbescheid vom 29.03.2005 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die bestehende gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe sei nicht widerlegt worden. Die Klägerin habe nicht über ausreichendes Einkommen verfügt, um die Vermutung zu widerlegen, da allein aus den von ihr gemeldeten Einkünften sie nicht in der Lage gewesen sei, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Zudem sei nach den Angaben der Klägerin von einer langjährigen Erkrankung des Versicherten auszugehen, die gegen ein nicht vorhersehbares Ableben sprechen würden. Dagegen richtet sich die Klage vom 13.05.2005. Die Klägerin macht geltend, dass vorliegend die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe widerlegt sei. Die Ehe sei nicht überwiegend aus Versorgungsgründen geschlossen worden. Die Klägerin und ihr späterer Ehemann hätten sich bereits seit den 90er Jahren gekannt und seit 1999 zusammen gelebt. Seit Anfang 2000 habe eine eheähnliche Lebensgemeinschaft bestanden, wobei beide Partner von Beginn an die Absicht gehabt hätten, zu heiraten. Dabei seien Versorgungsüberlegungen nicht einmal angedacht gewesen. Zu heiraten sei für beide Partner ein Herzenswunsch gewesen, den zu erfüllen sie zunächst keine Zeit gefunden hätten. Zum Zeitpunkt der Eheschließung, die am 10.11.2002 am Krankenbett des Versicherten stattgefunden habe, sei nicht erkennbar gewesen, dass der Versicherte in absehbarer Zeit sterben würde. Zwar sei bei dem Versicherten im Jahr 1999 ein peripheres, nicht kleinzelliges Bronchialkarzinom mit nachfolgendem Pleurakarzinom entdeckt worden. Der Verlauf der Krankheit habe jedoch zu einer Stabilisierung geführt. Wegen einer ausgedehnten Metastasierung sei eine operative Entfernung der Metastasen nicht in Betracht gekommen, so dass eine palliative Chemotherapie durchgeführt worden sei. Diese habe zeitweise zu einer Besserung der Beschwerden geführt. Erst im Oktober 2002 sei eine Verschlechterung insoweit eingetreten, als beim Versicherten das Auftreten von Hirnmetastasen festgestellt worden sei. Zur Vorbereitung der anstehenden Hirnoperation habe sich der Versicherte zum Zeitpunkt des Eheschlusses im Krankenhaus befunden. Zu der Eheschließung hätten sich die Klägerin und der Versicherte kurzfristig entschlossen, allerdings nicht in der Erwartung, dass der erst 48-Jährige Versicherte in absehbarer Zeit sterben würde. Vielmehr sei die Eheschließung am Krankenbett ein Zeichen der gegenseitigen Liebe und damit für den Versicherten ein psychischer Moment der Stärkung und des inneren Aufbaus angesichts seiner Entscheidung, sich der empfohlenen Hirnoperation zu unterziehen, gewesen. Diese Operation habe im Dezember 2002 stattgefunden und sei erfolgreich verlaufen, so dass der Versicherte in die häusliche Pflege habe entlassen werde können. Erst im Juni 2003 habe sich sein Zustand wieder verschlechtert, so dass er ins Krankenhaus gekommen sei, wo er unerwartet verstorben sei. Die Klägerin reicht mit der Klage diverse Arztberichte der Charité vom 10.10.1999, 01.05.2002, 07.11.2000, 11.12.2001, 18.12.2001, 01.04.2003 sowie einen Bericht des Dr. Böttger vom 26.08.2000, einen Untersuchungsbefund des Dr. H vom 04.04.2001, und diverse Berichte des Dr. S, alle datierend vom 01.05.2002 und wohl tatsächlich geschrieben am 01.05.2002, im November 2002, im Januar 2003 sowie April 2003, ein, auf deren Inhalte Bezug genommen wird. Weiterhin führt die Klägerin aus, dass sie seit 1987 selbständig sei und ihren Lebensunterhalt selbst bestreite. Altervorsorge habe sie in Form mehrerer Kapitallebensversicherungen/Rentenversicherungen getroffen, aus denen zwar keine üppigen Beträge zu erwarten seien, die jedoch eine Grundversorgung bieten würden. Ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen ihrer Altersvorsorgeverträge hat diese im Jahr 2008 eine Versicherungssumme von 31.322,- Euro, sowie 31.250,- Euro zu erwarten; ab dem 01.01.2017 hat sie zudem Anspruch auf eine lebenslange Garantierente von 150,55 Euro, alternativ auf einen Einmalbetrag in Höhe von 32.511,- Euro. Die Klägerin beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die große Witwenrente aus der Versicherung ihres am 15. Juni 2003 verstorbenen Ehemannes M S, geborener D, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nicht für widerlegt. Es sei keiner der von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmetatbestände gegeben, insbesondere nicht die Unabsehbarkeit des Todes zum Zeitpunkt der Eheschließung. Der Versicherte habe sich zum Zeitpunkt der Eheschließung bereits seit dem 30.10.2002 im Krankenhaus befunden und sich einer Ganzhirnbestrahlung unterziehen müssen. Die stationäre Aufnahme sei erfolgt, da neurologische Ausfälle aufgetreten seien. Zum Zeitpunkt der Eheschließung sei sowohl dem Versicherten, als auch der Klägerin die bevorstehende Hirnoperation bekannt gewesen. Danach werde die Vermutung, dass der Versorgungsgedanke bei der Eheschließung im Vordergrund gestanden habe, verstärkt. Zudem sei die eigene Absicherung der Klägerin und die geltend gemachte Dauer der vor der Eheschließung bereits ausgeübten gemeinsamen Lebensführung kein überwiegendes Indiz gegen eine Versorgungsehe. Das Gericht hat im vorbereitenden Verfahren Befundberichte des Dr. W vom 18.07.2006 sowie des Dr. B vom 21.08.2006 sowie 01.12.2006 eingeholt. Auf den Inhalt der medizinischen Ermittlungen wird Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin nähere Angaben zu der Krankheit des Versicherten, der Eheschließung sowie ihrem Wissen über den Verlauf der Erkrankung gemacht. Auf den Inhalt des Protokolls wird insofern Bezug genommen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Akten der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Witwenrente zu. Zwar sind die gesetzlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf die begehrte Hinterbliebenenrente nach § 46 Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch, 6. Buch - SGB VI, erfüllt, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist. Es liegt jedoch der Ausschlussgrund des § 46 Abs. 2 a SGB VI vor. Danach haben Witwen oder Witwer keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn die Ehe nicht mindestens 1 Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Diese gesetzliche Bestimmung ist mit Wirkung zum 01.01.2002 in das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung eingeführt worden und entspricht den Regelungen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. § 65 Abs. 6 SGB VII) und des Bundesversorgungsgesetzes (vgl. § 38 Abs. 2 BVG) sowie entsprechenden beamtenrechtlichen Bestimmungen. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor. Die Eheschließung der Klägerin mit dem Versicherten erfolgte am 10.11.2002, und der Tod trat innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung, am 15.06.2003, ein. Damit besteht die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe. Die Anknüpfung an eine Ehedauer von weniger als 1 Jahr enthält eine gesetzliche Vermutung, mit der unterstellt wird, dass beim Tod des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war. Diese gesetzliche Vermutung ist allerdings widerlegbar. Sie ist widerlegt, wenn Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine Versorgungsehe schließen lassen. Die Widerlegung dieser Rechtsvermutung erfordert nach § 202 SGG i.V.m. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) grundsätzlich den vollen Beweis des Gegenteils (BSG, SozR 3100 § 38 Nr. 5). Danach ist Vermutung nur dann widerlegt, wenn die Abwägung aller zur Eheschließung führenden Motive beider Ehegatten ergibt, dass es insgesamt nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen. Dabei können die Motive, die § 46 Abs. 2 a SGB VI aufgrund äußerer Umstände vermutet, auch durch entgegenstehende äußere Umstände widerlegt werden. Die Kammer vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass es insgesamt nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe ist nicht dadurch widerlegt, dass der baldige Tod des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht vorhersehbar war. Nach den vorliegenden medizinischen Ermittlungen war –auch aus Sicht der Klägerin- der Tod des Versicherten auf absehbare Zeit zu erwarten. Der Versicherte war unheilbar an Lungenkrebs erkrankt. Es war, wie insbesondere die Auswertung der Krankenhausberichte ergibt, zur Überzeugung der Kammer bereits im Zeitpunkt der Eheschließung mit dem baldigen tödlichen Verlauf der Krankheit zu rechnen. Zwar hatte die Chemotherapie dazu geführt, dass der Verlauf der Krankheit, für die aufgrund der Metastasierung mit Pleuraerguss keine Operabilität mehr bestand, verlangsamt wurde. Dennoch kam es im Oktober zu einer Metastasierung im Kleinhirn, die zunächst eine intensive Bestrahlung und alsdann eine lebensgefährliche Hirnoperation erforderlich machte. Zudem war der Versicherte über die Befunderhebung jederzeit informiert, wie sich aus den Befundberichten der Dr. W und Dr. B ergibt. Dr. B teilt zudem mit, dass bei der Erkrankung des Versicherten eine durchschnittliche Überlebenszeit von 9-11 Monaten bestehe, worüber der Versicherte ebenfalls informiert gewesen sei. Danach geht das Gericht davon aus, dass zumindest der Versicherte sich über die Schwere der Erkrankung des Versicherten bewusst war. Soweit die Klägerin vorträgt, dass sie von ihrem Ehemann und den Ärzten über den Verlauf der Krankheit nicht vollumfänglich aufgeklärt worden sei, sondern ihr Ehemann sie darüber bewusst im Unklaren gelassen habe, vermochte allein dieser Vortrag die Vermutung der Versorgungsehe ebenfalls nicht zu widerlegen. Denn auch nach den Angaben der Klägerin war dieser bekannt, dass ihr Ehemann unter einer tödlichen Krankheit leidet, wenngleich sie auch nicht vollumfänglich über den wahrscheinlichen weiteren Verlauf aufgeklärt gewesen sein mag. Jedenfalls war der Klägerin im Zeitpunkt der Eheschließung die bevorstehende, lebensgefährliche Hirnoperation bekannt sowie die Tatsache, dass es zumindest ab Oktober 2002 zu einer massiven Verschlechterung des Gesundheitszustandes (Metastasen im Gehirn) bei dem Versicherten gekommen war. Insofern vermag die Kammer zumindest dem Vortrag, dass auch in diesem Zeitpunkt noch auf einen gleich bleibenden Krankheitszustand ohne weitere Verschlechterung, in welchem sie mit dem Versicherten noch viele Jahre würde zusammenleben können, gehofft wurde, nicht zu folgen. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe ist auch nicht dadurch widerlegt, dass eine feste Heiratsabsicht der seit vielen Jahren bestehenden Lebensgemeinschaft bereits längere Zeit bestanden hatte. Auch von dem dahingehenden Vortrag vermochte sich die Kammer angesichts der äußeren Umstände der Eheschließung nicht zu überzeugen. Vielmehr sprechen diese dafür, dass die Eheschließung zumindest auch und gerade in Anbetracht der bevorstehenden lebensgefährlichen Hirnoperation vorgenommen wurde. Dass dabei auch gegenseitige Liebe und eine psychische Stärkung des Versicherten angesichts der bevorstehenden Operation ein Motiv gewesen sein mögen, widerlegt die Vermutung des § 46 SGB VI allein nicht. Letztlich sprechen auch die finanziellen Verhältnisse der Klägerin eher für die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe als dagegen. Denn die Klägerin verfügte zum Zeitpunkt der Eheschließung über ein durchschnittliches jährliches Einkommen von nicht mal 500,- Euro monatlich. Zudem hat sie nach den vorgelegten Altersvorsorgemaßnahmen auch im Alter nicht mit hohen Einkünften zu rechnen. Vielmehr ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen, dass sie bei einer Aufteilung der zu erwartenden Erträge aus den Lebensversicherungen über etwa 15-20 Jahre ab dem 65. Lebensjahr auch ab dieser Zeit nicht mit einem monatlichen Betrag rechnen kann, aus dem sie ihren Lebensunterhalt sichern kann. Daran gemessen war die aus der EU-Rente des Versicherten, die eine Höhe von etwa 600,- Euro erreichte, zu erwartende Witwenrente keine unerhebliche Summe. Die Kammer vermochte sich nach dem gesamten Vortrag der Klägerin, den eingeholten Befundberichten sowie den vorgelegten medizinischen Unterlagen und Lebensversicherungsvertragsunterlagen nicht davon zu überzeugen, dass die Versorgung entgegen der Vermutung des § 46 Abs. 2 SGB VI nicht das überwiegende Motiv für die Eheschließung gewesen ist. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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