L 12 AL 3873/09 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 21 AL 5525/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 3873/09 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. August 2009 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin erstattet ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Beschwerdeverfahren noch die Übernahme der Kosten für das dritte Ausbildungsjahr zum Fachwerker für Feinwerktechnik im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Der 1985 geborene Antragsteller leidet an einem Asperger-Syndrom. Er absolvierte eine Arbeitserprobung in der P. W. vom 30. August bis 23. September 2005, anschließend eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme vom 10. Oktober 2005 bis 3. September 2006 jeweils mit Unterbringung im Internat in der P. W., die von der Antragsgegnerin als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährt worden waren. Für die am 4. September 2006 vom Antragsteller begonnene Ausbildung zum Fachwerker für Feinwerktechnik an der P. W. mit Internatsunterbringung bewilligte die Antragsgegnerin ebenfalls Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Bescheid vom 23. August 2006 für Zeitraum 4. September 2006 bis 3. März 2008). Mit Bescheid vom 1. April 2008 erfolgte die Weiterbewilligung bis 3. September 2009. Das Ansinnen des Antragstellers, vom Wohnort der Eltern in W. d. S. zur Ausbildungsstätte in W. pendeln zu dürfen, lehnte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 13. November 2008 ab, da das Maßnahmeziel in Gefahr sei, wenn die internatsmäßige Unterbringung aufgehoben werde. Am 3. Dezember 2008 schlossen Antragsteller und Antragsgegnerin eine Eingliederungsvereinbarung u.a. des Inhalts, dass die Antragsgegnerin die Ausbildung fördere, solange die Vereinbarung eingehalten werde, der Antragsteller die Ausbildung fortsetze und bis zur Prüfung im Internat bleibe.

Nachdem der Antragsteller der P. mitteilte, wegen privater Termine die gesamten nächsten Wochen nach W. d. S. zu fahren, stellte die Antragsgegnerin die Förderung der Maßnahme am 9. Dezember 2008 mit Wirkung zum Folgetag ein und hob mit Bescheid vom 11. Dezember 2008 die Bewilligung auf. Die P. W. kündigte das Ausbildungsverhältnis zum 9. Dezember 2008. Der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 11. Dezember 2008 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2009 zurückgewiesen, wogegen der Antragsteller Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhob (anhängig unter Az.: S 21 AL 810/09).

Mit Bescheid vom 29. Januar 2009 hob die Antragsgegnerin die Bewilligung von Leistungen ab 9. Dezember 2008 ganz auf und forderte zu Unrecht erbrachte Leistungen in Höhe von 34,56 EUR zurück.

Am 6. Februar 2009 begehrte der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Rechtsmittel gegen die Bescheide vom 11. Dezember 2008 und 29. Januar 2009. Mit Beschluss vom 25. März 2009 stellte das SG fest, dass der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 29. Januar 2009 hinsichtlich der Erstattungsforderung aufschiebende Wirkung hat und lehnte den Antrag im Übrigen ab (S 21 AL 809/09 ER). Die Beschwerde des Antragsteller wies das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Beschluss vom 3. Juli 2009 zurück (L 8 AL 1964/09 ER-B).

Den Antrag, die Ausbildung als Fachwerker für Feinwerktechnik bei der P. ab 31. August 2009 fortsetzen zu können, lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 12. August 2009 ab. Die erfolgreiche Fortsetzung der Ausbildung sei nur erreichbar, wenn sich die Voraussetzungen in der Person des Antragstellers geändert hätten und entsprechende persönliche Entwicklung und Stabilisierung stattgefunden hätten. Die hierzu empfohlene therapeutische Maßnahme habe der Antragsteller noch nicht begonnen. Die Antragsgegnerin sei hierfür nicht Kostenträger, da es sich um eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme handele; dies sei Aufgabe des Trägers der Krankenversicherung.

Am 14. August 2009 hat der Antragsteller beim SG im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Kostenübernahme für eine autismusspezifische Therapie beim Autismus-Therapie- und Beratungszentrum in S.-V. sowie für das dritte Lehrjahr zum Fachwerker für Feinwerktechnik im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beantragt.

Mit Beschluss vom 21. August 2009 hat das SG die Anträge abgelehnt (S 21 AL 5525/09 ER). Soweit der Antragsteller die Kostenübernahme für das dritte Ausbildungsjahr begehre, sei der Antrag bereits unzulässig. Das Rechtsschutzziel könne der Antragsteller nur im Wege der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage erreichen. Mit Beschluss vom 25. März 2009 habe das SG hierüber bereits entschieden und den Antrag abgelehnt. Das LSG habe dies mit Beschluss vom 3. Juli 2009 bestätigt. Eine daneben erhobene Verpflichtungsklage sei unzulässig. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet, der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine autismusspezifische Therapie. Zwar sei die Antragsgegnerin als zuerst angegangener Leistungsträger zuständig nach § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Hinsichtlich der Art und Weise der Leistungserbringung stehe der Antragsgegnerin jedoch nach § 97 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) Ermessen zu, welches sich nicht zu einem Anspruch auf Kostenübernahme für die begehrte Therapie verdichtet habe.

Hiergegen richtet sich die am 25. August 2009 eingelegte Beschwerde des Antragstellers.

Mit Bescheid vom 15. September 2009 hat die Antragsgegnerin eine ambulante autismusspezifische psychotherapeutische Behandlung beim Autismus-Therapie- und Beratungszentrum H.str., S.-V. für die Dauer von 45 Sitzungen ab der 38. Kalenderwoche 2009 bewilligt. Der Antragsteller hat insoweit mit Schreiben vom 21. September 2009 "das Teilanerkenntnis (Kostenübernahme für Autismus-Therapie)" angenommen.

Hinsichtlich der noch begehrten Kostenübernahme für das dritte Ausbildungsjahr trägt der Antragsteller vor, dass es sich bei dem erneuten Ablehnungsbescheid vom 12. August 2009 um einen neuen, nicht von § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) umfassten Sachverhalt handele, der nicht Gegenstand des Hauptsacheverfahrens beim SG sein könne. Der Ablehnungsbescheid enthalte keinen Verfügungssatz im Hinblick auf eine abgebrochene Maßnahme, sondern auf eine Fortsetzung der Berufsausbildung. Es handele sich unzweifelhaft um einen neuen, eigenständig anfechtbaren Verwaltungsakt. Eine abgebrochene Maßnahme führe nicht zum Wegfall der Teilhabe am Arbeitsleben (unter Hinweis auf Urteil des Bundessozialgerichts (BSG), Urteil vom 20. März 2007 - B 2 U 18/05 - (juris)). Behördlicherseits habe die Verpflichtung bestanden, dem Antragsteller so lange Sozialleistungen zu gewähren, bis das Ziel der dauerhaften Eingliederung erreicht sei. Es sei ermessensfehlerhaft, dem Antragsteller die verweigerte medizinische Reha-Maßnahme bei der Fortsetzung der Ausbildung anspruchsvernichtend vorzuhalten. Der Antragsteller habe in der Paulinenpflege bis zur Zwischenprüfung stets überdurchschnittliche Leistungen erbracht. Die Entscheidungsträger hätten dies unbedingt in die nicht angestellten Ermessenserwägungen einfließen lassen müssen. Bedenke man, dass das dem Antragsteller vorgeworfene Fehlverhalten ausnahmslos auf seinen Autismus zurückzuführen sei, seien die Maßnahmen des Antragsgegners und der Paulinenpflege nicht ansatzweise nachvollziehbar.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des SG (S 21 AL 810/09, S 21 AL 809/09 ER, S 21 AL 5525/09 ER), die Senatsakten und die Akte des LSG im Verfahren L 8 AL 1964/09 ER-B) Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat hinsichtlich des noch streitigen Teils der Kostenübernahme für das dritte Ausbildungsjahr keinen Erfolg.

Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, insbesondere wäre im Hinblick auf die geltend gemachten Leistungen auch in der Hauptsache die Berufung zulässig, da die Berufungssumme von 750 EUR überschritten würde (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG). In der Sache ist die Beschwerde jedoch unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).

Vorliegend kommt entgegen der Auffassung des SG nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Statthaftigkeit des Antrags steht insbesondere nicht entgegen, dass im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes bereits über die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Rechtsmittel gegen die Aufhebung der Bewilligung rechtskräftig entschieden wurde (Beschluss des SG vom 25. März 2009; Beschluss des LSG vom 3. Juli 2009, jeweils a.a.O.). Der Ablehnungsbescheid vom 12. August 2009 ist entgegen des dem Bescheid angefügten Hinweises nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens vor dem SG (S 21 AL 810/09) geworden. Weder werden hierdurch die ursprünglichen Bewilligungen, noch wird der Aufhebungsbescheid vom 11. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Januar 2009 abgeändert oder ersetzt. Die ablehnende Entscheidung kann auch nach Wortlaut und Regelungsgehalt nicht in eine (wiederholende) Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung umgedeutet werden. Während für die Aufhebungsentscheidung die Voraussetzungen nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) vorliegen müssen, kommt es für die beantragte Neubewilligung allein darauf an, ob die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung zum aktuellen Zeitpunkt gegeben sind.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der angestrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht NVwZ 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927 = Breithaupt 2005, 803). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rdnr. 42). Die Eilbedürftigkeit der erstrebten Regelung ist im Übrigen regelmäßig zu verneinen, soweit Ansprüche für bereits vor Stellung des einstweiligen Rechtsschutzantrags abgelaufene Zeiträume erhoben werden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 1. und 17. August 2005 - FEVS 57, 72 und 164).

Im hier zu entscheidenden Fall ist bei der genannten summarischen Prüfung das Bestehen eines Anordnungsanspruches auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu verneinen. Unstreitig ist, dass der Antragsteller dem Grunde nach zur dauerhaften Eingliederung in das Erwerbsleben der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §§ 77 SGB III, 33 ff., 44 ff. SGB IX bedarf und dass die Ausbildung des Antragstellers zum Fachwerker für Feinwerktechnik grundsätzlich geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen. Unklar ist allerdings, ob der Antragsteller aktuell in der Lage ist, den mit der Ausbildung verbundenen Anforderungen stand zu halten. Nach dem offensichtlich von der Mutter des Antragstellers verfassten Gesprächsprotokoll hat der Antragsteller im Gespräch am 27. Juli 2009 zwischen Mitarbeitern der Antragsgegnerin und dem Antragsteller angegeben, zum damaligen Zeitpunkt (gemeint wohl Dezember 2008) sei es ihm sehr schlecht gegangen, inzwischen gehe es ihm sehr gut und er sei fit für die Ausbildung. Wie es um die Fähigkeiten des Antragstellers im Umgang mit vorgegebenen Regeln und seine Sozialkompetenz derzeit bestellt ist, kann der Senat nicht beurteilen. Derzeit ist ein Anordnungsanspruch jedenfalls nicht glaubhaft gemacht. Auch unter Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen den Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und der drohenden Rechtsverletzung bei Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes erscheint hier eine vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur sofortigen Förderung des dritten Ausbildungsjahres nicht geboten. Der Antragsteller hat das dritte Ausbildungsjahr bereits begonnen und im Dezember 2008 abgebrochen. Damit kann unterstellt werden, dass er nicht alle Ausbildungsinhalte des dritten Ausbildungsjahres von Beginn an neu lernen muss. Im Hinblick auf die begonnene Therapie erscheint es daher sinnvoll und dem Antragsteller auch zumutbar, das Ergebnis des vorgesehenen Zwischenberichts nach spätestens zehn Therapiesitzungen abzuwarten. Hieraus sind weitere Erkenntnisse darüber zu erwarten, ob der Antragsteller die begonnene Ausbildung nunmehr abschließen kann und ob hierzu eine internatsmäßige Unterbringung erforderlich ist oder auch tägliches Pendeln von W. d. S. nach W. in Betracht kommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Hierbei hat der Senat auch den unstreitig erledigten Teil berücksichtigt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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