L 4 R 2380/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 19 R 8440/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 2380/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. April 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Witwenrente aus der Versicherung ihres am 1937 geborenen und am 1997 verstorbenen geschiedenen Ehemannes G. S. (im Folgenden: Versicherter).

Die am 1938 geborene Klägerin war ab dem 20. Juli 1962 mit dem Versicherten verheiratet. Wegen der Heirat beantragte sie bei der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte die Erstattung von Beiträgen. Die Ehe der Klägerin und des Versicherten wurde durch Verbundurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - S. vom 16. November 1993 geschieden (1 F 163/92). Außerdem übertrug das Amtsgericht, bezogen auf den 31. Mai 1992, von dem Rentenkonto des Versicherten bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte) Rentenanwartschaften in Höhe einer Monatsrente von DM 778,72 und von einem weiteren Versicherungskonto des Versicherten bei der Zusatzversorgungskasse des Kommunalen Versorgungsverbandes Baden-Württemberg Anwartschaften in Höhe einer Monatsrente von DM 80,85 auf das Rentenkonto der Klägerin bei der Beklagten, wobei es anordnete, diese Rentenbeträge in Entgeltpunkte umzurechnen. Der Scheidungstenor des Urteils wurde durch Rechtsmittelverzicht am 16. November 1993 rechtskräftig. In dem Scheidungstermin trafen die Klägerin und der Versicherte eine Vereinbarung, in der sich der Versicherte unter anderem verpflichtete, der Klägerin ab Januar 1994 nachehelichen Unterhalt in Höhe von DM 750,00 monatlich zu zahlen.

Der Versicherte heiratete am 27. Dezember 1993 erneut. Er verstarb am 02. Juli 1997 in bestehender zweiter Ehe. Die Beklagte bewilligte der zweiten Ehefrau des Versicherten Witwenrente ab dem 02. Juli 1997 (Bescheid vom 10. September 1997). In der Folgezeit wurde die Rentenbewilligung an die zweite Ehefrau wegen anrechenbaren Einkommens mehrmals geändert.

Die Klägerin selbst bezieht auf Grund des Bescheids vom 19. Mai 1998 ab dem 01. Juli 1998 Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Mit Bescheid vom 28. Juni 2007 wurde diese Rente, u.a. unter Berücksichtigung der übertragenen Rentenanwartschaften von monatlich DM 778,52 (18,7867 Entgeltpunkte) und DM 80,85 (1,9510 Entgeltpunkte) ab dem 01. August 2007 mit EUR 794,02 (Zahlbetrag EUR 718,91) festgestellt.

Auf Grund ihres Unterhaltsanspruchs aus der Scheidungsfolgenvereinbarung vom 16. November 1993 erwirkte die Klägerin gegen die zweite Ehefrau des Versicherten den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts M. vom 15. November 2001 (Geschäfts-Nr. 18a M 2154/01) über eine Hauptforderung von DM 6.282,60 zuzüglich Vollstreckungskosten. Dieser Beschluss wurde der Beklagten am 07. Dezember 2001 zugestellt. Unter dem 18. Dezember 2001 erkannte die Beklagte gegenüber der Klägerin den gepfändeten Rentenanspruch der zweiten Ehefrau an. Sie teilte mit, die monatliche Witwenrente der zweiten Ehefrau betrage EUR 509,73, hinzu komme eine Rente aus eigener Versicherung von EUR 597,88 netto. Von dem Gesamteinkommen von EUR 1.107,61 netto seien monatlich EUR 119,00 pfändbar. Mit weiterem Schreiben vom 19. Dezember 2001 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie werde die aus der Rente der zweiten Ehefrau gepfändeten EUR 119,00 ab dem 01. Februar 2002 zahlen. Nachdem die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 23. Dezember 2001 mitgeteilt hatte, die zweite Ehefrau des Versicherten habe die rückständige Unterhaltsforderung beglichen, eine Pfändung der Rentenansprüche sei nicht mehr notwendig und der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss werde zurückgezogen, verfügte die Beklagte unter dem 23. Januar 2002, dass keine Beträge aus der Rente der zweiten Ehefrau abgetrennt würden.

Die Klägerin beantragte am 20. August 2007 bei Bürgermeisteramt der Stadt S. und am 28. August 2007 bei der Beklagten Witwenrente nach dem Versicherten. Sie gab an, auch geschiedene Personen hätten einen Anspruch auf Witwenrente, außerdem habe sie zum Zeitpunkt der Scheidung die Wartezeit für eine Altersrente nicht erfüllt. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 05. September 2007 ab. Sie führte aus, Anspruch auf Witwenrente hätten (nur) geschiedene Ehegatten, deren Ehe vor dem 01. Juli 1977 geschieden sei. In dem Bescheid teilte die Beklagte auch mit, dass für die Ehezeit vom 01. Juli 1962 bis zum 31. Mai 1992 zu Lasten des Versicherten Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich DM 778,52, was 18,7867 Entgeltunkten entspreche, auf das Versicherungskonto der Klägerin übertragen worden seien.

Die Klägerin legte am 26. September 2007 Widerspruch ein. Sie führte aus, sie empfinde die Ablehnung ihres Antrags als ungerecht und sei mit der Gesetzgebung nicht einverstanden. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2007). Die Ehe der Klägerin sei mit Urteil vom 16. November 1993 geschieden worden, für Scheidungen ab dem 01. Juli 1977 bestehe jedoch kein Anspruch auf Geschiedenen-Witwenrente mehr, da der zu diesem Zeitpunkt eingeführte Versorgungsausgleich den geschiedenen Ehegatten eine eigenständige Versorgung gewährleiste. Die Anwartschaften, die die Klägerin aufgrund ihrer Scheidung von ihrem geschiedenen Ehemann erworben habe, seien in ihrer Altersrente enthalten.

Die Klägerin erhob am 22. November 2007 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG). Sie trug vor, sie halte die Ablehnung für ungerecht, ihr stehe mindestens ein Teil der Rente des Versicherten zu. Auch sei ihr durch das Schreiben der Beklagten vom 19. Dezember 2001 eine Hinterbliebenenrente in Höhe von EUR 119,00 zugesprochen worden, dieser Betrag sei jedoch nicht ausgezahlt worden. Während die zweite Ehefrau des Versicherten in neuer eheähnlicher Gemeinschaft lebe und die gesamte Witwenrente beziehe, müsse sie mit einem minimalen Betrag aus der Anwartschaft ihres ehemaligen Mannes und eigener geringer Rente ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf ihren Widerspruchsbescheid entgegen.

Mit Gerichtsbescheid vom 28. April 2008 wies das SG die Klage ab. Es führte aus, einen Anspruch auf Witwenrente hätten nur diejenigen Ehegatten, die zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten mit diesem verheiratet gewesen seien, was bei der Klägerin nicht der Fall gewesen sei. Ausnahmsweise hätten Anspruch auf Witwenrente unter weiteren Voraussetzungen auch geschiedene Ehegatten, deren Ehe vor dem 01. Juli 1977 geschieden worden sei. Diese Regelung knüpfe an das bis zum 30. Juni 1977 geltende Scheidungsrecht an, das den Wegfall der Unterhaltssicherung beim Tod des Versicherten habe ausgleichen sollen. Für Scheidungen nach dem 30. Juni 1977 sei mit der Gewährung des Versorgungsausgleichs die abgeleitete Hinterbliebenenversorgung durch die eigene Versicherung des ausgleichsberechtigten Ehegatten ersetzt worden. Auch die Klägerin beziehe zwischenzeitlich eine eigene Versichertenrente unter Berücksichtigung der von dem Versicherten übertragenen Rentenanwartschaften. Diese Regelungen seien nicht verfassungswidrig. Auch aus dem Schreiben der Beklagten vom 19. Dezember 2001, mit dem eine monatliche Zahlung von EUR 119,00 ab dem 01. Februar 2002 angekündigt worden sei, stehe der Klägerin kein Anspruch auf eine Witwenrente zu. Dieses Schreiben habe sich auf den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 15. November 2001 bezogen.

Am 19. Mai 2008 hat die Klägerin Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie vertritt nach wie vor die Ansicht, ihr stehe wenigstens ein Teil der Witwenrente des Versicherten zu.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. April 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 05. September 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Oktober 2007 zu verurteilen, ihr ab dem 01. August 2007 Witwenrente nach dem Tod ihres früheren Ehemannes Günther Schippert zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Berichterstatter des Senats hat den Sachverhalt mit den Beteiligten erörtert. Auf das Protokoll der nicht öffentlichen Sitzung vom 07. Juli 2009 wird verwiesen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht nach § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegt und auch sonst zulässig, jedoch nicht begründet. Zur Recht hat das SG ihre Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) als unbegründet abgewiesen. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 05. September 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Oktober 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Gewährung von Witwenrente aus der Versicherung des am 02. Juli 1997 verstorbenen Versicherten zu.

1. Wie das SG zu Recht ausgeführt hat, steht ein Anspruch auf Witwenrente bzw. Witwerrente nach § 46 Abs. 1 und 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI), hier in Verbindung mit der Sonderregelung des § 242a SGB VI, lediglich Witwen bzw. Witwern zu. Eine Witwe ist die Frau, die zum Zeitpunkt des Todes ihres Mannes mit diesem noch zivilrechtlich wirksam verheiratet ist. Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten war bereits durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Schorndorf vom 16. November 1993 geschieden worden (§ 1564 des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB -), der Versicherte ist jedoch erst am 02. Juli 1997 verstorben.

2. Auch ein Anspruch auf eine "Geschiedenen-Witwenrente" aus der Sonderreglung des § 243 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI steht der Klägerin nicht zu.

Diese Vorschrift gewährt einen Anspruch auf eine Witwen- bzw. Witwerrente in allen ihren Varianten und unter jeweils weiteren Voraussetzungen lediglich solchen Ehegatten, deren Ehe vor dem 01. Juli 1977 geschieden worden ist. Zu diesem Datum wurden durch das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14. Juni 1976 (BGBl. I S. 1421) die Bestimmungen der §§ 1587 bis 1587p in das BGB eingefügt. Sie regeln den im Falle der Scheidung einer Ehe nach dem 30. Juni 1977 durchzuführenden Versorgungsausgleich, der grundsätzlich die hälftige Aufteilung der von den Eheleuten während des Bestehens ihrer Ehe erworbenen Versorgungsanwartschaften vorsieht. Hierdurch ist sichergestellt, dass der ausgleichsberechtigte Ehegatte bei der späteren Bewilligung einer Rente aus eigener Versicherung keine Nachteile dadurch erleidet, dass er während der Ehezeit geringere Rentenanwartschaften erworben hat als der ausgleichspflichtige Ehegatte. Aus diesem Grunde wurde durch Art. 4 Nr. 2 Buchstabe a des 1. EheRG bestimmt, dass Geschiedenen-Witwenrente nur noch solchen Frauen gewährt wird, deren Ehe mit dem Versicherten vor dem 1. Juli 1977 beendet worden ist. Diese Abschaffung der Geschiedenen-Witwenrente ist auch verfassungsmäßig. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem Beschluss vom 13. Mai 1986 (BVerfGE 72, 141 ff.) entschieden, dass die Neuregelung auch dann mit Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und dem Rückwirkungsverbot aus Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) vereinbar ist, wenn tatsächlich kein Versorgungsausgleich durchgeführt wurde. Diese Entscheidung, die in einem Verfahren der konkreten Normenkontrolle nach § 13 Nr. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) ergangen war, hat nach § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft und bindet daher auch die Gerichte. Aus dem Beschluss des BVerfG folgt, dass der Wegfall der Geschiedenen-Witwenrente erst recht verfassungsmäßig ist, wenn ein Versorgungsausgleich durchgeführt wurde, weil der überlebende, geschiedene Ehegatte dann auch tatsächlich abgesichert ist.

Die Ehe der Klägerin ist nach dem 30. Juni 1977 geschieden worden, nämlich durch Urteil vom 16. November 1993. Es ist auch ein Versorgungsausgleich durchgeführt worden. Von diesem profitiert die Klägerin bereits seit Bewilligung ihrer Altersrente ab dem 01. Juli 1998. Ihre Rente von EUR 794,02 (ab August 2007) beruht zu 69,9 v.H. auf den übertragenen Rentenanwartschaften des Versicherten, denn von ihren insgesamt 29,6473 Entgeltpunkten stammen 20,7377 aus dem Versorgungsausgleich (Anlage 5 zum Bescheid vom 28. Juni 2007).

3. Auch aus den beiden Schreiben der Beklagten vom 18. und 19. Dezember 2001 kann die Klägerin keinen Anspruch auf Witwenrente herleiten. Wie das SG zu Recht ausgeführt hat, hatte die Beklagte mit diesem Schreiben lediglich mitgeteilt, aus der Witwenrente an die zweite Ehefrau des Versicherten ab Februar 2002 monatlich EUR 119,00 zu pfänden und an die Klägerin zu überweisen. Die Schreiben waren eine Reaktion auf den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Merseburg vom 15. November 2001. Sie stellten eine Drittschuldnererklärung nach § 840 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) dar. Es waren keine Verwaltungsakte im Sinne von § 31 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X). Auch inhaltlich war in diesen Schreiben nicht die Bewilligung einer Rente enthalten. Auf ihre Rechte aus diesem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss hat die Klägerin selbst verzichtet, als sie der Beklagten mit Schreiben vom 23. Dezember 2001 mitteilte, der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss habe sich erledigt, nachdem die zweite Ehefrau des Versicherten die rückständigen Unterhaltsforderungen beglichen hatte.

4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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