L 11 AS 466/09 NZB

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AS 742/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 466/09 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1.Der Begriff des Einkommens in § 11 SGB 2 ist eigenständig und unabhängig vom Steuerrecht.
2.Die Pauschalierung des Verpflegungsmehraufwands verfolgt auch den Zweck, Mehraufwendungen bei auswärtiger Unterbringung soweit wie möglich zu reduzieren.
3.Eine unzulässige Ungleichbehandlung zwischen Selbständigen und abhängig Beschäftigten liegt bei der Berücksichtigng des Verpflegungsmehraufwands nicht vor.
I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 04. Juni 2009 wird zurückgewiesen.
II. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.
Die Kläger erstreben für die Monate August bis Oktober 2008 höhere Leistungen nach dem SGB II wegen eines ungenügend bemessenen Verpflegungsmehraufwands.
Der Kläger zu 1), selbstständiger Steinbildhauer, bezieht zusammen mit seiner Ehefrau und Tochter (Klägerinnen zu 2) und 3)) von der Beklagten laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Seine selbstständige Tätigkeit übt er überwiegend außerhalb seines Wohnorts aus, währenddessen er im eigenen Wohnwagen übernachtet.
In den Monaten August bis Oktober 2008 ergab sich gemäß der Einnahmen-/ Überschussrechnung Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit in Höhe von 385,89 EUR bzw. 563,72 EUR und 754,08 EUR. Davon nahm die Beklagte bei der Ermittlung des anrechenbaren Einkommens Absetzungen in Höhe von pauschal 6,00 EUR pro Tag der Abwesenheit vom Wohnort von mindestens 12 Stunden vor, sodass sich für August eine Verpflegungsmehraufwandspauschale in Höhe von 30,00 EUR (Bescheid vom 23.09.2008), für September in Höhe von 60,00 EUR (Bescheid vom 23.10.2008) und für Oktober in Höhe von 138,00 EUR (Bescheid vom 18.11.2008) ergab.
Mit ihrer Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 28.01.2009 haben die Kläger geltend gemacht, die Verpflegungsmehraufwendungen seien gemäß den Bestimmungen des Steuerrechts einnahmemindernd abzusetzen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 04.06.2009 abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Der Gesetzgeber habe mit dem zum 01.01.2008 in Kraft getretenen § 6 Abs 3 der Alg II-Verordnung explizit die Mehraufwendungen pauschaliert und sei bewusst von den im Einkommensteuer- und Bundesreisekostenrecht geltenden Werten abgewichen. Dem Hilfebedürftigen sei es danach zumutbar, mögliche Mehraufwendungen bei auswärtiger Tätigkeit so weit wie möglich zu reduzieren. Unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck der Grundsicherung für Arbeitsuchende als sog. nachrangige Fürsorgeleistung habe das Gericht auch keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 6 Abs 3 der Alg II-Verordnung.
Gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem am 26.06.2009 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Kläger am 15.07.2009 Beschwerde eingelegt. Die Frage, ob als Pflegungsmehraufwand die volle nachgewiesene Summe abzuziehen sei, genieße grundsätzliche Bedeutung. Es sei dem mündigen Bürger nur schwer verständlich, dass im Bereich des SGB II ein anderer Maßstab als im Steuerrecht angelegt werde. Zudem ergebe sich eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu Arbeitnehmern, denen Zuwendungen des Arbeitgebers in Höhe der tatsächlich entstandenen Mehraufwendungen in vollem Umfang belassen würden.
Mit ihrer Beschwerde haben die Kläger gleichzeitig Prozesskostenhilfe beantragt.

II.
Die von den Klägern fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 145 Abs 1 Satz 2 SGG zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Es gibt keinen Grund, die gemäß § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG wegen des Wertes des Beschwerdegegenstandes ausgeschlossene Berufung zuzulassen.

Nach § 144 Abs 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrenmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

Die Kläger haben keine Abweichung des Sozialgerichts von einer höchstrichterlichen Entscheidung geltend gemacht. Ebensowenig wird ein Verstoß gegen eine Vorschrift des Verfahrensrechts gerügt. Die Rechtssache ist auch nicht von grundsätzlicher Bedeutung.

Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse nicht genügt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Aufl, § 144 Rdnr 28). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand von Rechtsprechung und Literatur nicht ohne Weiteres beantworten lässt. Nicht klärungsbedürftig ist die Rechtsfrage, wenn die Antwort auf sie so gut wie unbestritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17) oder praktisch von vornherein außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 4).

Die von dem Kläger zu 1) aufgeworfene Frage, ob er als Empfänger von SGB II-Leistungen Verpflegungsmehraufwand bei auswärtiger Erwerbstätigkeit in tatsächlich angefallener Höhe geltend machen kann, ist nicht klärungsbedürftig. Die Antwort hierauf ergibt sich unmittelbar aus § 6 Abs 3 der Alg II-Verordnung. Diese am 01.01.2008 in Kraft getretene Regelung, die für den strittigen Fall explizit einen pauschalen Absetzbetrag vorsieht, basiert auf der Verordnungsermächtigung in § 13 Nr 3 SGB II. Diese geht dahin, den Verordnungsgeber bestimmen zu lassen, welche Pauschbeträge für die von dem Einkommen abzusetzenden Beträge zu berücksichtigen sind.

Der Senat hat keine Zweifel, dass die Beschränkung auf Pauschbeträge bei der Bemessung erhöhten Verpflegungsmehraufwands von Empfängern von Grundsicherungsleistungen verfassungskonform ist. Da der Begriff des Einkommens in § 11 SGB II nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers ein eigenständiger Begriff ist (s. Hänlein in Gagel, SGB II, Kommentar, § 11 RdNr 14 mwN), ist ein Rückgriff auf steuerrechtliche Parallelen nur gerechtfertigt, wenn dies mit Sinn und Zweck des SGB II zu vereinbaren ist und eine Regelungslücke besteht. Ein Wesensmerkmal der Grundsicherung ist jedoch die Gewährleistung des Bedarfs durch pauschalierte Leistungen. Dementsprechend werden Abzüge von Einnahmen pauschaliert vorgenommen.

Zutreffend weist das Sozialgericht darauf hin, dass die Festlegung des Pauschbetrags für Verpflegungsmehraufwand zudem den Zweck verfolgt, Mehraufwendungen bei auswärtiger Tätigkeit so weit wie möglich zu reduzieren. Erwerbsfähige Hilfsbedürftige haben in eigener Verantwortung alle Möglichkeiten zu nutzen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten (§ 2 Abs 2 Satz 1 SGB II), bevor sie steuerfinanzierte Leistungen in Anspruch nehmen. Demgegenüber trifft das Steuerrecht mit seiner Regelung der Verpflegungsmehraufwendungen auf eine ganz andere Interessenlage, da es dort darum geht, die Steuerlast des Einzelnen festzulegen.

Soweit die Kläger die Gleichbehandlung mit hilfebedürftigen Arbeitnehmern fordern, so ist es richtig, dass Aufwandsentschädigungen des Arbeitgebers als zweckbestimmte Einnahmen gemäß § 11 Abs 3 Nr 1a SGB II anrechnungsfrei bleiben. Allerdings bleiben diese Zuwendungen nur unberücksichtigt, soweit sie die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Im Übrigen gehen die tatsächlich entstehenden Mehraufwendungen in diesem Fall nicht zu Lasten des Steuerzahlers, sondern eines Dritten, des Arbeitgebers. Insoweit ist die Lage des Klägers zu 1) nicht mit dem eines abhängig beschäftigten Arbeitnehmers vergleichbar. Art 3 Grundgesetz ist daher nicht verletzt.

Aus diesen Gründen war die Beschwerde zurückzuweisen.

Mangels hinreichender Erfolgsaussicht des Beschwerdeverfahrens war auch der Antrag auf Prozesskostenhilfe abzulehnen ( § 73a SGG iVm § 114 S.1 ZPO).

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG). Nach § 145 Abs 4 Satz 4 SGG wird das Urteil des Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig.
Rechtskraft
Aus
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