Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 88 SO 132/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 SO 151/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Mai 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. (Gemäß Berichtigungsbeschluss vom 23.10.2009 wird die Kostenentscheidung gemä. § 138 SGG wie folgt gefasst: Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.)
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um eine Pflicht des Klägers zur Auskunftserteilung nach § 117 Abs. 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – SGB XII –.
Der Beklagte gewährt der 1914 geborenen Mutter des Klägers (im Folgenden: Hilfeempfängerin) seit dem 1. Mai 2007 Hilfe zur Pflege nach dem Siebenten Kapitel des SGB XII. Mit Rechtswahrungsanzeige vom 23. Juli 2007 teilte der Beklagte dem 1944 geborenen Kläger unter Hinweis auf § 94 SGB XII die laufende Hilfegewährung und den Übergang eventueller Unterhaltsansprüche der Hilfeempfängerin mit. Ferner forderte er den Kläger gemäß § 117 Abs. 1 SGB XII auf, Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu geben und diese zu belegen, damit geprüft werden könne, ob und inwieweit er unterhaltsfähig sei.
Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, er habe seit mindestens 23 Jahren keinen Kontakt mehr zur Hilfeempfängerin. Diese sei eine egoistische, selbstsüchtige und hinterhältige Frau, die ständig versucht habe, Zwist in seine Familie hineinzutragen. Bei der letzten gemeinsamen Weihnachtsfeier habe sie ein Kuvert mit Geld vom Gabentisch gestohlen. Ein ihm zustehendes Erbe seines 1974 verstorbenen Vaters habe sie ihm nicht ausgezahlt. Ein Testament habe sie ihm nicht gezeigt. Die Hilfeempfängerin habe darüber hinaus im Hinblick auf seinen im Oktober 1986 gestellten Ausreiseantrag aus der DDR Gespräche mit der Staatssicherheit geführt. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2007 wies der Beklagte unter Bezugnahme auf das Widerspruchsschreiben des Klägers vom 23. August 2007 darauf hin, dass seine Ausführungen für einen Wegfall seiner etwaigen Unterhaltspflicht im Hinblick auf eine Verwirkung von Unterhaltsansprüchen gem. § 1611 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – nicht ausreichten und bat zugleich um Mitteilung, ob der Kläger an seinem Widerspruch festhalte. Nachdem der Kläger daraufhin mitgeteilt hatte, dass er mit der Hilfeempfängerin angesichts ihrer schweren Verfehlungen ihm und seiner Familie gegenüber nichts mehr zu tun haben wolle, wies der Beklagte seinen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2007 zurück. Wegen der Begründung wird auf Blatt 2 und 3 des Bescheides Bezug genommen.
Mit der am 14. Januar 2008 (Montag) beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens geltend gemacht, dass die Hilfeempfängerin sich ihm und seiner Familie gegenüber so schwerwiegender Verfehlungen schuldig gemacht habe, dass ein etwaiger Unterhaltsanspruch gemäß § 1611 BGB verwirkt sei. Abgesehen von den zivilrechtlichen Vorschriften sei seine Heranziehung durch den Sozialhilfeträger auch wegen einer unbilligen Härte im Sinne des § 94 Abs. 3 SGB XII ausgeschlossen. Unter diesen Umständen sei keine Auskunftspflicht bezüglich seiner wirtschaftlichen Verhältnisse gegeben.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. Mai 2008 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die zulässige Klage sei unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 23. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 2007, mit dem der Beklagte den Kläger um Auskunftserteilung nebst Belegen über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse ersucht habe, sei rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Bescheid sei zunächst nicht formell rechtswidrig, denn soweit die erforderliche Anhörung des Klägers (vgl. § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X –) unterblieben sein solle, habe der Beklagte diese jedenfalls wirksam im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt (§ 41 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Der Bescheid sei auch materiellrechtlich nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage des Auskunftsersuchens sei § 117 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII. Danach hätten die Unterhaltspflichtigen, ihre nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und die Kostenersatzpflichtigen dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung dieses Buches es erfordere. Dabei hätten sie die Verpflichtung, auf Verlangen des Trägers der Sozialhilfe Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Die Bestimmung normiere eine öffentlich – rechtliche Auskunftspflicht, die neben einem nach § 94 Abs. 1 SGB XII übergegangenen zivilrechtlich in Betracht kommenden Auskunftsverlangen nach § 1605 BGB stehe und den Träger der Sozialhilfe ermächtige, seinen Auskunftsanspruch durch Verwaltungsakt gegenüber dem Pflichtigen geltend zu machen und ggf. im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchzusetzen. Hintergrund dieser Regelung sei, dass Sozialhilfe nachrangig geleistet werde (§ 2 SGB XII). Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm lägen hier vor. Auskunftspflichtig seien danach neben anderen Verwandte in gerader Linie (§§ 1601 ff BGB). Der Kläger gehöre als Sohn der Hilfeempfängerin zum Kreis der kraft Gesetzes grundsätzlich Unterhaltsverpflichteten. Die Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens setze nicht voraus, dass ein Unterhaltsanspruch des Hilfeempfängers tatsächlich bestehe; Zweck des Verlangens sei allein, dem Sozialhilfeträger die Prüfung zu ermöglichen, ob und in welchem Umfang der Nachrang der Sozialhilfe durch die Inanspruchnahme Dritter hergestellt werden könne und ob eine gerichtliche Geltendmachung des Unterhaltsanspruches möglich und sinnvoll sei. Zur Auskunftserteilung verpflichtet sei daher bereits, wer als Unterhaltsschuldner des Leistungsberechtigten lediglich in Betracht komme (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1993, 5 C 22/90, BVerwGE 91,375 ff und Urteil vom 17. Juni 1993, 5 C 43.90, BVerwGE 92, 330 ff zu § 116 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz, jeweils zitiert nach Juris). Auch aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung folge nichts Abweichendes (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1993, aaO). Für die Auskunftspflicht würden danach keine strengen Maßstäbe gelten, ihr Zweck gebiete es, als "Unterhaltspflichtige" im Sinne des § 117 Abs. 1 SGB XII alle potenziell unterhaltspflichtigen Personen anzusehen, soweit sie nicht offensichtlich als solche ausschieden (sogenannte Negativevidenz, vgl. BVerwG aaO). Nur wenn ohne jede Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegungen ersichtlich sei, dass der Unterhaltsanspruch nicht bestehe, dürfe die Auskunft von dem Unterhaltspflichtigen nicht verlangt werden. Ein Fall der sogenannten Negativevidenz liege hier nicht vor. Die vom Kläger vorgetragenen Umstände schlössen einen Unterhaltsanspruch nicht von vornherein offensichtlich aus. Soweit sich der Kläger auf einen Wegfall der Unterhaltsverpflichtung nach § 1611 Abs. 1 BGB berufe, entfalle nach dessen Satz 1 der Unterhaltsanspruch ohnehin nicht vollständig sondern der Unterhaltspflichtige habe, wenn der Unterhaltsberechtigte sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung ihm oder einem nahem Angehörigen gegenüber schuldig gemacht habe, nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspreche. Ein vollständiger Wegfall der Unterhaltsverpflichtung nach § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB setze voraus, dass die Inanspruchnahme des Verpflichteten – neben dem Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen – grob unbillig wäre. Zwar möge der Vortrag des Klägers auf mehr oder weniger schwere sittliche Verfehlungen der Hilfeempfängerin ihm und seinen Angehörigen gegenüber hindeuten. Erst bei darüber hinaus festzustellender grober Unbilligkeit, wenn die Gewährung von Unterhalt dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widersprechen würde, würde die Unterhaltspflicht nach der genannten Vorschrift gänzlich entfallen. Dabei sei nach Wortlaut und systematischem Zusammenhang von einer sehr engen Ausnahmeregelung auszugehen, die nur in extrem gelagerten Fällen zur Anwendung komme (vgl. Born in Münchener Kommentar, Band 8, Familienrecht II, 4. Auflage 2002, § 1611 BGB Rdnr. 37). Die hierfür notwendigen Voraussetzungen seien nicht ohne weitere Beweiserhebung feststellbar (vgl. Born, aaO, Rdnr. 52). Ob im vorliegenden Fall vorsätzliche schwere Verfehlungen der Hilfeempfängerin vorlägen und die Inanspruchnahme des Klägers darüber hinaus grob unbillig wäre mit der Folge, dass ein etwaiger Unterhaltsanspruch verwirkt wäre, sei nicht ohne Beweiserhebung feststellbar. Von einem offensichtlichen Wegfall der Unterhaltspflicht des Klägers im Sinne einer Negativevidenz könne auch deshalb nicht gesprochen werden, weil – sein Vortrag als wahr unterstellt – die Frage der Billigkeit bzw. der groben Unbilligkeit erst aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles unter Abwägung aller Gesichtspunkte festzustellen wäre, dieses jedoch dem Zivilgericht vorbehalten sei (vgl. § 94 Abs. 4 Satz 3 SGB XII sowie Münder in Lehr- und Praxiskommentar SGB XII, 8. Auflage 2008, § 94 Rdnr. 19, ferner Born, aaO, Rdnr. 29 ff). Im vorliegenden Verfahren seien deshalb keine weiteren Ermittlungen dazu anzustellen, inwieweit sich die Hilfeempfängerin tatsächlich vorsätzlich schwere Verfehlungen gegenüber dem Kläger und seinen Angehörigen im Sinne des § 1611 Abs. 1 BGB habe zu Schulden kommen lassen. Gleiches gelte für die Frage, ob ein Unterhaltsanspruch der Hilfeempfängerin nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII auf den Träger der Sozialhilfe übergegangen sei. Zwar gehe der Anspruch nach Abs. 3 Nr. 2 der Norm nicht über, wenn dies eine unbillige Härte bedeuten würde. Abgesehen davon, dass auch das Vorliegen dieser Voraussetzung nicht offensichtlich sei, sondern eine am konkreten Einzelfall orientierte Prüfung voraussetze, sei über Ansprüche dieser Art nach § 94 Abs. 5 Satz 3 SGB XII im Zivilrechtsweg zu entscheiden. Die Rechtmäßigkeit des Auskunftsersuchens werde davon nicht berührt.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 5. Juni 2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 3. Juli 2008 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er sein Begehren weiterverfolgt und sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.
Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Mai 2008 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Diese Akten haben dem Senat bei der Beratung und Entscheidung vorgelegen.
II.
Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG – über die Berufung, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass die angefochtenen Bescheide des Beklagten rechtmäßig sind und ihn nicht in seinen Rechten verletzen.
Der Kläger ist gemäß § 117 Abs. 1 SGB XII verpflichtet, dem Beklagten die von ihm geforderten Auskünfte über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen und seine Angaben zu belegen. Er kommt als Sohn der Hilfeempfängerin als potenziell Unterhaltspflichtiger in Betracht. Ein Fall der sogenannten Negativevidenz, das heißt des offensichtlichen Nichtbestehens eines Unterhaltsanspruches der Hilfeempfängerin ihm gegenüber, liegt hier nicht vor. Sein Vorbringen bezüglich angeblicher schwerer Verfehlungen der Hilfeempfängerin ihm und seinen Angehörigen gegenüber lässt nicht ohne weiteres die Feststellung zu, dass ein Unterhaltsanspruch gemäß § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB vollständig weggefallen ist. Eine Einschätzung darüber wie auch über das vom Kläger geltend gemachte Vorliegen einer Härte im Sinne des § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII bleibt den Zivilgerichten vorbehalten.
Zur Begründung verweist der Senat auf die ausführlichen und zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und schließt sich diesem nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage an. Von einer Wiederholung wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG abgesehen. Das Vorbringen im Berufungsverfahren gibt keinen Anlass, den Sachverhalt anders zu beurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung, weil weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören.
Bei der Bemessung des Streitwerts hat der Senat – wie das Sozialgericht – den halben Auffangstreitwert (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz) zugrunde gelegt.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. (Gemäß Berichtigungsbeschluss vom 23.10.2009 wird die Kostenentscheidung gemä. § 138 SGG wie folgt gefasst: Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.)
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um eine Pflicht des Klägers zur Auskunftserteilung nach § 117 Abs. 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – SGB XII –.
Der Beklagte gewährt der 1914 geborenen Mutter des Klägers (im Folgenden: Hilfeempfängerin) seit dem 1. Mai 2007 Hilfe zur Pflege nach dem Siebenten Kapitel des SGB XII. Mit Rechtswahrungsanzeige vom 23. Juli 2007 teilte der Beklagte dem 1944 geborenen Kläger unter Hinweis auf § 94 SGB XII die laufende Hilfegewährung und den Übergang eventueller Unterhaltsansprüche der Hilfeempfängerin mit. Ferner forderte er den Kläger gemäß § 117 Abs. 1 SGB XII auf, Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu geben und diese zu belegen, damit geprüft werden könne, ob und inwieweit er unterhaltsfähig sei.
Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, er habe seit mindestens 23 Jahren keinen Kontakt mehr zur Hilfeempfängerin. Diese sei eine egoistische, selbstsüchtige und hinterhältige Frau, die ständig versucht habe, Zwist in seine Familie hineinzutragen. Bei der letzten gemeinsamen Weihnachtsfeier habe sie ein Kuvert mit Geld vom Gabentisch gestohlen. Ein ihm zustehendes Erbe seines 1974 verstorbenen Vaters habe sie ihm nicht ausgezahlt. Ein Testament habe sie ihm nicht gezeigt. Die Hilfeempfängerin habe darüber hinaus im Hinblick auf seinen im Oktober 1986 gestellten Ausreiseantrag aus der DDR Gespräche mit der Staatssicherheit geführt. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2007 wies der Beklagte unter Bezugnahme auf das Widerspruchsschreiben des Klägers vom 23. August 2007 darauf hin, dass seine Ausführungen für einen Wegfall seiner etwaigen Unterhaltspflicht im Hinblick auf eine Verwirkung von Unterhaltsansprüchen gem. § 1611 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – nicht ausreichten und bat zugleich um Mitteilung, ob der Kläger an seinem Widerspruch festhalte. Nachdem der Kläger daraufhin mitgeteilt hatte, dass er mit der Hilfeempfängerin angesichts ihrer schweren Verfehlungen ihm und seiner Familie gegenüber nichts mehr zu tun haben wolle, wies der Beklagte seinen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2007 zurück. Wegen der Begründung wird auf Blatt 2 und 3 des Bescheides Bezug genommen.
Mit der am 14. Januar 2008 (Montag) beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens geltend gemacht, dass die Hilfeempfängerin sich ihm und seiner Familie gegenüber so schwerwiegender Verfehlungen schuldig gemacht habe, dass ein etwaiger Unterhaltsanspruch gemäß § 1611 BGB verwirkt sei. Abgesehen von den zivilrechtlichen Vorschriften sei seine Heranziehung durch den Sozialhilfeträger auch wegen einer unbilligen Härte im Sinne des § 94 Abs. 3 SGB XII ausgeschlossen. Unter diesen Umständen sei keine Auskunftspflicht bezüglich seiner wirtschaftlichen Verhältnisse gegeben.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. Mai 2008 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die zulässige Klage sei unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 23. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 2007, mit dem der Beklagte den Kläger um Auskunftserteilung nebst Belegen über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse ersucht habe, sei rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Bescheid sei zunächst nicht formell rechtswidrig, denn soweit die erforderliche Anhörung des Klägers (vgl. § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X –) unterblieben sein solle, habe der Beklagte diese jedenfalls wirksam im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt (§ 41 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Der Bescheid sei auch materiellrechtlich nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage des Auskunftsersuchens sei § 117 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII. Danach hätten die Unterhaltspflichtigen, ihre nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und die Kostenersatzpflichtigen dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung dieses Buches es erfordere. Dabei hätten sie die Verpflichtung, auf Verlangen des Trägers der Sozialhilfe Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Die Bestimmung normiere eine öffentlich – rechtliche Auskunftspflicht, die neben einem nach § 94 Abs. 1 SGB XII übergegangenen zivilrechtlich in Betracht kommenden Auskunftsverlangen nach § 1605 BGB stehe und den Träger der Sozialhilfe ermächtige, seinen Auskunftsanspruch durch Verwaltungsakt gegenüber dem Pflichtigen geltend zu machen und ggf. im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchzusetzen. Hintergrund dieser Regelung sei, dass Sozialhilfe nachrangig geleistet werde (§ 2 SGB XII). Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm lägen hier vor. Auskunftspflichtig seien danach neben anderen Verwandte in gerader Linie (§§ 1601 ff BGB). Der Kläger gehöre als Sohn der Hilfeempfängerin zum Kreis der kraft Gesetzes grundsätzlich Unterhaltsverpflichteten. Die Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens setze nicht voraus, dass ein Unterhaltsanspruch des Hilfeempfängers tatsächlich bestehe; Zweck des Verlangens sei allein, dem Sozialhilfeträger die Prüfung zu ermöglichen, ob und in welchem Umfang der Nachrang der Sozialhilfe durch die Inanspruchnahme Dritter hergestellt werden könne und ob eine gerichtliche Geltendmachung des Unterhaltsanspruches möglich und sinnvoll sei. Zur Auskunftserteilung verpflichtet sei daher bereits, wer als Unterhaltsschuldner des Leistungsberechtigten lediglich in Betracht komme (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1993, 5 C 22/90, BVerwGE 91,375 ff und Urteil vom 17. Juni 1993, 5 C 43.90, BVerwGE 92, 330 ff zu § 116 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz, jeweils zitiert nach Juris). Auch aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung folge nichts Abweichendes (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1993, aaO). Für die Auskunftspflicht würden danach keine strengen Maßstäbe gelten, ihr Zweck gebiete es, als "Unterhaltspflichtige" im Sinne des § 117 Abs. 1 SGB XII alle potenziell unterhaltspflichtigen Personen anzusehen, soweit sie nicht offensichtlich als solche ausschieden (sogenannte Negativevidenz, vgl. BVerwG aaO). Nur wenn ohne jede Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegungen ersichtlich sei, dass der Unterhaltsanspruch nicht bestehe, dürfe die Auskunft von dem Unterhaltspflichtigen nicht verlangt werden. Ein Fall der sogenannten Negativevidenz liege hier nicht vor. Die vom Kläger vorgetragenen Umstände schlössen einen Unterhaltsanspruch nicht von vornherein offensichtlich aus. Soweit sich der Kläger auf einen Wegfall der Unterhaltsverpflichtung nach § 1611 Abs. 1 BGB berufe, entfalle nach dessen Satz 1 der Unterhaltsanspruch ohnehin nicht vollständig sondern der Unterhaltspflichtige habe, wenn der Unterhaltsberechtigte sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung ihm oder einem nahem Angehörigen gegenüber schuldig gemacht habe, nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspreche. Ein vollständiger Wegfall der Unterhaltsverpflichtung nach § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB setze voraus, dass die Inanspruchnahme des Verpflichteten – neben dem Vorliegen der vorgenannten Voraussetzungen – grob unbillig wäre. Zwar möge der Vortrag des Klägers auf mehr oder weniger schwere sittliche Verfehlungen der Hilfeempfängerin ihm und seinen Angehörigen gegenüber hindeuten. Erst bei darüber hinaus festzustellender grober Unbilligkeit, wenn die Gewährung von Unterhalt dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widersprechen würde, würde die Unterhaltspflicht nach der genannten Vorschrift gänzlich entfallen. Dabei sei nach Wortlaut und systematischem Zusammenhang von einer sehr engen Ausnahmeregelung auszugehen, die nur in extrem gelagerten Fällen zur Anwendung komme (vgl. Born in Münchener Kommentar, Band 8, Familienrecht II, 4. Auflage 2002, § 1611 BGB Rdnr. 37). Die hierfür notwendigen Voraussetzungen seien nicht ohne weitere Beweiserhebung feststellbar (vgl. Born, aaO, Rdnr. 52). Ob im vorliegenden Fall vorsätzliche schwere Verfehlungen der Hilfeempfängerin vorlägen und die Inanspruchnahme des Klägers darüber hinaus grob unbillig wäre mit der Folge, dass ein etwaiger Unterhaltsanspruch verwirkt wäre, sei nicht ohne Beweiserhebung feststellbar. Von einem offensichtlichen Wegfall der Unterhaltspflicht des Klägers im Sinne einer Negativevidenz könne auch deshalb nicht gesprochen werden, weil – sein Vortrag als wahr unterstellt – die Frage der Billigkeit bzw. der groben Unbilligkeit erst aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles unter Abwägung aller Gesichtspunkte festzustellen wäre, dieses jedoch dem Zivilgericht vorbehalten sei (vgl. § 94 Abs. 4 Satz 3 SGB XII sowie Münder in Lehr- und Praxiskommentar SGB XII, 8. Auflage 2008, § 94 Rdnr. 19, ferner Born, aaO, Rdnr. 29 ff). Im vorliegenden Verfahren seien deshalb keine weiteren Ermittlungen dazu anzustellen, inwieweit sich die Hilfeempfängerin tatsächlich vorsätzlich schwere Verfehlungen gegenüber dem Kläger und seinen Angehörigen im Sinne des § 1611 Abs. 1 BGB habe zu Schulden kommen lassen. Gleiches gelte für die Frage, ob ein Unterhaltsanspruch der Hilfeempfängerin nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII auf den Träger der Sozialhilfe übergegangen sei. Zwar gehe der Anspruch nach Abs. 3 Nr. 2 der Norm nicht über, wenn dies eine unbillige Härte bedeuten würde. Abgesehen davon, dass auch das Vorliegen dieser Voraussetzung nicht offensichtlich sei, sondern eine am konkreten Einzelfall orientierte Prüfung voraussetze, sei über Ansprüche dieser Art nach § 94 Abs. 5 Satz 3 SGB XII im Zivilrechtsweg zu entscheiden. Die Rechtmäßigkeit des Auskunftsersuchens werde davon nicht berührt.
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 5. Juni 2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 3. Juli 2008 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er sein Begehren weiterverfolgt und sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.
Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Mai 2008 sowie den Bescheid des Beklagten vom 23. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Diese Akten haben dem Senat bei der Beratung und Entscheidung vorgelegen.
II.
Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG – über die Berufung, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass die angefochtenen Bescheide des Beklagten rechtmäßig sind und ihn nicht in seinen Rechten verletzen.
Der Kläger ist gemäß § 117 Abs. 1 SGB XII verpflichtet, dem Beklagten die von ihm geforderten Auskünfte über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen und seine Angaben zu belegen. Er kommt als Sohn der Hilfeempfängerin als potenziell Unterhaltspflichtiger in Betracht. Ein Fall der sogenannten Negativevidenz, das heißt des offensichtlichen Nichtbestehens eines Unterhaltsanspruches der Hilfeempfängerin ihm gegenüber, liegt hier nicht vor. Sein Vorbringen bezüglich angeblicher schwerer Verfehlungen der Hilfeempfängerin ihm und seinen Angehörigen gegenüber lässt nicht ohne weiteres die Feststellung zu, dass ein Unterhaltsanspruch gemäß § 1611 Abs. 1 Satz 2 BGB vollständig weggefallen ist. Eine Einschätzung darüber wie auch über das vom Kläger geltend gemachte Vorliegen einer Härte im Sinne des § 94 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII bleibt den Zivilgerichten vorbehalten.
Zur Begründung verweist der Senat auf die ausführlichen und zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und schließt sich diesem nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage an. Von einer Wiederholung wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG abgesehen. Das Vorbringen im Berufungsverfahren gibt keinen Anlass, den Sachverhalt anders zu beurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung, weil weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören.
Bei der Bemessung des Streitwerts hat der Senat – wie das Sozialgericht – den halben Auffangstreitwert (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz) zugrunde gelegt.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
Saved