Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 30 VG 21/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 13/08
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
In Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) ist zwischen einer schädigungsbedingt bestehenden posttraumatischen Belastungsstörung und einer schädigungsunabhängig rezidivierenden depressiven Störung zu differenzieren. Beträgt aus der Sicht des Schwerbehindertenrechts (§§ 2 Abs.1, 69 Abs.1 SGB IX) der Gesamt-GdB 40, sind die im Verfahren nach dem OEG eingeholten ärztlichen Gutachten schlüssig, wenn ein entschädigungspflichtiger GdS in rentenberechtigendem Grad nicht erreicht wird (hier: Zustand nach lediglich versuchter Vergewaltigung).
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13. März 2008 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die 1943 geborene Klägerin begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetztes (BVG). Streitig ist zwischen den Parteien, ob die noch bestehenden seelischen Folgen des Vergewaltigungsversuches vom 15.11.1996 einen rentenberechtigenden Grad der Schädigungsfolgen (GdS) bedingen.
Die Klägerin hat am 12.12.2002 sowohl einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG als auch auf Feststellung einer Behinderung und des Grades der Behinderung (GdB) nach § 69 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) eingereicht.
Der Beklagte hat unabhängig von der Ursache nach § 69 SGB IX mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung M. vom 12.06.2003 den Grad der Behinderung (GdB) mit 30 festgestellt. Hierbei sind als Gesundheitsstörungen "undifferenzierte somatoforme Störung mit Hauterscheinungen, Atem- und Wirbelsäulenbeschwerden" berücksichtigt worden. Der hiergegen gerichtete Widerspruch der Klägerin vom 15.06.2003 ist mit Widerspruchsbescheid des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 20.11.2003 zurückgewiesen worden. In dem sich anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht München die Klage mit Urteil vom 08.09.2005 - S 14 SB 1728/03 abgewiesen und sich hierbei vor allem auf das neuropsychiatrische Sachverständigengutachten des Dr. V. vom 18.04.2005 gestützt. Danach bestehe bei der Klägerin ein neurasthenisches Syndrom sowie eine undifferenzierte Somatisierungsstörung mit einem GdB von 30. In dem sich wiederum anschließenden Berufungsverfahren L 15 SB 133/05 hat Dr. D. mit neurologischem Fachgutachten vom 19.02.2008 bestätigt, dass auf seinem Fachgebiet ein Einzel-GdB von 30 bestehe. Der weiterhin gehörte Sachverständige Dr. L. hat mit orthopädischem Fachgutachten vom 21.02.2008 ausgeführt, dass die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 10 zu berücksichtigen sei. Dr. R. hat mit allgemeinärztlichem Gutachten vom 21.02.2008 zusammenfassend einen GdB von 40 befürwortet, weil zusätzlich das hyperreagible Bronchialsystem mit einem Einzel-GdB von 20 und das rezidivierende urtikarielle Exanthem mit einem Einzel-GdB von 30 zu berücksichtigen sei. Aufgrund der übereinstimmenden Anträge der Beteiligten hat das BayLSG mit Beschluss vom 09.06.2008 - L 15 SB 133/05 - das Ruhen des Verfahrens nach dem SGB IX angeordnet.
Im Verfahren nach dem OEG hat der Beklagte die Unterlagen der Staatsanwaltschaft M. beigezogen. Am 15.11.1996 hat K. die Klägerin auf der Höhe des Hauses, in dem ihr Sohn wohnte, von hinten in den Vorgarten gedrängt und sie zu Fall gebracht. Als sie auf dem Rücken lag, kniete er sich auf sie und setzte ihr das Messer an die Kehle. Er brachte ihr dadurch einen blutigen Kratzer bei. Die Klägerin rief sofort mehrmals laut um Hilfe, worauf zwei Männer zum Tatort kamen. Daraufhin gab K. sein Vorhaben auf. Die Klägerin litt in der Folgezeit unter Herzattacken und Angstzuständen. K. ist einer Vergewaltigung mit sexueller Nötigung und einer versuchten Vergewaltigung (letztere zu Lasten der hiesigen Klägerin) für schuldig befunden worden. Das Landgericht M. hat mit Urteil vom 26.06.1997 H. K. deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Ihr Antrag vom 12.12.2002 nach dem OEG ist mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung M. vom 03.06.2003 abgelehnt worden. Bei der versorgungsärztlichen Untersuchung vom 12.05.2003 hätten Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht mehr vorgelegen.
Der Widerspruch vom 08.06.2003 dagegen ist mit Widerspruchsbescheid des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 20.11.2003 zurückgewiesen worden. Nach versorgungsärztlicher Beurteilung werde durch die Folgen der Gewalttat vom 15.11.1996 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigender Höhe nicht erreicht.
In dem sich anschließenden Klageverfahren ist Dipl.-Psych. Z. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gutachterlich gehört worden. Die gerichtlich bestellte Sachverständige hat im psychologischem Gutachten vom 15.07.2004 ausgeführt, dass die nunmehr geltend gemachten Gesundheitsstörungen nur teilweise mit Wahrscheinlichkeit durch das schädigende Ereignis hervorgerufen worden seien. Die Angstsymptomatik im Rahmen der Anpassungsstörung sei als Schädigungsfolge anzuerkennen. Für diese Schädigungsfolge sei eine MdE von 20 v.H. ab 12.02.2002 anzusetzen.
Der Beklagte hat ein entsprechendes Vergleichsangebot unterbreitet, welches jedoch von der Klägerin nicht angenommen worden ist. Im Folgenden hat das Sozialgericht München mit Beschluss vom 20.12.2004 - S 30 VG 29/03 - das Ruhen auch dieses Verfahrens angeordnet.
Aufgrund seines Vergleichsangebotes hat der Beklagte von Amts wegen einen Bescheid am 16.12.2005 erlassen und als Folge einer Schädigung nach dem OEG ab 12.12.2002 anerkannt: "Restsymptomatik einer Anpassungsstörung". Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist mit weniger als 25 v.H. festgestellt worden. Eine Versorgungsrente ist dementsprechend nicht bewilligt worden.
Der hiergegen gerichtete Widerspruch ist mit Widerspruchsbescheid vom 02.11.2006 zurückgewiesen worden. Die weiteren Gesundheitsstörungen wie die Symptome einer somatoformen Schmerzstörung und einer Neurasthenie würden nicht in ursächlichem Zusammenhang mit der Gewalttat vom 15.11.1996 stehen.
Das Sozialgericht München zog die Akten des Beklagten bei und holte aktuelle Befundberichte des Krankenhauses für Naturheilwesen M. sowie von Dr. K. ein. Zur mündlichen Verhandlung am 10.03.2008 ist die Klägerin nicht erschienen, weil sie sich hierzu nicht in der Lage gesehen hat. Das Sozialgericht München wies die Klage gegen den Bescheid vom 16.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2006 mit Urteil vom 13.03.2008 - S 30 VG 21/06 - ab. Die Chance, dem Gericht in einer mündlichen Verhandlung einen unmittelbaren Eindruck von ihrer seelischen Situation zu geben, habe die Klägerin nicht wahrgenommen. Nach einer Prozessdauer von mehr als einem Jahr sei der Rechtsstreit auf der Basis der vorhandenen Erkenntnisse (vor allem Gutachten der Dipl.-Psych. Z. vom 15.05.2004) entscheidungsreif.
Die hiergegen gerichtete Berufung ging am 07.05.2008 beim Sozialgericht München ein und wurde an das Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) weitergeleitet.
Zur Begründung hob die Klägerin hervor, die Schädigungsfolgen der Straftat würden ihr Leben in einem unerträglichen Maß bestimmen. Zu weiterführenden Erklärungen sei sie zur Zeit nicht in der Lage.
Der Senat bestellte Dr. K. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 SGG zum ärztlichen Sachverständigen. Entsprechend ihrer Nachricht vom 15.06.2008 musste die Klägerin den vorgeschlagenen Untersuchungstermin absagen, weil ihr zur Zeit die psychische Kraft fehle. Im Folgenden fertigte Dr. K. das nervenfachärztliche Gutachten vom 01.07.2008 nach Aktenlage. Die reinen Schädigungsfolgen wurden mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 10 bewertet. Hierbei hat Dr. K. auch die ärztlichen Unterlagen berücksichtigt, die die Klägerin mit Nachricht vom 22.06.2006 im Verfahren L 15 SB 133/05 zur Verfügung gestellt hat.
Der Senat gab der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme bis 01.10.2008, ob die Berufung im Hinblick auf die Ausführungen von Dr. K. weiterhin aufrecht erhalten werde, gegebenenfalls mit welcher stichhaltigen Begründung. Die Klägerin erwiderte mit Nachricht vom 15.10.2008, dass es ihr bisher nicht möglich gewesen sei, das Gutachten zu lesen. Sie sei auch jetzt nicht in der Lage der Aufforderung nachzukommen. Sie müsse sich vor einem erneuten totalen Absturz schützen.
In der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2009 ist die Klägerin nicht erschienen. Der Stationsarzt S. der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie G. hatte mit ärztlichem Attest vom 02.03.2009 dargelegt, dass die Klägerin derzeit in keinster Weise belastungsstabil sei und deswegen um einen Termin zu einem späteren Zeitpunkt gebeten werde.
Nach Vertagung teilte die Klägerin mit Schreiben vom 20.07.2009 mit, dass sie auch der mündlichen Verhandlung vom 28.07.2009 fernbleiben werde. Beigefügt war ein nervenärztlicher Befundbericht von Dr. M. vom 07.07.2009 mit den aktuellen Diagnosen "rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelschwere Episode, traumatische Belastungsstörung".
Die Klägerin begehrt sinngemäß die Feststellung von Schädigungsfolgen aufgrund des Vergewaltigungsversuches vom 15.11.1996 in rentenberechtigendem Grad.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13.03.2008 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 und 151 SGG zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht München hat die Klage gegen den Bescheid vom 16.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2006 mit Urteil vom 13.03.2008 - S 30 VG 21/06 - zutreffend abgewiesen.
Vorab ist verfahrensrechtlich darauf hinzuweisen, dass das ruhende Verfahren des Sozialgerichts München S 30 VG 29/03 hier einzubeziehen gewesen ist. Es handelt sich um denselben Streitgegenstand. Der Bescheid vom 16.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2006 hat den ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 03.06.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2003 ersetzt.
In der Sache wird zur Vermeidung von Wiederholungen vorab auf die Gründe des Urteils des Sozialgerichts München vom 13.03.2008 Bezug genommen (§ 153 Abs.2 SGG). Das Verfahren leidet insgesamt daran, dass die Klägerin aufgrund der bei ihr bestehenden psychischen Erkrankungen nur eingeschränkt in der Lage gewesen ist, entsprechend mitzuwirken.
In dem Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) stehen als wesentliche Erkenntnisquellen neben den Unterlagen des Beklagten nur das psychologische Fachgutachten der Dipl.-Psych. Z. vom 15.07.2004 und das nervenfachärztliche Gutachten nach Aktenlage von Dr. K. vom 01.07.2008 zur Verfügung. Im Ergebnis übereinstimmend haben beide Sachverständige schlüssig und überzeugend ausgeführt, dass ein rentenberechtigender GdS nicht vorliegt. Dr. K. hat bestätigt, dass bei der Klägerin als Folge der am 15.11.1996 erlittenen Schädigung eine Angststörung in Form einer episodisch paroxysmalen Angst bestehe. Diese Angststörung sei zumindest teilweise auf das Ereignis vom 15.11.1996 zurückzuführen bei einer vorbestehenden, seit Beginn der 80er-Jahre erkennbaren schweren Somatisierungsstörung, die durch vielfältige psychosomatische Symptome gekennzeichnet sei. Dies ergebe sich zweifelsfrei aus allen Befunden, die bereits seit dieser Zeit bei der Klägerin ein gravierendes, chronisch progredientes psychosomatisches Krankheitsbild belegten, welches sich aus vielerlei Symptomen zusammensetze, wie dies bei diesem Krankheitsbild nicht selten sei.
Im Vordergrund stand dabei auch zur Überzeugung des Senats eine Erschöpfungssymp-tomatik mit vielfältigen Symptomen, die entsprechend den gutachterlichen Ausführungen von Dr. K. als Ausdruck einer Somatisierung anzusehen sind. Die diesbezüglichen Behandlungen erfolgten auch nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ereignis vom 15.11.1996, was dafür spricht, dass diesem Ereignis damals nicht der Stellenwert beigemessen wurde, welcher von der Klägerin nunmehr diesem Ereignis beigemessen wird.
Die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. K., der im Ergebnis das psychologische Gutachten der Dipl.-Psych. Z. vom 15.07.2004 bestätigt hat, stehen in Übereinstimmung mit Rz.26.3 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht". Danach sind Folgen psychischer Traumen leichterer Art mit einem Einzel-GdS von Null bis 20 zu berücksichtigen. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bedingen einen Einzel-GdS von 30 bis 40. Gleiches gilt für die ab 01.01.2009 nunmehr maßgeblichen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze in Teil B Nr. 3.7 (§ 30 Abs.17 BVG i.V.m. der Anlage zu § 2 Versorungsmedizin Verordnung).
In diesem Zusammenhang ist nochmals darauf hinzuweisen, dass nicht die Gesamtheit der nervenfachärztlichen Funktionsstörungen auf das Ereignis vom 15.11.1996 zurückgeführt werden kann. Vielmehr haben die gerichtlich bestellten Sachverständigen in Übereinstimmung mit den Voten des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten zutreffend darauf hingewiesen, dass in Berücksichtigung der multiplen weiteren Gesundheitsstörungen der Klägerin auf nervenfachärztlichem Gebiet die Folgen der versuchten Vergewaltigung vom 15.11.1996 einen GdS in rentenberechtigendem Grad nicht erreichen. Dies korrespondiert mit dem aktuell eingereichten nervenärztlichen Befundbericht der Dr. M. vom 07.07.2009. Dort ist sowohl eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig mittelschwerer Episode als auch die hier relevante posttraumatische Belastungsstörung beschrieben worden. Durch die erfolgte Therapie konnte eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau erreicht werden, sodass ausgeprägte depressive Einbrüche zuletzt nicht mehr aufgetreten sind. Mangels wesentlicher Änderungen sind die Feststellungen von Dipl.-Psych. Z. nach persönlicher Untersuchung vom 21.05.2004 unverändert maßgebend: Ein schädigungsgedingter GdS in rentenberechtigtendem Grad ist somit nicht gegeben.
Nach alledem ist die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13.03.2008 zurückzuweisen. Die Anwesenheit der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 28.07.2009 ist hierbei gemäß § 110 Abs.1 SGG nicht erforderlich gewesen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2 SGG).
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die 1943 geborene Klägerin begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetztes (BVG). Streitig ist zwischen den Parteien, ob die noch bestehenden seelischen Folgen des Vergewaltigungsversuches vom 15.11.1996 einen rentenberechtigenden Grad der Schädigungsfolgen (GdS) bedingen.
Die Klägerin hat am 12.12.2002 sowohl einen Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG als auch auf Feststellung einer Behinderung und des Grades der Behinderung (GdB) nach § 69 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) eingereicht.
Der Beklagte hat unabhängig von der Ursache nach § 69 SGB IX mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung M. vom 12.06.2003 den Grad der Behinderung (GdB) mit 30 festgestellt. Hierbei sind als Gesundheitsstörungen "undifferenzierte somatoforme Störung mit Hauterscheinungen, Atem- und Wirbelsäulenbeschwerden" berücksichtigt worden. Der hiergegen gerichtete Widerspruch der Klägerin vom 15.06.2003 ist mit Widerspruchsbescheid des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 20.11.2003 zurückgewiesen worden. In dem sich anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht München die Klage mit Urteil vom 08.09.2005 - S 14 SB 1728/03 abgewiesen und sich hierbei vor allem auf das neuropsychiatrische Sachverständigengutachten des Dr. V. vom 18.04.2005 gestützt. Danach bestehe bei der Klägerin ein neurasthenisches Syndrom sowie eine undifferenzierte Somatisierungsstörung mit einem GdB von 30. In dem sich wiederum anschließenden Berufungsverfahren L 15 SB 133/05 hat Dr. D. mit neurologischem Fachgutachten vom 19.02.2008 bestätigt, dass auf seinem Fachgebiet ein Einzel-GdB von 30 bestehe. Der weiterhin gehörte Sachverständige Dr. L. hat mit orthopädischem Fachgutachten vom 21.02.2008 ausgeführt, dass die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 10 zu berücksichtigen sei. Dr. R. hat mit allgemeinärztlichem Gutachten vom 21.02.2008 zusammenfassend einen GdB von 40 befürwortet, weil zusätzlich das hyperreagible Bronchialsystem mit einem Einzel-GdB von 20 und das rezidivierende urtikarielle Exanthem mit einem Einzel-GdB von 30 zu berücksichtigen sei. Aufgrund der übereinstimmenden Anträge der Beteiligten hat das BayLSG mit Beschluss vom 09.06.2008 - L 15 SB 133/05 - das Ruhen des Verfahrens nach dem SGB IX angeordnet.
Im Verfahren nach dem OEG hat der Beklagte die Unterlagen der Staatsanwaltschaft M. beigezogen. Am 15.11.1996 hat K. die Klägerin auf der Höhe des Hauses, in dem ihr Sohn wohnte, von hinten in den Vorgarten gedrängt und sie zu Fall gebracht. Als sie auf dem Rücken lag, kniete er sich auf sie und setzte ihr das Messer an die Kehle. Er brachte ihr dadurch einen blutigen Kratzer bei. Die Klägerin rief sofort mehrmals laut um Hilfe, worauf zwei Männer zum Tatort kamen. Daraufhin gab K. sein Vorhaben auf. Die Klägerin litt in der Folgezeit unter Herzattacken und Angstzuständen. K. ist einer Vergewaltigung mit sexueller Nötigung und einer versuchten Vergewaltigung (letztere zu Lasten der hiesigen Klägerin) für schuldig befunden worden. Das Landgericht M. hat mit Urteil vom 26.06.1997 H. K. deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Ihr Antrag vom 12.12.2002 nach dem OEG ist mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung M. vom 03.06.2003 abgelehnt worden. Bei der versorgungsärztlichen Untersuchung vom 12.05.2003 hätten Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht mehr vorgelegen.
Der Widerspruch vom 08.06.2003 dagegen ist mit Widerspruchsbescheid des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 20.11.2003 zurückgewiesen worden. Nach versorgungsärztlicher Beurteilung werde durch die Folgen der Gewalttat vom 15.11.1996 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigender Höhe nicht erreicht.
In dem sich anschließenden Klageverfahren ist Dipl.-Psych. Z. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gutachterlich gehört worden. Die gerichtlich bestellte Sachverständige hat im psychologischem Gutachten vom 15.07.2004 ausgeführt, dass die nunmehr geltend gemachten Gesundheitsstörungen nur teilweise mit Wahrscheinlichkeit durch das schädigende Ereignis hervorgerufen worden seien. Die Angstsymptomatik im Rahmen der Anpassungsstörung sei als Schädigungsfolge anzuerkennen. Für diese Schädigungsfolge sei eine MdE von 20 v.H. ab 12.02.2002 anzusetzen.
Der Beklagte hat ein entsprechendes Vergleichsangebot unterbreitet, welches jedoch von der Klägerin nicht angenommen worden ist. Im Folgenden hat das Sozialgericht München mit Beschluss vom 20.12.2004 - S 30 VG 29/03 - das Ruhen auch dieses Verfahrens angeordnet.
Aufgrund seines Vergleichsangebotes hat der Beklagte von Amts wegen einen Bescheid am 16.12.2005 erlassen und als Folge einer Schädigung nach dem OEG ab 12.12.2002 anerkannt: "Restsymptomatik einer Anpassungsstörung". Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist mit weniger als 25 v.H. festgestellt worden. Eine Versorgungsrente ist dementsprechend nicht bewilligt worden.
Der hiergegen gerichtete Widerspruch ist mit Widerspruchsbescheid vom 02.11.2006 zurückgewiesen worden. Die weiteren Gesundheitsstörungen wie die Symptome einer somatoformen Schmerzstörung und einer Neurasthenie würden nicht in ursächlichem Zusammenhang mit der Gewalttat vom 15.11.1996 stehen.
Das Sozialgericht München zog die Akten des Beklagten bei und holte aktuelle Befundberichte des Krankenhauses für Naturheilwesen M. sowie von Dr. K. ein. Zur mündlichen Verhandlung am 10.03.2008 ist die Klägerin nicht erschienen, weil sie sich hierzu nicht in der Lage gesehen hat. Das Sozialgericht München wies die Klage gegen den Bescheid vom 16.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2006 mit Urteil vom 13.03.2008 - S 30 VG 21/06 - ab. Die Chance, dem Gericht in einer mündlichen Verhandlung einen unmittelbaren Eindruck von ihrer seelischen Situation zu geben, habe die Klägerin nicht wahrgenommen. Nach einer Prozessdauer von mehr als einem Jahr sei der Rechtsstreit auf der Basis der vorhandenen Erkenntnisse (vor allem Gutachten der Dipl.-Psych. Z. vom 15.05.2004) entscheidungsreif.
Die hiergegen gerichtete Berufung ging am 07.05.2008 beim Sozialgericht München ein und wurde an das Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) weitergeleitet.
Zur Begründung hob die Klägerin hervor, die Schädigungsfolgen der Straftat würden ihr Leben in einem unerträglichen Maß bestimmen. Zu weiterführenden Erklärungen sei sie zur Zeit nicht in der Lage.
Der Senat bestellte Dr. K. gemäß § 106 Abs.3 Nr.5 SGG zum ärztlichen Sachverständigen. Entsprechend ihrer Nachricht vom 15.06.2008 musste die Klägerin den vorgeschlagenen Untersuchungstermin absagen, weil ihr zur Zeit die psychische Kraft fehle. Im Folgenden fertigte Dr. K. das nervenfachärztliche Gutachten vom 01.07.2008 nach Aktenlage. Die reinen Schädigungsfolgen wurden mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 10 bewertet. Hierbei hat Dr. K. auch die ärztlichen Unterlagen berücksichtigt, die die Klägerin mit Nachricht vom 22.06.2006 im Verfahren L 15 SB 133/05 zur Verfügung gestellt hat.
Der Senat gab der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme bis 01.10.2008, ob die Berufung im Hinblick auf die Ausführungen von Dr. K. weiterhin aufrecht erhalten werde, gegebenenfalls mit welcher stichhaltigen Begründung. Die Klägerin erwiderte mit Nachricht vom 15.10.2008, dass es ihr bisher nicht möglich gewesen sei, das Gutachten zu lesen. Sie sei auch jetzt nicht in der Lage der Aufforderung nachzukommen. Sie müsse sich vor einem erneuten totalen Absturz schützen.
In der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2009 ist die Klägerin nicht erschienen. Der Stationsarzt S. der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie G. hatte mit ärztlichem Attest vom 02.03.2009 dargelegt, dass die Klägerin derzeit in keinster Weise belastungsstabil sei und deswegen um einen Termin zu einem späteren Zeitpunkt gebeten werde.
Nach Vertagung teilte die Klägerin mit Schreiben vom 20.07.2009 mit, dass sie auch der mündlichen Verhandlung vom 28.07.2009 fernbleiben werde. Beigefügt war ein nervenärztlicher Befundbericht von Dr. M. vom 07.07.2009 mit den aktuellen Diagnosen "rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelschwere Episode, traumatische Belastungsstörung".
Die Klägerin begehrt sinngemäß die Feststellung von Schädigungsfolgen aufgrund des Vergewaltigungsversuches vom 15.11.1996 in rentenberechtigendem Grad.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13.03.2008 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie entsprechend § 136 Abs.2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 und 151 SGG zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht München hat die Klage gegen den Bescheid vom 16.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2006 mit Urteil vom 13.03.2008 - S 30 VG 21/06 - zutreffend abgewiesen.
Vorab ist verfahrensrechtlich darauf hinzuweisen, dass das ruhende Verfahren des Sozialgerichts München S 30 VG 29/03 hier einzubeziehen gewesen ist. Es handelt sich um denselben Streitgegenstand. Der Bescheid vom 16.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2006 hat den ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 03.06.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2003 ersetzt.
In der Sache wird zur Vermeidung von Wiederholungen vorab auf die Gründe des Urteils des Sozialgerichts München vom 13.03.2008 Bezug genommen (§ 153 Abs.2 SGG). Das Verfahren leidet insgesamt daran, dass die Klägerin aufgrund der bei ihr bestehenden psychischen Erkrankungen nur eingeschränkt in der Lage gewesen ist, entsprechend mitzuwirken.
In dem Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) stehen als wesentliche Erkenntnisquellen neben den Unterlagen des Beklagten nur das psychologische Fachgutachten der Dipl.-Psych. Z. vom 15.07.2004 und das nervenfachärztliche Gutachten nach Aktenlage von Dr. K. vom 01.07.2008 zur Verfügung. Im Ergebnis übereinstimmend haben beide Sachverständige schlüssig und überzeugend ausgeführt, dass ein rentenberechtigender GdS nicht vorliegt. Dr. K. hat bestätigt, dass bei der Klägerin als Folge der am 15.11.1996 erlittenen Schädigung eine Angststörung in Form einer episodisch paroxysmalen Angst bestehe. Diese Angststörung sei zumindest teilweise auf das Ereignis vom 15.11.1996 zurückzuführen bei einer vorbestehenden, seit Beginn der 80er-Jahre erkennbaren schweren Somatisierungsstörung, die durch vielfältige psychosomatische Symptome gekennzeichnet sei. Dies ergebe sich zweifelsfrei aus allen Befunden, die bereits seit dieser Zeit bei der Klägerin ein gravierendes, chronisch progredientes psychosomatisches Krankheitsbild belegten, welches sich aus vielerlei Symptomen zusammensetze, wie dies bei diesem Krankheitsbild nicht selten sei.
Im Vordergrund stand dabei auch zur Überzeugung des Senats eine Erschöpfungssymp-tomatik mit vielfältigen Symptomen, die entsprechend den gutachterlichen Ausführungen von Dr. K. als Ausdruck einer Somatisierung anzusehen sind. Die diesbezüglichen Behandlungen erfolgten auch nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ereignis vom 15.11.1996, was dafür spricht, dass diesem Ereignis damals nicht der Stellenwert beigemessen wurde, welcher von der Klägerin nunmehr diesem Ereignis beigemessen wird.
Die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. K., der im Ergebnis das psychologische Gutachten der Dipl.-Psych. Z. vom 15.07.2004 bestätigt hat, stehen in Übereinstimmung mit Rz.26.3 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht". Danach sind Folgen psychischer Traumen leichterer Art mit einem Einzel-GdS von Null bis 20 zu berücksichtigen. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bedingen einen Einzel-GdS von 30 bis 40. Gleiches gilt für die ab 01.01.2009 nunmehr maßgeblichen "Versorgungsmedizinischen Grundsätze in Teil B Nr. 3.7 (§ 30 Abs.17 BVG i.V.m. der Anlage zu § 2 Versorungsmedizin Verordnung).
In diesem Zusammenhang ist nochmals darauf hinzuweisen, dass nicht die Gesamtheit der nervenfachärztlichen Funktionsstörungen auf das Ereignis vom 15.11.1996 zurückgeführt werden kann. Vielmehr haben die gerichtlich bestellten Sachverständigen in Übereinstimmung mit den Voten des versorgungsärztlichen Dienstes des Beklagten zutreffend darauf hingewiesen, dass in Berücksichtigung der multiplen weiteren Gesundheitsstörungen der Klägerin auf nervenfachärztlichem Gebiet die Folgen der versuchten Vergewaltigung vom 15.11.1996 einen GdS in rentenberechtigendem Grad nicht erreichen. Dies korrespondiert mit dem aktuell eingereichten nervenärztlichen Befundbericht der Dr. M. vom 07.07.2009. Dort ist sowohl eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig mittelschwerer Episode als auch die hier relevante posttraumatische Belastungsstörung beschrieben worden. Durch die erfolgte Therapie konnte eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau erreicht werden, sodass ausgeprägte depressive Einbrüche zuletzt nicht mehr aufgetreten sind. Mangels wesentlicher Änderungen sind die Feststellungen von Dipl.-Psych. Z. nach persönlicher Untersuchung vom 21.05.2004 unverändert maßgebend: Ein schädigungsgedingter GdS in rentenberechtigtendem Grad ist somit nicht gegeben.
Nach alledem ist die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13.03.2008 zurückzuweisen. Die Anwesenheit der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 28.07.2009 ist hierbei gemäß § 110 Abs.1 SGG nicht erforderlich gewesen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Login
FSB
Saved