L 9 U 5319/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 217/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 5319/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. September 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung und Entschädigung einer Polyneuropathie (PNP) und einer Encephalopathie wie eine Berufskrankheit (BK) - Quasi-BK- nach § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII).

Der 1958 geborene Kläger absolvierte nach seinen Angaben von September 1973 bis August 1976 eine Lehre als Straßenbauer und war in der Folge bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt, zuletzt von April 1994 an bei der Firma K. als Montagearbeiter, ab Januar 1997 bis Juli 1998 in der Kunststoffspritzabteilung und danach wieder als Montagearbeiter. Seit 1. November 2000 erhält er Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von der gesetzlichen Rentenversicherung.

Im Jahr 1992 erkrankte der Kläger an einem Bandscheibenvorfall (BSV) C5/6 links, seit 1994 leidet er an einem Diabetes mellitus, der seit 1997 insulinpflichtig ist (sechs Spritzen pro Tag). Ab 11. Oktober 1999 war der Kläger arbeitsunfähig wegen chronischer therapieresistenter Kopfschmerzen.

Der vier Jahre jüngere Bruder des Klägers leidet – wie vom Kläger angegeben - unter Heuschnupfen bzw. einer Pollenallergie sowie Intoleranzen gegenüber chemischen Stoffen, weswegen er seinen Beruf als Autolackierer aufgegeben hat.

Am 27. Oktober 2000 ging bei der Beklagten die ärztliche Anzeige über eine BK des Dr. O., HNO-Arzt, Allergologie, Umweltmedizin, ein. Der Kläger gebe an, seit Herbst 1998 unter chronisch rezidivierenden Infekten des oberen Atemtraktes, starken linksseitigen Kopfschmerzen, Taubheitsgefühl im Kopf und Gesicht, Einschlafen der linken Hand und des Beines, Halswirbelsäulen(HWS)- und Lendenwirbelsäulen(LWS)-Schmerzen, Hüftgelenksschmerzen, Atemnot bei Staubbelastung, Kopfschmerz auf Kontakt mit Lösemitteln und chemischen Ausdünstungen, Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Adynamie, Schwächeanfall, "Spannung im Gesicht", Lichtempfindlichkeit, starken Gewichtsschwankungen, Unverträglichkeiten und Übelkeit zu leiden, wobei sich die Allgemeinsymptomatik in den letzten Monaten zunehmend verstärkt habe. Die Symptomatik habe drei Monate nach Beginn der Arbeit in der Kunststoffspritzabteilung der Firma K., in der keine ausreichende Belüftung vorhanden gewesen sei, begonnen. Es bestehe der Verdacht auf eine Lösemittelintoleranz, ggf. auch eine Weichmacher- oder Flammschutzmittelbelastung. Diagnostiziert wurde ein "Verdacht auf toxische Belastung durch Lösemittel, Flammschutzmittel und Weichmacher".

Der Kläger selbst gab an, die Erkrankung habe sich erstmals im Juni 1997 in Form von Kopfschmerzen mit zeitweiser Taubheit an der linken Stirn und im Gesicht, Rücken- und Gelenkschmerzen sowie Hautausschlägen bemerkbar gemacht und sei auf Kontakt mit Lösungsmitteln, Farben, Verdünnungen und Kunststoffen bei der Firma K. zurückzuführen.

Ferner machte der Kläger Angaben zu seinen Arbeitsstellen und den Arbeitsstoffen, mit denen er dort Kontakt hatte. So gab er an, er habe von September 1973 bis November 1976 im Straßenbau mit Bitumen, Beton und Zement, von November 1976 bis Februar 1978 im Hochbau mit Beton und Mörtel, von März 1978 bis Oktober 1980 im Straßenbau mit Bitumen, Beton und Zement, von Oktober 1980 bis März 1985 in einer Schmiede mit glühenden Eisen-Stahlrohlingen, von August 1985 bis April 1986 im Straßen- und Tiefbau mit Bitumen, Beton und Zement, von Mai 1986 bis März 1989 in einer Gießerei in der Endkontrolle mit Aluminium-Gussteilen, von April bis Juli 1989 als Lagerarbeiter mit Metall, von August 1989 bis Juni 1990 in einer CNC-Dreherei mit Metallen und Schmierstoffen, von Juni 1990 bis Juni 1993 in einer Schleiferei als Schleifer und Rissprüfer mit Schmiederohlingen, Eisen und Stahl sowie ab April 1994 bei der Firma K. in der Gerätefertigung, zeitweilig auch in der Kunststoffspritzabteilung, mit Metallen, Kunststoffen, Farben, Lacken, Klebern, Verdünnungen, Lösungsmitteln und Silikonen Kontakt gehabt.

Beigezogen wurden ein MDK-Gutachten des Dr. Sch. vom 18. Februar 2000 (Arbeitsunfähigkeit seit 11. Oktober 1999, ätiologisch unklare therapieresistente Kopfschmerzen) und das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK, Bezirksdirektion Schwäbisch Hall, bei der er ab 11. April 1994 Mitglied war.

Die Beklagte holte Berichte behandelnder Ärzte ein. Über die erhobenen Befunde berichteten Dr. K. am 29. Dezember 2000 (der Kläger habe am 31. Mai 2000 über Kopfschmerzen berichtet, die seit eineinhalb Jahren bestünden, sowie über Schmerzen in der WS, szinthigraphisch hätten sich geringe degenerative Veränderungen der unteren HWS, in beiden Kniegelenken und im rechten Sprunggelenk gefunden; Diagnose: degenerative Veränderungen der HWS, in beiden Kniegelenken und im rechten Sprunggelenk), der Internist Dr. M. im Januar 2001 (Vorlage von zwei Arztbriefen vom 10. November 1999 und 26. Juni 2000, wonach in der Vorgeschichte häufige Pneumonien beschrieben wurden und bei freiem Atemgeräusch die Diagnose einer rezidivierenden Bronchitis gestellt wurde) und Dr. D. am 28. Dezember 2000 (erstmalige Vorstellung am 27. Dezember 1999 wegen diffuser Cephalgien, HWS-Beschwerden und Pelzigkeitsgefühlen, die im Sommer 1999 begonnen hätten). Vom Fachkrankenhaus Nordfriesland gGmbH wurde der Bericht vom 31. Oktober 2000 (stationäre Behandlung vom 7. bis 25. August 2000, zusammenfassende Diagnose: insulinpflichtiger Diabetes mellitus, chronische Schmerzen und Parästhesien, chronisch entzündliches Geschehen, Chronic Fatigue, multiple Allergien und Intoleranzen, allergisches Asthma bronchiale sowie Reaktion auf schwere Belastung) vorgelegt, auf den wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird. Weiter berichteten über ihre Befunderhebungen der Radiologe Dr. R. im Januar 2001 unter Vorlage von Berichten (CT der paranasalen Sinus vom 5. Mai 1999 und des Schädels vom 4. Januar 2000 (unauffälliges Schädel-CT, kein Nachweis einer intracerebralen Raumforderung)), der Nervenarzt Dr. R. am 29. Dezember 2000 (Untersuchungen 1992, 1993 sowie 1998 wegen BSV bzw. Ischialgien, wegen Kopfschmerzen einmal am 3. Mai 1999, wobei der Kläger angegeben habe, seit vier Wochen unter Kopfschmerzen sowie Pelzigkeitsgefühl im Bereich der rechten Stirnseite zu leiden und geäußert habe, vorangegangen sei eine Stirnhöhlenentzündung; Diagnose: Verdacht auf Sinusitis frontalis rechts), der Arzt für Anästhesiologie Dr. R. am 12. Januar 2001 (Untersuchung am 7. Januar 1999, Angabe von 1997 beginnenden Spannungskopfschmerzen und Taubheitsgefühl an linker Stirn und linksseitigem Gesicht sowie von wiederholter Erkrankung wegen unerträglicher Kopfschmerzen und Nasennebenhöhlenproblemen sowie starken Kopf- und Gliederschmerzen; Diagnose: chronischer Spannungskopfschmerz, insulinpflichtiger Diabetes mellitus seit 1993 und Zustand nach Discusprolaps), der HNO-Arzt PD Dr. L. am 10. Januar 2001 (Untersuchung am 4. Mai 1999 wegen einer chronischen Pansinusitis und einer Polyposis nasi et sinuum und rezidivierender Infektneigung mit Cephalgie; am 9. Juni 1999 endonasale Pansinusoperation und Septumplastik), PD Dr. M.-W. am 11. Januar 2001 (Vorlage eines Berichtes über eine stationäre Behandlung vom 29. März bis 5. April 2000 in der neurologischen Abteilung des Diakonie-Krankenhauses Schwäbisch Hall; Diagnose chronischer Spannungskopfschmerz, insulinpflichtiger Diabetes mellitus, Zustand nach Discusprolaps, Einweisung wegen seit Monaten bestehender therapieresistenter Kopfschmerzen), der Arzt für Anästhesie Dr. K. am 25. Januar 2001 (Vorstellung am 16. Mai 2000, der Kläger habe über seit eineinhalb Jahren bestehende Kopf- bzw. Gesichtsschmerzen berichtet; Diagnose: nicht klassifizierbare Kopf- und Gesichtsschmerzen, die mit einem grippalen Infekt begonnen hätten, sowie Diabetes Typ IIa), der Allgemeinmediziner H. am 5. Februar 2001 (Vorstellung im April und Mai 1997, Grund für die bisherigen Vorstellungen: Diabeteskorrektur sowie eine wegen des früheren Führerscheinentzugs erforderliche ärztliche gutachterliche Stellungnahme; geklagt habe der Kläger auch über immer wieder auftretende hartnäckige Kopfschmerzen; konkrete Hinweise auf eine Nervenschädigung oder PNP hätten sich nicht gefunden; Diagnose: insulinpflichtiger Diabetes mellitus, chronische Cephalgie und psychovegetative Erschöpfung; am 24. Januar 2001 habe der Kläger telefonisch das Vorliegen einer multiplen Chemikalienallergie beschrieben, wozu aber keine konkreten Befunde vorlägen) und der Orthopäde Dr. J. am 5. Februar 2001 (Untersuchung am 24. Mai 2000 wegen Kopfschmerzen, Sensibilitätsstörungen an der gesamten linken Körperseite, WS-Schmerzen und Augenbeschwerden links; laut Angaben träten die Beschwerden seit mehreren Jahren und seit Ende 1999 vermehrt auf; Diagnosen: vertebragenes Syndrom der WS auf degenerativer Basis bei Rezessusstenose links C4 bis 6 mit Blockierung C5 links, degenerativer WS-Schaden L4/5, L5/S1, ISG-Blokierung mit pseudoradikulären Beschwerden, Zustand nach Sinusitis maxillaris links und Verdacht auf Psoriasis sowie eine diabetische PNP).

Die Beklagte holte eine Auskunft der Firma K. zu den vom Kläger verrichteten Tätigkeiten und den damit verbundenen Belastungen vom 9. Februar 2001 ein. Danach fettete der Kläger bis Februar 1996 Teile mit PFAE und Silikonfett und baute sie ein. Von März 1996 bis Juni 1997 habe er an zwei Tagen pro Woche mit Sekundenkleber Dichtungen aufgeklebt und von Juli 1997 bis Juli 1998 drei- bis viermal je Woche ca. einen Liter Tampondruckfarbe mit Farbe MP 73, Verdünnung MPV und Verzögerer MVP (Dauer jeweils ca. 15 Minuten) angemischt. In der Zeit von August 1998 bis November 1999 habe er ca. drei Monate lang Chemieschläuche mit Hilfe von K.-Reiniger RM 555 und Wasser aufgezogen. Konzentrationsmessungen der Arbeitsstoffe, mit denen der Kläger in Kontakt gewesen sei, seien nicht erfolgt. Während der Tätigkeit seien auch keine Beschwerden aufgetreten. Hierauf ermittelte Frau A. vom TAD der Beklagten bezüglich der Belastungen am Arbeitsplatz und berichtete hierüber am 30. April 2001 unter Vorlage von Sicherheitsdatenblättern. Der Kläger erhob gegen das Ergebnis Einwendungen und machte nähere Angaben zu den Tätigkeiten Montage Zylinderköpfe, Abdichten von Schaltkonsolen, Kunststoffspritzerei und Aufziehen von Chemieschläuchen.

In einem nach Aktenlage erstellten Gutachten der Prof. Dr. E. vom 5. Dezember 2001 äußerte diese den Verdacht auf eine lösungsmittelbedingte Encephalopathie und diagnostizierte weiter einen BSV C5/6 links, gehäufte Infekte der Nasennebenhöhlen mit Polyposis nasi, eine Allergie gegen Hausstaubmilben, Chrom, Nickel und Kühlschmiermittel sowie einen Diabetes mellitus und erachtete weitere Ermittlungen zu den beruflichen Belastungen, auch aus der Zeit von 1989 bis 1993, sowie die Konzentration der Lösungsmittel, denen der Kläger ausgesetzt gewesen sei, und eine Sammelbewertung für erforderlich.

Nach weiteren Ermittlungen berichtete Frau A. vom TAD über die Belastungen des Klägers bei der Tätigkeit bei der Firma A. Kessler (1990 bis 1993; kein Kontakt zu Lösemitteln und anderen neurotoxischen Stoffen, keinerlei Kontakt zu Kühlschmierstoffen und entsprechenden Additiven oder chlorierten Kohlenwasserstoffen; Aufgabe der Tätigkeit wegen Schulterbeschwerden). Ferner berichtete sie über bei der Firma K. durchgeführte Messungen unter Vorlage von Messberichten, die eine dauerhafte Einhaltung der Grenzwerte ergeben hätten. Außerdem nahm sie eine Summenbewertung der Lösemittelkonzentrationen gemäß TRGS 403 vor, wonach die Summenindices mit Werten von ( 0,16 (Tamponprint-Drucken bzw. Abstapeln) unterhalb des aktuellen Bewertungsindex ABl von 0,5 lägen. Bei Unterschreitung des Schwellenwertes träten noch keine Funktionsstörungen auf und auch andere Symptome seien unwahrscheinlich. Die Angaben zur Tätigkeit bei der Firma K. bezögen sich auf den zuletzt eingenommenen Arbeitsplatz in der Kunststoffspritzerei, die früheren Arbeitsplätze seien nicht mehr existent, womit Messungen nicht mehr möglich seien. Eine relevante Lösemittelexposition an den früheren Arbeitsplätzen sei jedoch auszuschließen.

Nach einer Untersuchung des Klägers erstattete Prof. Dr. E. ihr weiteres Gutachten vom 29. August 2002, dem sie einen Bericht des Diakonie-Krankenhauses Schwäbisch Hall vom 6. April 2000 beifügte. Sie gelangte nun im Wesentlichen zum Ergebnis, der Kläger leide unter einer Multiplen Chemischen Sensibilität (MCS). Er gebe an, bei Schadstoffkontakt, z.B. Autoabgasen, unter Konzentrationsstörungen, Orientierungsschwierigkeiten, Atemnot, Brennen auf der Lunge, Übelkeit, Lähmung der Augenlider und immer unter Kopfschmerzen linksbetont zu leiden. Der Geruchssinn sei aufgehoben. Er gebe an, die Symptomatik habe 1997 mit der Tätigkeit in der Kunststoffspritzabteilung in einem Lagerraum im Keller ohne Absaugung begonnen, davor sei er immer gesund gewesen. Täglich habe er dort mit Farben und Lösungsmitteln zu tun gehabt. Damals hätten die Kopfschmerzen begonnen, ab und zu auch mit Taubheitsgefühlen in der linken Stirn und im Gesicht. Nach schleichendem Beginn hätten sie sich im Juli 1998 gesteigert, weswegen er einen Antrag auf Umsetzung gestellt habe. Am Band habe er dann mit Metallklebern gearbeitet. Die Messergebnisse würden vom Kläger bestritten, der Lagerraum, in dem der Arbeitsplatz im Keller gewesen sei, sei nicht mehr vorhanden, die Schadstoffbelastung 1997 sei nicht mehr zu eruieren. Bei der Erkrankung handle es sich um ein MCS-Syndrom. Dieses könne sich auch bei niedriger Exposition entwickeln und sei nicht dosisabhängig. Bei Kontakt mit geringer Schadstoffexposition könnten derartige Effekte auftreten. Der Pathomechanismus sei bislang unbekannt. Ihres Wissens sei die MCS bisher auch nicht als BK anerkannt. Ein zeitlicher Zusammenhang der Belastung in der Kunststoffspritzabteilung mit dem Krankheitsbild sei deutlich. Darauf, dass die Schadstoffbelastung am konkreten Arbeitsplatz, der nicht mehr vorhanden sei, nicht gemessen werden könne, komme es nicht an. Auslöser für die Erkrankung seien meist Substanzen aus dem Bereich Lösungsmittel, Pflanzenschutzmittel, Duftstoffe, häufige Auslöser seien Formaldehyd oder Autoabgase. Inzwischen habe sich das Krankheitsbild ubiquitär verlagert, dass Schadstoffe jeglicher Art zu krankhaften Symptomen führten. Ihr - so die Gutachterin - sei klar, dass das Krankheitsbild der MCS noch sehr im Dunkeln liege. Zusammenfassend hat sie ausgeführt, der Kläger leide unter Beschwerden, wie sie typisch seien für ein MCS-Syndrom. Objektivierende Befunde für ein MCS-Syndrom gebe es nicht. Es liege ein enger zeitlicher Bezug vor zwischen einer Schadstoffbelastung und dem Auftreten des Krankheitsbildes. Eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) oder einer anderen Listenerkrankung liege nicht vor. Zu erwägen wäre, die Erkrankung wie eine BK anzuerkennen und zu entschädigen. Die frühere Verdachtsdiagnose einer Encephalopathie stellte die Gutachterin nicht mehr.

Die Beklagte zog aus einem anderen Verfahren eine Stellungnahme des Hauptverbandes der Gewerblichen Berufsgenossenschaften vom 22. Dezember 2000 bei, wonach es keine neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse gebe, wonach bestimmte Gruppen auf Grund der besonderen Einwirkung bei ihrer beruflichen Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung der Gefahr ausgesetzt seien, an einer MCS zu erkranken. Beigezogen wurden weitere Veröffentlichungen zur MCS von Wieners und Baur, wonach es sich bei der MCS um komplexe Krankheitsbilder mit in der Regel unbekannter Ätiologie und Pathogenese handle. In der gewerbeärztlichen Stellungnahme vom 25. September 2002 schlug Dr. H. vor, eine BK nicht anzuerkennen. Es liege auch keine wie eine BK zu entschädigende Erkrankung vor.

Mit Bescheid vom 28. Oktober 2002 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen ab. Zur Begründung führte sie aus, Prof. Dr. E. habe ein MCS-Syndrom festgestellt, das nicht als BK anerkannt werden könne. Es handle sich dabei nicht um eine Listenerkrankung. Die MCS sei auch nicht wie eine BK zu entschädigen. Es lägen keine neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vor, dass bestimmte Personengruppen in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung der Gefahr ausgesetzt seien, sich eine MCS zuzuziehen.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, auch wenn Prof. Dr. E. eine MCS diagnostiziert habe, stehe diese nicht derart im Vordergrund, dass kein Raum für eine sonstige BK übrig bleibe. Seine Erkrankung sei geradezu typisch "für in Frage kommende Listennummern". Er leide unter einer toxischen Enzephalopathie. Ursache sei die Exposition gegenüber den fraglichen Listenstoffen bei Ausschluss von Alternativursachen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Bei der MCS handle es sich nicht um eine Listenerkrankung. Anhaltspunkte für eine sonstige Listenerkrankung, insbesondere nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV (PNP oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) lägen nicht vor. Die MCS sei auch nicht als wie eine BK zu entschädigende Erkrankung anzuerkennen, da die erforderlichen neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht vorlägen.

Deswegen hat der Kläger am 31. Januar 2003 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben, mit welcher er die Anerkennung "der BK" erstrebt hat. Die Beklagte habe nur die Belastungen ab 11. April 1994 ermittelt und geprüft. Es sei nicht bewiesen, dass er seit September 1973 keinen neurotoxischen Listenstoffen in ausreichender Höhe exponiert gewesen sei. Die Beklagte habe nicht alle Arbeitsplätze überprüft. Zu berücksichtigen seien alle in Frage kommenden Listennummern, nicht nur Nr. 1317 der Anlage zur BKV, und ferner sei zu prüfen, ob eine wie eine BK zu entschädigende Erkrankung vorliege. Bezüglich seiner früheren "hoch lösemittelbelasteten Arbeitsplätze" habe die Beklagte keinerlei Ermittlungen angestellt. Hierzu hat er nochmals eine Schilderung des beruflichen Werdeganges und der Schadstoffbelastungen abgegeben und bekräftigt, bis 1996 so gut wie nie krank gewesen zu sein. Ferner hat er seine Krankheitsgeschichte von 1992 bis 2000 dargelegt.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ein Sachverständigengutachten des Prof. Dr. K. vom 25. Mai 2006 mit einem neuropsychologischen Zusatzgutachten der Dipl.-Psych. Dr. V. vom 23. Februar 2005 und einem neurologischen Zusatzgutachten des Prof. Dr. B. vom 17. Oktober 2005 eingeholt.

Dr. V. hat im Wesentlichen ausgeführt, der Beginn der Beschwerden werde vom Kläger auf 1998 datiert, nachdem er zuvor 1997 in die Kunststoffspritzerei versetzt worden sei. Nach Entfernung einer Zyste aus der Nase sei es zum Verlust des Riechvermögens gekommen. Es liege eine kognitive Leistungsminderung vor, es sei aber unwahrscheinlich, dass sie durch einen hirnpathologischen Prozess bedingt sei. Dagegen sprächen mnestische Ausfälle und Gesprächsabbrüche im Explorationsgespräch ohne testdiagnostisch objektivierbare deutliche verbal- und figuralmnestische Störungen sowie die Unfähigkeit, die Rey-Osterieth-Figur abzuzeichnen, obwohl eine Minderung der visuellen, konstruktiven und psychomotorischen Fertigkeiten nicht vorliege, und dass eine encephalopathische Verursachung mehr zu einer allgemeinen Minderung des gesamten Leistungsgefüges führe. Ferner sei der craniale MRT-Befund aus dem Jahr 2000 unauffällig und auch die Beobachtungen im Fachkrankenhaus Nordfriesland im Jahr 2000 hätten keine Störung der kognitiven Funktionen ergeben. Der Verdacht einer lösungsmittelbedingten Encephalopathie sei weder 2001, noch 2002 testdiagnostisch belegt. Das feststellbare Leistungsniveau könnte ein hirnorganisch Behinderter nicht erreichen. Nach dem Ergebnis der Untersuchung seien Störungen der kognitiven Leistungsfähigkeit feststellbar. Sie träten im Rahmen einer Angstattacke, bei der Antizipation und infolge der aversiven Situation auf. Die Befunde sprächen gegen eine primär encephalopathische Hirnleistungsminderung.

Prof. Dr. B. ist zum Ergebnis gelangt, das psychisch auffällige Verhalten gehe über eine hartnäckige Weigerung im Rahmen einer Somatisierungsstörung hinaus. Es bestehe eher inzwischen eine paranoide Krankheitsverarbeitung. Die MCS stelle nach allgemein anerkannter Lehrmeinung bisher eine Hypothese dar, für die es noch keine Nachweise gebe. Bei den chronischen Kopfschmerzen sowie den intermittierend progredient auftretenden hypästhetischen Beschwerden könne nach wiederholten, auch neurologisch-fachärztlichen Untersuchungen, fehlenden pathologischen klinisch-elektrophysiologischen Zusatzuntersuchungen sowie unauffälligen bildmorphologischen Untersuchungen des Kopfes eine Enzephalopathie nicht festgestellt werden. Anhand der arbeitsmedizinischen Gutachten sei eher davon auszugehen, dass sich möglicherweise im Zusammenhang mit der jahrelangen Lösemitteleinwirkung eine MCS entwickelt habe. Bei dieser handle es sich nach gängiger Lehrmeinung nicht um eine mit einwandfrei wissenschaftlichen Methoden nachgewiesene Krankheitsentität, sondern vielmehr um eine Hypothese, die der wissenschaftlichen Nachprüfung durch kontrollierte, postspektive und breit angelegte Studien bedürfe.

Prof. Dr. K. ist zum Ergebnis gelangt, nach den gesamten anamnestischen Erhebungen bestehe eine vorbestehende endogene Disposition oder Vulnerabilität, die auch beim Bruder des Klägers vorgelegen habe. Die Zunahme der körperlichen Beeinträchtigungen nach der Tätigkeit in der Kunststoffspritzabteilung 1997/98 sei aus einer Interaktion bestimmter dispositioneller Faktoren bzw. einer gegebenen Vulnerabilität mit situationsgebundenen Stressoren entstanden, zu denen auch chemische Stressoren wie organische Lösungsmittel gehörten. Neuropsychologisch seien Störungen der kognitiven Leistungsfähigkeit im Rahmen einer Angst- und Panikattacke nachgewiesen, ebenso ein chronischer Spannungskopfschmerz mit Verkrampfungen der linken Gesichtshälfte und Taubheitsgefühlen der linken Körperhälfte. Insgesamt entspreche die Beschwerdesymptomatik weitgehend einem MCS-Syndrom. Die Beschwerdesymptomatik habe während und nach der Tätigkeit in der Kunststoffspritzerei 1997/1998 bei der Firma K. eingesetzt. Eine endogene Disposition sei nicht auszuschließen. Die Exposition durch mehrere neurotoxische Lösungsmittel diente mit Wahrscheinlichkeit als chemischer Stressor im Sinne des Vulnerabilitäts-Stress-Modells. Die Ermittlungen des TAD mit dem Ergebnis einer dauerhaft sicheren Einhaltung der Grenzwerte spiegelten zweifelsfrei nicht die Situation in der alten Kunststoffspritzanlage bis 1998 wider. Befunde, die eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Nach dem neurologischen Zusatzgutachten sei eine PNP ausgeschlossen. Eine primäre encephalopathische Hirnleistungsminderung sei trotz auffälliger kognitiver Leistungsdaten nicht eindeutig objektiviert. Da die persistierende chronisch zunehmende Kopfschmerzsymptomatik sowie die intermittierend progredienten hemihypästhetischen Beschwerden nicht zu objektivieren gewesen seien, entfielen auch andere BK-Nummern. Er stimme mit Prof. Dr. E. darin überein, dass die beim Kläger bestehenden Symptomatik einem toxisch bedingten MCS-Syndrom entspreche. Die Überlegungen seien gerechtfertigt, eine Anerkennung wie eine BK in Betracht zu ziehen.

Mit Urteil vom 19. September 2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Eine BK der Anlage zur BKV, insbesondere nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV liege nicht vor. Insbesondere liege keine hirnorganische Schädigung vor, womit auch eine toxische Encephalopathie nicht begründbar sei. Ferner sei ein MCS-Syndrom nicht als wie eine BK zu entschädigende Erkrankung anzuerkennen. Eine entsprechende Krankheit sei mangels messbarer und reproduzierbarer gesundheitlicher Effekte bisher nicht objektiviert. Die generelle Geeignetheit bestimmter Einwirkungen, ein MCS-Syndrom zu verursachen, sei ferner nicht belegt.

Gegen das am 21. September 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, dem 23. Oktober 2006 Berufung eingelegt, mit welcher er die Anerkennung und Entschädigung einer PNP und einer Encephalopathie wie eine BK gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII erstrebt.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat der Senat eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme des Prof. Dr. K. mit einem neuropsychologischen Zusatzgutachten der Dipl.-Psych. J. vom 27. April 2008 und einem neuropsychiatrischen Zusatzgutachten des Dr. J. vom 27. April 2008 eingeholt, die Prof. Dr. K. unter dem 29. Mai 2008 erstellt hat.

Dr. J. ist in ihrem neuropsychologischen Gutachten zum Ergebnis gelangt, aktuell sei eine relevante kognitive Schwäche auszuschließen. Es bestünden Hinweise auf neurotische Strukturen. Dr. V. habe noch eine primär nicht vorhandene, sondern sehr wahrscheinlich erworbene kognitive Teilleistungsschwäche erhoben, die per se nicht direkt vereinbar gelte mit einer zu Grunde liegenden Encephalopathie (da nicht spezifisch, sondern diffus). Dr. V. habe aber organisch eine encephalopathische Grundlage "erwogen", die Störungen jedoch mit Angst- und Panikattacken erklärt, wobei die "Hinweise auf relevante Angst damals bereits unscharf und mehrdeutig erschienen" seien. Aktuell bestehe keine kognitive Störung. Nach psychotherapeutischer (lernpsychologischer) Erfahrung sollte aus der Retrospektive heute eher gewürdigt werden, dass der Kläger neurobiologisch sicher über einen Zeitraum von Jahren durch seine prämorbide persönlichkeitsspezifische Disposition chronisch unter mehr oder weniger erhöhtem unspezifischem Stress gestanden habe, "unter erhöhter allgemeiner Beanspruchung weiteren Stress auslösend durch die im Hauptgutachten glaubhaft gemachte berufliche neurotoxische Belastung hinzu kam und dass aufrechterhaltend letztlich dann noch die Verarbeitung seiner beruflichen Dekompensation hinzu kam". Zusammenfassend seien keine Anhaltspunkte dafür zu finden, die für eine encephalopathisch bedingte und unter Angsteinfluss stattgefundene etwaige Minderung der kognitiven Leistungsfähigkeit sprächen.

Dr. J. hat im neuropsychiatrischen Zusatzgutachten die Diagnosen emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typus mit Neigung zu psychogenen neurovegetativen Belastungsreaktionen, geringfügige sensible PNP, vorbekanntes MCS-Syndrom, Ausschluss einer kognitiven Störung und Ausschluss einer früher durchgemachten oder aktuellen Encephalopathie gestellt. Bei der aktuellen gutachterlichen Untersuchung sei nebenbefundlich eine geringgradige, grenzwertige sensible PNP erkennbar gewesen. Bei der klinisch-neurologischen Untersuchung sei eine handschuh- und sockenförmige distale betonte Sensibilitätsstörung angegeben worden und die neurophysiologischen Befunde an Händen und Füßen hätten eine grenzwertige Herabsetzung der sensiblen und motorischen Nervenleitgeschwindigkeit der peripheren Nerven ergeben. Es handle sich um einen grenzwertigen, klinisch nicht relevanten Befund. Zu erwägen sei, ob eine neurotoxische oder diabetogene Ursache zu ermitteln sei. Es bestehe seit Jahren ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ II. Bei den in den vorliegenden Gutachten dargestellten Expositionen neurotoxischer Stoffe sei eine differenzialdiagnostische Abgrenzung aus heutiger Sicht nicht zu treffen. Auf keinen Fall könne die Diagnose einer geringgradigen bzw. grenzwertigen sensiblen PNP zur Begründung dienen, eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV anzunehmen oder gar anzuerkennen. Es bestehe jenseits eines MCS-Syndroms eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ. Im Sinne der Comorbidität liege neben der Erkrankung an einem MCS-Syndrom eine bereits vorbestandene persönlichkeitsstrukturelle primäre Schwäche vor und persistiere. Biographische Details, psychische Dekompensationen in kritischen Interaktionen und der neuropsychologisch festgestellte leichtgradig auffällige Persönlichkeitsbefund wiesen übereinstimmend auf eine nachweislich erhöhte emotionale und physiologische Erregbarkeit hin. Chronisch erhöhte Überregbarkeit gehe ihrerseits mit Verminderung von psychischer Belastbarkeit einher und erhöhe ihrerseits die Wahrscheinlichkeit für die Ausbildung körperlicher Symptome wie etwa attackenartiges Auftreten von Schmerzen und Gefühlsstörungen. Aus neuropsychiatrischer Sicht könne die erhöhte Vulnerabilität des Klägers gegenüber Stress insbesondere auf Grund der Explorationsdaten als fundiert gesichert gelten. Die Konfrontation mit chemischen Stressoren gelte daher als sehr wahrscheinliche Ursache für die nach wie vor bestehende vielfältige Symptomatik im Rahmen einer letztlich komplexen Komorbidität hinsichtlich eines erklärenden Vulnerabilitäts-Stress-Modells.

Prof. Dr. K. ist zum Ergebnis gelangt, der Kläger habe von etwa 1992 bis 2005 an einer linksseitigen sensiblen Hemihypästhesie und therapieresistenten rezidivierenden Cephalgien gelitten. Mindestens seit 2000 seien anhaltende Erschöpfungszustände hinzugetreten. Eine Recherche zum aktuellen Wissensstand habe ergeben, dass dieser betreffend der sogenannten MCS generell nicht ausreichend sein dürfte, um eine mögliche Quasi-BK zu diskutieren. Unabhängig davon dürfte es an der typischen Berufsgruppe fehlen. Weitere Beschwerden seien eine Polyposis nasi, eine Rhinitis allergica perennialis, HWS- und LWS-Rückenschmerzen, bis etwa 1999 Ekzeme an Armen und Gesicht und allergische Hautreaktionen, Atemwegserkrankungen sowie Blasenentzündungen. Eine toxische Encephalopathie sei "nach anamnestischen Angaben, der zeitlichen Zusammenhangsfrage und der Neurotoxizität der Arbeitsstoffe (Lösungsmittel, Schmierstoffe) in der Zeit von 1986 bis 2005/2006 mit einem Schweregrad IIb anzunehmen". Prof. Dr. E. habe in ihrem Gutachten im Jahr 2002 das Krankheitsbild des Klägers überwiegend der immer noch nicht unbestrittenen sogenannten MCS zugeordnet. Vom Kläger seit etwa 2005 durchgeführte Therapien zur Besserung seiner multiplen Beschwerden verliefen erfolgreich, sowohl nach seinen eigenen Angaben, wie auch nach der neuropsychologischen Testung 2008 (unauffälliges homogenes kognitives Leistungsprofil), obwohl immer noch attackenartige Schübe mit Gesichtslähmungen aufträten und die auffällige Gewichtsabnahme klinisch ungeklärt sei. Dies stehe mit der modernen Hirnforschung im Einklang. Die aktuelle neurologisch-psychiatrische Untersuchung habe eine geringe klinisch nicht relevante sensible PNP und eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typus mit Neigung zu psychogenen neurovegetativen Belastungsreaktionen gezeigt. Die Anerkennung einer MCS wie eine BK halte er nun nach nochmaliger Literaturrecherche nicht mehr für richtig. Eine Encephalopathie sei jedoch wegen der Ausschlussfrist wie eine BK anzuerkennen, weil der Kläger bereits lange vor dem 01. Januar 1993 unter der beruflich verursachten Encephalopathie gelitten habe. Außergewöhnliche Ermüdbarkeit, rasche Erschöpfbarkeit und Kraftlosigkeit zählten zu den Kernsymptomen der toxischen Encephalopathie. Die beim Kläger bestehende Mitochondriopathie bestätige zusätzlich und zweifelsfrei die früher bestandene Encephalopathie.

Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, es sei nicht ausschließlich von einer MCS auszugehen, deren Anerkennung auch nicht begehrt werde. Es könne eine Comorbidität vorliegen, mit der Folge, dass MCS-Symptome fehlgedeutet würden. Der nicht mögliche Ausschluss einer endogenen Disposition spiele wegen der Komorbidität keine Rolle. Die Beschwerdesymptomatik habe sich während der Tätigkeit 1997/1998 entwickelt. Es sei auch nicht bewiesen, dass er vor 1989 nicht unter Belastung durch Lösemittel gearbeitet habe. Zuletzt hat er vorgetragen, er habe vor 1993 unter einer berufsbedingten Enzephalopathie gelitten. Es seien erhöhte PCB-Werte festgestellt worden und er sei bei der Tätigkeit im Straßenbau bis 1976 in erheblichem Maße PCB ausgesetzt gewesen. Eine erhebliche Chemikalienüberempfindlichkeit bestehe nicht mehr. Er leide aber immer noch unter Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Erschöpfungszuständen, Ekzemen, Nervenschmerzen und Krämpfen im Gesicht, was typisch sei für in PCB enthaltene Dioxine.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 19. September 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2003 zu verurteilen, eine Polyneuropathie sowie eine Encephalopathie als wie eine Berufskrankheit zu entschädigende Erkrankung anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Bezüglich der Komorbidität stelle sich die Frage nach der Diagnose, nachdem von den Gutachtern zunächst nur eine MCS diagnostiziert worden sei. Selbst wenn eine entsprechende Diagnose zu stellen sein sollte, wären die Voraussetzungen für die Anerkennung wie eine Berufskrankheit nicht erfüllt. Eine primäre encephalopathische Hirnleistungsminderung sei nicht nachgewiesen. Die zuletzt von Prof. Dr. K. aufgestellte Behauptung, lange vor 1993 habe eine beruflich verursachte Encephalopathie vorgelegen, sei nicht nachvollziehbar. Im Übrigen habe der Kläger in den Jahren 1983 bis 1993 auch keinen Kontakt zu Lösungsmitteln gehabt. Soweit er eine Erkrankung durch PCB geltend mache, sei hierüber nicht entschieden. Sie sei bereit, insofern ein neues Feststellungsverfahren einzuleiten.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Nachdem der Kläger ausdrücklich nur noch die Anerkennung und Entschädigung einer PNP und einer Enzephalopathie wie eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII begehrt, hat der Senat nur darüber zu entscheiden.

Der hier in Rede stehende Anspruch auf Anerkennung einer PNP und einer Enzephalopathie wie eine BK (Quasi-BK) und auf Entschädigung richtet sich - soweit der Kläger geltend macht, die Erkrankung habe bereits vor 1997 vorgelegen - nach den bis zum 31. Dezember geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der als entschädigungspflichtig geltend gemachte Versicherungsfall vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1. Januar 1997 behauptet wird (Art. 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes [UVEG], § 212 SGB VII). Im Übrigen ist mit Inkrafttreten des SGB VII und der entsprechenden Regelung in § 9 Abs. 2 SGB VII hinsichtlich der Voraussetzungen, unter denen eine Anerkennung einer Erkrankung und Entschädigung wie eine Berufskrankheit zu erfolgen hat, eine Änderung nur insoweit erfolgt, als nun klargestellt ist, dass eine Anerkennung zu erfolgen hat, wenn die im Übrigen unveränderten erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Nach § 551 Abs. 2 RVO sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der BKVO bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs. 1 RVO erfüllt sind. Zu diesen Voraussetzungen gehören zum einen der Nachweis der entsprechenden Erkrankungen im Vollbeweis und der Nachweis der schädigenden Einwirkungen bei der beruflichen Tätigkeit sowie ferner sowohl der ursächliche Zusammenhang der Krankheit mit der nach den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO versicherten Tätigkeit als auch die Zugehörigkeit des Versicherten zu einer bestimmten Personengruppe, die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist, die nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Krankheiten der betreffenden Art verursachen (sogenannte gruppentypische Risikoerhöhung). Mit dieser Regelung soll nicht in der Art einer "Generalklausel" erreicht werden, dass jede Krankheit, deren ursächlicher Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit im Einzelfall zumindest hinreichend wahrscheinlich ist, wie eine BK zu entschädigen ist (BSG, Urteil vom 4. Juni 2002, B 2 U 20/01 R m.w.N.).Vielmehr sollen dadurch Krankheiten zur Entschädigung gelangen, die nur deshalb nicht in die BK-Liste aufgenommen würden, weil die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft über die besondere Gefährdung bestimmter Personengruppen in ihrer Arbeit bei der letzten Fassung der Anlage 1 (nach Inkrafttreten der BKV nur noch "Anlage") zur BKVO noch nicht vorhanden waren oder trotz Nachprüfung noch nicht ausreichten.

Vorliegend fehlt es hinsichtlich der vom Kläger als zu entschädigen geltend gemachten Enzephalopathie am Nachweis, dass eine solche vorliegt oder vorgelegen hat. Der Senat sieht es nicht als erwiesen an, dass der Kläger unter einer Encephalopathie gelitten hat oder leidet. Seine Beschwerden, die er in Zusammenhag bringt mit einer Encephalopathie, haben, wie er geltend gemacht hat, erst 1998 bzw. 1997 mit der Aufnahme der Arbeit in der Kunststoffspritzabteilung der Firma K. begonnen. Wiederholt hat er geltend gemacht, er sei davor völlig gesund gewesen. Die Diagnose einer Encephalopathie wurde auch von den Ärzten, die der Kläger wegen seiner Beschwerden aufgesucht hat, Dr. K., Dr. M., Dr. D., Dr. R., Dr. R., Dr. R., PD Dr. L., PDDr. M.-W., Dr. K., Dr. H. und Dr. J. nicht gestellt. Prof. Dr. E. hat zwar in ihrem ersten nach Aktenlage erstatteten Gutachten vom 5. Dezember 2001 den Verdacht auf eine lösungsmittelbedingte Enzephalopathie geäußert, dann aber hieran nach weiteren Ermittlungen des TAD der Beklagten und eigener Untersuchung des Klägers im Gutachten vom 29. August 2002 nicht mehr festgehalten, sondern die Diagnose einer MCS gestellt. Die Dipl.-Psych. Dr. V. hat in dem auf Antrag des Klägers erstatteten neuropsychologischen Zusatzgutachten vom 23. Februar 2005 zwar noch eine kognitive Leistungsminderung erhoben, es jedoch als unwahrscheinlich angesehen, dass diese durch einen hirnpathologischen Prozess bedingt war. Ferner hat Prof. Dr. B. im auf Antrag des Klägers eingeholten neurologischen Zusatzgutachten vom 17. Oktober 2005 eine durch Lösungsmittel bedingte MCS angenommen und unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers, der Ergebnisse neurologisch-fachärztlicher Untersuchungen, fehlender pathologisch-klinisch elektrophysiologischer Zusatzuntersuchungen sowie unauffälliger bildmorphologischer Untersuchungen des Kopfes eine Encephalopathie verneint. Auch die aktuellen testpsychologischen Zusatzuntersuchungen hätten keinen Hinweis für eine solche Erkrankung ergeben. Schließlich hat Prof. Dr. K. in seinem auf Antrag des Klägers im erstinstanzlichen Verfahren erstellten Gutachten vom 25. Mai 2006 die Diagnose einer Encephalopathie nicht gestellt.

Bei der Untersuchung für das auf Antrag des Klägers eingeholte neuropsychologische Zusatzgutachten der Dipl.-Psych. Dr. J. vom 27. April 2008 fand diese keine relevante kognitive Schwäche und sah vielmehr Hinweise auf eine neurotische Struktur. Soweit es die Gutachterin "als aus der Retrospektive eher zu würdigen" ansieht, dass der Kläger neurobiologisch über einen Zeitraum von Jahren durch eine prämorbide persönlichkeitsspezifische Disposition chronisch unter mehr oder weniger erhöhtem unspezifischem Stress gestanden habe, zu dem unter erhöhter allgemeiner Beanspruchung weiteren "Stress auslösend die im Hauptgutachten glaubhaft gemachte berufliche toxische Belastung" und letztlich noch die Verarbeitung seiner beruflichen Dekompensation hinzu gekommen sei, vermag der Senat dadurch eine Encephalopathie nicht als belegt anzusehen. Schließlich hat die Gutachterin nach ihren Ausführungen bei der Untersuchung keine Anhaltspunkte gefunden, die für eine encephalopathisch bedingte oder unter Angst-Einfluss stattgefundene etwaige Minderung der kognitiven Leistungsfähigkeit sprechen.

Auch Dr. J. ist dann im auf Antrag des Klägers eingeholten neuropsychiatrischen Zusatzgutachten vom 27.April 2008 zum Ergebnis gelangt, eine früher durchgemachte oder aktuelle Encephalopathie sei auszuschließen. Auf Grund dessen stellt der Senat fest, dass eine Encephalopathie beim Kläger weder vorliegt, noch vorgelegen hat.

Soweit Prof. Dr. K. in der auf Antrag des Klägers eingeholten ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 29. Mai 2008 nun von einer toxischen Encephalopathie ausgeht, die in der Zeit von 1986 bis 2005/2006 vorgelegen habe, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Es fehlt hierfür nicht nur an objektiven medizinischen Befunden, die diese Annahme stützen würden, sondern es wurde diese Diagnose von ärztlicher Seite gerade mehrfach ausgeschlossen. Prof. Dr. K. begründet seine Annahme im Wesentlichen mit "anamnestischen Angaben", die im Übrigen widersprüchlich sind, nachdem der Kläger mehrfach den Beginn seiner Beschwerden mit Aufnahme der Tätigkeit in der Kunststoffspritzabteilung der Firma K. behauptet hat, und der "zeitlichen Zusammenhangsfrage", die hier ebenfalls nicht als schlüssiges Argument für die Annahme einer Encephalopathie gesehen werden kann. Ferner begründet er seine Annahme einer toxischen Encephalopathie mit der "Neurotoxozität der Arbeitsstoffe (Lösungsmittel, Schmierstoffe)". Hierzu ist festzustellen, dass der Umgang mit Arbeitsstoffen, die geeignet sind, eine bestimmte Erkrankung herbeizuführen, nicht geeignet ist, die Erkrankung als solche zu beweisen.

Es verbleibt bei der in mehreren Gutachten und auch von Prof. Dr. K. nicht in Abrede gestellten Diagnose einer MCS, die allerdings weder eine Erkrankung, die in der Anlage zur BKV erfasst ist, noch eine wie eine BK zu entschädigende Erkrankung darstellt, was auch - so Prof. Dr. K. - weiter dem Stand der aktuellen Wissenschaft entspricht. Diese Erkrankung macht der Kläger im Übrigen auch nicht als Quasi BK geltend.

Somit ist nicht feststellbar, dass der Kläger unter eine Encephalopathie leidet oder gelitten hat, so dass er keinen Anspruch auf Feststellung und Entschädigung einer solchen Erkrankung wie eine BK hat.

Soweit der Kläger eine PNP als wie eine BK anzuerkennende und zu entschädigende Erkrankung geltend macht, liegen die Voraussetzungen hierfür gleichfalls nicht vor.

Die Diagnose einer PNP wurde von den vom Kläger benannten Ärzten, die er wegen seiner Beschwerden aufsuchte, nicht diskutiert oder gar gestellt. Der Allgemeinmediziner H. hatte keine oder keine sicheren Hinweise für eine PNP im Rahmen einer stationären Behandlung wegen Einstellung des Diabetes erhoben. Lediglich der Orthopäde Dr. J. erwähnte - ohne Mitteilung entsprechender Befunde - eine "diabetische" PNP. Auch Prof. Dr. E. stellte die Diagnose einer PNP nicht und verneinte ausdrücklich das Vorliegen einer BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV, die u.a. eine PNP erfasst. Auch im Rahmen des neurologischen Zusatzgutachtens des Prof. Dr. B. wurde die Diagnose nicht gestellt, nachdem sich anamnestisch wie auch bei der klinischen Untersuchung keine sicheren und objektivierbaren Zeichen für eine mögliche sensomotorische PNP gefunden hatte. In seinem Gutachten vom 25. Mai 2006 hat auch Prof. Dr. K. neben einer Encephalopathie eine PNP, die nach den neurologischen Untersuchungen einschließlich aktueller Befunde nicht zu objektivieren sei, verneint.

Dr. J. hat nun im neuropsychiatrischen Zusatzgutachten vom 27. April 2008 ausgeführt, bei der Prüfung der Oberflächensensibilität werde an Händen und Füßen eine handschuh- und sockenförmig begrenzte distalbetonte Minderung der Sensibilität "angegeben". Hieraus hat er auf eine geringgradige PNP geschlossen, wobei es sich um einen grenzwertigen, klinisch nicht relevanten Befund handle, bei dem auch zu erwägen sei, ob eine neurotoxische oder diabetogene Ursache vorliege und eine differenzialdiagnostische Abgrenzung nicht zu treffen sei. Die Diagnose einer geringgradigen bzw. grenzwertigen sensiblen PNP sei aber nicht ausreichend, eine BK nach Nr. 1317 der Anlage zur BKV anzunehmen oder gar anzuerkennen. Damit fehlt es am Nachweis einer relevanten PNP.

Im Übrigen wäre - selbst wenn eine entsprechende Erkrankung in relevantem Umfang vorläge - auch ein ursächlicher Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit nicht feststellbar. Insofern ist ein hinreichend wahrscheinlicher ursächlicher Zusammenhang mit beruflichen Belastungen von keinem Gutachter gesehen worden. Gerade angesichts des seit Jahren bestehenden insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ IIa und der Tatsache, dass die Diagnose einer grenzwertigen PNP erst 2008, also knapp zehn Jahre nach Aufgabe jeglicher beruflicher Tätigkeiten gestellt wurde, lässt einen ursächlichen Zusammenhang nicht erkennen. Damit kommt es auch insofern nicht darauf an, ob die weiteren Voraussetzungen für die Anerkennung und Entschädigung wie eine BK vorliegen.

Soweit der Kläger zuletzt noch vorgetragen hat, es seien erhöhte PCB-Werte festgestellt worden und er sei bis 1976 in erheblichem Maße PCB ausgesetzt gewesen, fehlt es - ungeachtet dessen, dass sich sein zuletzt gestellter Antrag nur auf Anerkennung und Entschädigung einer Encephalopathie und einer PNP wie eine BK richtet - an einer entsprechenden Prüfung und Entscheidung der Beklagten, die diese im Übrigen zuletzt angeboten hat.

Da die Voraussetzungen für die Anerkennung und Entschädigung der geltend gemachten Erkrankungen wie eine BK nicht vorliegen, weist der Senat die Berufung des Klägers zurück. Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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