L 8 R 71/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 2 R 74/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 71/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 16/10 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 08.04.2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsrechtszug nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Altersrente ohne Kürzung der nach dem Fremdrentengesetz (FRG) anerkannten Entgeltpunkte (EP) zusteht.

Der am 00.00.1939 geborene Kläger ist anerkannter Vertriebener. Bis zu seiner Übersiedelung in die Bundesrepublik Deutschland im Juni 1978 lebte er in Rumänien. Seit dem 1.9.2001 bezieht er Altersrente wegen Arbeitslosigkeit aufgrund des Bescheides v. 11.9.2001 sowie des Neuberechnungsbescheides v. 15.1.2002. Beide Bescheide wurden bestandskräftig. Bei der Berechnung der Rente berücksichtigte die Beklagte die Zeit vom 28.12.1956 bis zum 30.6.1958 als beitragsfreie Zeit der Fachschulausbildung, die Zeiträume vom 1.9.1958 bis zum 30.11.1958 und vom 18.6.1959 bis zum 28.2.1962 als beitragsgeminderte Zeiten beruflicher Ausbildung sowie Pflichtbeitragszeiten vom 1.3.1962 bis zum 18.5.1978 mit Ausnahme des Monats Dezember 1977. Für die Zeit vom 1.6.1970 bis zum 18.5.1978 nahm die Beklagte Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (KiBÜZ) an. Die auf die Beitragszeiten nach dem FRG entfallenden EP vervielfältigte die Beklagte gemäß § 22 Abs. 4 FRG mit 0,6. Die EP für die beitragsgeminderten Zeiten ermittelte sie im Rahmen der begrenzten Gesamtleistungsbewertung auf der Grundlage von 0,0625 EP je Kalendermonat (bei glaubhaft gemachten Zeiten auf 5/6 gekürzt).

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) v. 13.6.2006 (Az.: 1 BvL 9/00 u.a.) zur Verfassungsmäßigkeit von § 22 Abs. 4 FRG stellte der Kläger am 27.6.2006 einen Antrag gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf Neufeststellung der Rente. Die Beklagte lehnte eine Änderung des Bescheides vom 11.9.2001 im Überprüfungsverfahren ab (Bescheid v. 5.2.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides v. 2.7.2008). Zwar habe das BVerfG für Personen wie den Kläger, die vor dem 1.1.1991 nach Deutschland gekommen seien und deren Rente nach dem 30.9.1996 begonnen habe, eine zusätzliche Übergangsregelung gefordert, die nunmehr mit Art. 6 § 4c Abs. 2 Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) vorliege. Der Kläger erfülle die dort geregelten Voraussetzungen jedoch nicht.

Mit seiner am 4.8.2008 zum Sozialgericht (SG) Köln erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen: Da er Spätaussiedler sei, fielen die von ihm in Rumänien geleisteten Beiträge unter den Eigentumsschutz des Art 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Sein Fall unterscheide sich in wesentlichen Punkten von dem vom BVerfG am 13.6.2006 entschiedenen Verfahren: Er sei Vertriebener, der in Rumänien bis 1978 aufgrund eines Freikaufs durch die Bundesrepublik Deutschland festgehalten worden sei. Er habe Versicherungsleistungen an das rumänische Rentensystem erbracht, die gemäß § 16 FRG Beiträgen im Inland gleichgestellt seien. Die Beiträge seien von der Bundesrepublik Deutschland stetig durch Zuschüsse an die Versicherungsträger geleistet worden. Zudem habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) inzwischen klargestellt, dass Fremdrenten keine bedürftigkeitsabhängigen Sozialleistungen, sondern echte Renten seien. Zumindest für die Zeit der beruflichen Ausbildung v. 1.9.1958 bis zum 30.11.1958 und vom 18.6.1959 bis zum 28.2.1962 müsse die Kürzung der EP vermieden werden. Die Zeiten der beruflichen Ausbildung müssten als vollwertige Beitragszeiten anerkannt werden, da er sie genauso im Bundesgebiet hätte zurücklegen können. Gleiches müsse für die Kindererziehungszeiten (KEZ) gelten.

Der Kläger hat beantragt,

die Bescheide vom 11.9.2001 und 15.1.2002 teilweise aufzuheben, den Bescheid vom 5.2.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die nach dem FRG bewerteten Zeiten nicht unter Anwendung des § 22 Abs. 4 FRG zu mindern.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtenen Bescheide verteidigt.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil v. 8.4.2009). Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Mit der am 20.5.2009 erhobenen Berufung gegen das ihm am 20.4.2009 zugestellte Urteil verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen weiter.

Er beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

das Urteil des SG vom 8.4.2009 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 5.2.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.7.2008 zu verurteilen, die Bescheide vom 11.9.2001 sowie 15.1.2002 zu ändern und ihm Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab dem 1.9.2001 ohne Vervielfältigung der für die Beitragszeiten im Herkunftsgebieten ermittelten EP mit dem Faktor 0,6 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für richtig. Mit Art. 6 § 4c Abs. 2 FANG habe der Gesetzgeber den Anforderungen des BVerfG in verfassungskonformer Weise entsprochen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte verwiesen. Der Inhalt beider ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 11.11.2009 weder erschienen noch vertreten gewesen ist, da er mit der ordnungsgemäßen Terminsnachricht darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat zu Recht und mit zutreffender Begründung entschieden, dass der Bescheid v. 5.2.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides v. 2.7.2008 nicht rechtswidrig ist und den Kläger daher nicht beschwert.

Die Beklagte ist zunächst nicht verpflichtet, nach Art. 6 § 4c Abs. 2 FANG i.d.F. von Art. 16 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes v. 20.4.2007 (BGBl. I, S. 554) einen Zuschlag an persönlichen EP zu ermitteln. Ein Anspruch hierauf besteht nämlich nur, wenn über den Rentenantrag oder den bis zum 31.12.2004 gestellten Antrag auf Rücknahme des Rentenbescheides am 30.6.2006 noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist (Art. 6 § 4c Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 FANG). Demgegenüber sind die Bescheide v. 11.9.2001 und 15.1.2002 hier vor dem 30.6.2006 bestandskräftig i.S.v. § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geworden, und der Überprüfungsantrag des Klägers ist nicht bis zum 31.12.2004, sondern erst am 27.6.2006 gestellt worden.

Der Kläger kann auch nicht verlangen, dass die Beklagte die Bescheide v. 11.9.2001 und 15.1.2002 im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 Abs. 1 SGB X zu seinen Gunsten ändert. Denn die Beklagte ist nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen und hat das geltende Recht auch zutreffend angewandt:

Die Anwendung des Faktors 0,6 auf die Beitragszeiten des Klägers gemäß §§ 15, 16 FRG beruht auf § 22 Abs. 4 FRG.

Bei der Ermittlung der EP für beitragsgeminderte Zeiten hat die Beklagte zutreffend die Vorschriften der §§ 74, 263 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Anlage 18 SGB VI in der bei Rentenbeginn am 1.9.2001 maßgeblichen Fassung des Rentenreformgesetzes 1999 v. 16.12.1997 (BGBl. I, S. 2998) bzw. des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes v. 25.9.1996 (BGBl. I, S. 1476) angewandt und diesen Monaten daher den begrenzten Gesamtleistungswert von 0,0625 EP je Kalendermonat bzw. - bei glaubhaft gemachten Zeiten - von 0,0521 EP (5/6 von 0,0625 EP) zugeordnet.

KEZ hat der Kläger (im Gegensatz zu KiBÜZ) nicht zurückgelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass er die Zuordnung solcher Zeiten gemäß § 56 Abs. 2 SGB VI beantragt hätte. Insofern vermag der Senat nicht nachzuvollziehen, inwiefern der Kläger die Bewertung solcher Zeiten in seinem Fall beanstandet.

Die angewandten Vorschriften verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht. Es besteht insbesondere kein Anlass, das Verfahren auszusetzen und die Frage der Vereinbarkeit dieser Vorschriften gemäß Art. 100 Abs. 1 GG (erneut) dem BVerfG vorzulegen.

Das BVerfG hat in den zitierten Entscheidungen die Verfassungsmäßigkeit von § 22 Abs. 4 FRG unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten ausführlich geprüft und bejaht, und zwar - entgegen der Auffassung des Klägers - ausschließlich anhand von Fällen rumänischer Aussiedler/innen, die in Deutschland als Vertriebene anerkannt worden sind. Es hat dabei offen gelassen, ob die aus dem FRG abgeleiteten Anwartschaften dann dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG unterfallen, wenn sie sich (wie hier) zusammen mit den in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Rentenanwartschaften zu einer rentenrechtlichen Gesamtrechtsposition verbinden. Denn selbst wenn diese rentenrechtliche Gesamtrechtsposition dem Schutz des Art 14 Abs. 1 GG unterstünde, habe der Gesetzgeber von seiner Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums verfassungsgemäßen Gebrauch gemacht. Die Annahme des Klägers, seine Zeiten nach dem FRG genössen den verfassungsrechtlichen Schutz der Eigentumsfreiheit, kann der Klage daher nicht zum Erfolg verhelfen.

Ohne Erfolg hält der Kläger dem entgegen, dass er an einer früheren Übersiedelung in die Bundesrepublik Deutschland in Rumänien staatlicherseits gehindert worden sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob dieses Schicksal nicht sogar - wie auch die vom BVerfG entschiedenen Sachverhalte nahe legen - typisch für den von § 22 Abs. 4 FRG betroffenen Personenkreis ist. Denn jedenfalls kann der Kläger aus einem ihm gegebenenfalls durch einen Drittstaat zugefügten Unrecht keine Ansprüche gegen die deutschen Rentenversicherungsträger herleiten.

Aus der Entscheidung des EuGH v. 18.12.2007 (Az.: C-396/05, C-41/05, C-450/05) folgt nichts anderes. In diesen Entscheidungen ging es um die Frage, ob Fremdrenten in andere Länder der Europäischen Union exportfähig sind. Der EuGH hat dies bejaht, weil Renten nach dem FRG nicht bedürftigkeitsabhängig gezahlt werden. Die Frage, inwieweit Renten aus FRG-Beitragszeiten an Versicherte mit Wohnsitz außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu zahlen sind, hat jedoch nichts damit zu tun, inwieweit solche Beitragszeiten dem Schutz des Art. 14 GG unterfallen.

Das Prinzip der begrenzten Gesamtleistungsbewertung beitragsgeminderter Zeiten steht mit dem GG gleichfalls in Einklang (BSG, Urteil v. 30.3.2004, B 4 RA 36/02 R, SozR 4-2600 § 149 Nr. 1). Lediglich zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass sich bei der Bewertung der Berufsausbildungszeiten des Klägers die Vorschrift des § 22 Abs. 4 FRG nicht einmal mittelbar ausgewirkt hat. Denn die Regelungen über die begrenzte Gesamtleistungsbewertung haben auch eingedenk der Fremdrentenzeiten des Klägers zu einem monatlichen Gesamtleistungswert von 0,1162 EP geführt, der sich nach der Begrenzung auf 75 v. H. durch § 74 Satz 1 SGB VI sich immer noch auf 0,0872 EP belief und daher gemäß § 74 Satz 2 SGB VI i.V.m. § 263 Abs. 3 Satz 2 SGB VI nochmals auf 0,0625 EP zu kürzen war. Dieselbe Kürzung hätte jedoch auch einen Versicherten ohne Fremdrentenzeiten getroffen.

Auch Art. 6 § 4c Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 FANG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das BVerfG hat es ausdrücklich in das Ermessen des Gesetzgebers gestellt, ob er die Wirkungen der Entscheidung auf bestandskräftige Bescheide erstrecken will. Von Verfassungs wegen verpflichtet sei er hierzu nicht (a.a.O. Rdnr. 112). Insofern bestehen auch keine Bedenken mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, dass der Gesetzgeber die Gewährung des Zuschlags auf solche Versicherte beschränkt hat, die bis zum 31.12.2004 einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 Abs. 1 SGB X gestellt haben (zur Verfassungsmäßigkeit von Art. 6 § 4c Abs. 2 FANG insgesamt vgl. BSG, Urteil v. 20.10.2009, B 5 R 38/08 R, Terminbericht Nr. 58/09 v. 22.10.2009, bundessozialgericht.de; zur Verfassungsmäßigkeit von Stichtagsregelungen statt aller BVerfG, Urteil v. 23.11.1999, 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239, 270).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Der Angelegenheit kommt keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu. Zu den anzuwendenden gesetzlichen Vorschriften und den durch den Fall aufgeworfenen Rechtsfragen sind mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen. Weiterer Klärungsbedarf besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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