L 1 AS 4693/09 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 AS 2893/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 4693/09 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Reutlingen vom 11. September 2009 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Im Streit steht ein Anspruch der Antragstellerin (Ast.) auf höhere Grundsicherungsleistungen (ohne Berücksichtigung eines fiktiven Unterhaltsbetrags des Sohnes).

Die 1959 geborene Ast. bezieht seit Januar 2005 ohne wesentliche Unterbrechungen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Sie wohnt in einer 50qm großen 2-Zimmerwohnung, für die sie 425,28 EUR Kaltmiete zuzüglich 100,- EUR Nebenkosten inkl. Kosten für einen Stellplatz in Höhe von 17,90 EUR monatlich bezahlt. Sie verfügt nicht über Vermögen. In der Wohnung lebt auch der 1987 geborene Sohn D. (D.) der Ast ... Nach der Heirat der Ast. lebte in der Zeit vom 20. Februar 2006 bis 8. Juni 2009 auch der Ehemann der Ast. in der Wohnung. Dieser hat sich jedoch zum 9. Juni 2009 aus der Wohnung melderechtlich ab- und in einer anderen Wohngemeinde angemeldet. D. hatte am 18. September 2006 eine Berufsausbildung aufgenommen. Ab diesem Zeitpunkt hat der Antragsgegner (Ag.) Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der Ausbildungsvergütung des Sohnes unter dessen Aufnahme in die Bedarfsgemeinschaft bestehend aus der Ast. und ihrem Ehemann bewilligt. Zuvor waren D. Leistungen nach dem SGB II als eigene Bedarfsgemeinschaft in Haushaltsgemeinschaft mit der Bedarfsgemeinschaft aus seiner Mutter und deren Ehemann bewilligt worden. Seit Herbst 2008 steht D. in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis und erzielt ein monatliches durchschnittliches Nettoeinkommen von jedenfalls 1.683,85 EUR.

Im April 2009 stellte die Ast. Antrag auf Fortzahlung von Leistungen nach dem SGB II. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 7. Mai 2009 abgelehnt mit der Begründung, das der Bedarfsgemeinschaft (bestehend aus der Ast. und ihrem Ehemann) zur Verfügung stehende Einkommen genüge zur Deckung der Kosten des Lebensunterhalts. Dagegen erhob die Ast. Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2009 zurückgewiesen wurde. Die Ast. erhob deshalb Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) (Az.: S 2 AS 2146/09). Nach dem Auszug des Ehemanns bewilligte der Ag. mit Bescheid vom 15. Juli 2009 Leistungen für die Ast. vom 12. Juni bis 30. November 2009 (12. bis 30. Juni 2009 inges.163,78 EUR, davon 104,52 EUR Kosten der Unterkunft [KdU]; 1. Juni bis 30. November 2009 monatlich 265,61 EUR, davon 165,04 EUR KdU, 100,57 EUR Regelleistung).

Dem dagegen erhobenen Widerspruch half der Ag. teilweise ab (Bescheid vom 31. Juli 2009; Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2009) und bewilligte höhere Leistungen (12. bis 30. Juni 2009 inges.238,23 EUR, davon 156,80 EUR KdU; 1. Juni bis 30. November 2009 monatlich 384,15 EUR, davon 247,58 EUR KdU, 136,57 EUR Regelleistung). Dabei ging der Ag. von einem Anspruch auf Regelleistung von monatlich 351,- EUR aus sowie Kosten der Unterkunft in Höhe von 247,58 EUR monatlich (hälftige Miete und Nebenkosten), abzüglich eines Unterhaltsanteils von D. in Höhe von 252,43 EUR monatlich. Die dagegen zum SG erhobene Klage ist dort unter dem Aktenzeichen S 2 AS 2866/09 anhängig.

Am 4. September 2099 hat die Ast. Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beim SG gestellt und zur Begründung vorgebracht, der Ag. habe das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft zwischen der Ast. und ihrem Sohn nur vermutet, nicht aber nachgewiesen. Der Sohn leiste der Ast. keinen Unterhalt. Er unterstütze sie nicht. Er habe ihr nach der Kürzung der Leistungen nur darlehensweise kleinere Beträge zum Einkaufen überlassen. Ein gemeinsames Wirtschaften liege nicht vor. D. habe darüber hinaus so hohe anderweitige Verpflichtungen, dass ihm zu ihrer Unterstützung kein Geld verbleibe. Mit Beschluss vom 11. September 2009 hat das SG den Antrag abgelehnt. Zur Begründung ist ausgeführt, es fehle jedenfalls am Anordnungsanspruch. Denn die Ast. und ihr Sohn lebten in einer Haushaltsgemeinschaft. Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27. Januar 2009 (Az.: B 14 AS 6/08 R) spreche schon der Umstand, dass die Ast. allein die Kosten der Unterkunft trage, für ein gemeinsames Wirtschaften. Auch sei es lebensfremd anzunehmen, wenn Mutter und Sohn zusammen lebten, würde streng getrennt gewirtschaftet. Wegen der weiteren Ausführungen, insbesondere zur Berechnung der der Ast. zustehenden Leistungen bzw. des anzurechnenden Einkommens wird auf die Ausführungen auf Seite 6 bis 8 der Gründe des Beschlusses verwiesen.

Gegen den dem Bevollmächtigten der Ast. am 16. September 2009 zugestellten Beschluss hat dieser am 6. Oktober 2009 Beschwerde beim SG eingelegt, die dem LSG am 15. Oktober 2009 zugegangen ist. Zur Begründung wird ausgeführt, das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft sei nicht nachgewiesen. Der Sohn tilge ein von ihm selbst aufgenommenes Darlehen, das nur zu einem geringen Teil Verbindlichkeiten auch der Ast. enthalte. Diese überobligatorische Leistung könne nicht zur Annahme einer Haushaltsgemeinschaft führen. Die Ast. habe mittlerweile Strom- und Mietschulden angehäuft, da ihr Sohn nicht bereit sei, Leistungen an sie zu erbringen und das ihr zur Verfügung gestellte Geld nicht zur Befriedigung aller Forderungen genüge. Der Ast. sei jedenfalls die komplette Miete zu erstatten, da sie in einer angemessen großen Wohnung lebe bzw. nicht aufgefordert worden sei, umzuziehen.

Der Ag. ist der Beschwerde entgegen getreten. Er hat ausgeführt, dass das Zusammenleben der Ast. und ihres Sohnes in einer kleinen Wohnung bereits für eine enge Bindung spreche, ebenso der Umstand, dass der Sohn die Ast. seit April 2009 unterstütze. Auch sei eine Notlage weder ersichtlich noch nachgewiesen. Der Sohn verfüge über ein Nettoeinkommen von ca. 1.923,- EUR, die Ast. erhalte selbst 384,25 EUR.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten, der Gerichtsakten in den Verfahren S 2 AS 2146/09, S 2 AS 2866/09 sowie S 2 AS 2893/09 ER sowie der Gerichtsakten des Berufungsverfahrens verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Ein Anordnungsgrund ist nicht glaubhaft gemacht.

Gemäß § 86b Abs 2 Satz 2 SGG ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis nur zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die einstweilige Anordnung dient lediglich der Sicherung von Rechten eines Antragstellers, nicht aber ihrer Befriedigung. Sie darf deshalb grundsätzlich nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise, wenn ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung ein wirksamer Rechtsschutz nicht erreicht werden kann und dieser Zustand dem Antragsteller unzumutbar ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 9. Auflage 2008, § 86b Rdnr. 28 f.). Der Erlass einer derartigen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrten Leistungen besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Sowohl die schützenswerte Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist, als auch die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 4 i.V.m § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung – ZPO -).

Es kann offen bleiben, ob ein Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht ist (auch wenn in der Hauptsache möglicherweise weiter aufzuklären ist, ob die bislang vom Ag. vorgetragenen Gesichtspunkte zum Nachweis einer Haushaltsgemeinschaft zwischen der Ast. und D. den Anforderungen des BSG in seiner Entscheidung vom 27. Januar 2009 a.a.O. genügen). Denn es fehlt jedenfalls am Anordnungsgrund, der besonderen Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung. Der Ast. ist im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung zuzumuten, die Entscheidung des SG in der Hauptsache abzuwarten.

In die Interessenabwägung ist einzustellen, dass der Ast., gleichgültig, ob eine Haushaltsgemeinschaft mit D. besteht oder eine reine Wohngemeinschaft, in jedem Fall nur die hälftigen Kosten der Unterkunft und Heizung zustehen, wie es der Ag. zuletzt im Bescheid vom 31. Juli 2009 auch seinen Berechnungen zugrunde gelegt hat. Denn auch dann, wenn eine Wohngemeinschaft zwischen einem Leistungsempfänger nach dem SGB II und einem nicht bedürftigen Mitbewohner besteht, kann der Leistungsempfänger immer nur den auf ihn - nach Kopfteilen - tatsächlich entfallenden Mietanteil vom Leistungsträger beanspruchen. Anderenfalls würden nicht bedürftige Mitbewohner durch bedarfsabhängige Leistungen nach dem SGB II quersubventioniert. Auf interne Absprachen, wie sie von der Ast. vorgetragen werden, wonach sie im Innenverhältnis ihren Sohn von Mietzahlungen freistellt, kommt es nicht an, jedenfalls dann nicht, wenn die Ast. sich nicht in der Lage sieht, aus den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln ohne Hilfe Dritter den vollständigen Mietzins zu zahlen und deshalb staatliche Hilfe in Anspruch nimmt. Deshalb ist es auch unerheblich, dass die Ast. mittlerweile Strom- und Mietschulden hat auflaufen lassen, um die besondere Dringlichkeit einer für sie positiven Entscheidung zu verstärken.

Daher ist die Frage der Existenz einer Haushaltsgemeinschaft zwischen Mutter und Sohn letztlich nur für die Anrechnung des Unterhaltsanteils des Sohnes von 252,43 EUR bzw. wie der Ag. im Änderungsbescheid vom 28. September 2009 für die Zeit vom 1. bis 30. November 2009 ausgeführt hat, in Höhe von 331,60 EUR (gestützt auf die Ausführungen des SG in dem mit der Beschwerde angefochtenen Beschluss) von Relevanz. Dabei lässt der Senat offen, welcher der Beträge tatsächlich zutreffend errechnet ist, da auch unter Zugrundelegung des höheren Unterhaltsbetrags eine Notlage nicht besteht.

D. verfügt über ein monatliches durchschnittliches Nettoeinkommen von jedenfalls 1.683,85 EUR (unter anteiliger Anrechnung des Urlaubsgelds), nach Vortrag des Bevollmächtigten von 1.794,18 EUR. Wenn - wie belegt wurde - der Sohn D. jeden Monat 155,84 EUR für sein Auto abbezahlt und eine weitere Summe für die Tilgung eines Darlehens von - vorgetragen - insgesamt 2.000,- EUR aufbringt, bleiben - zieht man noch seinen Mietanteil ab - immer noch mindestens 1.300,- EUR bis 1.400 EUR monatlich für den allgemeinen Lebensunterhalt verfügbar. Auch wenn D. sich gegenüber der Ast. nicht zu Leistungen rechtlich verpflichtet fühlt, ist es ihm jedenfalls zuzumuten, bis zur Entscheidung in der Hauptsache seine Mutter weiterhin monatlich zu unterstützen. Daran ändert auch der mittlerweile negative Saldo seines Girokontos nichts. Angesichts der dargestellten finanziellen Verhältnisse und der vorgetragenen tatsächlichen Unterstützung der Ast. (nur geringe Beträge für das Einkaufen; keine Bezahlung von Miete oder sonstigen Nebenkosten) rührt dieser Saldo jedenfalls nicht aus Zahlungen an seine Mutter oder weiteren nachgewiesenen Verbindlichkeiten her, von denen er sich nicht befreien könnte. Gibt der Sohn jedoch im Wissen um die derzeit jedenfalls faktisch bestehende Unterstützungspflicht gegenüber seiner Mutter sein Geld vollständig bzw. über Gebühr für andere Dinge aus, kann dies nicht in eine Leistungspflicht des Staates münden.

Für den Fall einer für die Ast. positiven Entscheidung in der Hauptsache kann die Nachzahlung von der Ast. problemlos zur Rückzahlung des ihr vom Sohn geliehenen Geldes verwendet werden; für den Fall einer für die Ast. negativen Entscheidung hätte der Ag. hingegen - würde der Senat der Beschwerde stattgeben - wenig Aussichten, die dann überzahlten Leistungen von der Ast. zurück zu erhalten.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved