Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 P 2127/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 809/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 14. Januar 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten
Tatbestand:
Die Klägerin erhebt Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe II (statt I) ab 01. Oktober 2006.
Die am 1929 geborene Klägerin leidet seit vielen Jahren an insulinpflichtigem Diabetes und an den Folgen einer bei einem Sturz im Mai 2004 erlittenen Lendenwirbelfraktur. Wegen Kniegelenksarthrose ist sie beiderseits mit Knieendoprothesen versorgt. Es bestehen Polyneuropathie beider Beine und periphere arterielle Verschlusskrankheit. Die Sehkraft ist schwer eingeschränkt. Aufgrund der Polyneuropathie liegen Urin- und Stuhlinkontinenz vor. Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung von 80 sowie das Merkzeichen G festgestellt.
Die Klägerin beantragte am 03. Mai 2004 Pflegegeld. Aufgrund dieses Antrags erstattete Pflegefachkraft Frau K. das Gutachten vom 27. September 2004. Sie errechnete einen täglichen Hilfebedarf für Körperpflege von 30 Minuten, Ernährung drei Minuten und Mobilität 16 Minuten, zusammen 49 Minuten. Demgemäß bewilligte die Beklagte durch Bescheid vom 30. September 2004 Pflegegeld nach Pflegestufe I ab 01. Mai 2004. Dieser Bescheid wurde nicht angegriffen.
Am 03. Februar 2006 beantragte die Klägerin erneut Höherstufung. Bei einem Sturz habe sie sich zwei Wirbel gebrochen und ihre Sehkraft habe drastisch nachgelassen. Ärztin Dr. J.-Kl. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) nannte unter Berücksichtigung des eingereichten Hilfebedarfsermittlungsbogens im Gutachten vom 20. März 2006 einen grundpflegerischen Hilfebedarf von insgesamt 50 Minuten täglich (Körperpflege 30 Minuten und Mobilität 20 Minuten). Der Hilfebedarfsermittlungsbogen beschreibe einen vollständigen Hilfebedarf bei der Ganzkörperwäsche, Teilwäsche des Unterkörpers sowie beim Kämmen und Baden. Die Kleidung müsse nach dem Wasserlassen und dem Stuhlgang gerichtet werden. Im Bereich der Ernährung werde jetzt kein Hilfebedarf mehr angegeben. Im Bereich der Mobilität bestehe ein Hilfebedarf beim An- und Auskleiden. Ein Anhalt für eine Höherstufung finde sich nicht. Die Beklagte teilte der Klägerin mit Bescheid vom 27. März 2006 mit, dass Pflegeleistungen der Pflegestufe II nicht gezahlt werden könnten.
Im Oktober 2006 beantragte die Klägerin Höherstufung und machte vorrangig geltend, alle Behinderungen seien schlechter geworden, besonders die Sehbehinderung und Darmschwäche. Sie benötige auch nachts ein- bis zweimal wöchentlich Hilfe. Sie benutze einen Rollator. Ärztin Dr. B. vom MDK erstattete aufgrund der Untersuchung vom 23. November 2006 das Gutachten vom 17. Januar 2007. Die Klägerin benötige Hilfe beim Säubern des Intimbereichs, beim Waschen des Rückens und des Unterkörpers sowie beim An- und Auskleiden. Der tägliche Hilfebedarf betrage für Körperpflege 45 Minuten, für Mobilität 20 Minuten, zusammen 65 Minuten, sodass die Kriterien für die Pflegestufe II noch nicht erfüllt seien. Durch Bescheid vom 24. Januar 2007 lehnte die Beklagte demgemäß (Geld-)Leistungen nach Pflegestufe II ab.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch ließ die Klägerin vortragen, sie sei fast blind und durch die zwei künstlichen Kniegelenke sei das Gehen beschwerlich. Der tägliche Pflegeaufwand sei deutlich höher als von der Gutachterin angenommen. Pflegefachkraft Frau E. erstattete das Gutachten vom 27. März 2007. Der tägliche Hilfebedarf betrage für Körperpflege 37 Minuten (hiervon für das Wechseln von Vorlagen 15 Minuten), für Ernährung eine Minute und für Mobilität 17 Minuten, zusammen 55 Minuten. Erforderlich sei unterstützende Hilfe beim Waschen, beim Duschen, beim Richten der Kleidung sowie beim An- und Auskleiden des Unterkörpers. Beim Stuhlgang müsse nachgesäubert werden. Die Versorgung mit Inkontinenzmaterial sei erforderlich. Brot müsse geschnitten werden. Durch die Darminkontinenz und Unverträglichkeit von Windelhosen sei es bei Einstuhlung zweimal täglich notwendig, eine Teilumkleidung durchzuführen. Die Tochter der Klägerin erklärte telefonisch, sie sei mit diesem Ergebnis nicht einverstanden. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten erließ unter Bezugnahme auf dieses Gutachten den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 2007, zugestellt am 22. Mai 2007.
Deswegen erhob die Klägerin am 18. Juni 2007 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG). Sie könne nicht mehr allein Treppensteigen, sich auch nicht mehr ohne fremde Hilfe hinsetzen und aufstehen. Die hochgradige Sehbehinderung schränke ebenfalls die Mobilität ein. Mehrere Arzneien müssten verabreicht werden. Die Auswirkungen der Inkontinenzen und das sonstige tägliche Duschen und Waschen erforderten mindestens 50 Minuten Hilfebedarf, zuzüglich für Baden umgerechnet fünf Minuten täglich. Bei der Ernährung seien wegen vollständiger Hilfe bei den Mahlzeiten ebenfalls mindestens 50 Minuten zu veranschlagen. Schließlich erfordere die Hilfe beim Toilettengehen, Aufstehen und Zu-Bett-Gehen sowie für die regelmäßigen Arztbesuche mindestens 40 Minuten täglich. Hinzu kämen mindestens 60 Minuten für die hauswirtschaftliche Versorgung. Die wegen der Sehschwäche erforderliche Versorgung mit Insulin dürfe nicht als Behandlungspflege herausgerechnet werden. Inzwischen sei ihr ein Rollstuhl verschrieben worden und sie leide seit dem Tod ihres Ehemanns im April 2007 an Depressionen mit Antriebslosigkeit, Traurigkeit und Lebensunlust. Die Klägerin hat vorgelegt: Arztbrief der Augenklinik des Klinikums am G. H. vom 26. Juni 2007 (beiderseits ischämische diffuse diabetische Makulapathie, Pseudophakie); die gutachtliche Äußerung des seit Dezember 2005 behandelnden Allgemeinarztes Dr. Jo. vom 22. Oktober 2007 (aufgrund der bekannten Diagnosen und der depressiven Symptomatik seien keine sozialen Kontakte mehr möglich); schließlich gutachtliche Äußerung des Chefarztes Dr. S. vom Krankenhaus Ss Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe - vom 07. November 2007 (erhebliche Inkontinenzen; die Insulinspritzen stünden im Zusammenhang mit der Ernährung).
Die Beklagte trat der Klage entgegen und verwies darauf, bei der Insulinversorgung handle es sich nicht um eine pflegerelevante Verrichtung.
Das SG erhob das Gutachten des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. M. vom 10. September 2007. Er nannte als Diagnosen Mobilitätseinschränkung bei Polyarthrosen, Diabetes mellitus mit Folgeerkrankungen, Harn- und Stuhlteilinkontinenz, ferner Stoffwechselstörungen, Bluthochdruck und depressive Verstimmung. Beim Waschen sei nur abendliche Teilwäsche des Unterkörpers mit durchschnittlich zehn Minuten zu berücksichtigen, während die Klägerin die sonstigen Verrichtungen noch allein bewältige. Für die Teilhilfe beim morgendlichen Duschen einschließlich Abfrottieren und wiederkehrendem Bedarf des Haarewaschens während der Woche sei ein Zeitbedarf von 25 Minuten anzusetzen. Zahn- und Mundhygiene sowie Kämmen sei allein möglich. Für Darm- und Blasenentleerung (Wechsel und Entsorgung von Vorlagen, zusätzliche Hilfen bei der Intimhygiene nach Stuhlinkontinenz, Entleeren des Toilettenstuhls) könnten 21 Minuten angesetzt werden. Das mundgerechte Zubereiten der Nahrung (Teilübernahme beim Kleinschneiden von Nahrung) erfordere etwa vier Minuten, während die Klägerin eigenständig essen und trinken könne. Hilfe beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen sei nicht zu berücksichtigen, da die Klägerin demonstriert habe, dass sie dies eigenständig könne, während für An- und Auskleiden 17 Minuten sowie für Gehen/Stehen/Transfers zwei Minuten angenommen werden könnten. Treppensteigen sei nicht regelmäßig erforderlich; auch wöchentliche Arztbesuche seien nicht nachgewiesen, nachdem insbesondere der Hausarzt bei Bedarf Hausbesuche mache. Nach alledem seien für die Grundpflege 79 Minuten täglich (Körperpflege 56 Minuten, Ernährung vier Minuten, Mobilität 19 Minuten), für die Hauswirtschaft 45 Minuten anzusetzen. Die Klägerin habe trotz der schweren Sehbehinderung noch erhebliche Selbstpflegeressourcen. Nach alledem habe sich der Zeitaufwand gegenüber den Vorgutachten nicht wesentlich erhöht. Die Versorgung mit Insulin zähle zur Behandlungspflege. Auf die Einwendungen der Klägerin hat der Sachverständige zunächst ergänzend dargelegt (Stellungnahme vom 12. November 2007), die Behauptung einer antriebslosen hinfälligen Persönlichkeit decke sich nicht mit seinen Beobachtungen und auch die Verschreibung eines Rollstuhls könne am Gesamtaufwand nichts Wesentliches ändern, jedoch seien wegen eines Summationsfehlers für An- und Entkleiden 25 Minuten (und nicht 17 Minuten), mithin insgesamt 87 Minuten zu berücksichtigen. In Kenntnis der ärztlichen Bescheinigungen ist der Sachverständige (Stellungnahme vom 01. Dezember 2007) bei seinen bisherigen Darlegungen geblieben.
Durch Gerichtsbescheid vom 14. Januar 2008 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung verwies es im Wesentlichen auf die Darlegungen des Sachverständigen Dr. M. und führte ergänzend aus, die Versorgung mit Insulin zähle zur Behandlungspflege. Das Ausmaß der Pflegestufe II könne noch nicht erreicht sein.
Gegen den am 22. Januar 2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 19. Februar 2008 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die praktische Erblindung werde nicht ausreichend berücksichtigt. Die Polyneuropathie bedinge Empfindungsstörungen der Füße. Am meisten werde sie durch die komplette Harn- und Stuhlinkontinenz, die weder der Sachverständige noch das SG ausreichend gewürdigt hätten, beeinträchtigt. Aus dieser Erkrankung ergebe sich auch der größte Pflegeaufwand. Hinzu kämen die psychischen Stimmungsschwankungen. Neben dem regelmäßigen Duschen sei aufgrund der Inkontinenzen mindestens ein- bis zweimal wöchentlich ein Baden erforderlich, für das mindestens zehn Minuten in Anschlag zu bringen seien. Sie verbleibe auch dabei, dass die Insulinversorgung zum Pflegeaufwand zähle. Schließlich sei durch die Verordnung des Rollstuhls die Mobilität völlig eingeschränkt. Die Klägerin hat einen "Tätigkeitsbericht" ihrer Tochter für die Zeit vom 19. Oktober bis 02. November 2009 vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 14. Januar 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 24. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Mai 2007 zu verurteilen, ihr ab 01. Oktober 2006 Pflegegeld nach Pflegestufe II zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, der Sachverständige Dr. M. habe im Gutachten und den ergänzenden Stellungnahmen insbesondere die Inkontinenzproblematik hinreichend gewürdigt. Es verbleibe auch dabei, dass die Insulingabe keine grundpflegerische Verrichtung sei.
Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist in der Sache unbegründet. Ein Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe II ab 01. Oktober 2006 - statt wie bereits seit Mai 2004 nach Pflegestufe I - besteht nicht.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Nach Satz 2 Nr. 1 der genannten Vorschrift soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt. Als solcher Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist ein Bescheid über die Bewilligung von Pflegegeld anzusehen. Wesentlich ist jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich auf Grund oder Höhe der bewilligten Leistung auswirkt (Bundessozialgericht [BSG] SozR 3-4300 § 119 Nr. 4). Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist zwar eingetreten, weil sich der Hilfebedarf der Klägerin seit der letzten maßgeblichen Bewilligung von Pflegegeld der Pflegestufe I durch den Bescheid vom 27. März 2006, der das Gutachten der Ärztin Dr. J.-Kl. vom 20. März 2006 zu Grunde lag, erhöht hat, allerdings nicht in dem für die Pflegestufe II erforderlichen zeitlichen Umfang.
Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der - von der Klägerin bereits bezogenen - Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Hingegen sind Pflegebedürftige der - von der Klägerin nunmehr begehrten - Pflegestufe II (schwer Pflegebedürftige) Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand - unter den gleichen Voraussetzungen wie bei Pflegestufe I - muss in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (Nr. 2) und der Mobilität (Nr. 3). Zur Grundpflege zählt demnach im Einzelnen der Hilfebedarf beim Waschen, Duschen, Baden, bei der Zahnpflege, beim Kämmen, Rasieren sowie bei der Darm- und Blasenentleerung (Körperpflege), beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und bei der Aufnahme der Nahrung (Ernährung) sowie beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen sowie beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (Mobilität). Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven (abstrakten) Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die im Einzelfall unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs oder die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 19). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigen nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore in Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinien; vgl. hierzu BSG SozR 4-3300 § 23 Nr. 2 m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft.
Der Zeitaufwand für die Grundpflege erreicht hier den für die Pflegestufe II vorausgesetzten Zeitaufwand von zwei Stunden (vollen 120 Minuten) nicht. Die gehörten Gutachterinnen und Sachverständigen haben in keinem Einzelfall einen täglichen Hilfebedarf in der Grundpflege von 120 Minuten errechnet. Der im Klageverfahren von Amts wegen gehörte Sachverständige Dr. M. nennt im Gutachten vom 10. September 2007 - ergänzt durch seine Stellungnahmen vom 12. November 2007 und 01. Dezember 2007 - einen täglichen Pflegeaufwand von 87 Minuten, während sich in den Gutachten des MDK (Ärztin Dr. B., 17. Januar 2007 und Pflegefachkraft E., 27. März 2007) noch etwas geringere Zeitwerte ergeben hatten.
Wie das SG stützt sich auch der Senat auf das Gutachten des Dr. M. vom 10. September 2007 mit den ergänzenden Stellungnahmen. Das Gutachten hat auf einem über einstündigem Hausbesuch am 06. September 2007 beruht. Das Ergebnis von 87 Minuten täglichem Hilfebedarf wurde, wie auch in den Vorgutachten, im Wesentlichen anhand Besichtigung der Wohnung und Befragung der Klägerin und der Pflegeperson, der Tochter gefunden. Unter Berücksichtigung der vom Sachverständigen erhobenen Befunde ist diese Schätzung des Zeitaufwandes für den Hilfebedarf nachvollziehbar. Danach erfordert die Körperpflege insgesamt 56 Minuten täglich. Bei den Verrichtungen des Waschens ist allein für die abendliche Teilwäsche des Unterkörpers ein Zeitbedarf von durchschnittlich zehn Minuten zu berücksichtigen, während bei erhaltener Mobilität der Hände die Klägerin alle anderen Verrichtungen des Waschens allein bewältigen kann. Für das Duschen setzt der Sachverständige - einmal pro Tag - einen Zeitbedarf von morgendlich 25 Minuten an. Dieser liegt - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - bereits über dem Durchschnittswert von 15 bis 20 Minuten bei voller Übernahme der Hilfen durch die Pflegeperson für das Duschen (Abschnitt F 4.1 Nr. 2 der Begutachtungs-Richtlinien). Demgegenüber bedarf die Klägerin - anderes hat sie auch nicht behauptet - nur einer Teilhilfe beim Duschen, vor allem beim Waschen des Rückens, des Unterkörpers und der Haare sowie beim anschließenden Abtrocknen. Zahn- und Mundhygiene kann ebenso noch allein bewältigt werden wie das Kämmen. Darm- und Blasenentleerung erfordert einen Hilfebedarf von durchschnittlich dreimal täglich für Wechseln von Vorlagen, Entsorgung und Unterstützung, während die Klägerin dies zur Not - insbesondere nachts - ebenfalls allein bewältigen kann; zu den hierfür angesetzten neun Minuten kommen maximal zweimal pro Tag mit jeweils vier Minuten Hilfen bei der Intimhygiene, sodann für das Entleeren des Toilettenstuhls täglich etwa vier Minuten. Im Bereich der Ernährung sind insbesondere wegen der Sehbehinderung kleine Hilfen im Sinne der Teilübernahme für das mundgerechte Zubereiten der Nahrung zu berücksichtigen, durchschnittlich viermal täglich jeweils eine Minute. Dies ergibt für die Ernährung pro Tag vier Minuten. Der Gesamtzeitbedarf für die Mobilität wird auf 27 Minuten eingeschätzt, hiervon für morgendliches Ankleiden und abendliches Entkleiden fünf bzw. vier Minuten, für Inkontinenzversorgung zweimal vier Minuten, zusammen acht Minuten. Gehen/Stehen/Transfers sollen im Hinblick auf den Einstieg in die Dusche zweimal täglich für eine Minute, also zwei Minuten zu bemessen sein. Treppensteigen ist nicht regelmäßig erforderlich. Auch regelmäßige Wege zu Therapie- oder Arztbesuchen fallen nicht an, nachdem der Hausarzt bei Bedarf Hausbesuche ermöglicht.
Von diesen Zeitwerten hat der Sachverständige Dr. M. in den ergänzenden Stellungnahmen vom 12. November 2007 und 01. Dezember 2007 auch in Kenntnis der für die Klägerin eingereichten aktuellen ärztlichen Äußerungen (Befund der Augenklinik H. vom 26. Juni 2007, Stellungnahmen Dr. Jo. vom 22. Oktober 2007 und Dr. S. vom 07. November 2007) nicht abzuweichen vermocht. Da nach dem eigenen Vortrag der Klägerin sich der Zustand seit Stellung des Antrags auf Höherstufung nicht geändert hat, kann das Gutachten des Dr. M. auch weiterhin zur Beurteilung des Hilfebedarfs herangezogen werden.
Die Einwände der Klägerin greifen nicht durch und vermögen zu keiner abweichenden Entscheidung oder auch zu neuen Ermittlungen von Amts wegen zu veranlassen. Der zeitliche Hilfebedarf beruht auf einer Schätzung (vgl. z.B. BSG SozR 3-3300 § 14 Nrn. 9 und 10). Die Schwierigkeit und Problematik der Erhebung und Einschätzung des Hilfebedarfs liegt darin, dass jeder Gutachter darauf angewiesen ist, was der Pflegebedürftige oder dessen Pflegepersonen zu den Fragen nach dem zeitlichen oder allgemeinen Hilfebedarf antworten oder was ausgehend von diesen Erhebungen mit Blick auf die Richtlinien objektiviert werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 03. September 2009 - L 4 P 390/08 -). Die praktische Erblindung wurde von den Gutachterinnen und vom Sachverständigen Dr. M. stets berücksichtigt. Der Sachverständige Dr. M. berücksichtigte bei seiner Schätzung des zeitlichen Hilfebedarfs auch, dass die Klägerin wegen der Stuhlinkontinenz zusätzlich zweimal am Tag Hilfe bei der Intimhygiene (acht Minuten) und beim Richten der Bekleidung (16 Minuten) benötigt. Er hat zwar nicht dargelegt, ob diese Hilfen mit dem von der Klägerin behaupteten zusätzlichen Baden oder nur durch einfaches Waschen erfolgen. Allerdings hat die Klägerin bei der Untersuchung auch hierauf nicht hingewiesen. Ebenso wenig gab sie in dem mit dem Antrag auf Höherstufung vorgelegten Pflegebogen an, dass Baden erfolge. Dort ist das Wort "Duschen" unterstrichen. Selbst wenn insoweit ein weiterer Hilfebedarf sich ergäbe, beträgt dieser nur wenige Minuten. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin ist für das zusätzliche ein- bis zweimal wöchentliche Baden ein Zeitaufwand von zehn Minuten erforderlich. Bei unterstelltem zweimal wöchentlichen Baden ergäbe sich ein täglicher zusätzlicher Zeitaufwand von ungefähr drei Minuten (10 ÷ 7 x 2), mithin insgesamt ein Zeitaufwand von 90 Minuten (87 + 3 Minuten), der immer noch deutlich unter 120 Minuten läge. Bezüglich der psychischen Situation hat der Sachverständige das Bild einer hinfälligen Persönlichkeit ohne Antrieb nicht bestätigen können. Anhaltspunkte hierfür ergeben sich auch nicht aus dem vorgelegten Attest des Dr. Jo. vom 22. Oktober 2007. Eigene Toilettengänge wurden von der Klägerin selbst eingeräumt. Dies spricht für eine Restmobilität der Klägerin, sodass jedenfalls innerhalb der eigenen Wohnung trotz der bestehenden praktischen Erblindung die Fortbewegung noch möglich ist. Auch war weitere Hilfe innerhalb der Wohnung außer beim Einstieg in die Dusche - nicht vorgebracht worden. Hinsichtlich des verordneten Rollstuhls ist nicht erkennbar, dass dieser innerhalb der Wohnung eingesetzt wird. Soweit der Rollstuhls für Wege außerhalb der Wohnung eingesetzt werden wird, sind diese bei dem Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege nicht zu berücksichtigen. Hilfe im Bereich der Mobilität außerhalb der eigenen Wohnung bei der Verrichtung Verlassen und Wiederaufsuchens der Wohnung ist jedenfalls als Pflegebedarf der sozialen Pflegeversicherung nur berücksichtigungsfähig, wenn sie erforderlich ist, um das Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen, also Krankenhausaufenthalte und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim zu vermeiden (grundlegend dazu BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 5 m.w.N.). Dazu zählen Arztbesuche, aber auch Wege zur Krankengymnastik, zum Logopäden oder zur Ergotherapie, soweit sie der Behandlung einer Krankheit dienen (vgl. BSG SozR 4 3300 § 15 Nr. 1 m.w.N.). Solche Verrichtungen sind nicht behauptet worden. Nicht zu berücksichtigen ist hingegen die Begleitung zur Behindertenwerkstatt (vgl. BSG SozR 3-3300 § 15 Nr. 2), zur Arbeitsstätte (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 6), zur logopädischen Schulung (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 8), auf dem Schulweg (vgl. BSG SozR 3-3300 § 15 Nr. 8), zu einer Arzneimittelstudie (BSG, Urteil vom 18. September 2008 - B 3 P 5/07 R - veröffentlicht in juris) oder - wie von der Klägerin in dem vorgelegten "Tätigkeitsbericht" ihrer Tochter angegeben - zum Gottesdienst oder bei Spaziergängen (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 16; SozR 4-3300 § 14 Nr. 3). Schließlich sind auch Zeiten des Spritzens des Insulins nicht berücksichtigungsfähig. Die Insulingaben sind nicht der Grundpflege zuzurechnen, sondern dienen ausschließlich der Behandlungspflege. Die Behandlungspflege zählt grundsätzlich nicht zu den "gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens" im Sinne des § 14 SGB XI, auch wenn sie krankheitsbedingt täglich zu leisten ist. Sie fällt vielmehr in den Bereich der häuslichen Krankenpflege, für den in der Sozialversicherung die gesetzliche Krankenversicherung gemäß § 37 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) zuständig ist. Das BSG (vgl. SozR 4-2500 § 37 Nr. 4) hat die Behandlungspflege dahingehend umschrieben, dass es sich um Hilfeleistungen handelt, die durch bestimmte Erkrankungen erforderlich werden (krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen) und typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht werden. Der Zielrichtung nach müssen die Maßnahmen der Behandlung einer Erkrankung dienen; dazu reicht es aber bereits aus, wenn eine Verschlimmerung verhütet wird oder Beschwerden gelindert werden (§ 27 Abs 1 SGB V). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG zählt die Behandlungspflege ausnahmsweise dann zu dem nach § 14 SGB XI zu berücksichtigenden Pflegebedarf, wenn und soweit sie entweder Bestandteil der Hilfe für eine der zur Grundpflege gehörenden Verrichtungen ist oder aus medizinisch-pflegerischen Gründen in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Maßnahme der Grundpflege erforderlich wird (SozR 4-3300 § 14 Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind bei eine Insulingabe nicht gegeben. Denn diese erfolgt - wie sich auch aus dem vorgelegten Attest des Dr. S. vom 07. November 2007 ergibt - zur Verarbeitung der aufgenommenen Nahrung im Körper. Das Spritzen des Insulins wird im Übrigen von einer Sozialstation im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V durchgeführt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten
Tatbestand:
Die Klägerin erhebt Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe II (statt I) ab 01. Oktober 2006.
Die am 1929 geborene Klägerin leidet seit vielen Jahren an insulinpflichtigem Diabetes und an den Folgen einer bei einem Sturz im Mai 2004 erlittenen Lendenwirbelfraktur. Wegen Kniegelenksarthrose ist sie beiderseits mit Knieendoprothesen versorgt. Es bestehen Polyneuropathie beider Beine und periphere arterielle Verschlusskrankheit. Die Sehkraft ist schwer eingeschränkt. Aufgrund der Polyneuropathie liegen Urin- und Stuhlinkontinenz vor. Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung von 80 sowie das Merkzeichen G festgestellt.
Die Klägerin beantragte am 03. Mai 2004 Pflegegeld. Aufgrund dieses Antrags erstattete Pflegefachkraft Frau K. das Gutachten vom 27. September 2004. Sie errechnete einen täglichen Hilfebedarf für Körperpflege von 30 Minuten, Ernährung drei Minuten und Mobilität 16 Minuten, zusammen 49 Minuten. Demgemäß bewilligte die Beklagte durch Bescheid vom 30. September 2004 Pflegegeld nach Pflegestufe I ab 01. Mai 2004. Dieser Bescheid wurde nicht angegriffen.
Am 03. Februar 2006 beantragte die Klägerin erneut Höherstufung. Bei einem Sturz habe sie sich zwei Wirbel gebrochen und ihre Sehkraft habe drastisch nachgelassen. Ärztin Dr. J.-Kl. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) nannte unter Berücksichtigung des eingereichten Hilfebedarfsermittlungsbogens im Gutachten vom 20. März 2006 einen grundpflegerischen Hilfebedarf von insgesamt 50 Minuten täglich (Körperpflege 30 Minuten und Mobilität 20 Minuten). Der Hilfebedarfsermittlungsbogen beschreibe einen vollständigen Hilfebedarf bei der Ganzkörperwäsche, Teilwäsche des Unterkörpers sowie beim Kämmen und Baden. Die Kleidung müsse nach dem Wasserlassen und dem Stuhlgang gerichtet werden. Im Bereich der Ernährung werde jetzt kein Hilfebedarf mehr angegeben. Im Bereich der Mobilität bestehe ein Hilfebedarf beim An- und Auskleiden. Ein Anhalt für eine Höherstufung finde sich nicht. Die Beklagte teilte der Klägerin mit Bescheid vom 27. März 2006 mit, dass Pflegeleistungen der Pflegestufe II nicht gezahlt werden könnten.
Im Oktober 2006 beantragte die Klägerin Höherstufung und machte vorrangig geltend, alle Behinderungen seien schlechter geworden, besonders die Sehbehinderung und Darmschwäche. Sie benötige auch nachts ein- bis zweimal wöchentlich Hilfe. Sie benutze einen Rollator. Ärztin Dr. B. vom MDK erstattete aufgrund der Untersuchung vom 23. November 2006 das Gutachten vom 17. Januar 2007. Die Klägerin benötige Hilfe beim Säubern des Intimbereichs, beim Waschen des Rückens und des Unterkörpers sowie beim An- und Auskleiden. Der tägliche Hilfebedarf betrage für Körperpflege 45 Minuten, für Mobilität 20 Minuten, zusammen 65 Minuten, sodass die Kriterien für die Pflegestufe II noch nicht erfüllt seien. Durch Bescheid vom 24. Januar 2007 lehnte die Beklagte demgemäß (Geld-)Leistungen nach Pflegestufe II ab.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch ließ die Klägerin vortragen, sie sei fast blind und durch die zwei künstlichen Kniegelenke sei das Gehen beschwerlich. Der tägliche Pflegeaufwand sei deutlich höher als von der Gutachterin angenommen. Pflegefachkraft Frau E. erstattete das Gutachten vom 27. März 2007. Der tägliche Hilfebedarf betrage für Körperpflege 37 Minuten (hiervon für das Wechseln von Vorlagen 15 Minuten), für Ernährung eine Minute und für Mobilität 17 Minuten, zusammen 55 Minuten. Erforderlich sei unterstützende Hilfe beim Waschen, beim Duschen, beim Richten der Kleidung sowie beim An- und Auskleiden des Unterkörpers. Beim Stuhlgang müsse nachgesäubert werden. Die Versorgung mit Inkontinenzmaterial sei erforderlich. Brot müsse geschnitten werden. Durch die Darminkontinenz und Unverträglichkeit von Windelhosen sei es bei Einstuhlung zweimal täglich notwendig, eine Teilumkleidung durchzuführen. Die Tochter der Klägerin erklärte telefonisch, sie sei mit diesem Ergebnis nicht einverstanden. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten erließ unter Bezugnahme auf dieses Gutachten den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 2007, zugestellt am 22. Mai 2007.
Deswegen erhob die Klägerin am 18. Juni 2007 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG). Sie könne nicht mehr allein Treppensteigen, sich auch nicht mehr ohne fremde Hilfe hinsetzen und aufstehen. Die hochgradige Sehbehinderung schränke ebenfalls die Mobilität ein. Mehrere Arzneien müssten verabreicht werden. Die Auswirkungen der Inkontinenzen und das sonstige tägliche Duschen und Waschen erforderten mindestens 50 Minuten Hilfebedarf, zuzüglich für Baden umgerechnet fünf Minuten täglich. Bei der Ernährung seien wegen vollständiger Hilfe bei den Mahlzeiten ebenfalls mindestens 50 Minuten zu veranschlagen. Schließlich erfordere die Hilfe beim Toilettengehen, Aufstehen und Zu-Bett-Gehen sowie für die regelmäßigen Arztbesuche mindestens 40 Minuten täglich. Hinzu kämen mindestens 60 Minuten für die hauswirtschaftliche Versorgung. Die wegen der Sehschwäche erforderliche Versorgung mit Insulin dürfe nicht als Behandlungspflege herausgerechnet werden. Inzwischen sei ihr ein Rollstuhl verschrieben worden und sie leide seit dem Tod ihres Ehemanns im April 2007 an Depressionen mit Antriebslosigkeit, Traurigkeit und Lebensunlust. Die Klägerin hat vorgelegt: Arztbrief der Augenklinik des Klinikums am G. H. vom 26. Juni 2007 (beiderseits ischämische diffuse diabetische Makulapathie, Pseudophakie); die gutachtliche Äußerung des seit Dezember 2005 behandelnden Allgemeinarztes Dr. Jo. vom 22. Oktober 2007 (aufgrund der bekannten Diagnosen und der depressiven Symptomatik seien keine sozialen Kontakte mehr möglich); schließlich gutachtliche Äußerung des Chefarztes Dr. S. vom Krankenhaus Ss Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe - vom 07. November 2007 (erhebliche Inkontinenzen; die Insulinspritzen stünden im Zusammenhang mit der Ernährung).
Die Beklagte trat der Klage entgegen und verwies darauf, bei der Insulinversorgung handle es sich nicht um eine pflegerelevante Verrichtung.
Das SG erhob das Gutachten des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. M. vom 10. September 2007. Er nannte als Diagnosen Mobilitätseinschränkung bei Polyarthrosen, Diabetes mellitus mit Folgeerkrankungen, Harn- und Stuhlteilinkontinenz, ferner Stoffwechselstörungen, Bluthochdruck und depressive Verstimmung. Beim Waschen sei nur abendliche Teilwäsche des Unterkörpers mit durchschnittlich zehn Minuten zu berücksichtigen, während die Klägerin die sonstigen Verrichtungen noch allein bewältige. Für die Teilhilfe beim morgendlichen Duschen einschließlich Abfrottieren und wiederkehrendem Bedarf des Haarewaschens während der Woche sei ein Zeitbedarf von 25 Minuten anzusetzen. Zahn- und Mundhygiene sowie Kämmen sei allein möglich. Für Darm- und Blasenentleerung (Wechsel und Entsorgung von Vorlagen, zusätzliche Hilfen bei der Intimhygiene nach Stuhlinkontinenz, Entleeren des Toilettenstuhls) könnten 21 Minuten angesetzt werden. Das mundgerechte Zubereiten der Nahrung (Teilübernahme beim Kleinschneiden von Nahrung) erfordere etwa vier Minuten, während die Klägerin eigenständig essen und trinken könne. Hilfe beim Aufstehen und Zu-Bett-Gehen sei nicht zu berücksichtigen, da die Klägerin demonstriert habe, dass sie dies eigenständig könne, während für An- und Auskleiden 17 Minuten sowie für Gehen/Stehen/Transfers zwei Minuten angenommen werden könnten. Treppensteigen sei nicht regelmäßig erforderlich; auch wöchentliche Arztbesuche seien nicht nachgewiesen, nachdem insbesondere der Hausarzt bei Bedarf Hausbesuche mache. Nach alledem seien für die Grundpflege 79 Minuten täglich (Körperpflege 56 Minuten, Ernährung vier Minuten, Mobilität 19 Minuten), für die Hauswirtschaft 45 Minuten anzusetzen. Die Klägerin habe trotz der schweren Sehbehinderung noch erhebliche Selbstpflegeressourcen. Nach alledem habe sich der Zeitaufwand gegenüber den Vorgutachten nicht wesentlich erhöht. Die Versorgung mit Insulin zähle zur Behandlungspflege. Auf die Einwendungen der Klägerin hat der Sachverständige zunächst ergänzend dargelegt (Stellungnahme vom 12. November 2007), die Behauptung einer antriebslosen hinfälligen Persönlichkeit decke sich nicht mit seinen Beobachtungen und auch die Verschreibung eines Rollstuhls könne am Gesamtaufwand nichts Wesentliches ändern, jedoch seien wegen eines Summationsfehlers für An- und Entkleiden 25 Minuten (und nicht 17 Minuten), mithin insgesamt 87 Minuten zu berücksichtigen. In Kenntnis der ärztlichen Bescheinigungen ist der Sachverständige (Stellungnahme vom 01. Dezember 2007) bei seinen bisherigen Darlegungen geblieben.
Durch Gerichtsbescheid vom 14. Januar 2008 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung verwies es im Wesentlichen auf die Darlegungen des Sachverständigen Dr. M. und führte ergänzend aus, die Versorgung mit Insulin zähle zur Behandlungspflege. Das Ausmaß der Pflegestufe II könne noch nicht erreicht sein.
Gegen den am 22. Januar 2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 19. Februar 2008 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die praktische Erblindung werde nicht ausreichend berücksichtigt. Die Polyneuropathie bedinge Empfindungsstörungen der Füße. Am meisten werde sie durch die komplette Harn- und Stuhlinkontinenz, die weder der Sachverständige noch das SG ausreichend gewürdigt hätten, beeinträchtigt. Aus dieser Erkrankung ergebe sich auch der größte Pflegeaufwand. Hinzu kämen die psychischen Stimmungsschwankungen. Neben dem regelmäßigen Duschen sei aufgrund der Inkontinenzen mindestens ein- bis zweimal wöchentlich ein Baden erforderlich, für das mindestens zehn Minuten in Anschlag zu bringen seien. Sie verbleibe auch dabei, dass die Insulinversorgung zum Pflegeaufwand zähle. Schließlich sei durch die Verordnung des Rollstuhls die Mobilität völlig eingeschränkt. Die Klägerin hat einen "Tätigkeitsbericht" ihrer Tochter für die Zeit vom 19. Oktober bis 02. November 2009 vorgelegt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 14. Januar 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 24. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Mai 2007 zu verurteilen, ihr ab 01. Oktober 2006 Pflegegeld nach Pflegestufe II zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, der Sachverständige Dr. M. habe im Gutachten und den ergänzenden Stellungnahmen insbesondere die Inkontinenzproblematik hinreichend gewürdigt. Es verbleibe auch dabei, dass die Insulingabe keine grundpflegerische Verrichtung sei.
Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist in der Sache unbegründet. Ein Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe II ab 01. Oktober 2006 - statt wie bereits seit Mai 2004 nach Pflegestufe I - besteht nicht.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Nach Satz 2 Nr. 1 der genannten Vorschrift soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt. Als solcher Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist ein Bescheid über die Bewilligung von Pflegegeld anzusehen. Wesentlich ist jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich auf Grund oder Höhe der bewilligten Leistung auswirkt (Bundessozialgericht [BSG] SozR 3-4300 § 119 Nr. 4). Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist zwar eingetreten, weil sich der Hilfebedarf der Klägerin seit der letzten maßgeblichen Bewilligung von Pflegegeld der Pflegestufe I durch den Bescheid vom 27. März 2006, der das Gutachten der Ärztin Dr. J.-Kl. vom 20. März 2006 zu Grunde lag, erhöht hat, allerdings nicht in dem für die Pflegestufe II erforderlichen zeitlichen Umfang.
Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der - von der Klägerin bereits bezogenen - Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI). Hingegen sind Pflegebedürftige der - von der Klägerin nunmehr begehrten - Pflegestufe II (schwer Pflegebedürftige) Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand - unter den gleichen Voraussetzungen wie bei Pflegestufe I - muss in der Pflegestufe II mindestens drei Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (Nr. 2) und der Mobilität (Nr. 3). Zur Grundpflege zählt demnach im Einzelnen der Hilfebedarf beim Waschen, Duschen, Baden, bei der Zahnpflege, beim Kämmen, Rasieren sowie bei der Darm- und Blasenentleerung (Körperpflege), beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und bei der Aufnahme der Nahrung (Ernährung) sowie beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen sowie beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (Mobilität). Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven (abstrakten) Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die im Einzelfall unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs oder die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 19). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigen nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore in Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinien; vgl. hierzu BSG SozR 4-3300 § 23 Nr. 2 m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft.
Der Zeitaufwand für die Grundpflege erreicht hier den für die Pflegestufe II vorausgesetzten Zeitaufwand von zwei Stunden (vollen 120 Minuten) nicht. Die gehörten Gutachterinnen und Sachverständigen haben in keinem Einzelfall einen täglichen Hilfebedarf in der Grundpflege von 120 Minuten errechnet. Der im Klageverfahren von Amts wegen gehörte Sachverständige Dr. M. nennt im Gutachten vom 10. September 2007 - ergänzt durch seine Stellungnahmen vom 12. November 2007 und 01. Dezember 2007 - einen täglichen Pflegeaufwand von 87 Minuten, während sich in den Gutachten des MDK (Ärztin Dr. B., 17. Januar 2007 und Pflegefachkraft E., 27. März 2007) noch etwas geringere Zeitwerte ergeben hatten.
Wie das SG stützt sich auch der Senat auf das Gutachten des Dr. M. vom 10. September 2007 mit den ergänzenden Stellungnahmen. Das Gutachten hat auf einem über einstündigem Hausbesuch am 06. September 2007 beruht. Das Ergebnis von 87 Minuten täglichem Hilfebedarf wurde, wie auch in den Vorgutachten, im Wesentlichen anhand Besichtigung der Wohnung und Befragung der Klägerin und der Pflegeperson, der Tochter gefunden. Unter Berücksichtigung der vom Sachverständigen erhobenen Befunde ist diese Schätzung des Zeitaufwandes für den Hilfebedarf nachvollziehbar. Danach erfordert die Körperpflege insgesamt 56 Minuten täglich. Bei den Verrichtungen des Waschens ist allein für die abendliche Teilwäsche des Unterkörpers ein Zeitbedarf von durchschnittlich zehn Minuten zu berücksichtigen, während bei erhaltener Mobilität der Hände die Klägerin alle anderen Verrichtungen des Waschens allein bewältigen kann. Für das Duschen setzt der Sachverständige - einmal pro Tag - einen Zeitbedarf von morgendlich 25 Minuten an. Dieser liegt - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - bereits über dem Durchschnittswert von 15 bis 20 Minuten bei voller Übernahme der Hilfen durch die Pflegeperson für das Duschen (Abschnitt F 4.1 Nr. 2 der Begutachtungs-Richtlinien). Demgegenüber bedarf die Klägerin - anderes hat sie auch nicht behauptet - nur einer Teilhilfe beim Duschen, vor allem beim Waschen des Rückens, des Unterkörpers und der Haare sowie beim anschließenden Abtrocknen. Zahn- und Mundhygiene kann ebenso noch allein bewältigt werden wie das Kämmen. Darm- und Blasenentleerung erfordert einen Hilfebedarf von durchschnittlich dreimal täglich für Wechseln von Vorlagen, Entsorgung und Unterstützung, während die Klägerin dies zur Not - insbesondere nachts - ebenfalls allein bewältigen kann; zu den hierfür angesetzten neun Minuten kommen maximal zweimal pro Tag mit jeweils vier Minuten Hilfen bei der Intimhygiene, sodann für das Entleeren des Toilettenstuhls täglich etwa vier Minuten. Im Bereich der Ernährung sind insbesondere wegen der Sehbehinderung kleine Hilfen im Sinne der Teilübernahme für das mundgerechte Zubereiten der Nahrung zu berücksichtigen, durchschnittlich viermal täglich jeweils eine Minute. Dies ergibt für die Ernährung pro Tag vier Minuten. Der Gesamtzeitbedarf für die Mobilität wird auf 27 Minuten eingeschätzt, hiervon für morgendliches Ankleiden und abendliches Entkleiden fünf bzw. vier Minuten, für Inkontinenzversorgung zweimal vier Minuten, zusammen acht Minuten. Gehen/Stehen/Transfers sollen im Hinblick auf den Einstieg in die Dusche zweimal täglich für eine Minute, also zwei Minuten zu bemessen sein. Treppensteigen ist nicht regelmäßig erforderlich. Auch regelmäßige Wege zu Therapie- oder Arztbesuchen fallen nicht an, nachdem der Hausarzt bei Bedarf Hausbesuche ermöglicht.
Von diesen Zeitwerten hat der Sachverständige Dr. M. in den ergänzenden Stellungnahmen vom 12. November 2007 und 01. Dezember 2007 auch in Kenntnis der für die Klägerin eingereichten aktuellen ärztlichen Äußerungen (Befund der Augenklinik H. vom 26. Juni 2007, Stellungnahmen Dr. Jo. vom 22. Oktober 2007 und Dr. S. vom 07. November 2007) nicht abzuweichen vermocht. Da nach dem eigenen Vortrag der Klägerin sich der Zustand seit Stellung des Antrags auf Höherstufung nicht geändert hat, kann das Gutachten des Dr. M. auch weiterhin zur Beurteilung des Hilfebedarfs herangezogen werden.
Die Einwände der Klägerin greifen nicht durch und vermögen zu keiner abweichenden Entscheidung oder auch zu neuen Ermittlungen von Amts wegen zu veranlassen. Der zeitliche Hilfebedarf beruht auf einer Schätzung (vgl. z.B. BSG SozR 3-3300 § 14 Nrn. 9 und 10). Die Schwierigkeit und Problematik der Erhebung und Einschätzung des Hilfebedarfs liegt darin, dass jeder Gutachter darauf angewiesen ist, was der Pflegebedürftige oder dessen Pflegepersonen zu den Fragen nach dem zeitlichen oder allgemeinen Hilfebedarf antworten oder was ausgehend von diesen Erhebungen mit Blick auf die Richtlinien objektiviert werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 03. September 2009 - L 4 P 390/08 -). Die praktische Erblindung wurde von den Gutachterinnen und vom Sachverständigen Dr. M. stets berücksichtigt. Der Sachverständige Dr. M. berücksichtigte bei seiner Schätzung des zeitlichen Hilfebedarfs auch, dass die Klägerin wegen der Stuhlinkontinenz zusätzlich zweimal am Tag Hilfe bei der Intimhygiene (acht Minuten) und beim Richten der Bekleidung (16 Minuten) benötigt. Er hat zwar nicht dargelegt, ob diese Hilfen mit dem von der Klägerin behaupteten zusätzlichen Baden oder nur durch einfaches Waschen erfolgen. Allerdings hat die Klägerin bei der Untersuchung auch hierauf nicht hingewiesen. Ebenso wenig gab sie in dem mit dem Antrag auf Höherstufung vorgelegten Pflegebogen an, dass Baden erfolge. Dort ist das Wort "Duschen" unterstrichen. Selbst wenn insoweit ein weiterer Hilfebedarf sich ergäbe, beträgt dieser nur wenige Minuten. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin ist für das zusätzliche ein- bis zweimal wöchentliche Baden ein Zeitaufwand von zehn Minuten erforderlich. Bei unterstelltem zweimal wöchentlichen Baden ergäbe sich ein täglicher zusätzlicher Zeitaufwand von ungefähr drei Minuten (10 ÷ 7 x 2), mithin insgesamt ein Zeitaufwand von 90 Minuten (87 + 3 Minuten), der immer noch deutlich unter 120 Minuten läge. Bezüglich der psychischen Situation hat der Sachverständige das Bild einer hinfälligen Persönlichkeit ohne Antrieb nicht bestätigen können. Anhaltspunkte hierfür ergeben sich auch nicht aus dem vorgelegten Attest des Dr. Jo. vom 22. Oktober 2007. Eigene Toilettengänge wurden von der Klägerin selbst eingeräumt. Dies spricht für eine Restmobilität der Klägerin, sodass jedenfalls innerhalb der eigenen Wohnung trotz der bestehenden praktischen Erblindung die Fortbewegung noch möglich ist. Auch war weitere Hilfe innerhalb der Wohnung außer beim Einstieg in die Dusche - nicht vorgebracht worden. Hinsichtlich des verordneten Rollstuhls ist nicht erkennbar, dass dieser innerhalb der Wohnung eingesetzt wird. Soweit der Rollstuhls für Wege außerhalb der Wohnung eingesetzt werden wird, sind diese bei dem Hilfebedarf für die Verrichtungen der Grundpflege nicht zu berücksichtigen. Hilfe im Bereich der Mobilität außerhalb der eigenen Wohnung bei der Verrichtung Verlassen und Wiederaufsuchens der Wohnung ist jedenfalls als Pflegebedarf der sozialen Pflegeversicherung nur berücksichtigungsfähig, wenn sie erforderlich ist, um das Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen, also Krankenhausaufenthalte und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim zu vermeiden (grundlegend dazu BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 5 m.w.N.). Dazu zählen Arztbesuche, aber auch Wege zur Krankengymnastik, zum Logopäden oder zur Ergotherapie, soweit sie der Behandlung einer Krankheit dienen (vgl. BSG SozR 4 3300 § 15 Nr. 1 m.w.N.). Solche Verrichtungen sind nicht behauptet worden. Nicht zu berücksichtigen ist hingegen die Begleitung zur Behindertenwerkstatt (vgl. BSG SozR 3-3300 § 15 Nr. 2), zur Arbeitsstätte (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 6), zur logopädischen Schulung (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 8), auf dem Schulweg (vgl. BSG SozR 3-3300 § 15 Nr. 8), zu einer Arzneimittelstudie (BSG, Urteil vom 18. September 2008 - B 3 P 5/07 R - veröffentlicht in juris) oder - wie von der Klägerin in dem vorgelegten "Tätigkeitsbericht" ihrer Tochter angegeben - zum Gottesdienst oder bei Spaziergängen (vgl. BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 16; SozR 4-3300 § 14 Nr. 3). Schließlich sind auch Zeiten des Spritzens des Insulins nicht berücksichtigungsfähig. Die Insulingaben sind nicht der Grundpflege zuzurechnen, sondern dienen ausschließlich der Behandlungspflege. Die Behandlungspflege zählt grundsätzlich nicht zu den "gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens" im Sinne des § 14 SGB XI, auch wenn sie krankheitsbedingt täglich zu leisten ist. Sie fällt vielmehr in den Bereich der häuslichen Krankenpflege, für den in der Sozialversicherung die gesetzliche Krankenversicherung gemäß § 37 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) zuständig ist. Das BSG (vgl. SozR 4-2500 § 37 Nr. 4) hat die Behandlungspflege dahingehend umschrieben, dass es sich um Hilfeleistungen handelt, die durch bestimmte Erkrankungen erforderlich werden (krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen) und typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht werden. Der Zielrichtung nach müssen die Maßnahmen der Behandlung einer Erkrankung dienen; dazu reicht es aber bereits aus, wenn eine Verschlimmerung verhütet wird oder Beschwerden gelindert werden (§ 27 Abs 1 SGB V). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG zählt die Behandlungspflege ausnahmsweise dann zu dem nach § 14 SGB XI zu berücksichtigenden Pflegebedarf, wenn und soweit sie entweder Bestandteil der Hilfe für eine der zur Grundpflege gehörenden Verrichtungen ist oder aus medizinisch-pflegerischen Gründen in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Maßnahme der Grundpflege erforderlich wird (SozR 4-3300 § 14 Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind bei eine Insulingabe nicht gegeben. Denn diese erfolgt - wie sich auch aus dem vorgelegten Attest des Dr. S. vom 07. November 2007 ergibt - zur Verarbeitung der aufgenommenen Nahrung im Körper. Das Spritzen des Insulins wird im Übrigen von einer Sozialstation im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V durchgeführt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
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