Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 10 RJ 140/04
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 6 R 133/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. Juni 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente unter Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten sowie von Ersatzzeiten.
Der am XX.XXXXXXXXXX 1922 in K., Polen (W. M., während der deutschen Besatzung Distrikt Radom) als Sohn jüdischer Eltern geborene Kläger lebt, nachdem er 1947 aus Deutschland, wo er zuletzt im DP-Lager F. untergebracht war, über P. nach Panama ausgewandert war, seit 1955 in den USA, deren Staatsangehörigkeit er seit 1962 besitzt. Er bezieht eine Altersrente aus der dortigen Rentenversicherung aufgrund von Beiträgen, die er für die Jahre von 1955 bis 1990 entrichtet hatte. Gegenwärtig ist er dort ehrenamtlich für das USHMM tätig.
Er wurde als rassisch Verfolgter nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt und erhielt bzw. erhält Entschädigungen für Schaden an Gesundheit und an Freiheit. So erkannte ihm das Bayrische Landesentschädigungsamt im November 1957 in einem vor dem Landgericht München I geschlossenen Haftentschädigungsvergleich eine Entschädigung in Höhe von 8.700 DM für eine Freiheitsentziehung bzw. Freiheitsbeschränkung von 58 vollen Monaten zu. Im zugrundeliegenden Antrag vom 18. August 1955 hatte der Kläger den Schaden an Freiheit wie folgt spezifiziert: • Ghetto Kozienice von Sept. 1939 bis April 1940 • ZAL (Zwangsarbeitslager) Pionki April 1940 bis Sommer 1944 • Anschließend KZ-Zeiten bis Jan. 45 – insgesamt 64 volle Monate
In seiner vor dem Notar beschworenen, gleichwohl als eidesstattlich bezeichneten Versicherung (EV) vom 29. Februar 1956 hatte der Kläger ausgeführt: Die Deutschen seien kurz nach Ausbruch des Krieges nach Kozienice gekommen. Sie - die Juden - hätten sogleich die Armbinde tragen und Zwangsarbeiten leisten müssen. Ende 1939 seien sie in das dortige Ghetto eingewiesen worden. Kurz darauf sei das Ghetto abgeschlossen worden. Im Ghetto hätten etwa 9000 Personen gelebt. Der Judenälteste habe M1 B. geheißen. Sie hätten alle beim Kanalbau in der Nähe eines Dorfes W1 arbeiten müssen und seien täglich unter Bewachung dorthin geführt worden. Er - der Kläger - habe dort von Januar 1940 bis März 1941 gearbeitet. Alsdann habe man ihn in ein Zwangsarbeitslager zwischen Radom und Kozienice gebracht, dessen Namen er nicht erinnern könne. Dort hätten sich etwa 2000 Personen befunden, Juden und Nichtjuden und an einer Chaussee gearbeitet. Er habe dort bis Januar 1942 gearbeitet. Wegen der unerträglichen Lebensbedingungen habe er mit einer Gruppe von acht oder neun Männern einen Fluchtversuch unternommen, der aber gescheitert sei.
Er legte des Weiteren eine EV des S. S1 (wohnhaft in T./ Maryland) vom 6. März 1956 und eine EV des I. K1 (wohnhaft in B1) vom 1. Mai 1956 vor, beide beschworen vor dem notary public. S. S1 führte dort aus: Er sei mit dem Kläger in Kozienice aufgewachsen und zur Schule gegangen. Seit etwa Anfang 1940 seien sie gemeinsam im Ghetto Kozienice inhaftiert gewesen. Es sei ein Judenrat gegründet worden, Der Judenälteste habe B. geheißen. Sie hätten beim Kanalbau außerhalb des Ghettos zusammengearbeitet. Sie seien täglich unter Bewachung dorthin geführt und wieder zurückgebracht worden. Im Frühling 1941 seien sie zum Chausseebau zwischen Radom und Kozienice abkommandiert worden. Sie seien in einem Arbeitslager untergebracht worden, wo sich etwa 2000 Juden und Nichtjuden befunden hätten. Im Januar 1942 habe eine Gruppe von Männern, darunter auch der Kläger, einen Fluchtversuch aus diesem Lager unternommen, der jedoch misslungen sei. Der Kläger sei dabei angeschossen worden und habe einige Zeit im Krankenhaus in Pionki liegen müssen. I. K1 machte die folgenden Angaben: Er kenne den Kläger seit frühester Kindheit und wisse und könne bestätigen, dass er zusammen mit allen anderen Juden der Stadt Kozienice Ende 1940 in das dortige Ghetto ausgesiedelt worden sei und außerhalb des Ghettos Zwangsarbeitern beim Kanalbau und später beim Chausseebau habe ausführen müssen. Im Frühjahr 1942 habe der Kläger zusammen mit einigen anderen einen (erfolglosen) Fluchtversuch unternommen und sei dabei durch einen Schuss verletzt worden. Man habe ihn ins Arbeitslager Pionki gebracht.
In seinem eigenen beim Landesamt für Wiedergutmachung in Stuttgart durchgeführten Entschädigungsverfahren hat der Zeuge S1 nach Auskunft dieser Behörde die folgenden Angaben gemacht: Zwangsarbeit Kozienice 12/39 bis 1941, Ghetto Kozienice 1941 bis 1942, Zwangsarbeitslager Pionki 1942 bis 1944
Die Angaben des Zeugen I. K1 für diesen Zeitraum in seinem Entschädigungsverfahren lauten: Januar 1941 bis September 42 Ghetto Kozienice, September 42 bis Juni 44 ZAL in Pionki
Auf seinen 1958 gestellten Antrag hin erhielt der Kläger durch den am 28. September 1961 vereinbarten Vergleich eine Entschädigung für Schaden an Gesundheit in der Form einer Rente für eine schädigungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 40 – 49 v. H. Im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren hatte er zu seinen Lebensverhältnissen während der deutschen Besatzung ausgeführt, er habe sich im Jahre 1943 im ZAL Pionki für sechs Wochen wegen eines Beindurchschusses im Lagerspital aufgehalten. I. K1 hatte in einer EV vom 27. Oktober 1958 angegeben, während der Verfolgungszeit seien sie auch zusammen in einem Arbeitslager außerhalb des Ghettos Kozienice beim Chausseebau beschäftigt gewesen; auch Kanalbauarbeiten hätten sie dort ausgeführt. Von dort habe der Kläger zusammen mit einigen Mithäftlingen einen Fluchtversuch unternommen. Er sei dabei durch einen Schuss ins Bein verletzt und deswegen im Lazarett des AL Pionki behandelt worden.
S. S1 hatte im Oktober 1958 in einer beschworenen Erklärung versichert, der Kläger und er seien beide zusammen ins Ghetto Kozienice und dann (Angaben zum Zeitpunkt wurden nicht gemacht) in ein Arbeitslager zwischen Radom und Kozienice gekommen, wo sie zum Chausseebau abkommandiert worden seien. Nach einem erfolglosen Fluchtversuch im Jan. 1942 habe der Kläger einige Zeit im Krankenhaus in Pionki verbracht; er habe ihn im AL Pionki wiedergesehen.
In seiner EV vom 26. Februar 1960 machte der Kläger folgende Angaben: Während der Verfolgungsjahre sei er in folgenden Orten resp. Lagern inhaftiert gewesen: Ghetto Kozienice, ZAL zw. Radom u. Kozienice (jeweils ohne Zeitangabe), ZAL Pionki
Dr. C. G., Washington, gab in seinem Gutachten vom Oktober 1960 die Vorgeschichte nach den Angaben des Klägers wie folgt wieder: 1940 - 42 mit Unterbrechungen Ghetto Kozienice, dann bis etwa 1944 Zwangsarbeiten in Pionki, Beindurchschuss bei Fluchtversuch 1943; im Gutachtenteil heißt es dann: von 1943 an im Alter von 22 Jahren schwere Zwangsarbeiten.
Einen ersten Rentenantrag des Klägers vom 30. April 1998 - verbunden mit einem Antrag auf Zulassung zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach dem 2. Zusatzabkommen zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit (DASVA) - lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. Februar 1999 wegen unterlassener (weiterer) Mitwirkung des Klägers ab. Dieser erhob Widerspruch, holte die von der Beklagten geforderte Mitwirkung im Februar 1999 nach und gab die folgende Aufstellung seiner Beschäftigungen zur Akte: Bis 1939 Hilfe im Betrieb des Vaters (Schuhfabrik); 9/39 bis 10/40 habe er für das deutsche Militär gearbeitet und Pferde versorgt ("german army worked in stables, tending horses"). Die Frage nach der Höhe des Entgelts (amount of remuneration) hatte er mit "non" beantwortet. Von Okt. 40 bis Sept. 42 sei er jeden Morgen vom Ghetto Kozienice zur Arbeit an einem Entwässerungskanal in der Nähe von W1, nicht weit vom Ghetto entfernt, gebracht worden - dabei dürfte es sich um W1 Tyrzynska, Kreis Kozienice, gehandelt haben - und habe dort einen Kanal gegraben (" ...was taken out every morning from the Kozienice ghetto to work on an irrigation canal near W1, not far from the Koz. ghetto, digging a canal”). Auch hier war die Frage nach der Höhe des Entgelts mit "non" beantwortet. Von Oktober 1942 bis Juli 1944 habe er in der Munitionsfabrik in Pionki gearbeitet. Fragen nach einem Entgelt für eine von ihm angegebene Beschäftigung als Sicherungswache in einem Lager für sog. displaced persons in den Jahren 1946 und 1947 beantwortete er mit "not remember".
Mit Bescheid vom 29. April 1999 lehnte die Beklagte die Anträge des Klägers vom 30. April 1999 erneut ab, nunmehr mit der Begründung, der Kläger habe nicht zum deutschen Sprach- und Kulturkreis gehört. Dieser Bescheid ist infolge unterbliebener Anfechtung bindend geworden.
Mit Schreiben vom 9. Juli 2002, bei der Beklagten eingegangen am 12. Juli, beantragte der Kläger unter Hinweis auf das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto vom 20. Juni 2002 (BGBl. 2002, 2074 (ZRBG)) erneut Altersrente und machte geltend, er sei im Ghetto mit Lohnzahlung tätig gewesen. Nunmehr gab er an, er habe von 1940 bis Sept. 1942 im Ghetto Kozienice als Hausarbeiter und Waldarbeiter beim deutschen Militär gearbeitet, 1942 in W1/Kozienice an einem Entwässerungsprojekt (irrigation project) und anschließend - ebenfalls noch 1942 - in Pionki in einer Munitionsfabrik. Auf die im Antragsformular vorgedruckte Frage nach Entgelt, wobei anders als noch im ersten Rentenantrag auch nach Entgelt in der Form von Sachbezügen gefragt wurde, gab er an, er könne sich nicht erinnern.
Die Beklagte lehnte diesen Antrag nach Auswertung der Entschädigungsakten mit Bescheid vom 17. Juni 2003 mit der Begründung ab, die Zeit vom Dezember 1940 bis September 1942 in Kozienice könne nicht als Zeit einer Beschäftigung in einem Ghetto anerkannt werden, da es sich um Zwangsarbeit gehandelt habe. Die Tatsache einer Arbeitsleistung im Ghetto Kozienice sei unstrittig. Er habe (jedoch) im Entschädigungsverfahren angegeben, im genannten Zeitraum unter Bewachung zu täglichen Arbeiten im Kanal- und Chausseebau gezwungen worden zu sein. Zwangsarbeit werde vom ZRBG nicht erfasst.
Dem hielt der Kläger in seinem Widerspruch entgegen, die Arbeit am Kanal habe nicht unter ständiger Bewachung stattgefunden. Sie seien lediglich von Aufsehern (supervisor) der Fa. G1 am Ghetto-Eingang abgeholt und zum Arbeitsplatz begleitet worden. Als das Ghetto liquidiert worden sei, hätten sie in einer Baracke auf dem Arbeitsgelände gewohnt. Für seine Arbeit am Kanal habe er wöchentlich Lebensmittel oder Geld erhalten. Er fügte Ablichtungen von Fotografien bei, die angeblich seine Kollegen und ihn bei der Arbeit am Kanal zeigen. Dort sei zu sehen, dass der Aufseher (supervisor) keine Wache (guard) und auch unbewaffnet gewesen sei.
Diese Angaben bestätigte der bereits o. g. S. S1 in seiner vom Kläger eingereichten Zeugenerklärung vom 14. Juli 2003. Der Kläger habe 1940 bis 1942 für die Fa. G1 am Kanal gearbeitet, er - S1 - beim Judenrat. Er bestätigte die Eskorte zum Arbeitsplatz durch Mitarbeiter der Fa. G. und wöchentlich wechselnde Entlohnung in der Form von Lebensmitteln oder Geld.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Sie wies auf den Arbeitszwang für Juden im Generalgouvernement (GG) gem. der Verordnung (VO) vom 26. Oktober 1939 hin. In Ausführung dieser VO hätten sich seinerzeit alle Juden zwischen dem 14. und dem 60 Lebensjahr unverzüglich beim Judenrat zur Erfassung zu melden gehabt. Bei diesem Sachverhalt könne von einer Empfehlung zur freiwilligen Arbeit nicht ausgegangen werden. Aus den Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren ergebe sich, dass er die Arbeit im Ghetto Kozienice nicht aus freiem Willensentschluss habe wählen können
Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger zunächst vorgetragen, er sei von Dezember 1940 bis September 1942 im Ghetto Kozienice gewesen und habe sich zur Verbesserung seiner Lage über den Judenrat eine Tätigkeit als Arbeiter gesucht. Er habe Lohn in der Form von Essen und zusätzlichen Lebensmitteln erhalten. Gegenüber seinem Bevollmächtigten hat er in einem von diesem zur Akte gereichten Schreiben am 17. März 2004 ausgeführt, er sei vom Beginn des Jahres 1940 bis Sept. 1942 im Ghetto Kozienice gewesen. Als das Ghetto errichtet worden sei, habe er zunächst beim deutschen Militär als Hausarbeiter gearbeitet. Später habe er Bäume gefällt. Anschließend sei er von einer polnischen Fa. G1 angestellt worden, die ein Bewässerungssystem ("irrigation" - gemeint ist wohl Entwässerung) im benachbarten Ort W1 errichtet habe. Anschließend habe er drei Monate auf dem Bauernhof in B2 Schafe gehütet. Danach habe er wieder bei der Firma G1 gearbeitet, bis er im Oktober 1942 zur Arbeit in der Munitionsfabrik in Pionki deportiert worden sei. Bei der Arbeit am Kanal habe es sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht um Zwangsarbeit gehandelt, auch wenn es sich um Knochenarbeit gehandelt habe. Niemand habe sie physisch (physically) zur Arbeit gezwungen. Anders als in anderen Ghettos habe man sich nicht bemüht, die Juden durch Androhung von Strafen oder Repressalien zu zwingen, zu bestimmten Zeiten zu erscheinen. Zum anderen sei die Arbeit nicht unter irgendeiner Form bewaffneter Bewachung verrichtet worden und schließlich seien die Juden im Ghetto K. für die Arbeit entlohnt worden (compensated) durch Lebensmittel (Kartoffeln, Brot) oder gelegentlich coupons, mit denen man sich Lebensmittel habe beschaffen können. Insofern habe es sich bei der Arbeit auch wenn sie unter schrecklichen Bedingungen zu minimalem Lohn verrichtet wurde, um freiwillige Arbeit im Austausch gegen Entlohnung gehandelt.
Demgegenüber hat er am 21. März 2005 ausgeführt, er habe unter humanen Bedingungen gearbeitet, er sei nicht geschlagen oder gejagt worden. Dies sei erst später ab Oktober 1942 geschehen. Während seiner Beschäftigung in Kozienice vom Dezember 1940 (bis Sept 1942) habe er freiwillig am Kanal gearbeitet (volunteered) weil es keine Arbeit gab, sei er zum Judenrat gegangen, um Arbeit gegen Bezahlung (Geld, Lebensmittel) zu suchen, und habe eine Position mit Entwässerungsarbeiten erhalten. Das sei keine Zwangsarbeit gewesen. Er habe nicht unter direkter Kontrolle oder Bewachung gestanden; er habe (lediglich) Anweisungen von Aufsehern (supervisors) erhalten.
Die vom Sozialgericht am 10. Februar 2005 an ihn gerichtete schriftliche Anfrage: welche Beschäftigung im Ghetto; wo im Ghetto beschäftigt; wie entlohnt; was habe man im Ghetto kaufen können; Unterkunft zugewiesen oder nach Einkommen wählbar; Umstände, unter denen er ggfalls seine Tätigkeit aufgenommen habe; wurde sie vermittelt – wenn ja: durch wen; hat er selbst um Arbeit nachgesucht; wie war der Tagesablauf - hat der Kläger mit Schreiben vom 5. März 2005 wie folgt beantwortet: Er habe vom Judenrat zugewiesene Arbeit verrichtet, und zwar nicht im Ghetto, nur außerhalb. Als Entlohnung habe er "money, food, ration cards" erhalten. Es habe im Ghetto keine Geschäfte gegeben, nur den Schwarzmarkt. Wohnungen seien vom Judenrat zugewiesen worden ("assigned" - wie die Arbeit). Nach dem Umzug ins Ghetto sei es zunächst noch möglich gewesen, außerhalb des Ghettos einzukaufen. Nach drei Monaten sei es geschlossen worden, so dass sie keinen Zugang zu Lebensmitteln und anderen Dingen des Lebensbedarfs mehr hatten. Deswegen habe er sich an den Judenrat um Arbeit gewandt. Ihm sei eine Arbeit im Militärlager Jezoro am Stadtrand von K. zugewiesen (assigned) worden. Dort sei es seine Aufgabe gewesen, die Pferde zu versorgen und die Ställe in Ordnung zu halten. Danach habe man ihn einem SS-Offizier zugewiesen, dessen Haushalt er geführt habe (vom Kläger selbst als Stubendienst bezeichnet). Dieser habe ihn mit einem Passierschein zum Verlassen des Ghettos ausgestattet. Er habe auch auf einem Bauernhof B2 gearbeitet und die Schafe gehütet. Bezahlt habe man ihn mit Kartoffeln und Lebensmitteln, die er ins Ghetto zurückgebracht habe. Als einige Schafe von der Eisenbahn überfahren wurden, habe man ihn entlassen. Er habe danach durch den Judenrat eine Anstellung bei den Entwässerungsarbeiten am Kanal erhalten. Dort habe er Entlohnung in der Form von Geld, Lebensmitteln und "rations" erhalten. Damit habe seine Schwester beim Bauern Lebensmittel kaufen können. Diese Arbeit habe er vom 1. Januar 1940 bis zum 27. September 1942 (das ist der Tag, an dem das Ghetto geräumt wurde) verrichtet. Sie hätten sich morgens am Ghettoeingang versammelt und seien von dort durch Aufseher oder Ghettopolizei zur Arbeit begleitet worden. Abends seien sie ins Ghetto zurückgekehrt. Als sie nach der Liquidierung des Ghettos im Sept. 1942 nicht mehr dorthin hätten zurückkehren können, habe man sie für ein bis zwei Wochen in einer Baracke auf dem Gelände der Arbeiten untergebracht, wo sie weiterhin ihre Arbeit verrichtet hätten. Danach seien SS-Offiziere gekommen und hätten 3 - 400 Leute zu den ZAL in Skarzysko (Waffen, Kanonen) oder Pionki (Pulverfabrik) mitgenommen. Er sei zur Zwangsarbeit nach Pionki gekommen. In Kozienice habe es kein ZAL gegeben. Zur Veranschaulichung hat er Ablichtungen von Fotografien beigefügt, die nicht erkennen lassen, wann sie angefertigt wurden.
Am 27. September 2005 hat der Kläger ergänzt: Der Bau des Entwässerungskanals sei schon vor der deutschen Besatzung begonnen worden. Nach der Besetzung seien die Juden von den Deutschen gebeten ("asked") worden, ihn freiwillig weiterzubauen. Die Arbeit sei von der Fa G1 beaufsichtigt worden; niemand habe sie bewacht. Er habe in einer Baracke in der Nähe des Kanals gewohnt, als das Ghetto K. liquidiert worden sei. Dann sei die SS gekommen und habe die Arbeiter von den Kanalarbeiten abgezogen und sie zu anderen Lagern gebracht. Er sei in ein Dorf geflüchtet, wo ein Bauer ihn für zwei Tage versteckt habe. Dieser habe ihn danach nach K. zurückgebracht, wo einige Juden geblieben waren, um das Ghetto aufzuräumen (cleaning up). Nach einer Woche habe die polnische Polizei sie nach Radom gebracht, von dort nach Szydlowiec in ein anderes Ghetto. Danach habe man ihn nach Pionki gebracht, wo er Sklavenarbeit ("slave labor") verrichtet habe. Für diese Arbeit begehre er keine Rente. Das Konzept, freiwillige Arbeit der Zwangsarbeit gegenüberzustellen bzw. von ihr abzugrenzen, sei für die Zeit der Nazi-Okkupation während des 2. Weltkrieges lächerlich. Der Judenrat in K. habe ihn registriert, deshalb habe er sich freiwillig um Arbeit bemüht (volunteered). Der Kläger hat in diesem Zusammenhang auf im Wortlaut identische Zeugenerklärungen eines J. F1, wohnhaft in L./N.Y., vom 4. April 2005 und einer E. S2, geb. in K. unter dem Namen R., verwiesen. Beide haben angegeben, der Kläger sei in Kozienice ihr Nachbar und Freund gewesen. Sie hätten mit ihm beim Judenrat in Kozienice Arbeit gesucht und sich zu Entwässerungsarbeiten an den Kanälen gemeldet und dort – in W1 – von 1940 bis 1942 gearbeitet. Es habe sich dabei nicht um Zwangsarbeit gehandelt; es habe keine unmenschliche Behandlung und keine Bewachung durch Bewaffnete gegeben. Einige seiner anderen Zeugen würden sich nicht trauen, sich zu melden. Sie hätten an derselben Stelle dieselbe Arbeit verrichtet. Ihre Ansprüche habe man anerkannt. Sie seien jetzt besorgt, sich zu äußern, weil sie ihre Ansprüche nicht gefährden wollen. Wieso könne man unter diesen Umständen seine Ansprüche bestreiten?
Die Beklagte ist bei ihrer Auffassung verblieben, es sei überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger unfreiwillige Arbeitsleistungen unter Bewachung, also Zwangsarbeiten habe verrichten müssen. Es habe während der fraglichen Zeit in Kozienice ein ZAL gegeben. Aufgrund der zeitnäheren Angaben im Entschädigungsverfahren sei mit großer Sicherheit anzunehmen, dass es sich bei den vom Kläger angegebenen Kanalbauarbeiten um genau die Arbeitseinsätze gehandelt habe, die die Juden aus dem ZAL Kozienice hätten verrichten müssen. Die im Renten- und Klageverfahren angeführten Wald- und Hausarbeiten für die deutsche Wehrmacht im Ghetto K. seien vor dem Hintergrund der abweichenden Angaben im Entschädigungsverfahren nicht glaubhaft macht.
Im April 2006 hat der Kläger ein so genanntes "statement of facts" zur Akte gereicht: Er hat dort zunächst davon berichtet, dass die polnische Regierung schon vor dem Zweiten Weltkrieg in der Nähe von Kozienice - in der Nähe des Dorfes W1 und anderer Dörfer - ein Kanalprojekt ins Leben gerufen habe, um die von der Weichsel ausgehenden Überflutungen zu verhindern und die von ihnen verursachten Schäden zu beseitigen. Die deutschen Besatzer hätten dieses Projekt mit jüdischen Arbeitern aus den Ghetto Kozienice weitergeführt. Die Deutschen hätten im Herbst 1940 das Ghetto Kozienice eingerichtet und einen Judenrat errichtet. Vorsitzender sei H. P. geworden und M1 B. sei der Leiter der Arbeitsabteilung geworden, wodurch er die Macht besessen habe, zu entscheiden, wer im Ghetto arbeiten konnte und wer deportiert wurde. Solange das Ghetto offen gewesen sei, hätten nicht viele Leute am Kanalprojekt gearbeitet, weil noch die Möglichkeit bestanden habe, auf anderen Positionen zu arbeiten. Als das Ghetto geschlossen worden sei, habe es keine andere Wahl gegeben, als Arbeit durch den Judenrat zu suchen. Die Mehrheit der jungen Leute - etwa 3 bis 400 - sei durch den Judenrat zur Arbeit am Kanalprojekt gekommen. Dieses sei von der Firma G1 (G.) betreut worden. Er - der Kläger - habe mit den anderen an sechs Tagen wöchentlich gearbeitet. Sie hätten sich morgens am Ghettoeingang getroffen und seien von der jüdischen Polizei und den Aufsehern der Firma G. zum Kanal begleitet worden. Dabei sei ein Fußweg von etwa 5 km zurückzulegen gewesen. Wenn er wegen schlechter Wetterbedingungen nicht in der Lage gewesen sei, an der Baustelle am Kanal zu arbeiten, habe er im Auftrage des Judenrates andere Aufgaben erfüllt zum Beispiel Schnee schaufeln, Arbeiten in den Ställen etc. Für ihre Arbeit am Kanal hätten sie durch den Judenrat Bezahlung erhalten in der Form von Lebensmittelrationen ("rations"). Er habe an den Kanälen vom Herbst 1940 bis zum Oktober 1942 gearbeitet. Im Juli 1942 habe die Firma G. eine große Baracke in der Nähe der Kanalbaustelle zur Unterbringung ihrer Arbeiter gebaut. Er habe sich dort ab Mitte September für etwa drei bis vier Wochen aufgehalten, um nicht den Weg von der Arbeit zum Ghetto und zurück bewältigen zu müssen. Am 27. September 1942 seien das Ghetto Kozienice liquidiert und die Bewohner nach Treblinka deportiert worden. Er habe bis Mitte Oktober weiter am Kanal gearbeitet. Während seiner Arbeit am Kanal im Oktober habe er von einem Acker in der Nähe Kartoffeln gesammelt. Bei seiner Rückkehr habe er festgestellt, dass alle Arbeiter weg waren und das Kanalprojekt beendet worden war. Er sei allein geblieben.
Im Mai 2006 übersandte das USHMM dem Sozialgericht Ablichtungen von im dortigen Archiv aufgefundenen Tätigkeitsberichten und eines Stimmungsberichtes des Ältestenrates der jüdischen Bevölkerung von Kozienice für den Monat Dezember 1941 und für die Zeit ab Mai 1942 bis August 1942. Im Bericht vom 31. Dezember 1941 heißt es nach der Eingangsbemerkung, der Rat habe im Monat Dezember 1941 seine Tätigkeit in demselben Umfange wie in den Vormonaten fortgesetzt, unter I. wörtlich: " In Betreff des Zwangsarbeitseinsatzes schickte man die jüdischen Arbeitskräfte zu verschiedenen Arbeitsposten wie Entwässerungsarbeiten bei Kozienice " Am Ende des heißt es: "Im Zusammenhang mit (der) Anordnung über die Aufenthaltsbeschränkung der Juden hat der Rat auf Befehl der Behörden am Ende dieses Monats ihre, mit Errichtung des jüdischen Wohnbezirks in Kozienice und mit Umsiedlung außerhalb des Wohnviertels ansässiger Juden, verbundenen und bereits noch in gang werdenden (?) Arbeiten vorgenommen." Im Bericht vom 15. Mai 1942 für die Zeit vom 1. Mai bis 15. Mai 1942 heißt es unter anderem: "In der Berichtsperiode schickte der Rat den Zwangsarbeitseinsatz auf verschiedene Arbeitsposten aus: an die Standortkommandantur K., Gendarmerieposten Kozienice, Wehrmachtsstellen in K., Bauunternehmungen K2 und G2 in J1, Vereinigte Holzindustrie in K., Entwässerungsarbeiten bei den Firmen G. und C1. Für die Beschäftigten jüdischen Arbeiter gewährte der Rat Brot-Zuschüsse". Abschließend heißt es dort (12/1941): "Der Anordnung des Landkreishauptmanns Radom-Land gemäß hat der Rat die Absonderung des jüdischen Wohnviertels durchgeführt. Dadurch ist ein abgesondertes und geschlossenes Stadtviertel entstanden. An den Ecken und in den Mündungen des Viertels stellte man entsprechende Warnungstafeln aus".
Ermittlungen des Sozialgerichts in Polen - Nachfragen an die Archive in Kozienice und in Radom - sind ergebnislos geblieben. Die vom Kläger benannte Zeugin E. S2 hat es ausdrücklich abgelehnt, ihr Einverständnis mit einer Beiziehung ihrer Akte zum Verfahren zu Vergleichszwecken zu erteilen. Gegenüber dem Kläger hat sie erklärt, als Zeugin nicht zur Verfügung zu stehen.
Das Sozialgericht hat die Beklagte durch das Urteil vom 28. Juni 2006 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide dem entsprechend begrenzten Antrag des Klägers folgend verurteilt, dem Kläger Altersrente unter Anerkennung von Beitragszeiten für Beschäftigungen im Ghetto Kozienice vom 1. März 1940 bis 30. November 1940 und vom 1. Februar 1941 bis zum 31. März 1941 sowie von verfolgungsbedingten Ersatzzeiten von 1. Oktober 1939 bis einschließlich Februar 1940, vom 1. Dezember 1940 bis 31. Januar 1941 und vom 1. April 1941 bis 30. April 1947 zu gewähren. Es hat es für überwiegend wahrscheinlich - d. h. glaubhaft - gehalten, dass der Kläger insofern eine Beschäftigung aus freiem Willensentschluss gegen Entgelt im Sinne des ZRBG ausgeübt hat. Bei der Begrenzung der anerkannten Beschäftigung auf die Zeit bis Ende März 1941 hat es sich davon leiten lassen, dass der Kläger und mit ihm übereinstimmend S. S1 im Entschädigungsverfahren angegeben hatten, sie seien Ende März 1941 zum Chausseebau in ein Arbeitslager zwischen K. und Radom abkommandiert worden. Zur Entgeltlichkeit der Tätigkeit hat das Sozialgericht u. a. auch damit argumentiert, dass der Kläger nach den vor Ort geltenden Regeln Anspruch auf Entgelt - 20 v. H. des tariflichen Entgelts für polnische Arbeitnehmer - gehabt habe.
Gegen das ihr am 11. Juli 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26. Juli 2006 Berufung eingelegt. Sie geht unverändert davon aus, dass der Kläger Zwangsarbeit verrichtet habe. Eine Freiwilligkeit der Arbeitsaufnahme sei nach seinen Angaben nicht glaubhaft. Die im weiteren Verfahren gemachten Angaben seien nicht geeignet, die Angaben im Verfahren nach dem BEG zu widerlegen. Es sei nicht nachvollziehbar, wie die teilweise sehr voneinander abweichenden Angaben zustande gekommen seien, die zudem mit größerem Zeitabstand immer detaillierter geworden seien. Den Angaben im Verfahren nach dem BEG komme auch ein größerer Beweiswert zu, da sie zeitnäher gemacht worden seien. Auch die Unterlagen des USHMM seien nicht geeignet, eine freiwillige Beschäftigung des Klägers gegen Entgelt glaubhaft zu machen. Auch der zitierte Bericht des Ältestenrats der Juden in Kozienice spreche vom Zwangsarbeitereinsatz. Es sei zudem nicht wahrscheinlich, dass bei den Flussregulierungsarbeiten in der Umgebung von Kozienice neben Häftlingen aus dem Zwangsarbeitslager auch Arbeitskräfte aus dem Ghetto auf der Basis eines freiwilligen Beschäftigungsverhältnisses gegen Entgelt dieselbe Arbeit verrichtet haben. Sie gehe vielmehr davon aus, dass auch die Arbeitskräfte aus dem Ghetto im Rahmen eines Zwangsarbeitsverhältnisses beschäftigt worden seien. Sie könne sich auch der Schlussfolgerung des Sozialgerichts Hamburg, eine Entgeltlichkeit der Tätigkeit sei überwiegend wahrscheinlich, nicht anschließen. Im Verfahren nach dem BEG habe der Kläger keine Angaben zur Entgeltlichkeit gemacht. Es ergäben sich aus der Akte keine Hinweise, dass dem Kläger unmittelbar oder durch Auszahlung über Dritte Entgelt beziehungsweise Sachbezüge in nicht nur geringem Umfang zugeflossen seien. Selbst wenn man als glaubhaft gemacht ansehe, dass der Kläger für eine gewisse Zeit während des zwangsweisen Aufenthalts im Ghetto Kozienice eine freiwillig aufgenommene Tätigkeit verrichtet habe, sei davon auszugehen, dass er nur eine geringfügige Entlohnung in Form von Sachbezügen erhalten habe. Dies reiche nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Annahme der Entgeltlichkeit im Sinne des ZRBG nicht aus. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts reiche das bloße Bestehen eines Entgeltsanspruchs nicht aus, um einen tatsächlichen Zufluss zu dokumentieren beziehungsweise eine Entgeltlichkeit im Sinne des ZRBG glaubhaft zu machen. Es könne deshalb nicht auf sich beruhen, ob der Kläger den ihm zustehenden Lohn tatsächlich erhalten habe. Im Hinblick auf die historischen Gegebenheiten könnten Beschäftigungsverhältnisse von Arbeitern im Ghetto nicht automatisch mit Beschäftigungsverhältnissen außerhalb des Ghettos Arbeitender gleichgestellt werden. Insofern könne auch nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass ordnungsgemäß Beiträge zur Rentenversicherung auch für Arbeiten im Ghetto einbehalten worden seien. Allein vom Vorhandensein einer Lohnverordnung könne nicht darauf geschlossen werden, dass diese auch angewandt worden sei. Es habe unterschiedliche Umsetzungen in einzelnen Gebieten gegeben. Darüber hinaus sei auch zu differenzieren, ob es sich um öffentliche oder private Arbeitgeber gehandelt habe. Zudem sei die Auszahlung der Löhne oft nicht an die Arbeiter, sondern zum großen Teil an den Judenrat erfolgt. Dieser wiederum habe die Löhne im Rahmen seiner gemeinschaftlichen Verpflichtungen in der Regel an die Ghettobewohner verteilt. Auch widerspreche die Argumentation des Sozialgerichts der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die gerade zur Erfüllung der Voraussetzungen des ZRBG ein Entgelt verlange, dass die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung begründe, und nicht umgekehrt das Entgelt aus einer fiktiven Versicherungspflicht ableite. Die von der Gegenseite herangezogenen Gutachten zu den Verhältnissen im Generalgouvernement (GG), insbesondere zur Beschäftigung der Juden, geben nach Auffassung der Beklagten keinen Anlass zu einer anderen, für den Kläger günstigeren Beurteilung des Sachverhalts.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. Juni 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. Juni 2006 zurückzuweisen
Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Beschäftigung sei hier gegen Entgelt ausgeübt worden, denn für die im GG beschäftigten Juden habe es einen Lohnanspruch gegeben, der um 20 vom 100 unter den Gehaltsansprüchen polnischer Arbeiter gelegen habe. Er stellt umfassend die Entwicklung der Heranziehung der Juden im GG zur Arbeit und der dazu ergangenen Regelungen dar und verweist in diesem Zusammenhang auf das bekannte Gutachten des Dr. G3 sowie das in den vor dem LSG Nordrhein-Westfalen anhängigen Verfahren L 8 R 134/06 und L 8 R 64/07 für das LSG NRW erstattete Gutachten des Dr. S3 L1, G4, vom 23. November 2008 über die Arbeitsverwaltung im GG.
Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift aufgeführten Akten verwiesen, die Gegenstand der Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft (§ 144 Abs. 1 Ziff. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -), form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch sonst zulässig. Streitgegenstand ist nach der entsprechenden Begrenzung der Klage der - ihm vom Sozialgericht zuerkannte - Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente auf der Grundlage von Beitragszeiten für Beschäftigungen im Ghetto Kozienice vom 1. März 1940 bis 30. November 1940 und vom 1. Februar 1941 bis zum 31. März 1941 sowie von verfolgungsbedingten Ersatzzeiten von 1. Oktober 1939 bis einschließlich Februar 1940, 1. Dezember 1940 bis 31. Januar 1941 und vom 1. April 1941 bis 30. April 1947.
Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 17. Juni 2003 verurteilt, dem Kläger eine Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zu gewähren, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf eine solche Rente.
Nach § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung haben Versicherte Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) erfüllt haben. Auf die allgemeine Wartezeit werden Beitragszeiten und Ersatzzeiten angerechnet (§ 51 Abs. 1 und 4 SGB VI). Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB VI). Pflichtbeitragszeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung hat der Kläger nicht zurückgelegt. Er hat solche Zeiten weder behauptet noch gibt es für sie irgendeinen Anhalt.
Der Kläger hat aber auch keine Zeiten zurückgelegt, für die Pflichtbeiträge im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI als gezahlt gelten, nämlich keine fiktiven Beitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung nach § 2 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 ZRBG. Hiernach wird die Zahlung von Beiträgen fingiert, wenn ein Verfolgter sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten hat, dort aus eigenem Willensentschluss eine Beschäftigung aufgenommen, diese Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt und das Ghetto sich in einem Gebiet befunden hat, das vom Deutschen Reich besetzt oder in dieses eingegliedert war. Die Voraussetzungen für die Fiktion einer Beitragsentrichtung müssen glaubhaft gemacht werden. Dies folgt aus § 1 Abs. 2 ZRBG, wonach die Vorschriften des ZRBG die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) ergänzen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 WGSVG ist eine Tatsache glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Dass der Kläger so genannte Ghetto-Beitragszeiten zurückgelegt hat, ist indes - anders als das Sozialgericht meint - nicht überwiegend wahrscheinlich.
Der Kläger ist zwar nach den im Entschädigungsverfahren getroffenen Feststellungen, deren Richtigkeit zu bezweifeln keine Veranlassung besteht, Verfolgter im Sinne des BEG. Die übrigen für die Feststellung einer Ghettobeitragszeit erforderlichen Tatsachen sind hingegen nicht glaubhaft gemacht.
Zweifelhaft ist schon, wann das Ghetto Kozienice eingerichtet wurde. Der vom Sozialgericht auf die Internetquelle www.keom.de (Karl Ernst Osthaus Museum) gestützten und von www. deathcamps.org bestätigten Annahme, das Ghetto sei 1. Januar 1940 eingerichtet worden, steht gegenüber, dass den vom USHMM übersandten Unterlagen des "Ältesten-Rates der jüdischen Bevölkerung von Kozienice" zufolge ein abgegrenzter jüdischer Wohnbezirk dort erst Ende 1941 eingerichtet worden ist. Die Internetquelle www.jewishgen.org (Jüdische Genealogie) mit zahlreichen Datenbanken, u. a. auch mit einer vom USHMM zur Verfügung gestellten Aufstellung der Namen von über 4000 Bewohnern des Ghettos Kozienice (www. jewishgen.org/databases/holocaust/0096 Kozienice.html) nennt als Zeit der Einrichtung des Ghettos Kozienice den Herbst 1940. Unter der Internetadresse www.ushmm.org mit den Suchworten kozienice ghetto einsehbare Biografien ehemaliger Bewohner von Kozienice enthalten diesbezüglich ebenso unterschiedliche Angaben (Ende 1939 - November 1940), wie die oben wiedergegebenen Ausführungen des Klägers: Während er im Februar 1956 versichert hatte, sie seien Ende 1939 in das dortige Ghetto (Kozienice) eingewiesen worden, das kurz darauf abgeschlossen worden sei, führte er im April 2006 aus, die Deutschen hätten im Herbst 1940 das Ghetto in Kozienice eingerichtet und einen Judenrat gebildet. Auch die vom Kläger im Entschädigungsverfahren vorgelegten Erklärungen der Zeugen S. S1 und I. K1 ergeben insofern kein einheitliches Bild: Während S. S1 im März 1956 (unter Eid) versicherte, seit Anfang 1940 seien sie gemeinsam (d.h. mit dem Kläger) im Ghetto Kozienice inhaftiert gewesen, gab I. K1 in seiner ebenfalls vor dem Notar beschworenen Erklärung vom 1. Mai 1956 an, er könne bestätigen, dass der Kläger mit allen anderen Juden der Stadt Kozienice Ende 1940 in das dortige Ghetto ausgesiedelt worden sei. Auch die von der Entschädigungsbehörde zu Vergleichszwecken herangezogenen und zitierten Angaben des S. S1 und des I. K1 in ihren eigenen Entschädigungsverfahren tragen nicht zur Klärung bei. Demnach hat S. S1 die folgenden Angaben gemacht: Zwangsarbeit Kozienice 12/39 bis 1941, Ghetto Kozienice 1941 bis 1942, während I. K1 angab: Januar 1941 bis September 1942 Ghetto Kozienice. Was das Sozialgericht veranlasst hat, trotz dieser uneinheitlichen Angaben bei seiner Entscheidung von einer Einrichtung des Ghettos zu Beginn des Jahres 1940 auszugehen, lässt sich seinen Ausführungen nicht entnehmen; es hat diese Unterschiede dort nicht erörtert.
Steht man auf dem Standpunkt, dass diese Differenzen allein dem vom Kläger verfolgten Anspruch wegen der in der Rechtsprechung umstrittenen Frage nach den spezifischen Merkmalen eines Ghettos im Sinne des § 1 ZRBG nicht entgegenstehen, so sind doch seine Angaben zum Beginn seines Aufenthalts im Ghetto und zu Beginn und Inhalt seiner Tätigkeit(-en) während der strittigen Zeit zu widersprüchlich, als dass der Senat eine nach Beginn und Inhalt bestimmte Arbeit des Klägers für überwiegend wahrscheinlich halten und an den Maßstäben des ZRBG messen, insbesondere der Annahme des Sozialgerichts folgen könnte, dass der Kläger während der strittigen Zeit Kanal- bzw. Entwässerungsarbeiten im Bereich W1, nordöstlich von Kozienice verrichtet hat. Diese Tätigkeit hat der Kläger seinen ersten Angaben zufolge im Januar 1940 begonnen, nach späteren erst im Laufe des Jahres 1940 bzw. im Oktober 1940, im Jahre 1942, im Dezember 1940, dann wieder ab Januar 1940 und schließlich wieder ab Herbst 1940; während der strittigen Zeiträume will er einmal beim Kanalbau in der Nähe von W1 gearbeitet haben; ein anderes Mal gab er an, er habe in diesen Zeiträumen im Ghetto Kozienice als Hausarbeiter und Waldarbeiter beim deutschen Militär gearbeitet. Diese Tätigkeit hatte er zuvor für den Zeitraum September 1939 bis Oktober 1940 angegeben:
Februar 1956: Mit allen (Juden aus Kozienice) von Januar 1940 bis März 1941 beim Kanalbau in der Nähe eines Dorfes W1, wohin sie täglich unter Bewachung geführt worden seien.
Ende 1998/Anfang 1999: 9/39 bis 10/40 habe er für das deutsche Militär gearbeitet und Pferde versorgt ("german army worked in stables, tending horses"). Von Okt. 40 bis Sept. 42 sei er jeden Morgen vom Ghetto Kozienice zur Arbeit an einem Entwässerungskanal in der Nähe von W1, nicht weit vom Ghetto entfernt - gebracht worden. Die Frage nach der Höhe des Entgelts (amount of remuneration) hatte er für beide Tätigkeiten mit "non" (= keine(-s)) beantwortet.
9. Juli 2002: Er sei im Ghetto Kozienice mit Lohnzahlung tätig gewesen und habe von 1940 bis Sept. 1942 im Ghetto K. als Hausarbeiter und Waldarbeiter beim deutschen Militär gearbeitet, 1942 in W1/Kozienice an einem Entwässerungsprojekt (irrigation projekt), und anschließend - ebenfalls noch 1942 - in Pionki in einer Munitionsfabrik.
17. März 2004: Er sei vom Beginn des Jahres 1940 bis Sept. 1942 im Ghetto K. gewesen. Als das Ghetto errichtet worden sei, habe er zunächst beim deutschen Militär als Hausarbeiter gearbeitet. Später habe er Bäume gefällt. Anschließend sei er von einer polnischen Fa. G1 angestellt worden, die ein Bewässerungssystem (wohl Entwässerung (irrigation) gemeint) im benachbarten Ort W1 errichtet habe. Anschließend habe er drei Monate auf dem Bauernhof in B2 Schafe gehütet. Danach habe er wieder bei der Firma G1 gearbeitet, bis er im Oktober 1942 zur Arbeit in der Munitionsfabrik in Pionki deportiert wurde.
21. März 2005: Während seiner Beschäftigung in K. vom Dezember 1940 (bis Sept 42) habe er freiwillig am Kanal gearbeitet ("volunteered"). Weil es keine Arbeit gab, sei er zum Judenrat gegangen, um Arbeit gegen Bezahlung (Geld, Lebensmittel) zu suchen, und habe eine Position mit Entwässerungsarbeiten erhalten.
5. März 2005: Er habe danach durch den Judenrat eine Anstellung bei den Entwässerungsarbeiten am Kanal erhalten. Dort habe er Entlohnung in der Form von Geld, Lebensmitteln und "rations" erhalten. Damit habe seine Schwester beim Bauern Lebensmittel kaufen können. Diese Arbeit habe er vom 1.1.40 bis zum 27.9.42 (das ist der Tag, an dem das Ghetto geräumt wurde) verrichtet.
April 2006: Er habe an den Kanälen vom Herbst 1940 bis zum Oktober 1942 gearbeitet.
Es lässt sich nicht nachvollziehen, was das Sozialgericht bewogen hat, es trotz dieser wechselnden Angaben zum Beginn der Arbeiten des Klägers am Entwässerungskanal für glaubhaft gemacht, d. h. für überwiegend wahrscheinlich zu halten, dass dies (schon) im März 1940 der Fall war, denn es hat zu den aufgezeigten Differenzen Ausführungen nicht gemacht. Das Sozialgericht hätte dazu die Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren wegen des geringsten zeitlichen Abstandes zu den Ereignissen in Kozienice für maßgeblich erklären können, hat sich aber stattdessen auch auf die Angaben des Klägers im ersten Rentenverfahren gestützt, er habe für die Wehrmacht gearbeitet, dabei aber die dazu gemachten zeitlichen Eingrenzungen unberücksichtigt gelassen, denen zufolge die Arbeit bei der Wehrmacht bis in den Herbst 1940 reichte - seinen Angaben im zweiten Rentenantrag zufolge sogar bis 1942. Zeugen, die insoweit näheren Aufschluss geben könnten, stehen den Angaben des Klägers zufolge nicht zur Verfügung.
Unterstellt man auf der Grundlage der Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren, dass er während der gesamten strittigen Zeit vom Ghetto Kozienice aus Kanalarbeiten in W1 ausgeübt hat, so ist doch zweifelhaft und jedenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich, ob bzw. dass er diese Arbeiten im Sinne von § 1 ZRBG aus freiem Willensentschluss aufgenommen hat.
Das Merkmal des Zustandekommens aus eigenem Willensentschluss soll die zur Fiktion einer Beitragszeit führende Beschäftigung im Sinne des ZRBG von der Zwangsarbeit im Ghetto bzw. aus dem Ghetto heraus abgrenzen. Allerdings ist dieses Merkmal im ZRBG selbst nicht definiert. Hinweise zur Abgrenzung lassen sich aber der Zusammenschau mit dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 2. August 2000 (BGBl I 1263 – Zwangsarbeiter-Stiftungsgesetz) entnehmen. Nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 dieses Gesetzes ist unter anderem derjenige leistungsberechtigt, der in einem Ghetto inhaftiert war und zur Arbeit gezwungen wurde. Demgegenüber sollte das ZRBG denjenigen Ghetto-Insassen zur Anerkennung von Beitragszeiten verhelfen, die in der Zwangssituation des Ghettos einer entlohnten Beschäftigung nachgingen, um überleben zu können (vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/233, S. 23281). Insoweit sollten die Kriterien aufgegriffen werden, die in der Rechtsprechung vor Erlass des ZRBG zur Abgrenzung nicht versicherungspflichtiger Zwangsarbeit (vgl. BSG 14.07.1999 - B 13 RJ 71/98 R, SozR 3-5070 § 14 Nr. 3) von versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen in den besetzten Gebieten entwickelt wurden. Diese Rechtsprechung kann daher auch hier zur Abgrenzung herangezogen werden. Hiernach ist kennzeichnend für ein freies Beschäftigungsverhältnis, dass auf Seiten des Arbeitnehmers und auf Seiten des Arbeitgebers jeweils eigene Entschlüsse zur Beschäftigung vorliegen und auszutauschende Werte – Arbeitsleistung einerseits und das dafür zu zahlende Entgelt andererseits – einander gegenüber stehen, wobei vorbehaltlich eines gewissen Mindestumfanges der Entlohnung weder fehlende Äquivalenz der sich gegenüberstehenden Leistungen noch unter den besonderen Umständen des Ghettoaufenthalts die Beschränkung des Beschäftigten in seiner Freizügigkeit der Annahme eines "freien" Beschäftigungsverhältnisses grundsätzlich entgegenstehen (BSG 18.06.1997 - 5 RJ 66/95, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 15 – Ghetto Lodz). In gleichem Maße wie das Beschäftigungsverhältnis von hoheitlichem Zwang überlagert wird, nähert es sich der Zwangsarbeit an, so dass die Entscheidung zur Abgrenzung für jeden Einzelfall gesondert zu treffen ist (vgl. BSG 14.07.1999 - B 13 RJ 71/98 R, SozR 3-5070 § 14 Nr. 3).
Gemessen an diesen Maßstäben ist hier von der Aufnahme einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss nicht auszugehen.
Schon die vom Kläger diesbezüglich verwendete uneinheitliche Terminologie spricht jedenfalls nicht dafür und lässt auch die gegenteilige Deutung zu, denn neben dem von ihm verwendeten zur freiwilligen Arbeitsaufnahme passenden englischen Begriff "volunteered" ist in einer vermutlich auf seine Angaben zurückgehenden Kurzbiografie für das USHMM der zur Aufnahme der Arbeit am Kanal führende Vorgang zuletzt - angesichts der vom Kläger geäußerten Kritik an der Differenzierung zwischen "freiwillig" und "erzwungen" in Kenntnis der Problematik - umschrieben mit dem englischen Begriff "conscripted", der das Einziehen zum Militärdienst oder auch zur erzwungenen Arbeit beschreibt: (to conscript = to enroll for compulsory (zwingenden) service in the armed forces. d. h. jemanden einziehen; oder im Sinne von to draft = to force (zwingen) labor (Arbeit), capital Kapital), etc. into service for the government, d. h. Arbeit oder Kapital in den Dienst der Regierung zwingen). In diese Richtung deutet auch der oben wiedergegebene, vom USHMM in Ablichtung übersandte Bericht des Ältestenrates der jüdischen Bevölkerung in Kozienice vom 31. Dezember 1941 für den Monat Dezember 1941, insbesondere sein Abschnitt I. Für eine erzwungene Aufnahme einer Arbeit am Kanal spricht des weiteren der Umstand, dass der Internetquelle www.deathcamps.org/occupation/districts/disradom zal.htm zufolge von Anfang 1940 bis Oktober 1942 und damit auch während der fraglichen Zeiträume in Kozienice ein Arbeitslager bestanden hat, dessen Insassen u. a. zu Flussregulierungsarbeiten herangezogen wurden. Der Senat hält es mit der Beklagten für wenig wahrscheinlich, dass bei den Flussregulierungsarbeiten in der Umgebung von Kozienice neben Häftlingen aus dem Zwangsarbeitslager auch Arbeitskräfte aus dem Ghetto auf der Basis eines freiwilligen Beschäftigungsverhältnisses gegen Entgelt dieselbe Arbeit verrichtet haben. Er hält es vielmehr für nicht unwahrscheinlich, dass auch die Arbeitskräfte aus dem Ghetto im Rahmen eines Zwangsarbeitsverhältnisses beschäftigt worden seien. In diese Richtung weisen auch die Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren, denen zufolge alle Bewohner des Ghettos Kozienice beim Kanalbau sogleich nach der deutschen Besetzung in der Nähe eines Dorfes W1 hätten arbeiten müssen und täglich unter Bewachung dorthin geführt worden seien. Von einer Arbeitssuche des Klägers, von seiner Vermittlung in diese Arbeit durch den Judenrat war dort nicht die Rede.
Auch die historischen Forschungen deuten darauf hin, dass der Kläger schon kurz nach der Besetzung zu Wasserbauarbeiten gepresst wurde. Wie in allen Distrikten des Generalgouvernements führte auch im Distrikt Radom die Wasserwirtschaftsverwaltung Großprojekte durch, für die Tausende von Zwangsarbeitern benötigt und auch beschäftigt wurden. Hierfür richtete die Wasserwirtschaftsinspektion allein in Tschenstochau bereits im Mai 1940 vier Arbeitslager ein (vgl. Seidel, Deutsche Besatzungspolitik in Polen 1939 – 1945, Der Distrikt Radom, Seite 262). Hiernach ist davon durchaus möglich, dass der Kläger für die Arbeiten am Kanal in einem dieser kleinen Lager interniert wurde.
In diese Richtung weist schließlich auch der Umstand, dass der Kläger in seinem ersten Rentenantrag 1998 die Frage nach einem Entgelt für die dort angegebene Tätigkeit am Kanal eindeutig verneint hat. Dies hat umso höhere Bedeutung, als er in demselben Antrag Fragen nach Entgelt für spätere Beschäftigungen dahin beantwortet hatte, er könne sich nicht erinnern. Angesichts dieser klaren Antwort ist sein späterer Vortrag, er habe für die von ihm geleistete Arbeit Lebensmittel (Kartoffeln, Brot) oder gelegentlich coupons bzw. als Entlohnung "money, food, ration cards" erhalten, unglaubwürdig, zumal er zwischenzeitlich - im zweiten Rentenantrag 2002 - auf die Frage nach Entgelt - auch in der Form von Sachbezügen (payment in kind, e. g. board, lodging etc) erwiderte, er könne dies nicht erinnern.
Aus dem oben genannte Gutachten des Dr. L1 lässt sich zugunsten des Klägers nichts Entscheidendes ableiten. Es ist unbestritten, dass es verschieden Formen der Beschäftigung der Juden im GG gab, darunter auch eher "freiwillige" Beschäftigungen. Abgesehen davon, dass seine Aussage, die Juden seien - von einigen wenigen abgesehen - freiwillig tätig gewesen, nahezu verharmlosend klingt, besagt sie nichts für die Frage, ob dies denn - trotz der von diesem verwendeten Begriffe - auch beim Kläger der Fall war. Es können zugunsten des Klägers auch keine Ersatzzeiten auf die Wartezeit angerechnet werden. Zwar gehört er als Verfolgter zu dem Personenkreis, der den Ersatzzeittatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI erfüllen kann. Jedoch setzt die Anrechnung dieser Ersatzzeiten voraus, dass der betreffende Verfolgte "Versicherter" ist. Versichert im Sinne dieser Vorschrift ist aber nur derjenige, für den wenigstens ein Beitrag zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung wirksam gezahlt worden ist oder als entrichtet gilt. Daran Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil hierfür eine Veranlassung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht bestanden hat.
Tatbestand:
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente unter Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten sowie von Ersatzzeiten.
Der am XX.XXXXXXXXXX 1922 in K., Polen (W. M., während der deutschen Besatzung Distrikt Radom) als Sohn jüdischer Eltern geborene Kläger lebt, nachdem er 1947 aus Deutschland, wo er zuletzt im DP-Lager F. untergebracht war, über P. nach Panama ausgewandert war, seit 1955 in den USA, deren Staatsangehörigkeit er seit 1962 besitzt. Er bezieht eine Altersrente aus der dortigen Rentenversicherung aufgrund von Beiträgen, die er für die Jahre von 1955 bis 1990 entrichtet hatte. Gegenwärtig ist er dort ehrenamtlich für das USHMM tätig.
Er wurde als rassisch Verfolgter nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anerkannt und erhielt bzw. erhält Entschädigungen für Schaden an Gesundheit und an Freiheit. So erkannte ihm das Bayrische Landesentschädigungsamt im November 1957 in einem vor dem Landgericht München I geschlossenen Haftentschädigungsvergleich eine Entschädigung in Höhe von 8.700 DM für eine Freiheitsentziehung bzw. Freiheitsbeschränkung von 58 vollen Monaten zu. Im zugrundeliegenden Antrag vom 18. August 1955 hatte der Kläger den Schaden an Freiheit wie folgt spezifiziert: • Ghetto Kozienice von Sept. 1939 bis April 1940 • ZAL (Zwangsarbeitslager) Pionki April 1940 bis Sommer 1944 • Anschließend KZ-Zeiten bis Jan. 45 – insgesamt 64 volle Monate
In seiner vor dem Notar beschworenen, gleichwohl als eidesstattlich bezeichneten Versicherung (EV) vom 29. Februar 1956 hatte der Kläger ausgeführt: Die Deutschen seien kurz nach Ausbruch des Krieges nach Kozienice gekommen. Sie - die Juden - hätten sogleich die Armbinde tragen und Zwangsarbeiten leisten müssen. Ende 1939 seien sie in das dortige Ghetto eingewiesen worden. Kurz darauf sei das Ghetto abgeschlossen worden. Im Ghetto hätten etwa 9000 Personen gelebt. Der Judenälteste habe M1 B. geheißen. Sie hätten alle beim Kanalbau in der Nähe eines Dorfes W1 arbeiten müssen und seien täglich unter Bewachung dorthin geführt worden. Er - der Kläger - habe dort von Januar 1940 bis März 1941 gearbeitet. Alsdann habe man ihn in ein Zwangsarbeitslager zwischen Radom und Kozienice gebracht, dessen Namen er nicht erinnern könne. Dort hätten sich etwa 2000 Personen befunden, Juden und Nichtjuden und an einer Chaussee gearbeitet. Er habe dort bis Januar 1942 gearbeitet. Wegen der unerträglichen Lebensbedingungen habe er mit einer Gruppe von acht oder neun Männern einen Fluchtversuch unternommen, der aber gescheitert sei.
Er legte des Weiteren eine EV des S. S1 (wohnhaft in T./ Maryland) vom 6. März 1956 und eine EV des I. K1 (wohnhaft in B1) vom 1. Mai 1956 vor, beide beschworen vor dem notary public. S. S1 führte dort aus: Er sei mit dem Kläger in Kozienice aufgewachsen und zur Schule gegangen. Seit etwa Anfang 1940 seien sie gemeinsam im Ghetto Kozienice inhaftiert gewesen. Es sei ein Judenrat gegründet worden, Der Judenälteste habe B. geheißen. Sie hätten beim Kanalbau außerhalb des Ghettos zusammengearbeitet. Sie seien täglich unter Bewachung dorthin geführt und wieder zurückgebracht worden. Im Frühling 1941 seien sie zum Chausseebau zwischen Radom und Kozienice abkommandiert worden. Sie seien in einem Arbeitslager untergebracht worden, wo sich etwa 2000 Juden und Nichtjuden befunden hätten. Im Januar 1942 habe eine Gruppe von Männern, darunter auch der Kläger, einen Fluchtversuch aus diesem Lager unternommen, der jedoch misslungen sei. Der Kläger sei dabei angeschossen worden und habe einige Zeit im Krankenhaus in Pionki liegen müssen. I. K1 machte die folgenden Angaben: Er kenne den Kläger seit frühester Kindheit und wisse und könne bestätigen, dass er zusammen mit allen anderen Juden der Stadt Kozienice Ende 1940 in das dortige Ghetto ausgesiedelt worden sei und außerhalb des Ghettos Zwangsarbeitern beim Kanalbau und später beim Chausseebau habe ausführen müssen. Im Frühjahr 1942 habe der Kläger zusammen mit einigen anderen einen (erfolglosen) Fluchtversuch unternommen und sei dabei durch einen Schuss verletzt worden. Man habe ihn ins Arbeitslager Pionki gebracht.
In seinem eigenen beim Landesamt für Wiedergutmachung in Stuttgart durchgeführten Entschädigungsverfahren hat der Zeuge S1 nach Auskunft dieser Behörde die folgenden Angaben gemacht: Zwangsarbeit Kozienice 12/39 bis 1941, Ghetto Kozienice 1941 bis 1942, Zwangsarbeitslager Pionki 1942 bis 1944
Die Angaben des Zeugen I. K1 für diesen Zeitraum in seinem Entschädigungsverfahren lauten: Januar 1941 bis September 42 Ghetto Kozienice, September 42 bis Juni 44 ZAL in Pionki
Auf seinen 1958 gestellten Antrag hin erhielt der Kläger durch den am 28. September 1961 vereinbarten Vergleich eine Entschädigung für Schaden an Gesundheit in der Form einer Rente für eine schädigungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 40 – 49 v. H. Im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren hatte er zu seinen Lebensverhältnissen während der deutschen Besatzung ausgeführt, er habe sich im Jahre 1943 im ZAL Pionki für sechs Wochen wegen eines Beindurchschusses im Lagerspital aufgehalten. I. K1 hatte in einer EV vom 27. Oktober 1958 angegeben, während der Verfolgungszeit seien sie auch zusammen in einem Arbeitslager außerhalb des Ghettos Kozienice beim Chausseebau beschäftigt gewesen; auch Kanalbauarbeiten hätten sie dort ausgeführt. Von dort habe der Kläger zusammen mit einigen Mithäftlingen einen Fluchtversuch unternommen. Er sei dabei durch einen Schuss ins Bein verletzt und deswegen im Lazarett des AL Pionki behandelt worden.
S. S1 hatte im Oktober 1958 in einer beschworenen Erklärung versichert, der Kläger und er seien beide zusammen ins Ghetto Kozienice und dann (Angaben zum Zeitpunkt wurden nicht gemacht) in ein Arbeitslager zwischen Radom und Kozienice gekommen, wo sie zum Chausseebau abkommandiert worden seien. Nach einem erfolglosen Fluchtversuch im Jan. 1942 habe der Kläger einige Zeit im Krankenhaus in Pionki verbracht; er habe ihn im AL Pionki wiedergesehen.
In seiner EV vom 26. Februar 1960 machte der Kläger folgende Angaben: Während der Verfolgungsjahre sei er in folgenden Orten resp. Lagern inhaftiert gewesen: Ghetto Kozienice, ZAL zw. Radom u. Kozienice (jeweils ohne Zeitangabe), ZAL Pionki
Dr. C. G., Washington, gab in seinem Gutachten vom Oktober 1960 die Vorgeschichte nach den Angaben des Klägers wie folgt wieder: 1940 - 42 mit Unterbrechungen Ghetto Kozienice, dann bis etwa 1944 Zwangsarbeiten in Pionki, Beindurchschuss bei Fluchtversuch 1943; im Gutachtenteil heißt es dann: von 1943 an im Alter von 22 Jahren schwere Zwangsarbeiten.
Einen ersten Rentenantrag des Klägers vom 30. April 1998 - verbunden mit einem Antrag auf Zulassung zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach dem 2. Zusatzabkommen zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über Soziale Sicherheit (DASVA) - lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. Februar 1999 wegen unterlassener (weiterer) Mitwirkung des Klägers ab. Dieser erhob Widerspruch, holte die von der Beklagten geforderte Mitwirkung im Februar 1999 nach und gab die folgende Aufstellung seiner Beschäftigungen zur Akte: Bis 1939 Hilfe im Betrieb des Vaters (Schuhfabrik); 9/39 bis 10/40 habe er für das deutsche Militär gearbeitet und Pferde versorgt ("german army worked in stables, tending horses"). Die Frage nach der Höhe des Entgelts (amount of remuneration) hatte er mit "non" beantwortet. Von Okt. 40 bis Sept. 42 sei er jeden Morgen vom Ghetto Kozienice zur Arbeit an einem Entwässerungskanal in der Nähe von W1, nicht weit vom Ghetto entfernt, gebracht worden - dabei dürfte es sich um W1 Tyrzynska, Kreis Kozienice, gehandelt haben - und habe dort einen Kanal gegraben (" ...was taken out every morning from the Kozienice ghetto to work on an irrigation canal near W1, not far from the Koz. ghetto, digging a canal”). Auch hier war die Frage nach der Höhe des Entgelts mit "non" beantwortet. Von Oktober 1942 bis Juli 1944 habe er in der Munitionsfabrik in Pionki gearbeitet. Fragen nach einem Entgelt für eine von ihm angegebene Beschäftigung als Sicherungswache in einem Lager für sog. displaced persons in den Jahren 1946 und 1947 beantwortete er mit "not remember".
Mit Bescheid vom 29. April 1999 lehnte die Beklagte die Anträge des Klägers vom 30. April 1999 erneut ab, nunmehr mit der Begründung, der Kläger habe nicht zum deutschen Sprach- und Kulturkreis gehört. Dieser Bescheid ist infolge unterbliebener Anfechtung bindend geworden.
Mit Schreiben vom 9. Juli 2002, bei der Beklagten eingegangen am 12. Juli, beantragte der Kläger unter Hinweis auf das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto vom 20. Juni 2002 (BGBl. 2002, 2074 (ZRBG)) erneut Altersrente und machte geltend, er sei im Ghetto mit Lohnzahlung tätig gewesen. Nunmehr gab er an, er habe von 1940 bis Sept. 1942 im Ghetto Kozienice als Hausarbeiter und Waldarbeiter beim deutschen Militär gearbeitet, 1942 in W1/Kozienice an einem Entwässerungsprojekt (irrigation project) und anschließend - ebenfalls noch 1942 - in Pionki in einer Munitionsfabrik. Auf die im Antragsformular vorgedruckte Frage nach Entgelt, wobei anders als noch im ersten Rentenantrag auch nach Entgelt in der Form von Sachbezügen gefragt wurde, gab er an, er könne sich nicht erinnern.
Die Beklagte lehnte diesen Antrag nach Auswertung der Entschädigungsakten mit Bescheid vom 17. Juni 2003 mit der Begründung ab, die Zeit vom Dezember 1940 bis September 1942 in Kozienice könne nicht als Zeit einer Beschäftigung in einem Ghetto anerkannt werden, da es sich um Zwangsarbeit gehandelt habe. Die Tatsache einer Arbeitsleistung im Ghetto Kozienice sei unstrittig. Er habe (jedoch) im Entschädigungsverfahren angegeben, im genannten Zeitraum unter Bewachung zu täglichen Arbeiten im Kanal- und Chausseebau gezwungen worden zu sein. Zwangsarbeit werde vom ZRBG nicht erfasst.
Dem hielt der Kläger in seinem Widerspruch entgegen, die Arbeit am Kanal habe nicht unter ständiger Bewachung stattgefunden. Sie seien lediglich von Aufsehern (supervisor) der Fa. G1 am Ghetto-Eingang abgeholt und zum Arbeitsplatz begleitet worden. Als das Ghetto liquidiert worden sei, hätten sie in einer Baracke auf dem Arbeitsgelände gewohnt. Für seine Arbeit am Kanal habe er wöchentlich Lebensmittel oder Geld erhalten. Er fügte Ablichtungen von Fotografien bei, die angeblich seine Kollegen und ihn bei der Arbeit am Kanal zeigen. Dort sei zu sehen, dass der Aufseher (supervisor) keine Wache (guard) und auch unbewaffnet gewesen sei.
Diese Angaben bestätigte der bereits o. g. S. S1 in seiner vom Kläger eingereichten Zeugenerklärung vom 14. Juli 2003. Der Kläger habe 1940 bis 1942 für die Fa. G1 am Kanal gearbeitet, er - S1 - beim Judenrat. Er bestätigte die Eskorte zum Arbeitsplatz durch Mitarbeiter der Fa. G. und wöchentlich wechselnde Entlohnung in der Form von Lebensmitteln oder Geld.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Sie wies auf den Arbeitszwang für Juden im Generalgouvernement (GG) gem. der Verordnung (VO) vom 26. Oktober 1939 hin. In Ausführung dieser VO hätten sich seinerzeit alle Juden zwischen dem 14. und dem 60 Lebensjahr unverzüglich beim Judenrat zur Erfassung zu melden gehabt. Bei diesem Sachverhalt könne von einer Empfehlung zur freiwilligen Arbeit nicht ausgegangen werden. Aus den Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren ergebe sich, dass er die Arbeit im Ghetto Kozienice nicht aus freiem Willensentschluss habe wählen können
Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger zunächst vorgetragen, er sei von Dezember 1940 bis September 1942 im Ghetto Kozienice gewesen und habe sich zur Verbesserung seiner Lage über den Judenrat eine Tätigkeit als Arbeiter gesucht. Er habe Lohn in der Form von Essen und zusätzlichen Lebensmitteln erhalten. Gegenüber seinem Bevollmächtigten hat er in einem von diesem zur Akte gereichten Schreiben am 17. März 2004 ausgeführt, er sei vom Beginn des Jahres 1940 bis Sept. 1942 im Ghetto Kozienice gewesen. Als das Ghetto errichtet worden sei, habe er zunächst beim deutschen Militär als Hausarbeiter gearbeitet. Später habe er Bäume gefällt. Anschließend sei er von einer polnischen Fa. G1 angestellt worden, die ein Bewässerungssystem ("irrigation" - gemeint ist wohl Entwässerung) im benachbarten Ort W1 errichtet habe. Anschließend habe er drei Monate auf dem Bauernhof in B2 Schafe gehütet. Danach habe er wieder bei der Firma G1 gearbeitet, bis er im Oktober 1942 zur Arbeit in der Munitionsfabrik in Pionki deportiert worden sei. Bei der Arbeit am Kanal habe es sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht um Zwangsarbeit gehandelt, auch wenn es sich um Knochenarbeit gehandelt habe. Niemand habe sie physisch (physically) zur Arbeit gezwungen. Anders als in anderen Ghettos habe man sich nicht bemüht, die Juden durch Androhung von Strafen oder Repressalien zu zwingen, zu bestimmten Zeiten zu erscheinen. Zum anderen sei die Arbeit nicht unter irgendeiner Form bewaffneter Bewachung verrichtet worden und schließlich seien die Juden im Ghetto K. für die Arbeit entlohnt worden (compensated) durch Lebensmittel (Kartoffeln, Brot) oder gelegentlich coupons, mit denen man sich Lebensmittel habe beschaffen können. Insofern habe es sich bei der Arbeit auch wenn sie unter schrecklichen Bedingungen zu minimalem Lohn verrichtet wurde, um freiwillige Arbeit im Austausch gegen Entlohnung gehandelt.
Demgegenüber hat er am 21. März 2005 ausgeführt, er habe unter humanen Bedingungen gearbeitet, er sei nicht geschlagen oder gejagt worden. Dies sei erst später ab Oktober 1942 geschehen. Während seiner Beschäftigung in Kozienice vom Dezember 1940 (bis Sept 1942) habe er freiwillig am Kanal gearbeitet (volunteered) weil es keine Arbeit gab, sei er zum Judenrat gegangen, um Arbeit gegen Bezahlung (Geld, Lebensmittel) zu suchen, und habe eine Position mit Entwässerungsarbeiten erhalten. Das sei keine Zwangsarbeit gewesen. Er habe nicht unter direkter Kontrolle oder Bewachung gestanden; er habe (lediglich) Anweisungen von Aufsehern (supervisors) erhalten.
Die vom Sozialgericht am 10. Februar 2005 an ihn gerichtete schriftliche Anfrage: welche Beschäftigung im Ghetto; wo im Ghetto beschäftigt; wie entlohnt; was habe man im Ghetto kaufen können; Unterkunft zugewiesen oder nach Einkommen wählbar; Umstände, unter denen er ggfalls seine Tätigkeit aufgenommen habe; wurde sie vermittelt – wenn ja: durch wen; hat er selbst um Arbeit nachgesucht; wie war der Tagesablauf - hat der Kläger mit Schreiben vom 5. März 2005 wie folgt beantwortet: Er habe vom Judenrat zugewiesene Arbeit verrichtet, und zwar nicht im Ghetto, nur außerhalb. Als Entlohnung habe er "money, food, ration cards" erhalten. Es habe im Ghetto keine Geschäfte gegeben, nur den Schwarzmarkt. Wohnungen seien vom Judenrat zugewiesen worden ("assigned" - wie die Arbeit). Nach dem Umzug ins Ghetto sei es zunächst noch möglich gewesen, außerhalb des Ghettos einzukaufen. Nach drei Monaten sei es geschlossen worden, so dass sie keinen Zugang zu Lebensmitteln und anderen Dingen des Lebensbedarfs mehr hatten. Deswegen habe er sich an den Judenrat um Arbeit gewandt. Ihm sei eine Arbeit im Militärlager Jezoro am Stadtrand von K. zugewiesen (assigned) worden. Dort sei es seine Aufgabe gewesen, die Pferde zu versorgen und die Ställe in Ordnung zu halten. Danach habe man ihn einem SS-Offizier zugewiesen, dessen Haushalt er geführt habe (vom Kläger selbst als Stubendienst bezeichnet). Dieser habe ihn mit einem Passierschein zum Verlassen des Ghettos ausgestattet. Er habe auch auf einem Bauernhof B2 gearbeitet und die Schafe gehütet. Bezahlt habe man ihn mit Kartoffeln und Lebensmitteln, die er ins Ghetto zurückgebracht habe. Als einige Schafe von der Eisenbahn überfahren wurden, habe man ihn entlassen. Er habe danach durch den Judenrat eine Anstellung bei den Entwässerungsarbeiten am Kanal erhalten. Dort habe er Entlohnung in der Form von Geld, Lebensmitteln und "rations" erhalten. Damit habe seine Schwester beim Bauern Lebensmittel kaufen können. Diese Arbeit habe er vom 1. Januar 1940 bis zum 27. September 1942 (das ist der Tag, an dem das Ghetto geräumt wurde) verrichtet. Sie hätten sich morgens am Ghettoeingang versammelt und seien von dort durch Aufseher oder Ghettopolizei zur Arbeit begleitet worden. Abends seien sie ins Ghetto zurückgekehrt. Als sie nach der Liquidierung des Ghettos im Sept. 1942 nicht mehr dorthin hätten zurückkehren können, habe man sie für ein bis zwei Wochen in einer Baracke auf dem Gelände der Arbeiten untergebracht, wo sie weiterhin ihre Arbeit verrichtet hätten. Danach seien SS-Offiziere gekommen und hätten 3 - 400 Leute zu den ZAL in Skarzysko (Waffen, Kanonen) oder Pionki (Pulverfabrik) mitgenommen. Er sei zur Zwangsarbeit nach Pionki gekommen. In Kozienice habe es kein ZAL gegeben. Zur Veranschaulichung hat er Ablichtungen von Fotografien beigefügt, die nicht erkennen lassen, wann sie angefertigt wurden.
Am 27. September 2005 hat der Kläger ergänzt: Der Bau des Entwässerungskanals sei schon vor der deutschen Besatzung begonnen worden. Nach der Besetzung seien die Juden von den Deutschen gebeten ("asked") worden, ihn freiwillig weiterzubauen. Die Arbeit sei von der Fa G1 beaufsichtigt worden; niemand habe sie bewacht. Er habe in einer Baracke in der Nähe des Kanals gewohnt, als das Ghetto K. liquidiert worden sei. Dann sei die SS gekommen und habe die Arbeiter von den Kanalarbeiten abgezogen und sie zu anderen Lagern gebracht. Er sei in ein Dorf geflüchtet, wo ein Bauer ihn für zwei Tage versteckt habe. Dieser habe ihn danach nach K. zurückgebracht, wo einige Juden geblieben waren, um das Ghetto aufzuräumen (cleaning up). Nach einer Woche habe die polnische Polizei sie nach Radom gebracht, von dort nach Szydlowiec in ein anderes Ghetto. Danach habe man ihn nach Pionki gebracht, wo er Sklavenarbeit ("slave labor") verrichtet habe. Für diese Arbeit begehre er keine Rente. Das Konzept, freiwillige Arbeit der Zwangsarbeit gegenüberzustellen bzw. von ihr abzugrenzen, sei für die Zeit der Nazi-Okkupation während des 2. Weltkrieges lächerlich. Der Judenrat in K. habe ihn registriert, deshalb habe er sich freiwillig um Arbeit bemüht (volunteered). Der Kläger hat in diesem Zusammenhang auf im Wortlaut identische Zeugenerklärungen eines J. F1, wohnhaft in L./N.Y., vom 4. April 2005 und einer E. S2, geb. in K. unter dem Namen R., verwiesen. Beide haben angegeben, der Kläger sei in Kozienice ihr Nachbar und Freund gewesen. Sie hätten mit ihm beim Judenrat in Kozienice Arbeit gesucht und sich zu Entwässerungsarbeiten an den Kanälen gemeldet und dort – in W1 – von 1940 bis 1942 gearbeitet. Es habe sich dabei nicht um Zwangsarbeit gehandelt; es habe keine unmenschliche Behandlung und keine Bewachung durch Bewaffnete gegeben. Einige seiner anderen Zeugen würden sich nicht trauen, sich zu melden. Sie hätten an derselben Stelle dieselbe Arbeit verrichtet. Ihre Ansprüche habe man anerkannt. Sie seien jetzt besorgt, sich zu äußern, weil sie ihre Ansprüche nicht gefährden wollen. Wieso könne man unter diesen Umständen seine Ansprüche bestreiten?
Die Beklagte ist bei ihrer Auffassung verblieben, es sei überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger unfreiwillige Arbeitsleistungen unter Bewachung, also Zwangsarbeiten habe verrichten müssen. Es habe während der fraglichen Zeit in Kozienice ein ZAL gegeben. Aufgrund der zeitnäheren Angaben im Entschädigungsverfahren sei mit großer Sicherheit anzunehmen, dass es sich bei den vom Kläger angegebenen Kanalbauarbeiten um genau die Arbeitseinsätze gehandelt habe, die die Juden aus dem ZAL Kozienice hätten verrichten müssen. Die im Renten- und Klageverfahren angeführten Wald- und Hausarbeiten für die deutsche Wehrmacht im Ghetto K. seien vor dem Hintergrund der abweichenden Angaben im Entschädigungsverfahren nicht glaubhaft macht.
Im April 2006 hat der Kläger ein so genanntes "statement of facts" zur Akte gereicht: Er hat dort zunächst davon berichtet, dass die polnische Regierung schon vor dem Zweiten Weltkrieg in der Nähe von Kozienice - in der Nähe des Dorfes W1 und anderer Dörfer - ein Kanalprojekt ins Leben gerufen habe, um die von der Weichsel ausgehenden Überflutungen zu verhindern und die von ihnen verursachten Schäden zu beseitigen. Die deutschen Besatzer hätten dieses Projekt mit jüdischen Arbeitern aus den Ghetto Kozienice weitergeführt. Die Deutschen hätten im Herbst 1940 das Ghetto Kozienice eingerichtet und einen Judenrat errichtet. Vorsitzender sei H. P. geworden und M1 B. sei der Leiter der Arbeitsabteilung geworden, wodurch er die Macht besessen habe, zu entscheiden, wer im Ghetto arbeiten konnte und wer deportiert wurde. Solange das Ghetto offen gewesen sei, hätten nicht viele Leute am Kanalprojekt gearbeitet, weil noch die Möglichkeit bestanden habe, auf anderen Positionen zu arbeiten. Als das Ghetto geschlossen worden sei, habe es keine andere Wahl gegeben, als Arbeit durch den Judenrat zu suchen. Die Mehrheit der jungen Leute - etwa 3 bis 400 - sei durch den Judenrat zur Arbeit am Kanalprojekt gekommen. Dieses sei von der Firma G1 (G.) betreut worden. Er - der Kläger - habe mit den anderen an sechs Tagen wöchentlich gearbeitet. Sie hätten sich morgens am Ghettoeingang getroffen und seien von der jüdischen Polizei und den Aufsehern der Firma G. zum Kanal begleitet worden. Dabei sei ein Fußweg von etwa 5 km zurückzulegen gewesen. Wenn er wegen schlechter Wetterbedingungen nicht in der Lage gewesen sei, an der Baustelle am Kanal zu arbeiten, habe er im Auftrage des Judenrates andere Aufgaben erfüllt zum Beispiel Schnee schaufeln, Arbeiten in den Ställen etc. Für ihre Arbeit am Kanal hätten sie durch den Judenrat Bezahlung erhalten in der Form von Lebensmittelrationen ("rations"). Er habe an den Kanälen vom Herbst 1940 bis zum Oktober 1942 gearbeitet. Im Juli 1942 habe die Firma G. eine große Baracke in der Nähe der Kanalbaustelle zur Unterbringung ihrer Arbeiter gebaut. Er habe sich dort ab Mitte September für etwa drei bis vier Wochen aufgehalten, um nicht den Weg von der Arbeit zum Ghetto und zurück bewältigen zu müssen. Am 27. September 1942 seien das Ghetto Kozienice liquidiert und die Bewohner nach Treblinka deportiert worden. Er habe bis Mitte Oktober weiter am Kanal gearbeitet. Während seiner Arbeit am Kanal im Oktober habe er von einem Acker in der Nähe Kartoffeln gesammelt. Bei seiner Rückkehr habe er festgestellt, dass alle Arbeiter weg waren und das Kanalprojekt beendet worden war. Er sei allein geblieben.
Im Mai 2006 übersandte das USHMM dem Sozialgericht Ablichtungen von im dortigen Archiv aufgefundenen Tätigkeitsberichten und eines Stimmungsberichtes des Ältestenrates der jüdischen Bevölkerung von Kozienice für den Monat Dezember 1941 und für die Zeit ab Mai 1942 bis August 1942. Im Bericht vom 31. Dezember 1941 heißt es nach der Eingangsbemerkung, der Rat habe im Monat Dezember 1941 seine Tätigkeit in demselben Umfange wie in den Vormonaten fortgesetzt, unter I. wörtlich: " In Betreff des Zwangsarbeitseinsatzes schickte man die jüdischen Arbeitskräfte zu verschiedenen Arbeitsposten wie Entwässerungsarbeiten bei Kozienice " Am Ende des heißt es: "Im Zusammenhang mit (der) Anordnung über die Aufenthaltsbeschränkung der Juden hat der Rat auf Befehl der Behörden am Ende dieses Monats ihre, mit Errichtung des jüdischen Wohnbezirks in Kozienice und mit Umsiedlung außerhalb des Wohnviertels ansässiger Juden, verbundenen und bereits noch in gang werdenden (?) Arbeiten vorgenommen." Im Bericht vom 15. Mai 1942 für die Zeit vom 1. Mai bis 15. Mai 1942 heißt es unter anderem: "In der Berichtsperiode schickte der Rat den Zwangsarbeitseinsatz auf verschiedene Arbeitsposten aus: an die Standortkommandantur K., Gendarmerieposten Kozienice, Wehrmachtsstellen in K., Bauunternehmungen K2 und G2 in J1, Vereinigte Holzindustrie in K., Entwässerungsarbeiten bei den Firmen G. und C1. Für die Beschäftigten jüdischen Arbeiter gewährte der Rat Brot-Zuschüsse". Abschließend heißt es dort (12/1941): "Der Anordnung des Landkreishauptmanns Radom-Land gemäß hat der Rat die Absonderung des jüdischen Wohnviertels durchgeführt. Dadurch ist ein abgesondertes und geschlossenes Stadtviertel entstanden. An den Ecken und in den Mündungen des Viertels stellte man entsprechende Warnungstafeln aus".
Ermittlungen des Sozialgerichts in Polen - Nachfragen an die Archive in Kozienice und in Radom - sind ergebnislos geblieben. Die vom Kläger benannte Zeugin E. S2 hat es ausdrücklich abgelehnt, ihr Einverständnis mit einer Beiziehung ihrer Akte zum Verfahren zu Vergleichszwecken zu erteilen. Gegenüber dem Kläger hat sie erklärt, als Zeugin nicht zur Verfügung zu stehen.
Das Sozialgericht hat die Beklagte durch das Urteil vom 28. Juni 2006 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide dem entsprechend begrenzten Antrag des Klägers folgend verurteilt, dem Kläger Altersrente unter Anerkennung von Beitragszeiten für Beschäftigungen im Ghetto Kozienice vom 1. März 1940 bis 30. November 1940 und vom 1. Februar 1941 bis zum 31. März 1941 sowie von verfolgungsbedingten Ersatzzeiten von 1. Oktober 1939 bis einschließlich Februar 1940, vom 1. Dezember 1940 bis 31. Januar 1941 und vom 1. April 1941 bis 30. April 1947 zu gewähren. Es hat es für überwiegend wahrscheinlich - d. h. glaubhaft - gehalten, dass der Kläger insofern eine Beschäftigung aus freiem Willensentschluss gegen Entgelt im Sinne des ZRBG ausgeübt hat. Bei der Begrenzung der anerkannten Beschäftigung auf die Zeit bis Ende März 1941 hat es sich davon leiten lassen, dass der Kläger und mit ihm übereinstimmend S. S1 im Entschädigungsverfahren angegeben hatten, sie seien Ende März 1941 zum Chausseebau in ein Arbeitslager zwischen K. und Radom abkommandiert worden. Zur Entgeltlichkeit der Tätigkeit hat das Sozialgericht u. a. auch damit argumentiert, dass der Kläger nach den vor Ort geltenden Regeln Anspruch auf Entgelt - 20 v. H. des tariflichen Entgelts für polnische Arbeitnehmer - gehabt habe.
Gegen das ihr am 11. Juli 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26. Juli 2006 Berufung eingelegt. Sie geht unverändert davon aus, dass der Kläger Zwangsarbeit verrichtet habe. Eine Freiwilligkeit der Arbeitsaufnahme sei nach seinen Angaben nicht glaubhaft. Die im weiteren Verfahren gemachten Angaben seien nicht geeignet, die Angaben im Verfahren nach dem BEG zu widerlegen. Es sei nicht nachvollziehbar, wie die teilweise sehr voneinander abweichenden Angaben zustande gekommen seien, die zudem mit größerem Zeitabstand immer detaillierter geworden seien. Den Angaben im Verfahren nach dem BEG komme auch ein größerer Beweiswert zu, da sie zeitnäher gemacht worden seien. Auch die Unterlagen des USHMM seien nicht geeignet, eine freiwillige Beschäftigung des Klägers gegen Entgelt glaubhaft zu machen. Auch der zitierte Bericht des Ältestenrats der Juden in Kozienice spreche vom Zwangsarbeitereinsatz. Es sei zudem nicht wahrscheinlich, dass bei den Flussregulierungsarbeiten in der Umgebung von Kozienice neben Häftlingen aus dem Zwangsarbeitslager auch Arbeitskräfte aus dem Ghetto auf der Basis eines freiwilligen Beschäftigungsverhältnisses gegen Entgelt dieselbe Arbeit verrichtet haben. Sie gehe vielmehr davon aus, dass auch die Arbeitskräfte aus dem Ghetto im Rahmen eines Zwangsarbeitsverhältnisses beschäftigt worden seien. Sie könne sich auch der Schlussfolgerung des Sozialgerichts Hamburg, eine Entgeltlichkeit der Tätigkeit sei überwiegend wahrscheinlich, nicht anschließen. Im Verfahren nach dem BEG habe der Kläger keine Angaben zur Entgeltlichkeit gemacht. Es ergäben sich aus der Akte keine Hinweise, dass dem Kläger unmittelbar oder durch Auszahlung über Dritte Entgelt beziehungsweise Sachbezüge in nicht nur geringem Umfang zugeflossen seien. Selbst wenn man als glaubhaft gemacht ansehe, dass der Kläger für eine gewisse Zeit während des zwangsweisen Aufenthalts im Ghetto Kozienice eine freiwillig aufgenommene Tätigkeit verrichtet habe, sei davon auszugehen, dass er nur eine geringfügige Entlohnung in Form von Sachbezügen erhalten habe. Dies reiche nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Annahme der Entgeltlichkeit im Sinne des ZRBG nicht aus. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts reiche das bloße Bestehen eines Entgeltsanspruchs nicht aus, um einen tatsächlichen Zufluss zu dokumentieren beziehungsweise eine Entgeltlichkeit im Sinne des ZRBG glaubhaft zu machen. Es könne deshalb nicht auf sich beruhen, ob der Kläger den ihm zustehenden Lohn tatsächlich erhalten habe. Im Hinblick auf die historischen Gegebenheiten könnten Beschäftigungsverhältnisse von Arbeitern im Ghetto nicht automatisch mit Beschäftigungsverhältnissen außerhalb des Ghettos Arbeitender gleichgestellt werden. Insofern könne auch nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass ordnungsgemäß Beiträge zur Rentenversicherung auch für Arbeiten im Ghetto einbehalten worden seien. Allein vom Vorhandensein einer Lohnverordnung könne nicht darauf geschlossen werden, dass diese auch angewandt worden sei. Es habe unterschiedliche Umsetzungen in einzelnen Gebieten gegeben. Darüber hinaus sei auch zu differenzieren, ob es sich um öffentliche oder private Arbeitgeber gehandelt habe. Zudem sei die Auszahlung der Löhne oft nicht an die Arbeiter, sondern zum großen Teil an den Judenrat erfolgt. Dieser wiederum habe die Löhne im Rahmen seiner gemeinschaftlichen Verpflichtungen in der Regel an die Ghettobewohner verteilt. Auch widerspreche die Argumentation des Sozialgerichts der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die gerade zur Erfüllung der Voraussetzungen des ZRBG ein Entgelt verlange, dass die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung begründe, und nicht umgekehrt das Entgelt aus einer fiktiven Versicherungspflicht ableite. Die von der Gegenseite herangezogenen Gutachten zu den Verhältnissen im Generalgouvernement (GG), insbesondere zur Beschäftigung der Juden, geben nach Auffassung der Beklagten keinen Anlass zu einer anderen, für den Kläger günstigeren Beurteilung des Sachverhalts.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. Juni 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. Juni 2006 zurückzuweisen
Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Beschäftigung sei hier gegen Entgelt ausgeübt worden, denn für die im GG beschäftigten Juden habe es einen Lohnanspruch gegeben, der um 20 vom 100 unter den Gehaltsansprüchen polnischer Arbeiter gelegen habe. Er stellt umfassend die Entwicklung der Heranziehung der Juden im GG zur Arbeit und der dazu ergangenen Regelungen dar und verweist in diesem Zusammenhang auf das bekannte Gutachten des Dr. G3 sowie das in den vor dem LSG Nordrhein-Westfalen anhängigen Verfahren L 8 R 134/06 und L 8 R 64/07 für das LSG NRW erstattete Gutachten des Dr. S3 L1, G4, vom 23. November 2008 über die Arbeitsverwaltung im GG.
Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift aufgeführten Akten verwiesen, die Gegenstand der Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist statthaft (§ 144 Abs. 1 Ziff. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG -), form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch sonst zulässig. Streitgegenstand ist nach der entsprechenden Begrenzung der Klage der - ihm vom Sozialgericht zuerkannte - Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente auf der Grundlage von Beitragszeiten für Beschäftigungen im Ghetto Kozienice vom 1. März 1940 bis 30. November 1940 und vom 1. Februar 1941 bis zum 31. März 1941 sowie von verfolgungsbedingten Ersatzzeiten von 1. Oktober 1939 bis einschließlich Februar 1940, 1. Dezember 1940 bis 31. Januar 1941 und vom 1. April 1941 bis 30. April 1947.
Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 17. Juni 2003 verurteilt, dem Kläger eine Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zu gewähren, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf eine solche Rente.
Nach § 35 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung haben Versicherte Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) erfüllt haben. Auf die allgemeine Wartezeit werden Beitragszeiten und Ersatzzeiten angerechnet (§ 51 Abs. 1 und 4 SGB VI). Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB VI). Pflichtbeitragszeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung hat der Kläger nicht zurückgelegt. Er hat solche Zeiten weder behauptet noch gibt es für sie irgendeinen Anhalt.
Der Kläger hat aber auch keine Zeiten zurückgelegt, für die Pflichtbeiträge im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI als gezahlt gelten, nämlich keine fiktiven Beitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung nach § 2 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 ZRBG. Hiernach wird die Zahlung von Beiträgen fingiert, wenn ein Verfolgter sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten hat, dort aus eigenem Willensentschluss eine Beschäftigung aufgenommen, diese Beschäftigung gegen Entgelt ausgeübt und das Ghetto sich in einem Gebiet befunden hat, das vom Deutschen Reich besetzt oder in dieses eingegliedert war. Die Voraussetzungen für die Fiktion einer Beitragsentrichtung müssen glaubhaft gemacht werden. Dies folgt aus § 1 Abs. 2 ZRBG, wonach die Vorschriften des ZRBG die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) ergänzen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 WGSVG ist eine Tatsache glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Dass der Kläger so genannte Ghetto-Beitragszeiten zurückgelegt hat, ist indes - anders als das Sozialgericht meint - nicht überwiegend wahrscheinlich.
Der Kläger ist zwar nach den im Entschädigungsverfahren getroffenen Feststellungen, deren Richtigkeit zu bezweifeln keine Veranlassung besteht, Verfolgter im Sinne des BEG. Die übrigen für die Feststellung einer Ghettobeitragszeit erforderlichen Tatsachen sind hingegen nicht glaubhaft gemacht.
Zweifelhaft ist schon, wann das Ghetto Kozienice eingerichtet wurde. Der vom Sozialgericht auf die Internetquelle www.keom.de (Karl Ernst Osthaus Museum) gestützten und von www. deathcamps.org bestätigten Annahme, das Ghetto sei 1. Januar 1940 eingerichtet worden, steht gegenüber, dass den vom USHMM übersandten Unterlagen des "Ältesten-Rates der jüdischen Bevölkerung von Kozienice" zufolge ein abgegrenzter jüdischer Wohnbezirk dort erst Ende 1941 eingerichtet worden ist. Die Internetquelle www.jewishgen.org (Jüdische Genealogie) mit zahlreichen Datenbanken, u. a. auch mit einer vom USHMM zur Verfügung gestellten Aufstellung der Namen von über 4000 Bewohnern des Ghettos Kozienice (www. jewishgen.org/databases/holocaust/0096 Kozienice.html) nennt als Zeit der Einrichtung des Ghettos Kozienice den Herbst 1940. Unter der Internetadresse www.ushmm.org mit den Suchworten kozienice ghetto einsehbare Biografien ehemaliger Bewohner von Kozienice enthalten diesbezüglich ebenso unterschiedliche Angaben (Ende 1939 - November 1940), wie die oben wiedergegebenen Ausführungen des Klägers: Während er im Februar 1956 versichert hatte, sie seien Ende 1939 in das dortige Ghetto (Kozienice) eingewiesen worden, das kurz darauf abgeschlossen worden sei, führte er im April 2006 aus, die Deutschen hätten im Herbst 1940 das Ghetto in Kozienice eingerichtet und einen Judenrat gebildet. Auch die vom Kläger im Entschädigungsverfahren vorgelegten Erklärungen der Zeugen S. S1 und I. K1 ergeben insofern kein einheitliches Bild: Während S. S1 im März 1956 (unter Eid) versicherte, seit Anfang 1940 seien sie gemeinsam (d.h. mit dem Kläger) im Ghetto Kozienice inhaftiert gewesen, gab I. K1 in seiner ebenfalls vor dem Notar beschworenen Erklärung vom 1. Mai 1956 an, er könne bestätigen, dass der Kläger mit allen anderen Juden der Stadt Kozienice Ende 1940 in das dortige Ghetto ausgesiedelt worden sei. Auch die von der Entschädigungsbehörde zu Vergleichszwecken herangezogenen und zitierten Angaben des S. S1 und des I. K1 in ihren eigenen Entschädigungsverfahren tragen nicht zur Klärung bei. Demnach hat S. S1 die folgenden Angaben gemacht: Zwangsarbeit Kozienice 12/39 bis 1941, Ghetto Kozienice 1941 bis 1942, während I. K1 angab: Januar 1941 bis September 1942 Ghetto Kozienice. Was das Sozialgericht veranlasst hat, trotz dieser uneinheitlichen Angaben bei seiner Entscheidung von einer Einrichtung des Ghettos zu Beginn des Jahres 1940 auszugehen, lässt sich seinen Ausführungen nicht entnehmen; es hat diese Unterschiede dort nicht erörtert.
Steht man auf dem Standpunkt, dass diese Differenzen allein dem vom Kläger verfolgten Anspruch wegen der in der Rechtsprechung umstrittenen Frage nach den spezifischen Merkmalen eines Ghettos im Sinne des § 1 ZRBG nicht entgegenstehen, so sind doch seine Angaben zum Beginn seines Aufenthalts im Ghetto und zu Beginn und Inhalt seiner Tätigkeit(-en) während der strittigen Zeit zu widersprüchlich, als dass der Senat eine nach Beginn und Inhalt bestimmte Arbeit des Klägers für überwiegend wahrscheinlich halten und an den Maßstäben des ZRBG messen, insbesondere der Annahme des Sozialgerichts folgen könnte, dass der Kläger während der strittigen Zeit Kanal- bzw. Entwässerungsarbeiten im Bereich W1, nordöstlich von Kozienice verrichtet hat. Diese Tätigkeit hat der Kläger seinen ersten Angaben zufolge im Januar 1940 begonnen, nach späteren erst im Laufe des Jahres 1940 bzw. im Oktober 1940, im Jahre 1942, im Dezember 1940, dann wieder ab Januar 1940 und schließlich wieder ab Herbst 1940; während der strittigen Zeiträume will er einmal beim Kanalbau in der Nähe von W1 gearbeitet haben; ein anderes Mal gab er an, er habe in diesen Zeiträumen im Ghetto Kozienice als Hausarbeiter und Waldarbeiter beim deutschen Militär gearbeitet. Diese Tätigkeit hatte er zuvor für den Zeitraum September 1939 bis Oktober 1940 angegeben:
Februar 1956: Mit allen (Juden aus Kozienice) von Januar 1940 bis März 1941 beim Kanalbau in der Nähe eines Dorfes W1, wohin sie täglich unter Bewachung geführt worden seien.
Ende 1998/Anfang 1999: 9/39 bis 10/40 habe er für das deutsche Militär gearbeitet und Pferde versorgt ("german army worked in stables, tending horses"). Von Okt. 40 bis Sept. 42 sei er jeden Morgen vom Ghetto Kozienice zur Arbeit an einem Entwässerungskanal in der Nähe von W1, nicht weit vom Ghetto entfernt - gebracht worden. Die Frage nach der Höhe des Entgelts (amount of remuneration) hatte er für beide Tätigkeiten mit "non" (= keine(-s)) beantwortet.
9. Juli 2002: Er sei im Ghetto Kozienice mit Lohnzahlung tätig gewesen und habe von 1940 bis Sept. 1942 im Ghetto K. als Hausarbeiter und Waldarbeiter beim deutschen Militär gearbeitet, 1942 in W1/Kozienice an einem Entwässerungsprojekt (irrigation projekt), und anschließend - ebenfalls noch 1942 - in Pionki in einer Munitionsfabrik.
17. März 2004: Er sei vom Beginn des Jahres 1940 bis Sept. 1942 im Ghetto K. gewesen. Als das Ghetto errichtet worden sei, habe er zunächst beim deutschen Militär als Hausarbeiter gearbeitet. Später habe er Bäume gefällt. Anschließend sei er von einer polnischen Fa. G1 angestellt worden, die ein Bewässerungssystem (wohl Entwässerung (irrigation) gemeint) im benachbarten Ort W1 errichtet habe. Anschließend habe er drei Monate auf dem Bauernhof in B2 Schafe gehütet. Danach habe er wieder bei der Firma G1 gearbeitet, bis er im Oktober 1942 zur Arbeit in der Munitionsfabrik in Pionki deportiert wurde.
21. März 2005: Während seiner Beschäftigung in K. vom Dezember 1940 (bis Sept 42) habe er freiwillig am Kanal gearbeitet ("volunteered"). Weil es keine Arbeit gab, sei er zum Judenrat gegangen, um Arbeit gegen Bezahlung (Geld, Lebensmittel) zu suchen, und habe eine Position mit Entwässerungsarbeiten erhalten.
5. März 2005: Er habe danach durch den Judenrat eine Anstellung bei den Entwässerungsarbeiten am Kanal erhalten. Dort habe er Entlohnung in der Form von Geld, Lebensmitteln und "rations" erhalten. Damit habe seine Schwester beim Bauern Lebensmittel kaufen können. Diese Arbeit habe er vom 1.1.40 bis zum 27.9.42 (das ist der Tag, an dem das Ghetto geräumt wurde) verrichtet.
April 2006: Er habe an den Kanälen vom Herbst 1940 bis zum Oktober 1942 gearbeitet.
Es lässt sich nicht nachvollziehen, was das Sozialgericht bewogen hat, es trotz dieser wechselnden Angaben zum Beginn der Arbeiten des Klägers am Entwässerungskanal für glaubhaft gemacht, d. h. für überwiegend wahrscheinlich zu halten, dass dies (schon) im März 1940 der Fall war, denn es hat zu den aufgezeigten Differenzen Ausführungen nicht gemacht. Das Sozialgericht hätte dazu die Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren wegen des geringsten zeitlichen Abstandes zu den Ereignissen in Kozienice für maßgeblich erklären können, hat sich aber stattdessen auch auf die Angaben des Klägers im ersten Rentenverfahren gestützt, er habe für die Wehrmacht gearbeitet, dabei aber die dazu gemachten zeitlichen Eingrenzungen unberücksichtigt gelassen, denen zufolge die Arbeit bei der Wehrmacht bis in den Herbst 1940 reichte - seinen Angaben im zweiten Rentenantrag zufolge sogar bis 1942. Zeugen, die insoweit näheren Aufschluss geben könnten, stehen den Angaben des Klägers zufolge nicht zur Verfügung.
Unterstellt man auf der Grundlage der Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren, dass er während der gesamten strittigen Zeit vom Ghetto Kozienice aus Kanalarbeiten in W1 ausgeübt hat, so ist doch zweifelhaft und jedenfalls nicht überwiegend wahrscheinlich, ob bzw. dass er diese Arbeiten im Sinne von § 1 ZRBG aus freiem Willensentschluss aufgenommen hat.
Das Merkmal des Zustandekommens aus eigenem Willensentschluss soll die zur Fiktion einer Beitragszeit führende Beschäftigung im Sinne des ZRBG von der Zwangsarbeit im Ghetto bzw. aus dem Ghetto heraus abgrenzen. Allerdings ist dieses Merkmal im ZRBG selbst nicht definiert. Hinweise zur Abgrenzung lassen sich aber der Zusammenschau mit dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 2. August 2000 (BGBl I 1263 – Zwangsarbeiter-Stiftungsgesetz) entnehmen. Nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 dieses Gesetzes ist unter anderem derjenige leistungsberechtigt, der in einem Ghetto inhaftiert war und zur Arbeit gezwungen wurde. Demgegenüber sollte das ZRBG denjenigen Ghetto-Insassen zur Anerkennung von Beitragszeiten verhelfen, die in der Zwangssituation des Ghettos einer entlohnten Beschäftigung nachgingen, um überleben zu können (vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/233, S. 23281). Insoweit sollten die Kriterien aufgegriffen werden, die in der Rechtsprechung vor Erlass des ZRBG zur Abgrenzung nicht versicherungspflichtiger Zwangsarbeit (vgl. BSG 14.07.1999 - B 13 RJ 71/98 R, SozR 3-5070 § 14 Nr. 3) von versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen in den besetzten Gebieten entwickelt wurden. Diese Rechtsprechung kann daher auch hier zur Abgrenzung herangezogen werden. Hiernach ist kennzeichnend für ein freies Beschäftigungsverhältnis, dass auf Seiten des Arbeitnehmers und auf Seiten des Arbeitgebers jeweils eigene Entschlüsse zur Beschäftigung vorliegen und auszutauschende Werte – Arbeitsleistung einerseits und das dafür zu zahlende Entgelt andererseits – einander gegenüber stehen, wobei vorbehaltlich eines gewissen Mindestumfanges der Entlohnung weder fehlende Äquivalenz der sich gegenüberstehenden Leistungen noch unter den besonderen Umständen des Ghettoaufenthalts die Beschränkung des Beschäftigten in seiner Freizügigkeit der Annahme eines "freien" Beschäftigungsverhältnisses grundsätzlich entgegenstehen (BSG 18.06.1997 - 5 RJ 66/95, SozR 3-2200 § 1248 Nr. 15 – Ghetto Lodz). In gleichem Maße wie das Beschäftigungsverhältnis von hoheitlichem Zwang überlagert wird, nähert es sich der Zwangsarbeit an, so dass die Entscheidung zur Abgrenzung für jeden Einzelfall gesondert zu treffen ist (vgl. BSG 14.07.1999 - B 13 RJ 71/98 R, SozR 3-5070 § 14 Nr. 3).
Gemessen an diesen Maßstäben ist hier von der Aufnahme einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss nicht auszugehen.
Schon die vom Kläger diesbezüglich verwendete uneinheitliche Terminologie spricht jedenfalls nicht dafür und lässt auch die gegenteilige Deutung zu, denn neben dem von ihm verwendeten zur freiwilligen Arbeitsaufnahme passenden englischen Begriff "volunteered" ist in einer vermutlich auf seine Angaben zurückgehenden Kurzbiografie für das USHMM der zur Aufnahme der Arbeit am Kanal führende Vorgang zuletzt - angesichts der vom Kläger geäußerten Kritik an der Differenzierung zwischen "freiwillig" und "erzwungen" in Kenntnis der Problematik - umschrieben mit dem englischen Begriff "conscripted", der das Einziehen zum Militärdienst oder auch zur erzwungenen Arbeit beschreibt: (to conscript = to enroll for compulsory (zwingenden) service in the armed forces. d. h. jemanden einziehen; oder im Sinne von to draft = to force (zwingen) labor (Arbeit), capital Kapital), etc. into service for the government, d. h. Arbeit oder Kapital in den Dienst der Regierung zwingen). In diese Richtung deutet auch der oben wiedergegebene, vom USHMM in Ablichtung übersandte Bericht des Ältestenrates der jüdischen Bevölkerung in Kozienice vom 31. Dezember 1941 für den Monat Dezember 1941, insbesondere sein Abschnitt I. Für eine erzwungene Aufnahme einer Arbeit am Kanal spricht des weiteren der Umstand, dass der Internetquelle www.deathcamps.org/occupation/districts/disradom zal.htm zufolge von Anfang 1940 bis Oktober 1942 und damit auch während der fraglichen Zeiträume in Kozienice ein Arbeitslager bestanden hat, dessen Insassen u. a. zu Flussregulierungsarbeiten herangezogen wurden. Der Senat hält es mit der Beklagten für wenig wahrscheinlich, dass bei den Flussregulierungsarbeiten in der Umgebung von Kozienice neben Häftlingen aus dem Zwangsarbeitslager auch Arbeitskräfte aus dem Ghetto auf der Basis eines freiwilligen Beschäftigungsverhältnisses gegen Entgelt dieselbe Arbeit verrichtet haben. Er hält es vielmehr für nicht unwahrscheinlich, dass auch die Arbeitskräfte aus dem Ghetto im Rahmen eines Zwangsarbeitsverhältnisses beschäftigt worden seien. In diese Richtung weisen auch die Angaben des Klägers im Entschädigungsverfahren, denen zufolge alle Bewohner des Ghettos Kozienice beim Kanalbau sogleich nach der deutschen Besetzung in der Nähe eines Dorfes W1 hätten arbeiten müssen und täglich unter Bewachung dorthin geführt worden seien. Von einer Arbeitssuche des Klägers, von seiner Vermittlung in diese Arbeit durch den Judenrat war dort nicht die Rede.
Auch die historischen Forschungen deuten darauf hin, dass der Kläger schon kurz nach der Besetzung zu Wasserbauarbeiten gepresst wurde. Wie in allen Distrikten des Generalgouvernements führte auch im Distrikt Radom die Wasserwirtschaftsverwaltung Großprojekte durch, für die Tausende von Zwangsarbeitern benötigt und auch beschäftigt wurden. Hierfür richtete die Wasserwirtschaftsinspektion allein in Tschenstochau bereits im Mai 1940 vier Arbeitslager ein (vgl. Seidel, Deutsche Besatzungspolitik in Polen 1939 – 1945, Der Distrikt Radom, Seite 262). Hiernach ist davon durchaus möglich, dass der Kläger für die Arbeiten am Kanal in einem dieser kleinen Lager interniert wurde.
In diese Richtung weist schließlich auch der Umstand, dass der Kläger in seinem ersten Rentenantrag 1998 die Frage nach einem Entgelt für die dort angegebene Tätigkeit am Kanal eindeutig verneint hat. Dies hat umso höhere Bedeutung, als er in demselben Antrag Fragen nach Entgelt für spätere Beschäftigungen dahin beantwortet hatte, er könne sich nicht erinnern. Angesichts dieser klaren Antwort ist sein späterer Vortrag, er habe für die von ihm geleistete Arbeit Lebensmittel (Kartoffeln, Brot) oder gelegentlich coupons bzw. als Entlohnung "money, food, ration cards" erhalten, unglaubwürdig, zumal er zwischenzeitlich - im zweiten Rentenantrag 2002 - auf die Frage nach Entgelt - auch in der Form von Sachbezügen (payment in kind, e. g. board, lodging etc) erwiderte, er könne dies nicht erinnern.
Aus dem oben genannte Gutachten des Dr. L1 lässt sich zugunsten des Klägers nichts Entscheidendes ableiten. Es ist unbestritten, dass es verschieden Formen der Beschäftigung der Juden im GG gab, darunter auch eher "freiwillige" Beschäftigungen. Abgesehen davon, dass seine Aussage, die Juden seien - von einigen wenigen abgesehen - freiwillig tätig gewesen, nahezu verharmlosend klingt, besagt sie nichts für die Frage, ob dies denn - trotz der von diesem verwendeten Begriffe - auch beim Kläger der Fall war. Es können zugunsten des Klägers auch keine Ersatzzeiten auf die Wartezeit angerechnet werden. Zwar gehört er als Verfolgter zu dem Personenkreis, der den Ersatzzeittatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI erfüllen kann. Jedoch setzt die Anrechnung dieser Ersatzzeiten voraus, dass der betreffende Verfolgte "Versicherter" ist. Versichert im Sinne dieser Vorschrift ist aber nur derjenige, für den wenigstens ein Beitrag zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung wirksam gezahlt worden ist oder als entrichtet gilt. Daran Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil hierfür eine Veranlassung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht bestanden hat.
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