L 9 U 2959/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 92/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 2959/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 5. März 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Verletztenrente für die Zeit ab 1.11.2006.

Die 1942 geborene Klägerin erlitt am 25.2.2004 einen Arbeitsunfall, als sie auf Glatteis ausrutschte und sich Frakturen des 7. Brustwirbels und des 1. Lendenwirbels zuzog.

Mit Bescheid vom 11.4.2005 gewährte die Beklagte der Klägerin vom 9.8.2004 bis 16.2.2005 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vH und ab 17.2.2005 um 20 vH. Grundlage hierfür waren die Gutachten von Dr. K. vom 1.10.2004 und Prof. Dr. Sch./ Dr. W. vom 23.2.2005.

Zur erstmaligen Feststellung einer Rente auf unbestimmte Zeit beauftragte die Beklagte Dr. K. mit der Erstattung eines Gutachtens. Im Gutachten vom 22.6.2006 stellte dieser als Unfallfolgen eine Kompressionsfraktur des 7. Brustwirbelkörpers und des 1. Lendenwirbelkörpers mit Höhenminderung und Keilwirbeldeformierung, eine mäßiggradige Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule und eine deutlich verstärkte Hyperkyphosierung fest. Er schätzte die MdE für die Unfallfolgen weiterhin auf 20 vH.

Der Beratungsarzt Dr. M. führte dazu in der Stellungnahme vom 12.9.2006 aus, nach dem Segmentprinzip ergebe sich eine MdE um 15 vH. Die Kyphose der Brustwirbelsäule führe zu keiner wesentlichen Bewegungseinschränkung.

Mit Schreiben vom 13.9.2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Unfallfolgen nur noch eine MdE um 15 vH bedingten. Sie beabsichtige daher, der Klägerin die bisher gewährte Rente zu entziehen.

Mit Bescheid vom 16.10.2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, wegen der Folgen des Arbeitsunfalls bestehe kein Anspruch auf Rente für unbestimmte Zeit, und entzog die bisher gewährte Rente ab November 2006. Zur Begründung führte sie aus, die Folgen des Arbeitsunfalls (geringe Bewegungseinschränkung der Brust- und Lendenwirbelsäule nach unter Höhenminderung knöchern fest verheiltem Stauchungsbruch des 7. Brustwirbelkörpers sowie Deckenplattenimpressionsbruch des 1. Lendenwirbelkörpers) führten zu einer MdE um 15 vH. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.12.2006 zurück. Hiergegen erhob die Klägerin am 5.1.2007 Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg, mit der sie die Gewährung der Rente ab 1. November 2006 begehrte.

Das SG beauftragte Prof. Dr. St., Arzt für Orthopädie und Chirurgie, mit der Erstattung eines Gutachtens. Dieser führte unter dem 15.6.2007 aus, der 7. Brustwirbelkörper sei in zwei Ebenen erheblich deformiert, der 1. Lendenwirbelkörper geringgradig, aber mit deformierter Deckplatte, was schmerzhafte Irritationen an der Bandscheibe wahrscheinlich mache. Die anhaltenden Beschwerden und der Palpationsbefund an der nur mäßig entwickelten Paravertebralmuskulatur erklärten sich hinreichend mit dem röntgenologischen Befund, der neben einer Osteoporose und den deform ausgeheilten Frakturen B 7 und L 1 eine ausgeprägte Rundrückenbildung mit einem Kyphosewinkel von 50° bestätige, wodurch die Körperstatik erheblich beeinträchtigt werde. Diesen Verhältnissen könne das Segmentprinzip nicht gerecht werden. Bei der Klägerin sei die Kompensationsfähigkeit durch erhebliche Vorerkrankungen (Osteoporose, Rundrücken) herabgesetzt. Wie die Vorgutachter schätze er die unfallbedingte MdE auf 20 vH ab 1.11.2006.

Die Beklagte legte hierzu eine beratungsärztliche Stellungnahme des Chirurgen Dr. T. vom 21.9.2007 vor. Dieser führt darin aus, unter Berücksichtigung der erheblichen Vorschäden sei allenfalls eine MdE um 10 vH vertretbar. Die Vorbehalte von Professor Dr. St. gegen die Anwendung des Segmentprinzips bei der MdE-Einschätzung beruhten ausschließlich auf seiner eigenen Meinung. Eine höhere MdE als 10 vH lasse sich nicht begründen, wenn man berücksichtige, dass ein instabil ausgeheilter Wirbelkörperbruch mit Bandscheibenbeteiligung mit einer MdE von 20 vH bewertet werde.

Mit Urteil vom 5.3.2008 hat das SG den Bescheid vom 16.10.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.12.2006 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab dem 1.11.2006 eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 20 vH zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach Überzeugung des SG führten die Unfallfolgen bei der Klägerin auch nach dem 31.10.2006 zu einer MdE um 20 vH. Es stütze sich hierbei auf das schlüssige und nachvollziehbare Gutachten von Prof. Dr. St ... Die MdE-Einschätzung werde auch von Dr. K. vorgenommen und stimme mit der unfallmedizinischen Literatur überein. Die Stellungnahme von Dr. T. vermöge das SG nicht zu überzeugen. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 6.6.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23.6.2008 Berufung eingelegt und vorgetragen, Dr. T. habe in seiner Stellungnahme vom 21.9.2007 nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass unter Berücksichtigung der für die Bewertung des Verletzungsfolgenzustandes nach Wirbelkörperbrüchen maßgebenden Einschätzungskriterien - selbst unter Außerachtlassung des Segmentprinzips, das ihres Erachtens auch im vorliegenden Fall Anwendung finden könne - durch die verbliebenen Unfallfolgen keine rentenberechtigende MdE bedingt werde. Darüber hinaus sei aktenkundig, dass die Klägerin bereits seit 1991 wegen multipler Wirbelsäulenbeschwerden behandelt worden sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 5. März 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, die Beklagte trage keine neuen medizinischen Erkenntnisse vor, die eine Änderung der Entscheidung des SG rechtfertigen würden. Prof. Dr. St. führe unter Bezug auf die einschlägige unfallmedizinische Literatur aus, weshalb wegen einer vorbestehenden osteoporosebedingten Hyperkyphose der Brustwirbelsäule die MdE höher als bei einem Gesunden zu bewerten sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, der Klägerin auch ab 1.11.2006 Rente nach einer MdE um 20 vH zu gewähren.

Das SG hat den rechtserheblichen Sachverhalt umfassend dargestellt, die an eine Rentengewährung geknüpften Voraussetzungen - §§ 56 und 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII - zutreffend benannt und das Beweisergebnis frei von Rechtsfehlern gewürdigt. Hierbei hat es überzeugend begründet, weshalb es den Beurteilungen des Prof. Dr. St. und Dr. K. gefolgt ist. Der Senat schließt sich der Beweiswürdigung des SG uneingeschränkt an und sieht deshalb von einer Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG weitgehend ab. Ergänzend ist auszuführen, dass bei der Klägerin Frakturen an zwei Wirbelkörpern vorliegen. Der 7. Brustwirbelkörper ist in zwei Ebenen erheblich deformiert, da die BWK 7-Fraktur unter Keilwirbelbildung von 25° und Höhenminderung um mehr als 50% verheilt ist. Dadurch ist es zur Verstärkung einer vorbestehenden osteoporosebedingten Hyperkyphose der Brustwirbelsäule mit einem Kyphosewinkel von 50 Grad gekommen. Die LWK 1-Kompressionsfraktur ist zwar mit nur geringgradiger Deformierung und geringer Höhenminderung ausgeheilt, der LKW 1 weist aber eine deformierte Deckplatte aus. Für den Senat nachvollziehbar hat Prof. Dr. St. dargelegt, dass auf Grund der erheblichen Vorerkrankungen der Klägerin (Osteoporose und Rundrücken) die Kompensationsfähigkeit erheblich herabgesetzt ist und die Folgen des Arbeitsunfalls deswegen gravierender ausfallen als bei einem Gesunden, weswegen die MdE mit 20 vH einzuschätzen ist und eine MdE um 15 vH den unfallbedingten Beeinträchtigungen nicht gerecht wird. Diese Beurteilung steht im Einklang mit der unfallmedizinischen Literatur, wonach eine Höherbewertung der MdE bei einem Vorschaden in Betracht kommt, wenn dieser schon vor dem Unfall die physiologischen Kompensationskräfte des Körpers nennenswert in Anspruch genommen hat und auf Grund der Defektheilung die restlichen Kompensationskräfte des Körpers überschritten sind (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl., S. 523 und 550).

Der abweichenden Beurteilung von Dr. T. vermochte der Senat - ebenso wie das SG - nicht zu folgen. Soweit er ausführt, dass die Formveränderung der Brustwirbelsäule mit daraus resultierender Funktionseinschränkung des Rumpfes - entgegen der Auffassung von Prof. Dr. St. - nicht ausschließlich unfallbedingt sei, ist dies rechtlich unerheblich. Zur Berücksichtigung als Unfallfolge und damit bei der Bewertung der MdE ist ausreichend, dass der Arbeitsunfall für die Gesundheitsstörung mitursächlich war. Soweit Dr. T. die Ansicht vertritt, unter Berücksichtigung der erheblichen Vorschäden sei allenfalls eine MdE von 10 vH vertretbar, berücksichtigt er nicht, dass Vorschäden - wie oben dargelegt - zu einer MdE-Erhöhung führen können und dies im Falle der Klägerin der Fall ist.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung der Beklagten musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved