S 76 P 207/09 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
27
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 76 P 207/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 P 48/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Juli 2009 wird zurückgewiesen. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin ist zulässig; sie ist insbesondere statthaft gemäß § 172 SGG. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Das Sozialgericht hat zu Recht den Antrag abgelehnt,

die Weiterzahlung von Pflegegeld nach der Pflegestufe I in Höhe von 215 EUR monatlich an die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin anzuordnen.

Die Antragsgegnerin hatte ab Juli 2009 die Zahlung des Pflegegeldes mit der Begründung eingestellt, dass nach dem Ergebnis der ärztlichen Begutachtung die Voraussetzungen der Pflegestufe I nicht mehr vorliegen würden.

Die Voraussetzungen für die begehrte Anordnung liegen nicht vor. Rechtsgrundlage für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist § 86b Abs 2 Satz 2 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Nach zutreffender ständiger Rechtsprechung erscheint die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig, wenn die Rechtsverfolgung in der Sache erhebliche Erfolgsaussicht hat (Anordnungsanspruch) und bei Abwägung der Interessen der Beteiligten die Interessen des Antragstellers an der vorläufigen Regelung diejenigen der anderen Beteiligten überwiegen und für ihre Realisierung ohne die Regelung erhebliche Gefahren, wesentliche Nachteile, drohen (Anordnungsgrund). Dabei sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund umso höher, je geringer die Erfolgsaussicht ist; sie sind umso niedriger, je größer die Erfolgsaussichten sind. Ist unklar, ob ein Anordnungsanspruch besteht, hat eine Folgenabwägung zu erfolgen. Eine solche verlangt, die Folgen abzuwägen, die eintreten würden, wenn die begehrte Anordnung nicht erginge, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren aber obsiegen würde, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die Anordnung erlassen würde, der Rechtsschutzsuchende im Hauptsacheverfahren indes keinen Erfolg hätte.

Die Feststellung eines Anordnungsanspruchs wird im vorliegenden Fall bestimmt vom Streit der Beteiligten über das Vorliegen der Voraussetzungen der Pflegestufe I bei der schwerbehinderten Antragstellerin (GdB 100). Während ein Pflegedienst im Februar 2009 einen Höherstufungsantrag empfohlen hatte, verneinte die von der Antragsgegnerin beauftragte medizinische Sachverständige schon einen Pflegebedarf entsprechend der Pflegestufe I. Das Gutachten bindet grundsätzlich die Beteiligten, weil nach § 6 Abs 2 Satz 1 AllgVersBedPPV2009 auch die Stufe und die Fortdauer der Pflegebedürftigkeit durch einen vom Versicherer beauftragten Arzt festzustellen sind. Die Klärung, inwieweit das Gutachten vom 18. Mai 2009 ausnahmsweise keine Bindung entfalten soll, muss angesichts komplizierter rechtlicher und medizinischer Probleme dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Daher lassen sich die für die Feststellung eines stärkeren Anordnungsanspruchs letztendlich maßgeblichen tatsächlichen Aspekte im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend aufklären.

Im vorliegenden Fall fehlt es jedenfalls am Anordnungsgrund. Es ist nicht erkennbar, dass der Antragstellerin vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens wesentliche Nachteile drohen. Zwar hat sie vorgetragen, dass sie ihren Pflegepersonen derzeit nicht mehr die bisher gewährte Aufwandsentschädigung, insbesondere die Fahrtkosten, zahlen könne. Die Pflegepersonen haben auch eidesstattlich versichert, dass die Antragstellerin ihnen derzeit die Aufwandsentschädigung nicht zahlen könne. Daraus ergibt sich indes nicht, dass die Pflegeleistungen nicht mehr erbracht würden bzw. welche Pflegeleistungen in welchem Umfange reduziert würden und welche konkreten Gefahren deswegen für die Antragstellerin entstehen würden. Dass die Pflegepersonen die Antragstellerin mangels Fahrtkostenerstattung nicht mehr aufsuchen könnten, lässt sich nicht annehmen. So liegt die Wohnung der Pflegeperson W H nur in einer Entfernung von ca. 1,5 km von der Wohnung der Antragstellerin (Fußweg etwa 17 min). Es ist auch angesichts der Altersrente der Antragstellerin von 1.322 EUR nicht erkennbar, dass sie nicht zumindest teilweise in der Lage wäre, den Verlust des Pflegegeldes aufzufangen.

Unter diesen Umständen kommt die von der Antragstellerin geforderte Anordnung auch bei Folgenabwägung nicht in Betracht. Dabei berücksichtigt der Senat das besondere grundrechtliche Gewicht des mit dem Antrag verfolgten Begehrens mit Blick auf die durch das Pflegegeld geschützten Grundrechte von Leben und G1qesundheit sowie einer menschenwürdigen Existenz. Der Antragstellerin drohen keine Nachteile, die sie nicht auch bei Erfolglosigkeit ihrer Rechtsverfolgung in der Hauptsache hinzunehmen hätte. Ihre Grundrechte sind nicht in einem Maße gefährdet, dass ihr bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens bei einem Erfolg ihrer Rechtsverfolgung die mit der Einstellung der Leistung von Pflegegeld aus ihrer privaten Pflegeversicherung verbundenen Nachteile nicht zuzumuten wären. Konkrete schwere, unabwendbare Nachteile hat sie nicht behauptet, sie hat insbesondere nicht dargelegt, dass ihr erhebliche Gefahren für Leben, Gesundheit und Würde drohen würden, die über den Verlust der finanziellen Leistung Pflegegeld hinausgehen würden. Solche sind auch nicht nach Aktenlage zu erkennen. Das Interesse der Antragstellerin überwiegt daher nicht das Interesse der Antragsgegnerin, die Folgen einer Anordnung bei späterer Erfolglosigkeit der Antragstellerin zu vermeiden.

Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe. Gemäß §§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG, 114 ZPO wird Prozesskostenhilfe u a nur bewilligt, wenn die Rechtverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Davon kann im Zeitpunkt der Entscheidung nicht ausgegangen werden. Dies ergibt sich aus den vorstehenden Gründen. Ein früherer Zeitpunkt ist nicht maßgeblich, weil die Unterlagen für die Prozesskostenhilfe erst am 29. September 2009 vorgelegt wurden.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 Abs 1, 4 SGG. Sie berücksichtigt die Erfolglosigkeit der Rechtsverfolgung.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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