L 11 AS 433/09 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 AS 441/09 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 433/09 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Ein Anordnungsgrund für die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den §§ 19 ff SGB II liegt nicht vor, wenn die Ag dem ASt die darlehensweise Bewilligung von Leistungen anbietet.
2. Eine Beeinträchtigung grundrechtsrelevanter Positionen des ASt liegt dann nicht vor.
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 23.06.2009 aufgehoben und der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:

I.
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff Zweites Buch Sozialgesetzbuch - SGB II - im Rahmen einer einstweiligen Anordnung.
Der 1961 geborene Antragsteller (ASt) beantragte erstmals im Jahre 2005 und anschließend mehrmals im Jahre 2008 die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II, was die Antragsgegnerin (Ag) mit Bescheiden vom 04.10.2005, 27.03.2008, 07.05.2008 und 27.05.2008 ablehnte. Die Bescheide sind bestandskräftig.
Am 22.12.2008 beantragte der ASt erneut die Gewährung von Leistungen bei der Ag. Der ASt sei Eigentümer eines Zweifamilienhauses in A-Weg in A-Stadt, in diesem Anwesen bewohne er das Obergeschoss, während seine Eltern, O. und A. A. die Wohnung im Erdgeschoss inne hätten. Nach dem Übergabevertrag des Notars N. D. vom 30.07.2007 (Urkunden-Nr. -D 1190/2007) haben die Eltern des ASt diesem neben weiteren forst- und landwirtschaftlichen Flächen das Anwesen zu Alleineigentum übertragen und sich an der kompletten Erdgeschosswohnung ein unentgeltliches Wohnungsrecht ausbedungen. Der ASt verpflichtete sich in der genannten Urkunde über den gesamten von ihm erworbenen Grundbesitz zu Lebzeiten der Eltern nicht ohne deren Zustimmung zu verfügen.
Am 04.05.2009, 13.05.2009 und 26.05.2009 bot die Ag dem ASt die darlehensweise Gewährung von Leistungen nach dem SGB II an, was der ASt ablehnte. Mit Bescheid vom 04.06.2009 lehnte die Ag den Antrag des ASt auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ab. Aufgrund des vorhandenen, verwertbaren Vermögens des ASt bestünde kein Anspruch auf die Gewährung von Leistungen in Form eines Zuschusses. Eine darlehensweise Hilfegewährung sei von Seiten der Ag mehrfach angeboten, jedoch abgelehnt worden. Hiergegen hat der ASt mit Schreiben vom 08.06.2009 Widerspruch eingelegt, über den nach Aktenlage noch nicht entschieden worden ist.
Am 08.06.2009 hat der ASt im Rahmen einer einstweiligen Anordnung beantragt, die Ag zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu verpflichten. Die von den Eltern des ASt übertragenen Grundstücke würden keine verwertbaren Vermögenswerte darstellen, da diese mit Rückübertragungsklauseln versehen seien.
Dagegen hat die Ag u.a. eingewandt, dem ASt sei ein Darlehen gegen Beleihung seiner Grundstücke angeboten worden; auf dieser Grundlage könnten auch Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung gewährt werden.
Mit Beschluss vom 23.06.2009 hat das Sozialgericht Würzburg (SG) die Ag verpflichtet, dem ASt vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe ab Eingang des Antrags am 08.06.2009 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis 31.12.2009, zu erbringen. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass der ASt zwar de facto über Vermögen verfüge, welches über den ihm zustehenden Freibeträgen liege, dieses jedoch aufgrund der Rückübertragungsklausel nicht verwertbar sei. Weder die Rückübertragungsklausel noch deren Ausübung durch die Eltern des ASt sei nach summarischer Prüfung gemäß § 138 BGB sittenwidrig. Eine Eilbedürftigkeit für die Entscheidung sei von dem ASt glaubhaft gemacht worden, da seine gesundheitliche Situation ein weiteres Abwarten nicht erlaube. Ein Abschlag bei der vorläufigen Bewilligung von Leistungen zur Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache wäre nicht vorzunehmen, da der ASt zumindest einen Anspruch auf darlehensweise Bewilligung von Leistungen gehabt hätte.
Hiergegen hat die Ag am 06.07.2009 Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Die Verwertung des Hausgrundstückes und der weiteren unbebauten Grundstücke sei trotz der bestehenden Rückübertragungsklausel möglich; diese diene dem Zweck, den berechtigten Zugriff der Ag auf die Grundstücke und das Haus zu vereiteln. Der notarielle Vertrag würde das Subsidiaritätsprinzip unterlaufen, das unstreitig bestehende Vermögen könne ansonsten weder bei den Eltern (z.B. steuerlich oder im Fall des Eintritts von Pflegebedürftigkeit) noch beim ASt verwertet werden, es könne nicht Aufgabe des Steuerzahlers und der Allgemeinheit sein, Familieneigentum zu erhalten.
Der ASt demgegenüber hält den Beschluss des SG für zutreffend. Es bestünde eine wirtschaftliche Notlage des ASt, es sei bis auf weiteres nicht absehbar, ob der ASt einen wirtschaftlichen Nutzen aus dem Anwesen ziehen könne. Die Ag verweise den ASt auf nicht bereite Mittel.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Akten der Ag und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Ag ist zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG - und in der Sache auch begründet.
Gegenstand des Verfahrens ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß §§ 19 ff Zweites Buch Sozialgesetzbuch - SGB II -. Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Bezug auf dieses Begehren stellt § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.
Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn dem ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74), vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179) und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl Rdnr 643).
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der ASt sein Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der ASt glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Aufl, § 86b Rdnr 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005, Breith. 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des ASt zu entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO). In diesem Zusammenhang ist eine Orientierung an den Erfolgsaussichten nur möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Soweit schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare, Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, darf die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern sie muss abschließend geprüft werden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO).
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist dem ASt vorläufiger Rechtsschutz nicht zu gewähren.
Die Ag hat dem ASt nämlich wiederholt die darlehensweise Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts angeboten, was der ASt abgelehnt hat.
Damit ist eine grundrechtliche Position des ASt nicht mehr gefährdet. § 23 Abs 5 SGB II sieht gerade die Gewährung von Leistungen für den Fall vor, dass dem Hilfebedürftigen der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den Hilfebedürftigen eine besondere Härte bedeuten würde. Durch das Angebot der darlehensweisen Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt ist eine Verletzung existenzieller Grundrechte des ASt ausgeschlossen. Der ASt hat durch die Inanspruchnahme des Darlehens die Möglichkeit zur Gestaltung seiner wirtschaftlichen Lage und ist damit auch nicht zum Objekt staatlicher Willkür herabgewürdigt (vgl. BayLSG 8.Senat vom 06.05.2009, Az: L 8 SO 45/09 B ER).
Mit dem Angebot der Ag auf Gewährung von Darlehensleistungen ist aber auch ein Anordnungsgrund - eine besondere Eilbedürftigkeit zur Vermeidung von besonderen Härten - beim ASt nicht mehr gegeben. Zur Abwendung einer Notlage ist der Hilfebedürftige im Rahmen des § 86b Abs 2 SGG vorrangig auf die Inanspruchnahme der darlehensweisen Gewährung zu verweisen (vgl. BayLSG 8.Senat aaO, Landessozialgericht Baden Württemberg 2.Senat vom 22.02.2008, Az: L 2 SO 233/08 ER - B; LSG Berlin Brandenburg, 23.Senat vom 05.04.2006, Az: L 23 B 19/06 SO ER).
Soweit der ASt die darlehensweise Gewährung von Leistungen ablehnt, hat er hieraus die Konsequenzen zu tragen. Nachdem ein Anordnungsgrund nicht erkennbar ist, kommt es auf das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und folgt aus dem Unterliegen des ASt.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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