S 28 (19) SO 16/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
28
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 28 (19) SO 16/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 08.08.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2008 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rücknahme der Leistungsbewilligung für den Zeitraum Mai bis Dezember 2004.

Die am 00.00.2003 geborene Klägerin bezog mit ihrer Mutter Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Vorschriften des Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Die Unterhaltsvorschusskasse bewilligte der Mutter der Klägerin mit Bescheid vom 30.03.2004 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für die Klägerin rückwirkend ab 16.02.2003. In dem Bescheid wurde ausgeführt, die laufende Leistung in Höhe von 122,- EUR werde ab dem 01.05.2004 auf das Konto der Mutter der Klägerin überwiesen. Für die Zeit bis zum 30.04.2004 ergebe sich ein Nachzahlungsbetrag, welcher mit der Sozialhilfe verrechnet werde. Nicht beanspruchte Beträge würden nach Abrechnung mit dem Sozialhilfeträger auf das oben genannte Konto überwiesen.

Im Rahmen der Prüfung, ob weiterhin Anspruch auf Sozialhilfe bestehe, teilte die Mutter der Klägerin der Beklagten am 08.04.2004 in einem Fragebogen zu ihren häuslichen Verhältnissen u.a. mit, dass sie ab 01.05.2004 Unterhaltsvorschuss für die Klägerin erhalte.

Die Beklagte versäumte, diesen Betrag anzurechnen und zahlte im fraglichen Zeitraum Sozialhilfe weiterhin unvermindert aus, ohne aber schriftliche Bewilligungsbescheide zu erlassen. Lediglich mit Bescheid vom 24.11.2004 wurden der Mutter der Klägerin Leistungen nach Wohngeldgesetz und BSHG für den Monat Dezember bewilligt. Im Januar 2005 fiel der Beklagten der Fehler auf. Daraufhin hörte sie die Mutter der Klägerin zu einer beabsichtigten Rückforderung der Überzahlung in Höhe von 976,- EUR an. Mit Bescheid vom 08.08.2005 nahm sie die Bewilligungsbescheide für die Monate Mai bis Dezember 2004 nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Ziffer 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) gegenüber der Klägerin zurück. In ihrem Widerspruch berief sich die anwaltlich vertretene Klägerin darauf, dass die Unterhaltsvorschusszahlungen mitgeteilt worden seien und dass sie darauf vertraut habe, dass die Zahlungen ordnungemäß erfolgten.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.2008 –zugestellt an die Klägerin – zurückgewiesen. Zur Begründung berief sich die Beklagte darauf, dass die Mutter der Klägerin hätte erkennen müssen, dass die Anrechnung der Unterhaltsvorschusszahlung unterblieben war. Sie hätte bei der zuständigen Stelle nachfragen müssen. Sie sei aber ihrer Mitteilungs- und Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen und könne sich daher nicht auf Vertrauensschutz berufen. Ausweislich der Postzustellungsurkunde ist der Klägerin der Widerspruchsbescheid am 15.04.2008 durch Niederlegung in den Briefkasten zugestellt worden.

Am 21.05.2008 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie vertritt die Auffassung, dass der Widerspruchsbescheid ihrem Bevollmächtigten hätte zugestellt werden müssen. Ihre Mutter habe den Bescheid erst am 09.05.2008 aus dem Briefkasten geholt.

Sie beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 08.08.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid.

Wegen des weiteren Sach- und Streitgegenstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, sie ist insbesondere fristgemäß erhoben. Der Widerspruchsbescheid vom 11.04.2008 ist nicht formgerecht zugestellt worden, da er nach § 85 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 7 Satz 2 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) an den Bevollmächtigten hätte zugestellt werden müssen. Somit gilt der Bescheid gemäß § 8 VwZG als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem er dem Bevollmächtigten tatsächlich zugegangen ist, mithin frühestens am 09.05.2008.

Die Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und daher aufzuheben.

Auch wenn die Bewilligung der Sozialhilfe im fraglichen Zeitraum in Höhe der nicht angerechneten Unterhaltsvorschusszahlungen rechtswidrig war, durfte die Bewilligung nicht für die Vergangenheit gemäß § 45 SGB X zurückgenommen werden, da die Klägerin auf den Bestand der Bewilligung vertrauen durfte. Der Klägerin kann nicht gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Ziff. 3 SGB X vorgeworfen werden, dass ihre Mutter die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Die anderen Tatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 Ziff 1 und 2 kommen ohnehin nicht in Betracht.

Grundlage der Kenntnis ist der Verwaltungsakt mit seinem gegebenenfalls zu überprüfenden Verfügungssatz. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts besteht einerseits die Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn dies nicht ausdrücklich geregelt ist (BSG, Urteil v. 08.02.2001, Az: B 11 AL 21/00 R). Andererseits ist ein Antragsteller, der zutreffende Angaben gemacht hat, im Allgemeinen nicht zu Gunsten der Fachbehörde gehalten, Bewilligungsbescheide des Näheren auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Der Antragsteller darf davon ausgehen, dass eine Fachbehörde nach den für die Leistung erheblichen Tatsachen fragt und seine wahrheitsgemäßen Angaben zutreffend umsetzt (BSG a.a.O)

Im fraglichen Zeitraum hat die Beklagte jedoch lediglich den Bescheid vom 24.11.2004 für den Monat Dezember 2004 erlassen. Für die davor liegende Zeit von Mai bis November galt die Berechnung des Bescheides vom 19.12.2003 und die Beklagte hatte nur den Zahlbetrag überwiesen. Weder aus dem Bescheid vom 19.12.2003 noch aus dem Bescheid vom 24.11.2004 ergab sich, von welchen Einkommens- und Vermögensverhältnissen die Beklagte bei der Berechnung der Sozialhilfe ausgegangen war. Es handelte sich lediglich um Kurzbescheide, denen keine Berechnungen beigefügt waren. In Anbetracht der Tatsache, dass die Mutter der Klägerin der Beklagten die entsprechenden Angaben unverzüglich gemacht hatte, musste sie nach Überzeugung des Gerichts die stets gleich gebliebenen Zahlungen nicht zum Anlass nehmen, Richtigkeitsüberlegungen oder Hinweise gegenüber der Behörde zu erteilen. Aus dem Bescheid der Unterhaltsvorschusskasse war nämlich zu entnehmen, dass eine Verrechnung der Sozialhilfeleistungen erfolgen werde. "Nicht beanspruchte Beträge werden nach Abrechnung mit dem Sozialhilfeträger an Sie auf das oben genannte Konto überwiesen." Aufgrund dieser Formulierung, durfte die Mutter der Klägerin davon ausgehen, dass eine ausgezahlte Unterhaltsvorschussleistung ihr neben der Sozialhilfeleistung zustehe. Der Fehler musste ihr jedenfalls nicht geradezu "in die Augen springen" (vgl. BSG a.a.O.) Grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes war ihr nicht vorzuwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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