L 12 KA 547/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 43 KA 370/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 KA 547/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Hausarzt, der am Disease-Management-Programm Diabetes mellitus Typ II (DMP-V) als koordinierender (Haus-) Arzt teilnimmt und auch die Strukturqualitätsvoraussetzungen für eine Teilnahme als diabetologisch besonders qualifizierter Arzt erfüllt, ist nach § 4 Abs. 2 Satz 2 DMP-V berechtigt, bifunktional am Programm teilzunehmen.
2. Ein solcher bifunktional teilnehmender Arzt darf die Betreuungspauschalen des diabetologisch besonders qualifizierten Arztes gem. Nr. 9274 A der bayer. DMP-Ergänzungsverträge abrechnen, wenn der DMP-Vertrag ihm die Weiterbehandlung des Patienten als koordinierender (Haus-) Arzt verbietet und eine Überweisung zum diabetologisch besonders qualifizierten Arzt zwingend vorschreibt. Dies ist der Fall, wenn der Patient eine Schnittstelle i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Ergänzungsverträge i. V. m. Anlage 1, Ziffer 1.8 der Risikostrukturausgleichsverordnung erfüllt, die dort als zwingende Überweisungsmedikation genannt ist. Die Abrechnung der Nr. 9274 A darf dann nicht aufgrund des in der Legende enthaltenen hausärztlichen Überweisungsindikation verweigert werden.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 8. Mai 2007 aufgehoben

Unter Abänderung der Honorarbescheide vom 6. Oktober 2004 (2/04) und 10. Januar 2005 (3/05) in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 10. Juni 2005 wird die Beklagte verpflichtet, dem Kläger

für das Quartal 2/04
die Nr. 9274 A in den Behandlungsfällen (m. d. Versichertennummer)

O. H., geb. 1931 (12341158),
H.- H., geb. 1922 (12342769),
W. K., geb. 1931 (858116406),
D. R., geb. 1942 (350660705)
M. R., geb. 1927 (124730825),
A. W., geb. 1924 (4071931009)

und die Nr. 9274 B in den Behandlungsfällen

M., geb.1929 (1609308004),
E. N., geb. 1947 (350766882),
R. W., geb. 1922 (121469581),
G. D., geb. 1944 (121098981),
E. F., geb. 1939 (866304800),
M. S., geb. 1927 (855150094),
F. W., geb. 1922 (126277353),

sowie für das Quartal 3/04
die Nr. 9274 A in den Behandlungsfällen

L. M., geb. 1926,
D. R., geb.1942 (8350660705),
H. S., geb. 1940 (125743286) und
A. W., geb. 1924 (4071931009)

und die Nr. 9274 B in den Behandlungsfällen

E. N., geb. 1947 (350766882),
G. D., geb. 1944 (121098981),
M. S., geb1927 (855150094),
F. W., geb. 1922 (126277353),
S. G., geb. 1971 (121573943) und
M. H., geb. 1921 (121970205)

nachträglich zu vergüten,

sowie für das Quartal 2/04 in den Fällen

A. K., geb. 1923 (123063779),
R. M., geb. 1927 (123627554)

unter Umsetzung der angeforderten Nr. 9274 A in die 9274 B letztgenannte Ziffer zu vergüten.

Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.

Die Berufung der Beklagten wird im Übrigen zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen haben der Kläger zu 9/10 und die Beklagte zu 1/10 zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit von sachlichen Richtigstellungen streitig.

Der Kläger ist Allgemeinarzt und in A-Stadt als Hausarzt tätig. Er nimmt zudem am sog. Disease Management Programm Diabetes mellitus Typ II (Vertrag zur Durchführung des strukturierten Behandlungsprogramms nach §§ 137 f. SGB V Diabetes mellitus Typ II) sowohl als koordinierender Hausarzt als auch als diabetologisch besonders qualifizierter Arzt teil. Entsprechendes gilt für die nach Maßgabe besonderer Gesamtverträge erfolgende Versorgung von Diabetes-Patienten, die nicht in dieses Disease Management Programm eingeschrieben sind.

Im 2. Quartal 2004 wurde ihm mit Richtigstellungsbescheid als unselbständige Anlage des Honorarbescheids vom 6. Okt. 2004 in einer Vielzahl von Behandlungsfällen die Leistung der Nr. 9274A und die Leistung der Nr. 9274B (jeweils 75,00 EUR/Fall) mit der Begründung gestrichen, dass deren Ansatz eine Überweisung durch einen (koordinierenden) Hausarzt und eine Abrechnung auf Überweisungsschein erfordere. Dabei handelt es sich um gesamtvertraglich vereinbarte Aufwandsentschädigungen, die im Einheitlichen Bewertungsmaßstab nicht enthalten sind.

Den ohne Begründung gegen die Richtigstellungen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 10. Juni 2005 zurück.

Auch im Honorarbescheid für das 3. Quartal 2004 vom 10. Jan. 2005 stellte die Beklagte diese Leistungen richtig. Der Widerspruch wurde mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2005 zurückgewiesen.

Gegen die Richtigstellung der Nrn. 9274 A bis C hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München erhoben. Da die Nr. 9274 C nicht Gegenstand der Richtigstellung gewesen war, hat der Kläger die Klage durch Antragsbeschränkung zurückgenommen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Gebührentatbestände zwar eine Überweisung durch einen Hausarzt bzw. den koordinierenden Hausarzt voraussetzen würden. Jedoch sei rückwirkend zum 1. März 2004 ein Nachtrag zum Vertrag zur Durchführung des strukturierten Behandlungsprogramms nach §§ 137 f. SGB V Diabetes mellitus Typ II (i.f.: DMP-Vertrag) in Kraft getreten, wonach die diabetologische Schwerpunktpraxis in Ausnahmefällen eine Selbstüberweisung vornehmen könne, sofern diese den Patienten auch in der Funktion des Hausarztes koordiniere. Aus diesem Grunde sei der Kläger berechtigt gewesen, die abgesetzten Ziffern auch ohne Überweisungsschein anzusetzen. Bei identischer Fallgestaltung habe die Beklagte dem Kläger die abgesetzten Nrn. 9274 A und B im Quartal 1/04 zurückerstattet.

Mit Urteil vom 8. Mai 2007 hat das Sozialgericht nach Verbindung die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die abgesetzten Leistungen gemäß Nr.9274 A und B in den Quartalen 2/04 und 3/04 entsprechend nach zu vergüten. Die Beklagte habe die Pauschalen nach dem dritten Nachtrag auch ohne Überweisung zu vergüten, weil die dort genannten Voraussetzungen erfüllt erscheinen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Der Senat hat die Kassen bzw. Kassenverbände beigeladen, die Vertragspartner der maßgeblichen Verträge sind.

Die Beklagte legt dar, dass der Nachtrag nur für die Nr. 9274 A Anwendung finden könne. Die Betreuung von nicht am DMP-Vertrag teilnehmenden Versicherten könnte allenfalls über die Nr. 9274 B abgerechnet werden. Aber auch insoweit fehle es an der Vornahme einer Selbstüberweisung, deren Notwendigkeit sich aus dem durch den Nachtrag geschaffenen § 3 Abs. 2d DMP-Vertrag ergebe. Alle Fälle seien auf Originalschein abgerechnet worden. Außerdem seien die dort genannten Schnittstellen als Voraussetzung einer Selbstüberweisung nicht erfüllt. Die Behandlungsausweise gäben entsprechende Diagnosen nicht wieder.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 8. Mai 2007 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladene zu 1. hat sich dem Antrag der Beklagten angeschlossen.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten, der Streitakten des Sozialgerichts München sowie der Verfahrensakten des Bayerischen Landessozialgerichts Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Beklagtenberufung erweist sich in der überwiegenden Zahl der Fälle als begründet.
Der sowohl als koordinierender Hausarzt als auch als diabetologisch besonders qualifizierter Arzt teilnehmende Kläger besitzt einen Anspruch auf die gesamtvertraglichen Aufwandsentschädigungsleistungen nur dann, wenn die Schnittstellen der Anlage 1 Nr. 1.8 der Risikostrukturausgleichsverordnung in der Person des am DMP-Vertrag teilnehmenden Versicherten (Nr. 9274 A) bzw. in der Person des Nichtteilnehmers (Nr. 9274 B) erfüllt erscheinen, was sich aus den Diagnosenangaben der Behandlungsausweise ergeben muss. Nach Prüfung aller streitgegenständlichen Behandlungsausweise konnte dies infolge äußerst mangelhafter Dokumentation nur in Ansehung weniger Fälle angenommen werden.

Die streitgegenständlichen Aufwandsentschädigungen sind nicht im DMP-Vertrag selbst geregelt. Sie sind enthalten in selbständigen Gesamtverträgen, die die Beklagte - mit teils unterschiedlichem Inhalt - mit den einzelnen Kassenverbänden geschlossen hat.

Zu nennen ist hier die "Vereinbarung nach § 43 SGB V zwischen der KVB und der AOK Bayern, dem BKK Landesverband und der Bundesknappschaft über die Betreuung, Behandlung und Schulung von Patienten mit Diabetes mellitus Typ II im Zusammenhang mit DMP Diabetes mellitus Typ II, Patienten mit Diabetes mellitus Typ II, die nicht am DMP Diabetes mellitus Typ II teilnehmen ( ...) zur Verbesserung der Lebensqualität und Vermeidung diabetesbedingter Folgeschäden". (i.f. Ergänzungsvertrag -AOKErgV-).

Nach seiner Präambel bezweckt dieser Vertrag eine Ergänzung des DMP-Vertrags hinsichtlich der Schulung von Diabetikern (nicht Inhalt des DMP-Vertrags), der Behandlung und Betreuung von Diabetikern, für die derzeit noch keine Verträge zur Durchführung von strukturierten Behandlungsprogrammen existieren (Typ I-Diabetiker, Gestationsdiabetiker) sowie der Behandlung von nicht am DMP teilnehmenden Typ II- Diabetikern.

Der ergänzende Regelungsgehalt erschöpft sich aber nicht in der Festlegung von Einzelheiten der Versorgung der durch den DMP-Vertrag nicht erfassten Diabetiker. Der Ergänzungsvertrag schafft einen umfassenden Versichertenanspruch auf Betreuung durch den diabetologisch besonders qualifizierten Arzt.

Der Anspruch auf Betreuung durch den diabetologisch besonders qualifizierten Arzt besteht nach § 1 Abs. 1 AOKErgV
für Typ-II-Diabetiker, die am DMP teilnehmen und die Überweisungsschnittstellen der Anlage 1 Ziff. 1.8 der Risikostrukturausgleichsverordnung (-RSAV-) erfüllen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 AOKErgV) sowie
für Typ-II-Diabetiker, die nicht am DMP teilnehmen (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AOKErgV).

Den besonderen Betreuungsaufwand des diabetologisch besonders qualifizierten Arzts
will § 5 Abs.1 AOKErgV durch Betreuungspauschalen abgelten. Vereinbart sind u.a.:

Nr. 9274A
Betreuungspauschale für die Betreuung von Versicherten mit Diabetes mellitus Typ II, die am DMP Diabetes mellitus Typ II teilnehmen (auf Überweisung durch den koordinierenden DMP-Arzt).

Nr. 9274B
Betreuungspauschale für die Betreuung von Versicherten mit Diabetes mellitus Typ II, die nicht am DMP Diabetes mellitus Typ II teilnehmen (auf Überweisung durch den Hausarzt).

Im Wesentlichen gleichlautende Ergänzungsverträge sind mit der IKK Bayern und dem VdAK (jetzt VdEK) geschlossen (Vertragsschluss vom 11. August 2003, in Kraft rückwirkend zum 1. Januar 2003). Die Verträge mit der IKK Bayern und dem VdEK enthalten jedoch die Ziffer 9274B nicht.

Aus der Zusammenschau der §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 5 Abs. 1 AOKErgV (insoweit gleichlautend die Ergänzungsgesamtverträge mit der IKK Bayern und dem VdEK) mit den Regelungen des DMP-Vertrags ergibt sich, dass der Kläger, der in einem doppelten Status als koordinierender Hausarzt und als diabetologisch besonders qualifizierter Arzt zur Versorgung berechtigt und verpflichtet ist, auch die fachärztliche Betreuungsaufwandspauschale der Nr. 9274 A abrechnen darf, sofern bei einem teilnehmenden Versicherten die Überweisungsschnittstellen der Anlage 1 Ziff. 1.8 RSAV erfüllt sind. Das in der Legende genannte Überweisungserfordernis steht der Abrechnung nicht entgegen.

Der Vertrag zur Durchführung des strukturierten Behandlungsprogramms nach §§ 137 f. SGB V zwischen der KVB und der AOK, dem VdAK/AEV (insoweit auf der Grundlage des § 83 SGB V) sowie der Bundesknappschaft und der IKK Bayern ( insoweit auf der Grundlage des § 73a SGB V) ist zum 1. April 2003 in Kraft getreten und regelt das sog.
Disease Management zum Diabetes mellitus Typ II (DMP-Vertrag).

In diesem Vertrag werden die medizinischen Erfordernisse des strukturierten Behandlungsprogramms ebenso festegelegt wie die Teilnahmevoraussetzungen und Aufgaben des hausärztlichen Versorgungssektors (koordinierender Hausarzt; § 3 DMP-V). Allen Hausärzten i.S.v. § 73 SGB V ist die Teilnahme als koordinierender Hausarzt gestattet, sofern bestimmte Strukturqualitätskriterien erfüllt sind.

Während der koordinierende Hausarzt als hausärztlich Tätiger genannt wird, ist die Tätigkeit des "diabetologisch besonders qualifizierten Arztes" (i.f.: dbqArzt) bzw. der "Schwerpunktpraxis" als fachärztliche bezeichnet (§ 4 DMP-V). Auch dieser hat bestimmte Strukturqualitätsanforderungen zu erfüllen.

Die grundsätzliche personale Trennung in die hausärztlich-koordinierende Versorgung einerseits und den fachärztlich-diabetischen Schwerpunktarzt andererseits wird im Sinne einer "doppelten Teilnahme" zweifach durchbrochen.

Zum einen erlaubt, unglücklicherweise eingebettet in die Regelung der fachärztlich-diabe-tischen Versorgung, § 4 Abs. 2 Satz 2 DMP-Vertrag den koordinierenden Ärzten, die gem. § 73 Abs. 1a SGB V an der hausärztlichen Versorgung teilnehmen, die gleichzeitige Teilnahme nach § 3 und § 4 DMP-Vertrag, sofern sie beide Anforderungen erfüllen. Der Erfüllung beider Anforderungsprofile durch den Kläger haben die Beteiligten bejaht.

Zum anderen gestattet der die hausärztlich-diabetologische Versorgung regelnde § 3 DMP-Vertrag es einer diabetologischen Schwerpunktpraxis auch als koordinierender Hausarzt teilzunehmen, wenn die Schwerpunktpraxis aufgrund regionaler Versorgungsstrukturen eigene Patienten versorgt (§ 3 Absatz 2 Satz 2 DMP-Vertrag). Angesprochen ist damit der örtliche Mangel an qualifizierten koordinierenden Hausärzten.

Allerdings war ursprünglich in keiner Weise geregelt worden, unter welchen Voraussetzungen auch in beiden Versorgungsbereichen abgerechnet werden kann. Aufgrund der erlaubten haus- und fachärztlichen Doppelteilnahme und des Überweisungsvorbehalts fachärztlicher Leistungen ergab sich ein Problem, dessen Teillösung in einem Nachtrag versucht wurde.

Durch den 3. Nachtrag zum DMP-Vertrag wurde § 3 Abs. 2 DMP-Vertrag - rückwirkend zum 1.1.2003 - durch einen Absatz 2d ergänzt. Die Norm berechtigt eine diabetologische Schwerpunktpraxis nach § 4, sofern sie Patienten auch in der Funktion des § 3-Arztes koordiniert, eine Selbstüberweisung in den fachärztlichen Bereich nach § 4 vorzunehmen, sofern eine von fünf benannten Schnittstellen erfüllt ist.

Entgegen der Ansicht der Beklagten und der Beigeladenen stützt sich die doppelte Teilnahme des Klägers auf § 4 Abs. 2 S. 2 DMP-V und nicht auf § 3 Abs 2 S. 2 DMP-V. § 3 Abs. 2 d i.d.F. des 3. Nachtrags ist deshalb tatbestandlich nicht einschlägig.

Denn die Norm des § 3 Abs. 2 DMP-Vertrag erlaubt dem dbqArzt bzw. der Schwerpunktpraxis ausnahmsweise auch die Ausübung hausärztlicher Koordinierungsfunktionen, wenn diabetologisch qualifizierte Hausärzte, mithin Zuweiser im örtlichen Umfeld nicht vorhanden sind. Dass dies der Fall ist, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Davon ist nicht auszugehen, da der Kläger selbst Hausarzt i.S.v. § 73 SGB V ist und als koordinierender Hausarzt i.S.d § 3 Abs. 1 DMP-Vertrag teilnimmt. Er nimmt deshalb zusätzlich auch als Schwerpunktarzt teil, weil er auch insoweit qualifiziert ist und nach § 4 Abs. 2 Satz 2 DMP-Vertrag jedem koordinierenden Hausarzt deshalb ohne weitere Bedingungen die Teilnahme auch als dbqArzt gestattet wird.

Einen entsprechenden Nachtrag zu § 4 Abs. 2 S. 2 DMP-V haben die Vertragspartner jedoch nicht geschaffen. Gleichwohl ist dem Hausarzt, der zusätzlich die Funktion des dbqArzt wahrnimmt, die fachärztliche Aufwandsentschädigung immer dann nicht zu verwehren, wenn eine weitere Behandlung innerhalb des koordinierenden-hausärztlichen Versorgungsauftrags unzulässig ist, weil eine Überweisung zum dbqArzt zwingend vorgeschrieben ist.

Hinsichtlich der Begrenzung des hausärztlich-diabetologischen Versorgungsauftrags und der Verpflichtung der Einschaltung der fachärztlichen Schwerpunktpraxis enthalten der DMP-Vertrag und die Ergänzungsverträge inhaltsgleiche Regelungen. Der koordinierende (Haus-)arzt ist sowohl nach § 3 Abs. 3 Nr. 5 DMP-V als auch nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AOK-ErgV ausdrücklich verpflichtet, in den fachärztlichen Bereich unter Anwendung der in Anlage 1 Ziff. 1.8 RSAV festgelegten sog. "Schnittstellen" zu überweisen. Ohne Schnittstellenerfüllung ist eine Überweisung durch den koordinierenden Hausarzt nicht erlaubt.

Die Schnittstellen der Anlage 1 Ziff. 1.8 RSAV enthalten ein tatbestandliches Stufenverhältnis. Erstens "muss" der Hausarzt bei Vorliegen der dort genau beschriebenen Komplikationen des Diabetes (z.B. Bluthochdruck, Nephropathie) oder in der Lebenssituation der Schwangerschaft überweisen (muss-Indikationen). Zweitens "soll" der Hausarzt bei Vorliegen anderer typischer Komplikationen überweisen. Die beschriebenen Komplikationen sind solche, die die typischen Kenntnisse des diabetologisch qualifizierten Hausarztes in der Regel übersteigen (soll-Indikation). Liegt drittens keine "muss"- oder "soll- Indikation" vor, entscheidet der Hausarzt nach pflichtgemäßem Ermessen, ob eine Überweisung zu veranlassen ist. Pflichtgemäß ist das Ermessen nach Ansicht des Senats bereits dann ausgeübt, wenn dem Hausarzt im konkreten Einzelfall wegen der Begrenztheit des eigenen Wissens die Hinzuziehung des Schwerpunktarztes tunlich erscheint (kann-Indi-kation).

Daraus ergibt sich, dass der bifunktional tätige Kläger nicht pflichtgemäß handelt, wenn er regelmäßig -unter Annahme eines "kann-Falles "an sich selbst" überweist. Denn eine Begrenztheit an fachärztlichem Versorgungswissen besteht gerade nicht, weil der auch als dbqArzt teilnehmende Hausarzt kraft seiner umfassenden Kenntnisse die hausärztliche Behandlung fortzuführen in der Lage ist. Aus einer pflichtwidrigen "Überweisung" kann der Kläger einen Vergütungsanspruch nicht ableiten.

Für den Hausarzt, der zudem auch fachärztlich umfassend qualifiziert ist, erweist sich eine "Überweisung an sich selbst" erst dann als pflichtgemäß, wenn eine sog. "muss-Indikation" vorliegt. Wenn aber dem Kläger eine Fortführung der Behandlung als Hausarzt nach Ergänzungsvertrag und DMP-Vertrag schlicht versagt, vielmehr eine fachärztliche Behandlungsfortführung bei Verpflichtung zur Überstellung in den fachärztlichen Bereich angeordnet ist, darf die fachärztliche Aufwandsentschädigung nicht deshalb verweigert werden, weil beide Versorgungsaufträge durch die gleiche Person erfüllt werden. Eine Ungleichbehandlung gegenüber nur monofunktional teilnehmenden Ärzten wäre grundrechtlich bedenklich (Art. 12 i.V.m. Art. 3 GG).

Im Ergebnis kann der Kläger die Pauschale der Nr. 9274 A in allen Behandlungsfällen beanspruchen, in denen eine Teilnahme des Patienten am DMP-Vertrag erfolgte,
ein Typ II Diabetes mellitus dokumentiert ist und
sich aus dem Behandlungsausweis das Vorliegen einer "muss-Indikation" hinsichtlich einer Behandlungsfortführung durch den dbqArzt nach Anlage 1 Ziff. 1.8 RSAV ergibt.

Der in Nr. 9274 A enthaltene Überweisungsvorbehalt führt nicht zur Annahme eines Abrechnungsausschlusses für bifunktional tätige Ärzte. Der Kläger kann definitionsgemäß nicht "an sich selbst" überweisen. Nach § 24 Abs.1 Bundesmantelvertrag-Ärzte ist die Überweisung definiert als Veranlassung der Durchführung erforderlicher diagnostischer oder therapeutischer Leistung durch einen anderen Vertragsarzt. Die gelegentlich anzutreffende Figur der "Selbstüberweisung", die letztlich eine Abrechnung des Behandlungsfalls auf zwei Scheinen bedeutet, ist, was den Kläger betrifft, nicht einschlägig vereinbart worden.

Nach Ansicht des Senats ist der Kläger unter den gleichen Einschränkungen auch berechtigt, für die Betreuung der nicht im DMP eingeschriebenen Patienten die Nr. 9274 B abzurechnen. Allerdings erweist sich der DMP-Vertrag als nicht unmittelbar anwendbar. Regelungen zur Abrechnung bei doppelter Teilnahme enthält der AOK-Ergänzungsvertrag nicht, wenngleich eine Wahrnehmung beider Versorgungsaufträge gestattet ist. Die Bezugnahme auf Anlage 1 Ziff. 1.8 RSAV in § 1 Abs. 1 Nr. 1 AOKErgV bezieht sich nur auf DMP-teilnehmende Versicherte. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 AOKErgV haben Versicherte Anspruch auf Betreuung durch den Schwerpunktarzt, wenn eine Überweisung durch den Hausarzt vorliegt und eine intensivierte Insulintherapie erfolgt.

Bei wörtlicher Anwendung wäre ein Anspruch in jedem Falle zu versagen, weil eine Überweisung die Veranlassung von Leistungen durch einen anderen Arzt voraussetzt. Nach Ansicht des Senats drückt jedoch Anlage 1 Ziff. 1.8 RSAV einen allgemeinen medizinischen Standard aus. Wie oben bereits ausgeführt, wäre es dann grundrechtlich bedenklich, dem doppelt qualifizierten Kläger die fachärztliche Aufwandsentschädigung zu verweigern, soweit Regeln und Standards bestehen, die dem noch so qualifizierten Arzt, eine Behandlung (als Hausarzt) verbieten. Denn dann wäre dem Kläger zwar eine fachärztliche Fortführung der Behandlung erlaubt, die Vergütung jedoch an die Abgabe des Patienten an einen anderen Arzt geknüpft. Hinzu tritt der erklärte ergänzende Charakter der Verträge, der nahe legt, dass die Abrechnung der Aufwandsentschädigung bei nicht teilnehmenden Patienten weder an höhere noch an geringe Anforderungen geknüpft sind.

Damit kann die Pauschale der Nr. 9274 B in den Behandlungsfällen beansprucht werden, in denen
keine Teilnahme des Versicherten am DMP-Vertrag erfolgte,
die versichernde Kasse die Aufwandsentschädigung vereinbart hat,
ein Typ II Diabetes mellitus dokumentiert ist und
sich aus dem Behandlungsausweis das Vorliegen einer "muss-Indikation" hinsichtlich einer Behandlungsfortführung durch den Facharzt nach Anlage 1 Ziff. 1.8 ergibt.

Die Auslegung verhindert, dass der Kläger einzig aufgrund seiner auch fachärztlichen Qualifikation in allen hausärztlich betreuten Behandlungsfällen auch fachärztlichen Aufwand abrechnet, obwohl der hausärztliche Versorgungsauftrag nicht überschritten ist, eine fachärztliche Behandlungsfortführung nicht zwingend erforderlich erscheint und es bei Personenverschiedenheit nicht zwingend zu einer fachärztlichen Betreuung gekommen wäre. Umgekehrt ist ein fachärztlicher Betreuungsaufwand dann anzunehmen und zu vergüten, wenn die hausärztliche Betreuung beendet werden musste, weil die Gesamtverträge dem Kläger eine Weiterbehandlung als koordinierender Hausarzt verbieten.

Nach Durchsicht der mehreren Hundert Behandlungsausweise erfüllen je Quartal weniger als 15 Behandlungsfälle die gestellten Abrechnungskriterien. Dies ist der äußerst nachlässigen Dokumentation des Klägers geschuldet.

In der überwiegenden Zahl der Fälle ist nicht einmal das Vorliegen eines Typ-II Diabetes dokumentiert. Der Arzt verwendet zumeist nur den Schlüssel "E 14.xx - nicht näher bezeichneter Diabetes mellitus". Gelegentlich werden Typ I-Diabetiker abgerechnet. Auf einigen Abrechnungsausweisen findet sich sowohl ein Typ I-Diabetes als auch ein Typ II-Diabetes dokumentiert.
In den verbleibenden Behandlungsfällen, in denen eine Typ II-Diabetes (Diagnosenschlüssel E 11.xx) erscheint, fehlt es zumeist an der Nennung einschlägiger Schnittstellen-Komplikationen. Der Kläger verwendet die "Schlüssel E 14.90" bzw. "E 11.90 (ohne Komplikationen, nicht als entgleist bezeichnet"). Trotz dieser Schlüsselwahl und obwohl der Kläger offensichtlich über Jahre hinweg eine große Zahl an Diagnosen auf den Behandlungsscheinen "durchzieht", hat der Senat zugunsten des Klägers einen Anspruch bejaht, wenn eine der weiteren verzeichneten Diagnosen die Annahme des Vorliegens einer Schnittstellenvoraussetzung möglich erscheinen ließ. Dennoch waren nur wenige Fälle auszumachen.
Daneben fand sich die Nr. 9274 A abgerechnet, obwohl der Versicherte am DMP-Vertrag nicht teilnahm. Diese wurden, sofern es sich nicht um IKK- oder VdEK-Versicherte handelte, unter dem Aspekt der Umsetzung in die B-Ziffer geprüft.

Die Kostenentscheidung, die sich auf § 197a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO stützt, trägt in etwa der Quote des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens Rechnung.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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