L 15 BL 6/09 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 17 BL 10/08
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 BL 6/09 B PKH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine Klagerücknahme kann als Prozesshandlung nicht angefochten werden. Die Vorschriften des Bürgerlichen Rechts über Nichtigkeit und Anfechtung, insbesondere auch wegen Irrtums, sind auf Prozesshandlungen nicht anwendbar. Bei der Rücknahmeerklärung handelt es sich um eine rechtsgestaltende Prozesserklärung, die auch im Falle eines Irrtums über den Inhalt oder die Reichweite der abgegebenen Erklärung im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich nicht anfechtbar oder widerrufbar ist.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 16.07.2009 gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 23.06.2009 - S 17 BL 10/08 - wird zurückgewiesen.



Gründe:


I.

Der 1946 geborene Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) gemäß § 73a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) in einem Klageverfahren wegen Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG), in dem es um die Wirksamkeit einer Klagerücknahme geht.

Das Sozialgericht München hat mit Beschluss vom 23.06.2009 den Antrag vom 24.03.2009 auf Bewilligung von PKH und Beiordnung des Rechtsanwalts Dr. S. abgelehnt. Es bestehe keine hineichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 ZPO. Die Frage der hinreichenden Erfolgsaussicht hänge hier davon ab, ob die Klagerücknahme vom 24.07.2008 wirksam sei. Nur wenn eine Klagerücknahme nicht vorliegen würde, käme es auf die Frage an, ob die am 8.01.2007 erhobene Anfechtungsklage Erfolgsaussichten habe. Die am 24.07.2008 schriftsätzlich erklärte Klagerücknahme sei wirksam. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers sei durch die Prozessvollmacht vom 16.07.2007 legitimiert gewesen. Die Formulierung "in Sachen ... wird die Klage zurückgenommen." sei eindeutig und weder auslegungsbedürftig noch -fähig. Der Sicht des Prozessbevollmächtigten des Klägers, aus dem Gesamtzusammenhang ergäbe sich, dass von einer Klagerücknahme nicht auszugehen sei, könne sich das Gericht nicht anschließen. Nicht zwingend sei im Übrigen die Argumentation, dass sich aus dem Hinweis im Schriftsatz vom 24.07.2008, der Kläger werde den Termin selbst wahrnehmen, ergäbe, dass eine Klagerücknahme nicht vorliege. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Rechtsanwalt die Rücknahme der Klage für richtig halte und auch erkläre, während sein Mandant die Angelegenheit weiter verfolgen wolle. Rechtlich unerheblich sei auch die Erklärung der Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten vom 29.07.2008. Maßgeblich sei vielmehr, dass dieser den Schriftsatz vom 24.07.2008 unterschrieben habe und damit für den Inhalt verantwortlich sei.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde vom 16.07.2009 ging am 17.07.2009 beim Sozialgericht München ein. Zur Begründung hob der Beschwerdeführer hervor, die Richterin habe unmittelbar vor dem Termin bei dem Unterzeichner angefragt, ob das Verfahren fortgeführt werden solle. Sie sehe keine Erfolgsaussichten. Der Unterzeichner habe sich daraufhin mit dem Kläger in Verbindung gesetzt und die Angelegenheit am Morgen des Terminstages besprochen. Der Kläger habe ausdrücklich erklärt, dass er das Verfahren weiter betreiben wolle. Der Unterzeichner habe sich mit dem Kläger dahingehend verständigt, dass er zum Termin nicht anreisen werde. Der Kläger wollte den Termin alleine persönlich wahrnehmen und sei auch angereist. Es sei dann ein Schriftsatz mit diesem Inhalt seitens des Unterzeichners abdiktiert worden. Dem Gericht sollte klarstellend mitgeteilt werden, dass eine Klagerücknahme nicht erfolgen werde, jedoch der Kläger anwaltschaftlich nicht vertreten sein werde. Das sicherlich wesentliche Wort "nicht" wurde dann aufgrund eines Schreibfehlers nicht aufgenommen. Aus dem Zusammenhang ergäbe sich jedoch, dass der Termin auf jeden Fall stattfinden sollte. Es sei darauf hingewiesen worden, dass der Kläger den Termin selbst wahrnehmen werde. Diese Formulierung mache nur Sinn, wenn wie diesseits angenommen ein Termin tatsächlich stattfinden würde. Im Übrigen sei es nicht naheliegend, dass eine Klage gegen den Willen des Mandanten zurückgenommen werde. Noch weniger mache es Sinn, einen Mandanten anreisen zu lassen, im Wissen, dass ein Termin nicht stattfinden würde. Aus Sicht des Beschwerdeführers hätte es auch der Fürsorgepflicht des Sozialgerichts München entsprochen, Rückfrage zu halten. Hätte das Gericht in der Kanzlei nicht mehr angerufen, hätte der Termin ohne Weiteres stattgefunden. Die Klage sei auch begründet, weil sich der Kläger nachweislich im Freistaat Bayern aufgehalten habe.

Das Sozialgericht München hat den Gesamtvorgang dem Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) zur Entscheidung vorgelegt.

Der Beklagte und hiesige Beschwerdegegner hat von einer Äußerung zur Beschwerde über den Beschluss vom 23.06.2009 abgesehen.

II.

Die gemäß §§ 172 ff. SGG zulässige Beschwerde erweist sich als unbegründet.

Die Erfolgsaussicht des Klageverfahrens kann nicht bejaht werden, so dass Prozesskostenhilfe nicht zu bewilligen ist (§ 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO). Das Sozialgericht hat die Bewilligung zu Recht abgelehnt, so dass der Beschluss vom 23.06.2009 nicht zu beanstanden ist.

Die hier wörtlich erklärte Klagerücknahme kann als Prozesshandlung nicht angefochten werden. Dies entspricht allgemeiner Meinung. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Nichtigkeit und Anfechtung, insbesondere auch wegen Irrtums, sind auf Prozesshandlungen nicht anwendbar (Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage, Rdnr.12 vor § 60; Rdnr.2a zu § 156; Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 102 SGG, Anm.2; Bundessozialgericht in SozR Nr.3 zu § 119 BGB; BayLSG mit Urteil vom 16.10.2001 - L 15 V 37/01 - sowie BayLSG mit Urteil vom 25.07.2008 - L 8 AL 5/08 rechtskräftig, vgl. Beschluss des Bundessozialgerichts vom 16.12.2008 - B 11 AL 144/08 B).

Bei der Rücknahmeerklärung handelt es sich um eine rechtsgestaltende Prozesserklärung, die auch im Falle eines Irrtums über den Inhalt oder die Reichweite der abgegebenen Erklärung im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich nicht anfechtbar oder widerrufbar ist (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 25.11.2004 - L 2 KN 118/04 P).

Ein Wiederaufgreifen eines durch Zurücknahme der Berufung beendeten Rechtsstreits ist vielmehr ausnahmsweise nur dann möglich, wenn Wiederaufnahmegründe im Sinne der §§ 179, 180 SGG in Verbindung mit den §§ 579 ff. ZPO vorliegen (Meyer-Ladewig, a.a.O., Rdnr.12a). Da derartige Umstände, die auf das Vorliegen von Restitutionsgründen gemäß § 580 ZPO schließen lassen könnten, weder vorgetragen noch sonst erkennbar sind, kann auch der Widerruf nicht erfolgen, so dass das Verfahren vor dem Sozialgericht München keine Erfolgsaussicht hat.

Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist nicht anfechtbar (§§ 177, 183 SGG in Verbindung mit § 127 Abs.4 ZPO).
Rechtskraft
Aus
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