L 4 R 4459/09 W-A

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 1699/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 4459/09 W-A
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 25. August 2009 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird endgültig auf EUR 3.466,02 festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage wegen der Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt EUR 13.864,08.

Der am 1959 geborene W. S. (W.S.) ist Inhaber der Klägerin sowie Inhaber der Firma W. Umzüge GmbH. Gegen W.S. als Inhaber dieser Firmen führte das Hauptzollamt S. aufgrund aufgefundener Unterlagen ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Vorenthaltens und der Veruntreuung von Arbeitsentgelt (21 Js 24210/05). Mit Schreiben vom 15. August 2006 forderte das Hauptzollamt S. die Beklagte unter Beifügung einer Aufstellung über Beschäftigte, von denen weitere Personalien teilweise unbekannt waren, auf, die der Sozialversicherung entstandene Schadenssumme mitzuteilen. Aus den aufgefundenen Unterlagen gehe hervor, dass einzelne Beschäftigte nicht oder nicht richtig zur Sozialversicherung angemeldet oder abgerechnet worden seien. Die Knappschaft (jetzt Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See) habe mit Schreiben vom 08. August 2006 mitgeteilt, dass dort Meldungen und Beitragsnachweise nicht vorlägen. Die Beklagte (Schreiben vom 21. September 2006) erbat weitere Angaben u.a. zu Brutto- oder Nettoentgelten, die ihr erteilt wurden mit der Maßgabe, dass alle Beschäftigte der Klägerin und der Firma W. Umzüge GmbH zugeordnet werden sollten (Bl. 29 bis 71 der Verwaltungsakten der Beklagten). Mit Schreiben vom 26. Oktober 2006 teilte die Beklagte dem Hauptzollamt den sozialversicherungsrechtlichen Schaden mit, wobei in Ermangelung konkreter Angaben bzw. Unterlagen für alle Arbeitnehmer Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterstellt worden sei. Insoweit wurde der sozialversicherungsrechtliche Schaden hinsichtlich der Gesamtsozialversicherungsbeiträge (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil) für die Zeit von Januar 2003 bis Mai 2006 mit insgesamt EUR 13.596,17 beziffert (Bl. 72 bis 91 der Verwaltungsakte der Beklagten). Mit Urteil vom 25. Oktober 2007 verurteilte das Amtsgericht (Schöffengericht) K. W.S. wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 31 Fällen und Beihilfe zum Betrug in vier Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je EUR 40,00. Zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 31 Fällen wurde im Urteil ausgeführt, im Zeitraum von 2004 bis 2006 habe W.S. als Inhaber der Klägerin mehrere geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer beschäftigt, die nicht angemeldet gewesen seien und für die dadurch ein sozialversicherungsrechtlicher Schaden bei der Krankenkasse (DAK K.) entstanden sei. Dazu wurden dann die entsprechenden Arbeitnehmer aufgeführt mit einem sozialversicherungsrechtlichen Schaden (Gesamtsozialversicherungsbeiträge) von insgesamt EUR 12.313,17. Die tatsächlichen Feststellungen beruhten danach vollumfänglich auf den Angaben des geständigen W.S. Der Zeuge F., Leiter der Ermittlungen, habe die Angaben des W.S. insoweit bestätigt. Hinsichtlich der in der Anklageschrift genannten Arbeitnehmer F. II, C., K., Wa., R. und B. sei das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft nach § 154 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt worden. Hinsichtlich des in der Anklageschrift aufgeführten Arbeitnehmers Nachtigall sei das Gericht nach den Angaben des W.S. davon überzeugt, dass dieser bei der Klägerin und nicht bei der Firma W. Umzüge GmbH beschäftigt gewesen sei. Dieses Strafurteil wurde rechtskräftig.

Mit Schreiben vom 31. Januar 2008 hörte die Beklagte die Klägerin zu den beabsichtigten Nachforderungen von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen von EUR 10.576,58 zuzüglich Säumniszuschlägen von EUR 3.287,50 an. Für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge seien die Ermittlungsergebnisse des Hauptzollamts S. in Verbindung mit den Angaben im Urteil des Amtsgerichts K. zugrunde gelegt worden. In der Anlage wurden die Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge im Einzelnen berechnet (Bl. 108 bis 126 der Verwaltungsakte der Beklagten). Mit Schreiben vom 25. Februar 2008 wandte die Klägerin ein, der Nachforderungsanspruch bestehe nicht. Im Strafverfahren gegen W.S. habe sich herausgestellt, dass die Ermittlungsergebnisse des Hauptzollamts weitestgehend nicht zutreffend gewesen wären. Die Anklage sei von falschen Voraussetzungen und falschen Zahlen ausgegangen. W.S. sei zwar strafrechtlich belangt worden. Aus Vereinfachungs- und Opportunitätsgründen sei indessen in jenem Verfahren der gesamte Sachverhalt nicht bis ins Detail aufgeklärt worden. Sämtliche betroffenen Mitarbeiter seien bei ihr (der Klägerin) geringfügig beschäftigt gewesen. Soweit Meldungen nicht erfolgt gewesen seien, seien diese gegenüber der Bundesknappschaft längst nachgeholt worden. Auch habe sie (die Klägerin) bereits gegenüber der Bundesknappschaft die sich aus den Meldungen ergebenen offenen Zahlungen zur Sozialversicherung geleistet. Deswegen sei sie nicht bereit, einen Nachforderungsanspruch der Beklagten zu akzeptieren. In der Anklage und in der Aufstellung der Beklagten seien Personen enthalten, die beispielsweise überhaupt nicht bei ihr beschäftigt gewesen seien. Die Beklagte solle sich mit der Bundesknappschaft in Verbindung setzen und den Sachverhalt klären. Mit Schreiben vom 25. Februar 2008 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass der Arbeitgeber die Aufzeichnungen so zu führen habe, dass bei einer Prüfung innerhalb angemessener Zeit ein Überblick über die formelle und sachliche Richtigkeit der Entgeltabrechnung gewährleistet sei. Aufzeichnungspflichtig seien alle Tatbestände, die für eine Beurteilung der Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit sowie der Beitragsberechnung, Beitragsabrechnung und des Meldeverfahrens von Bedeutung seien. Die Klägerin wurde aufgefordert, entsprechende Nachweise (Lohnunterlagen, An- und Abmeldungen, Beitragsnachweise sowie Zahlungsnachweise) hinsichtlich der nachgeholten Meldung und Beitragsentrichtung zu übersenden. Hierzu äußerte sich die Klägerin trotz mehrmaliger Erinnerung nicht. Mit Bescheid vom 27. November 2008 stellte die Beklagte für die Zeit vom 10. Januar 2003 bis 31. Mai 2006, eine Nachforderung zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt EUR 13.864,08 (einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von EUR 3.287,50) fest (Bl. 135 bis 155 der Verwaltungsakte der Beklagten). Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein, der nicht weiter begründet wurde. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid der bei der Beklagten bestehenden Widerspruchsstelle vom 23. April 2009 zurückgewiesen.

Am 22. Mai 2009 erhob die Klägerin deswegen Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG, S 4 R 1437/09). Sie trug vor, sie habe sämtliche geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge bezahlt. Die Beklagte lege ihrer Forderung falsche Tatsachen zugrunde. So seien ihr (der Klägerin) beispielsweise Personen zugerechnet worden, die keine Arbeitnehmer von ihr gewesen seien. Auch seien geringfügig beschäftigte Personen unberechtigt zur Sozialversicherung herangezogen worden, obwohl die geschuldeten Beiträge an die Bundesknappschaft abgeführt worden seien. Ferner beantragte die Klägerin, die aufschiebende Wirkung der Klage wegen des Beitragsnachforderungsbescheids anzuordnen und die Vollstreckung aus den Beitragsbescheiden bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens einzustellen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage sowie die Einstellung der Vollstreckung seien erforderlich, um schwerste wirtschaftliche Nachteile zu ihren Lasten abzuwenden. Bei einer Vollstreckung müsste sie (die Klägerin) Insolvenz anmelden, ihren Betrieb schließen und die Mitarbeiter entlassen.

Die Beklagte trat dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz entgegen. Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Nachforderungsbescheids bestünden nicht. Die Vollstreckung des Beitragsbescheids sei geboten, um das umlagefinanzierte System der Sozialversicherung mit ausreichender Liquidität zu versorgen. Die Voraussetzungen für eine unbillige, nicht durch überwiegende Interessen gebotene Härte seien nicht nachgewiesen.

Mit Beschluss vom 25. August 2009 lehnte das SG den Antrag ab. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sei nicht zu erkennen. Trotz mehrmaliger Aufforderung habe die Klägerin vollständige und prüffähige Unterlagen nicht vorgelegt. Mithin sei die Beklagte berechtigt, die Beiträge zur Sozialversicherung von der Klägerin nachzufordern und hierfür den Umfang der Arbeitsentgelte an die Arbeitnehmer zu schätzen. Die Einwendungen der Klägerin, dass der Sachverhalt zum strafrechtlichen Urteil aus Vereinfachungs- und Opportunitätsgründen nicht bis ins Detail geklärt worden sei sowie die benannten Personen geringfügig beschäftigt gewesen seien und eine entsprechende Meldung zur Bundesknappschaft bereits erfolgt sei, könne im Zusammenhang mit der Nichtvorlage prüffähiger Unterlagen zu keiner anderen Entscheidung führen. Es könne auch keine unbillige Härte bejaht werden. In Bezug auf die erhobenen Säumniszuschläge sei der Antrag schon deshalb abzulehnen, weil diesbezüglich § 86a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und nicht § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG gelte und die Androhung der Vollstreckung weder vorgetragen noch ersichtlich sei. Der Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 27. August 2009 zugestellt.

Dagegen hat die Klägerin am 23. September 2009 beim SG Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) eingelegt, die nicht begründet wurde.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 25. August 2009 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage wegen des Bescheids vom 27. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. April 2009 anzuordnen.

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakte, der Gerichtsakten beider Rechtszüge einschließlich der Akte des SG S 4 R 1437/09.

II.

Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin kann nicht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage wegen der Beitragsnachforderung verlangen, wie das SG zutreffend entschieden hat. Dies gilt, soweit es um die Nachforderung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge einschließlich der Umlagen in Höhe von insgesamt EUR 10.576,58 geht.

Die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage hat nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung. Nach § 86 a Abs. 2 Nr. 2 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage (§ 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG) bei der Entscheidung über die Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Mit den angegriffenen Bescheiden erhebt die Beklagte Gesamtsozialversicherungsbeiträge sowie Säumniszuschläge, mithin Beiträge einschließlich Umlagen sowie darauf entfallende Nebenkosten.

Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann jedoch das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hat, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Hier entfällt die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage im Hinblick auf die Entscheidung über die Anforderung von Beiträgen und Umlagen. Bei der Entscheidung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung sind hier die Wertungsgesichtspunkte des § 86 a Abs. 3 Nr. 3 SGG zu berücksichtigen, wonach es darauf ankommt, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder ob die Vollziehung für den Abgabe- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegend öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der von der Beklagten geltend gemachten Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen einschließlich Umlagen von insgesamt EUR 10.576,58 bestehen hier bei summarischer Prüfung nicht, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, zumal auch zu berücksichtigen ist, dass ersichtlich das Amtsgericht Konstanz im Urteil vom 25. Oktober 2007 nach den der Verurteilung des W.S. wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt zugrunde gelegten aufgeführten 31 Fällen von einem sozialversicherungsrechtlichen Schaden von sogar (wie die Addition der "GSV-Gesamt"-Werte ergibt) EUR 12.313,17 ausgegangen ist. Ferner hat die Klägerin bisher trotz mehrfacher Aufforderungen Nachweise für die behauptete (nachträgliche) Anmeldung und Abmeldung von angeblich nur geringfügig Beschäftigten bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See und über die Abführung der entsprechenden Beiträge, bezogen auf die von der Beklagten bzw. vom Amtsgericht aufgeführten Beschäftigten, nicht vorgelegt. Im Übrigen wäre auch eine unbillige Härte nicht glaubhaft gemacht, abgesehen davon, dass die DAK als "Einzugstelle" ersichtlich bereit wäre, der Klägerin Ratenzahlungen einzuräumen, wie das von der Klägerin vorgelegte Schreiben der DAK vom 04. Mai 2009 ergibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 SGG i.V. mit § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird endgültig auf EUR 3.466,02 festgesetzt, d. h. wegen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes hier auf EUR 25 v.H. von EUR 13.864,08. Insoweit sind auch die Säumniszuschläge zu berücksichtigen, gegen die sich die Klägerin im Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ebenfalls gewandt hat. Im Hinblick auf die Begründung des angegriffenen Beschlusses hat die Klägerin insoweit ihr Begehren im Beschwerdeverfahren nicht etwa nur auf die Beitragsforderung als solche ohne die Säumniszuschläge beschränkt.

Dieser Beschluss ist nicht mit der (weiteren) Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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