S 13 AS 162/09 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 13 AS 162/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1.Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. 2.Die Antragsgegnerin trägt 1/2 der außergerichtlichen erstattungsfähigen Kosten der Antragsteller.

Gründe:

Die Beteiligten streiten darüber, ob und inwieweit den Antragstellern einstweilig Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach den Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGBII) auszuzahlen sind.

Die Antragsteller zu 1) und 2) sind verheiratet und Eltern des am 12.11.2006 geborenen Antragstellers zu 3). Die Antragstellerin zu 2) ist schwanger; errechneter Entbindungstermin ist der 31.1.2010. Der Antragsteller zu 1) ist litauischer Staatsangehöriger und Inhaber einer unbefristeten Freizügigkeitsbescheinigung nach § Freizügigkeitsgesetz/EU.

Der Antragsteller zu 1) betreibt als Selbständiger seit Mai 2005 ein Gewerbe zur Vermittlung von gebrauchten PKW. Er ist privat krankenversichert und zahlt für die Kranken- und Pflegeversicherung monatlich einen Beitrag in Höhe von 183,09 Euro. Die Antragsteller wohnen in einer - wohl - 73 qm grossen Wohnung (Wohnfläche 63 qm). Für diese sind nach den Angaben der Antragsteller im Antragsformular vom 22.6.2009 jährliche Tilgungsleistungen in Höhe von 4800.- Euro zu zahlen. Für die weiteren Nebenkosten der Wohnung wird auf die Angaben der Antragsteller (Blatt 32 ff. der Verwaltungsakte) Bezug genommen. Für die mit Gas beheizte Unterkunft sind nach der Abrechnung des Versorgers vom 16.6.2009 monatliche Abschläge in Höhe von 70.- Euro zu zahlen.

Die Antragsteller sind nach Kaufvertrag von 16.12.2008 zudem Eigentümer eines Gewerbegründstückes in Siegburg (Gebäude- und Freifläche von 1231 qm), welches sie zu einem Kaufpreis von 54.000 Euro erworben haben.

Am 12.6.2009 beantragten die Antragsteller Leistungen nach dem SGB II und legen im Rahmen der Antragstellung unter anderem die Anlage "EKS" (Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit) betreffend der Monate Juni bis Dezember 2009 vor, aus der sich ein von ihnen errechneter Gewinn in Höhe von 3450.- Euro ergibt. Für die Einzelheiten der Erklärung wird auf Bl. 91 ff. Verwaltungsakte Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 13.7.2009 lehnte die Antragsgegnerin die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab, da das Einkommen den Bedarf übersteige und zudem Vermögen vorliege, welches die Vermögensfreigrenzen überschreite - für die Bedarfs- und Einkommensberechnung wird auf die Anlage zum Bescheid vom 13.7.2009 Bezug genommen.

Dem Bescheid vom 13.7.2009 widersprachen die Antragsteller und führten zur Begründung aus, das monatliche Einkommen aus der Selbständigkeit belaufe sich auf 0.- Euro. Auch sei die selbstbewohnte Immobilie angemessen gross, so dass auch die Rückzahlung des Kredits in Höhe von 400.- Euro als Kosten der Unterkunft anzusehen seien. Zudem sei die Antragstellerin schwanger und könne daher einen entsprechenden Mehrbedarf beanspruchen.

Am 9.9.2009 haben die Antragsteller um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht und zur Begründung vorgetragen, sie hätten einstweilig ab 12.6.2009 Anspruch auf Zahlung der Regelleistungen sowie Kosten der Unterkunft in Höhe von 224,10 Euro pro Monat sowie Auszahlung des Mehrbedarfes bei Schwangerschaft. Im Jahr 2009 sei aus der Selbständigkeit kein Einkommen erwirtschaftet worden.

Mit Schreiben vom 10.9.2009 und 6.10.2009 hat sich die Antragsgegnerin bereit erklärt, Leistungen nach dem SGB II darlehensweise und - angesichts der Einkünfte aus Selbständigkeit - vorläufig zu erbringen und zwar betreffend des Zeitraumes 9.9.2009 bis 30.9.2009 in Höhe von 622,25 Euro und für die Monate Oktober bis Dezember 2009 in Höhe von monatlich 848,52 Euro. Bei der dabei zugrundegelegten Brechnung geht die Antragsgegnerin von einem anrechenbaren Einkommen aus Selbständigkeit in Höhe von 133,87 Euro, Kosten der Unterkunft in Höhe von 160,39 Euro, Heizkosten in Höhe von 70.- Euro und einem Bedarf - inclusive einem Mehrbedarf bei Schwangerschaft - in Höhe von 916.- Euro aus.

Die Antragsteller haben sich mit einer Darlehensgewährung nicht einverstanden erklärt, da sie durch ein solches Darlehen weiter in die Verschuldung getrieben würden. Für den Aufbau einer Garage auf dem Gewerbegrundstück habe der Antragsteller zu 1) ein Darlehen über 24.000 Euro aufgenommen, welches monatlich mit 500,- Euro zurückzuzahlen sei. Zudem habe man im Laufe des Jahres 2009 bei Familienmitgliedern Darlehen in Höhe von insgesamt 48.668,21 Euro aufgenommen. Sämtliche Darlehen würden gegenwärtig trotz dringender Aufforderungen der Darlehensgeber nicht zurückgezahlt. Daher habe der Antragsteller zu 1) das Gewerbegrundstück inzwischen auch an seinen Vater abgetreten. Der Antragsteller zu 1) könne eidesstattlich versichern, dass er gegenwärtig kein Einkommen erwirtschafte. Die von ihm bei Abgabe der Anlage "EKS" angenommenen Erwartungen seien nicht eingetreten. Zudem seien die Tilgungsraten für das selbstgenutzte Eigenheim in Höhe von 400.- Euro als Kosten der Unterkunft anzuerkennen.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

die Antragsgegnerin einstweilig zu verpflichten, Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe ab dem 12.6.2009 in Form eines Zuschusses zu bewilligen und bei der Berechnung ein anrechenbares Einkommen aus selbständiger Tätigkeit nicht zugrundezulegen.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

den Antrag abzulehnen.

Für die Zeit vor dem 8.9.2009 bestehe - da dieser Zeitraum vor der Antragstellung bei Gericht liege - ohnehin kein Rechtsschutzbedürfnis. Für die Zeit ab 9.9.2009 sei vorläufig auf die Angaben aus der Anlage EKS abzustellen, wobei hier mangels Nachweis die PKW-Haftpflichtversicherung nicht berücksichtigungsfähig sei.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin und den der Gerichtsakte Bezug genommen.

Der Antrag ist zulässig aber unbegründet.

Das Gericht hat von Amts wegen in das Rubrum auch den Sohn der Antragsteller zu 1) und 2) aufgenommen. Nach Auslegung des Antragschriftsatzes geht es den Antragstellern um Ansprüche nach dem SGB II betreffend sämtlicher Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft.

Der so verstandene Antrag ist nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Danach kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Der Antrag ist unbegründet. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist das Bestehen eines Anordnungsanspruches und eines Anordnungsgrundes. Es bedarf eines materiellen Anspruchs (Anordnungsanspruch) und einer besonderen Eilbedürftigkeit der Sache (Anordnungsgrund). Als eilbedürftig kann eine Sache nur angesehen werden, wenn es für den Antragsteller unzumutbar ist, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen nach § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs.2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht werden. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen eintreten, die auch durch ein Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05).

Soweit die Antragsteller einstweilig Leistungen auch für die Zeit vor der Antragstellung bei Gericht (d.h. für den Zeitraum vom 12.6.2009 bis 8.9.2009) beanspruchen, ist der Antrag mangels Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit unbegründet. Eine besondere Eilbedürftigkeit besteht grundsätzlich nicht, wenn um Zeiträume betreffend der Vergangenheit , d.h. solche vor der Antragstellung bei Gericht, gestritten wird (LSG NRW, Beschlus vom 23.10.2006, L 9 B 106/06 ER). Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall hiervon eine Ausnahme zu machen wäre, hat das Gericht nicht.

Soweit sich die Antragsteller mit der von der Antragsgegnerin angebotenen darlehensweise Gewährung der Leistungen ab dem Zeitraum 9.9.2009 nicht einverstanden erklärt haben und auch einstweilig die Leistungen in Form eines Zuschusses begehren, haben sie ebenfalls einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Die geltend gemachte Notlage kann einstweilig durchaus durch ein Darlehen der Antragsgegnerin behoben werden, da die darlehensweise gewährten Mittel zunächst voll zur Deckung des Lebensunterhaltes eingesetzt werden können. Ob die Leistungen endgültig rechtmäßigerweise nur in Form eines Zuschusses zu bewilligen sind, muss der Klärung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Anlass für eine gerichtliche Eilentscheidung besteht angesichts der Bereitschaft der Antragsgegnerin zur Darlehenserbringung nicht; auch eine gerichtliche Entscheidung würde nur vorläufigen Charakter haben (vgl. allg. LSG NRW, Beschluss vom 1.7.2009, Az.: L 20 B 28/09 AS ER; die von den Antragstellern in diesem Zusammenhang genannte Entscheidung des LSG NRW vom 20.5.2007, Az,.: L 20 B 77/07 AS ER verfängt nicht, da hier keinerlei Aussagen zu einer Darlehensgewährung getroffen werden).

Die Eilbedürftigkeit bei einer Darlehensgewährung ergibt sich auch nicht aus der nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a) SGB V fehlenden gesetzlichen Krankenversicherungspflicht. Der Antragsteller zu 1) ist freiweillig privat krankenversichert, wobei die von ihm gezahlten Beiträge in der Einkommensberechnung der Antragsgegnerin zu Recht einkommensmindernd berücksichtigt wurden (Bl. 32 Gerichtsakte). Betreffend der Antragsteller zu 2) und 3) hat die Antragsgegnerin angeboten, deren Beiträge ab 1.9.2009 als Darlehen zu erbringen. Eine vom Gericht zu beseitigende Notlage besteht daher aktuell nicht.

Soweit die Antragsteller ab dem Zeitpunkt 9.9.2009 höhere Leistungen beanspruchen als von der Antragsgegnerin im Schreiben vom 10.9.2009 errechnet, haben sie einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Auf Bedarfsseite ist die Antragsgegnerin zutreffend von einem Bedarf in Höhe von 1146,39 Euro ausgegangen, wobei hier insbesondere der Mehrbedarf der Antragstellerin zu 2) nach § 21 Abs. 2 SGB II enthalten ist. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass betreffend der Kosten für Unterkunft und Heizung ein höherer Betrag als der von der Antragsgegnerin angesetzte in Höhe von 230,39 Euro anzunehmen ist, hat das Gericht nicht. Insoweit wird auf die Berechnung der Antragsgegnerin gem. der Anlage zum Schriftsatz vom 10.9.2009 (Bl. 26 Gerichtsakte) Bezug genommen.

Soweit die Antragsteller offenbar meinen, auch die monatlichen Stromkosten seien als Kosten der Unterkunft anzusehen, ist dies nicht zutreffend. Diese Kosten sind gem. § 20 Abs. 1 SGB II als Kosten der Haushaltsenergie aus der Regelleistung zu bestreiten.

Soweit die Antragsteller bei den Kosten der Unterkunft auch das monatliche Darlehen mit einer Tilgung von 400.- Euro berücksichtigt wissen wollen, haben sie einen derartigen Anspruch nicht glaubhaft gemacht. Grundsätzlich sind als Kosten der Unterkunft bei einer selbstgenutzten Immobilie neben den laufenden Kosten und Zinslasten die Tilgungsraten nicht als Kosten der Unterkunft anzusehen. Anderes kann nur dann gelten, wenn die Tilgungsleistungen dem Grunde und der Höhe nach für den Erhalt der Immobile zwingend erforderlich sind und auch eine Tilgungsausstzung bzw. -Streckung nicht möglich ist (BSG, Urteil vom 18.6.2008, Az.: B 14/11b AS 67/06R). Die Antragsteller haben derartiges nicht vorgetragen, so dass das Gericht nicht davon ausgehen muss, dass bei Nicht-Zahlung der Tilgungsleistungen unmittelbar der Verlust der Immobilie droht.

Auf Einkommensseite hat die Antragsgegnerin zu Recht bedarfsmindernd beim Antragsteller zu 3) das Kindergeld berücksichtigt (§ 11 Abs. 1 SGB II). Soweit die Antragsgegnerin darüber hinaus monatlich Einkommen aus Selbständigkeit in Höhe von 133,87 Euro bedarfsmindernd anrechnet, haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass ein derartiges Einkommen nicht erzielt wird. Zwar tragen sie vor, seit 2009 seien keinerlei Einkünfte erzielt worden. Sie haben diese Behauptung aber nicht glaubhaft gemacht. Wenn der Antragsteller zu 1) in seiner eigenen Prognose vom 22.6.2009 noch einen Gewinn vom 3450.- Euro prognostizierte, hätte es ihm oblegen, nachvollziehbare aktuelle Unterlagen etwa in Form einer monatsbezogenen Gewinn- und Verlustrechnung vorzulegen, aus denen sich die geänderte Geschäftsentwicklung hätte ablesen lassen. Die von den Antragstellern vorgelegte steuerrrechtliche Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz sowie die steuerrechtliche Überschuss-Rechnung (Bl. 17 Gerichtsakte) sind nicht geeignet, das behauptete fehlende Einkommen glaubhaft zu machen. Zum einen haben die Antragsteller Belege für die behaupteten Ausgaben nicht vorgelegt. Zum anderen sind nach § 3 Abs. 2 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II (Alg-II-VO) steuerrechtliche Maßstäbe bei der Einkommensberechnung nicht maßgebend. Daher konnte das Gericht auch davon absehen, die vom Antragsteller "angebotene" eidesstattliche Versicherung einzuholen. Da sich steuerrechtlicher Einkommensbegriff und der des Einkommens nach dem SGB II nicht decken und der Antragsteller mit den Einzelheiten - offenbar - nicht vertraut ist, würde eine pauschale Erklärung dahingehend, dass kein Einkommen erwirtschaftet wird, nicht hinreichend aussagekräftig sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in analoger Anwendung. Dabei war zu berücksichtigen, dass die von der Antragsgegnerin im Bescheid vom 13.7.2009 erfolgte vollständige Versagung der Leistungen voraussichtlich rechtswidrig war und insofern Anlass für das gerichtliche Verfahren gegeben hat. Da über das Angebot der Antragsgegnerin gem. Schriftsatz vom 10.9.2009 hinaus aber kein Anspruch der Antragsteller glaubhaft gemacht wurde, erscheint eine hälftige Quotelung der Kosten angemessen.
Rechtskraft
Aus
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