Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
83
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 673/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Antragsgegners vom 15. Juli 2009 wird angeordnet. Der Antragsgegner und die Beigeladene zu 1) tragen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin jeweils zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen Antragsgegner und die Beigeladenen jeweils selbst. Der Streitwert wird auf 229.305,76 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Mit Beschluss vom 27. April 2009 hat der Zulassungsausschuss die Zulassung der Beigelade-nen zu 1) zur vertragsärztlichen Versorgung entzogen. Den hiergegen von der Beigeladenen zu 1) eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Beschluss vom 15. Juli 2009 (schrift-liche Fassung vom 21. August 2009) zurück und bestätigte die Zulassungsentziehung. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den schriftlichen Bescheid verwiesen. Die sofortige Vollziehung ordnete der Antragsgegner nicht an. Gegen den Beschluss des Antragsgegners hat die Beigeladene zu 1) am 31. August 2009 Klage erhoben, die beim SG Berlin unter dem Ak-tenzeichen S 83 KA. anhängig ist.
Mit Antragsschrift vom 5. Oktober 2009 hat die Antragstellerin die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch das SG beantragt. Das Vertrauensverhältnis zur Beigeladenen zu 1) sei gestört, eine ordnungsgemäße Patientenbehandlung nicht gewährleistet. Durch die aufschiebende Wirkung der Klage sei sie – die Antragstellerin – jedoch bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Zulassungsentziehung gezwungen, trotz des gestörten Vertrauensverhältnisses die ver-tragsärztliche Leistungserbringung und weitere Abrechnung hinzunehmen. Auch sei zu besor-gen, dass sich die Beigeladene zu 1) auf die Wohlverhaltenszeit bis zur rechtskräftigen Ent-scheidung in der Hauptsache berufen werde, womit das Zulassungsentziehungsverfahren kon-terkariert werde.
Die Antragstellerin beantragt, die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Antragsgegners vom 15. Juli 2009, ausgefertigt am 21. August 2009, anzuordnen.
Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt. Er führt aus, dass er ein besonderes öffentliches Interesse, das über dasjenige an der Entziehung der Zulassung hinausgehe, nicht habe feststel-len können. Ob sich dieses aus dem Antrag der Antragstellerin ergebe, werde der Beurteilung des Gerichts anheim gestellt.
Die Beigeladene zu 1) beantragt, den Antrag zurückzuweisen, und über den Antrag nicht ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
Sie ist der Meinung, dass ihre Hauptsacheklage hinreichende Aussicht auf Erfolg habe, wes-halb die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht in Betracht komme. Aufgrund der zwei-stufigen Struktur medizinischer Versorgungszentren – die Gesellschafter einerseits erbrächten selbst keine ärztlichen Leistungen, seien jedoch Zulassungsinhaber und Abrechnungsberechtig-te im vertragsärztlichen System, dem ärztlichen Personal andererseits obliege eine besondere Verantwortung und dieses sei der vertragsärztlichen Disziplinargewalt unterworfen – könne der Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten nur demjenigen zugerechnet werden, der vertrags-ärztlich tätig werde, mithin den angestellten Ärzten selbst. Im Übrigen liege keine gröbliche Pflichtverletzung vor, die zur Zulassungsentziehung führen könne. Die Zulassungsentziehung sei zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung ungeeignet und auch sonst unverhältnis-mäßig. Schließlich bestehe kein über den Beschluss des Antragsgegners hinausgehendes öf-fentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung. Die Folgen der Anordnung der sofortigen Vollziehung seien für sie – die Beigeladene zu 1) – ungleich härter als die Folgen für die An-tragstellerin, würde die Anordnung unterbleiben.
Die übrigen Beigeladenen haben sich nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens, insbesondere der Beigeladenen zu 1), wird auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet. Die Kammer stimmt mit der Antragstellerin überein, dass die sofortige Vollziehung der Entscheidung des Antragsgegners anzuordnen ist.
Die Kammer hält im Gegensatz zur Beigeladenen zu 1) eine mündliche Verhandlung über den Antrag nicht für erforderlich. Gem. § 124 Abs. 3 SGG können Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist. In Bezug auf den vorliegenden Beschluss des Gerichts ist weder im Allgemeinen (§ 142 SGG) noch im Besonderen (§ 86 b Abs. 4 SGG) bestimmt, dass eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist. Die Kammer sieht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab, weil die Beigeladene zu 1) ausführlich schriftlich Stellung genommen hat. Aus dieser Stel-lungnahme ergibt sich nicht, dass in einer mündlichen Verhandlung mit neuem Sach- oder Rechtsvortrag zu rechnen wäre, zumal der im vorliegenden gerichtlichen Verfahren vorge-brachte Vortrag sich im Wesentlichen mit der Widerspruchsbegründung deckt.
Rechtsgrundlage für die Entscheidung der Kammer ist § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG, wonach das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungs-klage – wie hier – aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen kann. Voraussetzung dafür ist, dass der Beschluss offensichtlich rechtmäßig ist und dass ein besonderes öffentliches Interesse besteht, den Beschluss bereits vor Eintritt seiner Be-standskraft zu vollziehen (vgl. § 97 Abs. 4 SGB V; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leithe-rer, SGG, 9. Auflage 2008, § , Rn. § 86b Rn. 12c). Allerdings dürfen die Anforderungen an das besondere öffentliche Interesse nicht überspannt werden. Denn die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln gegen eine Zulassungsentziehung hat zur Folge, dass der betroffene Arzt – bzw. hier das von der Beigeladenen zu 1) betriebene MVZ – uneingeschränkt zur vertragsärzt-lichen Versorgung zugelassen und berechtigt ist, Leistungen zu erbringen und abzurechnen und das erzielte Honorar behalten darf. Dem entsprechenden Anreiz, auch gegen ersichtlich recht-mäßige Entziehungsentscheidungen zu klagen, um so lange wie möglich Einnahmen aus ver-tragsärztlicher Tätigkeit zu erzielen, kann und darf in eindeutigen Fällen durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung entgegen gewirkt werden (Wenner, Das Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 18 Rn. 41). Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung hier vor.
1. Der angegriffene Beschluss des Antragsgegners ist offensichtlich rechtmäßig. Rechtsgrund-lage für die ausgesprochene Zulassungsentziehung ist § 95 Abs. 6 SGB V i.d.F. des VÄndG. Danach ist die Zulassung zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vor-liegen, der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt (Satz 1). Der Zulassungsausschuss kann in diesen Fällen statt einer vollständigen auch eine hälftige Entziehung der Zulassung be-schließen (Satz 2). Einem medizinischen Versorgungszentrum ist die Zulassung auch dann zu entziehen, wenn die Gründungsvoraussetzung des Absatzes 1 Satz 6 zweiter Halbsatz länger als sechs Monate nicht mehr vorliegt (Satz 3).
Die Voraussetzungen des § 95 Abs. 6 S. 1 3. Alt. SGB V liegen hier vor. Die Antragstellerin hat ihre vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Eine gröbliche Verletzung von vertrags-ärztlichen Pflichten ist zu bejahen, wenn sie so schwer wiegen, dass ihretwegen die Entziehung der Zulassung zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung notwendig ist. Davon ist dann auszugehen, wenn durch die Pflichtverletzungen das Vertrauen der vertragsärztlichen Instituti-onen in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten und in die Abrechnungen durch den Vertragsarzt oder MVZ so gestört ist, dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Ver-tragsarzt oder MVZ nicht mehr zugemutet werden kann. Auf Verschulden des Arztes bzw. der Mitarbeiter eines MVZ kommt es nicht an (Pawlita, in: jurisPK-SGB V, 1. Auflage 2008, § 95, Rn. 480 mit Hinweisen zur BSG-Rechtsprechung) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die tatsächlichen Feststellungen des Zulassungsausschusses und des Antragsgegners zu Abrech-nungsfehlern und Beschäftigung und Leistungserbringung von Ärzten, deren Anstellung nicht genehmigt war, werden von der Beigeladenen zu 1) nicht bestritten. Auch die Bewertung die-ser Pflichtverletzungen durch den Antragsgegner als gröblich i.S.d. § 95 Abs. 6 S. 1 3. Alt. SGB V wird von der Kammer geteilt. Die Kammer verweist deshalb in entsprechender An-wendung von § 136 Abs. 3 SGG auf die Begründung des streitgegenständlichen Beschlusses und sieht insoweit von einer eigenen ausführlichen Begründung ab. Insbesondere die Falschab-rechnungen auf nicht vergebenen Arztnummern, auf Arztnummern nicht oder noch nicht mit Genehmigung beschäftigter Ärzte bzw. von Leistungen auf dem Konto eines Arztes, der die Leistungen selbst gar nicht erbracht hat, lassen eine Fortsetzung der Tätigkeit mit dem MVZ unzumutbar erscheinen, weil hier erhebliche öffentliche Interessen finanzieller Art und das Vertrauensverhältnis zwischen Leistungserbringer und vertragsärztlichen Institutionen in sei-nem sensibelsten Bereich betroffen sind. Das Abrechnungssystem in der vertragsärztlichen Versorgung beruht zu einem überwiegenden Teil auf der Annahme der Richtigkeit der Abrech-nung, weil diese nur eingeschränkt überprüfbar ist. Im Gegenzug zu diesem den Leistungserb-ringern entgegengebrachten Vertrauen besteht die vertragsärztliche Pflicht zur peinlich genau-en Abrechnung. Die Verletzung dieser Pflicht in einem Umfang, wie es im Quartal IV/2008 durch die Beigeladene zu 1) erfolgte, zerstört das notwendige Vertrauensverhältnis irreparabel und auf Dauer.
Die von der Beigeladenen zu 1) gegen den Beschluss des Antragsgegners vorgetragenen Ein-wendungen verfangen nicht. Im Einzelnen:
Die Ausführungen zur zweistufigen Struktur eines MVZ mit unterschiedlichen Verantwort-lichkeiten überzeugen nicht. Wie die Beigeladene zu 1) selbst ausführt, ist die Trägergesell-schaft bzw. ihre Gesellschafter Zulassungsinhaber und Abrechnungsberechtigte. Dieser Ab-rechnungsberechtigung steht die Verantwortung für eine rechtlich und tatsächlich einwandfreie Abrechnung gegenüber. Die Abrechnung gegenüber der Antragstellerin ist Teil der kaufmänni-schen Praxisführung, die der Geschäftsführung und damit der Gesellschaft selbst obliegt. Sie ist gerade nicht Bestandteil der Leistungserbringung im engeren Sinn, die in der Behandlung von Patienten besteht. Bezogen auf die Richtigkeit der Abrechnung beschränkt sich die Ver-antwortung der angestellten Ärzte darauf, die zur Abrechnung an die Geschäftsführung bzw. Buchhaltung übermittelten Leistungspositionen auch tatsächlich, vollständig und persönlich erbracht zu haben. Um diesen Gesichtspunkt der (in)korrekten Abrechnung geht es im vorlie-genden Fall aber nicht. Der vorliegende Verstoß gegen die Pflicht zur peinlich genauen Ab-rechnung beruhte gerade nicht auf dem Fehlverhalten der angestellten Ärzte.
Das Fehlverhalten der Beigeladenen zu 1) kann nicht durch den im Laufe des Jahres 2008 er-folgten Umzug oder durch die Fehler der Praxissoftware abgeschwächt oder gar entschuldigt werden, zumal es auf ein Verschulden – wie bereits ausgeführt – nicht ankommt. Die Beigela-dene zu 1) ist nicht erst im Quartal IV/2008, sondern bereits zum 17. August 2008 umgezogen. Ihre Abrechnung für das Quartal IV/2008 hat sie ausweislich ihres Vorbringens im Wider-spruchsverfahren erst am 29. Januar 2009 eingereicht und unmittelbar zuvor abschließend er-stellt. Im Übrigen war sie – unter anderem Namen – bereits seit 1. April 2008 zugelassen, so dass knapp zehn Monate Zeit war, um die verantwortlichen Mitarbeiter in das Abrechnungs-system einzuarbeiten. Im Übrigen sollte die Beigeladene zu 1) gerade in den ersten Quartalen nach der Zulassung, wenn noch Unsicherheiten mit der Abrechnung bestehen, und nach Ein-führung einer neuen Praxissoftware die Abrechnung besonders sorgfältig erstellen und auf Feh-ler überprüfen. Hätte sie diese notwendige Sorgfalt an den Tag gelegt, hätten ihr die erhebli-chen und offensichtlichen Abrechnungsfehler auffallen müssen.
Die Ungenauigkeiten der Praxissoftware haben letztlich nicht zu der fehlerhaften Abrechnung geführt. Dass die Software die Eingabe und das Überschreiben von lebenslangen Arztnummern nicht verhindert, ändert nichts daran, dass die Falschabrechnung letztlich auf der Eingabe der falschen Arztnummern durch die Mitarbeiter der Beigeladenen zu 1) beruht. Auch kann die Nutzung der falschen Arztnummern nicht in Unkenntnis der Beigeladenen zu 1) erfolgt sein. Aus den sachverständigen Stellungnahmen zur verwendeten Praxissoftware ergibt sich, dass es bei Eingabe einer fehlerhaften Arztnummer seitens der Software Warnhinweise gegeben hat. Diese Warnhinweise müssen die Mitarbeiter der Beigeladenen zu 1) bewusst, zumindest aber in grob fahrlässiger Weise übergangen haben. Schließlich sind die Fehler allein mit der Fehl-eingabe bzw. Überschreibung der Arztnummern nicht zu erklären: So sollen die unter der Arzt-nummer von Frau Dr. S abgerechneten Leistungen wegen eines Überschreibungsfehlers Herrn Dr. H zuzuordnen sein. In diesem Fall müssten aber alle Leistungen, die Dr. H im Quartal IV/2008 erbracht haben soll, der Arztnummer der Frau Dr. S zugeordnet worden sein. Dies ist indes nicht der Fall. Wie der Antragsgegner festgestellt hat, sind jedenfalls zwei Scheine auch mit der Arztnummer des Dr. H abgerechnet worden. Dieser Widerspruch ist nicht zu erklären.
Die Zulassungsentziehung ist nicht unverhältnismäßig. Soweit die Beigeladene zu 1) die Unge-eignetheit der Maßnahme geltend macht, weil die letztlich verantwortlichen Ärzte wieder zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden könnten, steht dem zum einen entgegen, dass die Verantwortung für die vorliegenden Abrechnungsfehler – wie bereits dargelegt – im kauf-männisch-betriebswirtschaftlichen Bereich liegen und damit die Beigeladene zu 1) bzw. ihre Gesellschafter trifft. Zum anderen wären die Ärzte – sollte sich ihre (Mit-)Verantwortung noch herausstellen – jedenfalls bis zum Ablauf der Schamfrist von fünf Jahren wegen Ungeeignet-heit von der Zulassung ausgeschlossen (vgl. § 21 Ärzte-ZV: Ungeeignetheit bei sonstigen in der Person liegenden schwerwiegenden Mängeln).
Soweit die Beigeladene zu 1) vorträgt, sie habe die ärztliche Leistung und den Standortmana-ger des von ihr betrieben MVZ bereits ausgetauscht bzw. der Antragsgegner hätte dies anstelle der Zulassungsentziehung anordnen sollen, so ist diese Rechtsfolge zum einen vom Gesetz nicht vorgesehen, stellt zum anderen aber auch kein geeignetes milderes Mittel dar. Denn das Vertrauen der vertragsärztlichen Institutionen in die die Abrechnungsgenehmigung innehaben-de GmbH und deren Gesellschafter kann dadurch nicht wiederhergestellt werden. Im Übrigen hat die Beigeladene zu 1) immer wieder vorgetragen, die Abrechnungsfehler seien durch über-eifrige und ungeübte Mitarbeiter zustande gekommen, ohne diese allerdings zu benennen. Die-se müssten zusätzlich auch alle entlassen bzw. von ihren Aufgaben entbunden werden, was a-ber kaum möglich erscheint und was die Beigeladene zu 1) offensichtlich nicht in Betracht zieht.
Schließlich ist die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne auch gegeben. Da nach § 95 Abs. 6 S. 1 3. Alt. SGB V gröbliche Pflichtverletzungen zwingend und ohne Ermessen des Antragsgeg-ners den Entzug der Zulassung zur Folge hat, ist die Verhältnismäßigkeit durch eine restriktive Auslegung des Tatbestandsmerkmals der gröblichen Pflichtverletzung zu wahren. Eine solche Auslegung hat der Tatbestand durch die Rechtsprechung des BSG, die die Kammer übernom-men hat, erfahren. Ist aber unter diesen Vorgaben dennoch eine gröbliche Pflichtverletzung – wie hier – zu bejahen, so ist keine Unverhältnismäßigkeit gegeben. Es ist nochmals zu betonen, dass die Verstöße im sensibelsten Bereich des Vertrauensverhältnisses liegen und von unge-wöhnlich großem Umfang sind (807 Scheine, 2304 Gebührenordnungspositionen). Hinzu kommen noch die Verstöße der Beschäftigung und der Leistungserbringung von Ärzten, deren Anstellung durch den Zulassungsausschuss nicht genehmigt war.
Die hälftige Entziehung der Zulassung nach § 95 Abs. 6 S. 2 SGB V kommt nicht in Betracht, weil dies zur Behebung des Vertrauensverlustes nicht geeignet ist.
2. Es besteht auch ein hinreichendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit: Wegen der zerstörten Vertrauensbasis zur Antragstellerin und den Krankenkassen ist es not-wendig, dass die Beigeladene zu 1) mit sofortiger Wirkung keine weitere Abrechnungsmög-lichkeit mehr hat. Dass die Beigeladene zu 1) während des schwebenden Hauptsacheverfahrens nur wegen der aufschiebenden Wirkung der (offensichtlich aussichtslosen) Klage noch zur Leistungserbringung und -abrechnung berechtigt ist, ist der Antragstellerin unzumutbar. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung dient weiter auch dem Interesse der Versichertenge-meinschaft, mit ihren Beiträgen einem Leistungserbringer, dem bereits die Zulassung in recht-mäßiger Weise entzogen wurde, keine weitere Einkommens- und Gewinnmöglichkeit zu eröff-nen. Im Übrigen sieht die Kammer auch die Gefahr, dass die Abrechnungsfehler sich während der Dauer des Gerichtsverfahrens wiederholen könnten. Die von der Beigeladenen zu 1) ver-antwortlich gemachten übereifrigen Mitarbeiter wurden bisher weder entlassen noch sonst von ihren Aufgaben entbunden. Auch hat die Beigeladene zu 1) nichts dafür vorgetragen, wie sie selbst – bzw. ihre handelnden Gesellschafter – ihren Pflichten zukünftig besser nachkommen will und wer aus dem Gesellschafterkreis bzw. dem Kreis der Geschäftsführung persönlich für die Einhaltung der notwendigen Abrechnungsstandards garantieren kann und soll.
3. Stehen die Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung wie hier mit al-lergrößter Wahrscheinlichkeit fest, kommt eine Entscheidung aufgrund einer Folgenabwägung nicht mehr in Betracht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Der Streitwertbeschluss beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit §§ 53 Nr. 4, 52 Abs. 1 und 2 GKG. Die Kammer folgt bei der Bemessung des Streitwerts den Darstellungen der Antragstellerin aus dem Schriftsatz vom 27. Oktober 2009, die insbesondere auch in Bezug auf den Berechnungsweg (Honorarumsätze eines Jahres abzüg-lich der Praxiskosten) der Rechtsprechung der Kammer, des LSG Berlin-Brandenburg und dem Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit (NZS 2009, S. 496, IX.16.2) entspricht.
Gründe:
I.
Mit Beschluss vom 27. April 2009 hat der Zulassungsausschuss die Zulassung der Beigelade-nen zu 1) zur vertragsärztlichen Versorgung entzogen. Den hiergegen von der Beigeladenen zu 1) eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Beschluss vom 15. Juli 2009 (schrift-liche Fassung vom 21. August 2009) zurück und bestätigte die Zulassungsentziehung. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den schriftlichen Bescheid verwiesen. Die sofortige Vollziehung ordnete der Antragsgegner nicht an. Gegen den Beschluss des Antragsgegners hat die Beigeladene zu 1) am 31. August 2009 Klage erhoben, die beim SG Berlin unter dem Ak-tenzeichen S 83 KA. anhängig ist.
Mit Antragsschrift vom 5. Oktober 2009 hat die Antragstellerin die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch das SG beantragt. Das Vertrauensverhältnis zur Beigeladenen zu 1) sei gestört, eine ordnungsgemäße Patientenbehandlung nicht gewährleistet. Durch die aufschiebende Wirkung der Klage sei sie – die Antragstellerin – jedoch bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Zulassungsentziehung gezwungen, trotz des gestörten Vertrauensverhältnisses die ver-tragsärztliche Leistungserbringung und weitere Abrechnung hinzunehmen. Auch sei zu besor-gen, dass sich die Beigeladene zu 1) auf die Wohlverhaltenszeit bis zur rechtskräftigen Ent-scheidung in der Hauptsache berufen werde, womit das Zulassungsentziehungsverfahren kon-terkariert werde.
Die Antragstellerin beantragt, die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Antragsgegners vom 15. Juli 2009, ausgefertigt am 21. August 2009, anzuordnen.
Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt. Er führt aus, dass er ein besonderes öffentliches Interesse, das über dasjenige an der Entziehung der Zulassung hinausgehe, nicht habe feststel-len können. Ob sich dieses aus dem Antrag der Antragstellerin ergebe, werde der Beurteilung des Gerichts anheim gestellt.
Die Beigeladene zu 1) beantragt, den Antrag zurückzuweisen, und über den Antrag nicht ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
Sie ist der Meinung, dass ihre Hauptsacheklage hinreichende Aussicht auf Erfolg habe, wes-halb die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht in Betracht komme. Aufgrund der zwei-stufigen Struktur medizinischer Versorgungszentren – die Gesellschafter einerseits erbrächten selbst keine ärztlichen Leistungen, seien jedoch Zulassungsinhaber und Abrechnungsberechtig-te im vertragsärztlichen System, dem ärztlichen Personal andererseits obliege eine besondere Verantwortung und dieses sei der vertragsärztlichen Disziplinargewalt unterworfen – könne der Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten nur demjenigen zugerechnet werden, der vertrags-ärztlich tätig werde, mithin den angestellten Ärzten selbst. Im Übrigen liege keine gröbliche Pflichtverletzung vor, die zur Zulassungsentziehung führen könne. Die Zulassungsentziehung sei zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung ungeeignet und auch sonst unverhältnis-mäßig. Schließlich bestehe kein über den Beschluss des Antragsgegners hinausgehendes öf-fentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung. Die Folgen der Anordnung der sofortigen Vollziehung seien für sie – die Beigeladene zu 1) – ungleich härter als die Folgen für die An-tragstellerin, würde die Anordnung unterbleiben.
Die übrigen Beigeladenen haben sich nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens, insbesondere der Beigeladenen zu 1), wird auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet. Die Kammer stimmt mit der Antragstellerin überein, dass die sofortige Vollziehung der Entscheidung des Antragsgegners anzuordnen ist.
Die Kammer hält im Gegensatz zur Beigeladenen zu 1) eine mündliche Verhandlung über den Antrag nicht für erforderlich. Gem. § 124 Abs. 3 SGG können Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist. In Bezug auf den vorliegenden Beschluss des Gerichts ist weder im Allgemeinen (§ 142 SGG) noch im Besonderen (§ 86 b Abs. 4 SGG) bestimmt, dass eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist. Die Kammer sieht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab, weil die Beigeladene zu 1) ausführlich schriftlich Stellung genommen hat. Aus dieser Stel-lungnahme ergibt sich nicht, dass in einer mündlichen Verhandlung mit neuem Sach- oder Rechtsvortrag zu rechnen wäre, zumal der im vorliegenden gerichtlichen Verfahren vorge-brachte Vortrag sich im Wesentlichen mit der Widerspruchsbegründung deckt.
Rechtsgrundlage für die Entscheidung der Kammer ist § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG, wonach das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungs-klage – wie hier – aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen kann. Voraussetzung dafür ist, dass der Beschluss offensichtlich rechtmäßig ist und dass ein besonderes öffentliches Interesse besteht, den Beschluss bereits vor Eintritt seiner Be-standskraft zu vollziehen (vgl. § 97 Abs. 4 SGB V; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leithe-rer, SGG, 9. Auflage 2008, § , Rn. § 86b Rn. 12c). Allerdings dürfen die Anforderungen an das besondere öffentliche Interesse nicht überspannt werden. Denn die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln gegen eine Zulassungsentziehung hat zur Folge, dass der betroffene Arzt – bzw. hier das von der Beigeladenen zu 1) betriebene MVZ – uneingeschränkt zur vertragsärzt-lichen Versorgung zugelassen und berechtigt ist, Leistungen zu erbringen und abzurechnen und das erzielte Honorar behalten darf. Dem entsprechenden Anreiz, auch gegen ersichtlich recht-mäßige Entziehungsentscheidungen zu klagen, um so lange wie möglich Einnahmen aus ver-tragsärztlicher Tätigkeit zu erzielen, kann und darf in eindeutigen Fällen durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung entgegen gewirkt werden (Wenner, Das Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 18 Rn. 41). Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung hier vor.
1. Der angegriffene Beschluss des Antragsgegners ist offensichtlich rechtmäßig. Rechtsgrund-lage für die ausgesprochene Zulassungsentziehung ist § 95 Abs. 6 SGB V i.d.F. des VÄndG. Danach ist die Zulassung zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vor-liegen, der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt (Satz 1). Der Zulassungsausschuss kann in diesen Fällen statt einer vollständigen auch eine hälftige Entziehung der Zulassung be-schließen (Satz 2). Einem medizinischen Versorgungszentrum ist die Zulassung auch dann zu entziehen, wenn die Gründungsvoraussetzung des Absatzes 1 Satz 6 zweiter Halbsatz länger als sechs Monate nicht mehr vorliegt (Satz 3).
Die Voraussetzungen des § 95 Abs. 6 S. 1 3. Alt. SGB V liegen hier vor. Die Antragstellerin hat ihre vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Eine gröbliche Verletzung von vertrags-ärztlichen Pflichten ist zu bejahen, wenn sie so schwer wiegen, dass ihretwegen die Entziehung der Zulassung zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung notwendig ist. Davon ist dann auszugehen, wenn durch die Pflichtverletzungen das Vertrauen der vertragsärztlichen Instituti-onen in die ordnungsgemäße Behandlung der Versicherten und in die Abrechnungen durch den Vertragsarzt oder MVZ so gestört ist, dass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Ver-tragsarzt oder MVZ nicht mehr zugemutet werden kann. Auf Verschulden des Arztes bzw. der Mitarbeiter eines MVZ kommt es nicht an (Pawlita, in: jurisPK-SGB V, 1. Auflage 2008, § 95, Rn. 480 mit Hinweisen zur BSG-Rechtsprechung) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die tatsächlichen Feststellungen des Zulassungsausschusses und des Antragsgegners zu Abrech-nungsfehlern und Beschäftigung und Leistungserbringung von Ärzten, deren Anstellung nicht genehmigt war, werden von der Beigeladenen zu 1) nicht bestritten. Auch die Bewertung die-ser Pflichtverletzungen durch den Antragsgegner als gröblich i.S.d. § 95 Abs. 6 S. 1 3. Alt. SGB V wird von der Kammer geteilt. Die Kammer verweist deshalb in entsprechender An-wendung von § 136 Abs. 3 SGG auf die Begründung des streitgegenständlichen Beschlusses und sieht insoweit von einer eigenen ausführlichen Begründung ab. Insbesondere die Falschab-rechnungen auf nicht vergebenen Arztnummern, auf Arztnummern nicht oder noch nicht mit Genehmigung beschäftigter Ärzte bzw. von Leistungen auf dem Konto eines Arztes, der die Leistungen selbst gar nicht erbracht hat, lassen eine Fortsetzung der Tätigkeit mit dem MVZ unzumutbar erscheinen, weil hier erhebliche öffentliche Interessen finanzieller Art und das Vertrauensverhältnis zwischen Leistungserbringer und vertragsärztlichen Institutionen in sei-nem sensibelsten Bereich betroffen sind. Das Abrechnungssystem in der vertragsärztlichen Versorgung beruht zu einem überwiegenden Teil auf der Annahme der Richtigkeit der Abrech-nung, weil diese nur eingeschränkt überprüfbar ist. Im Gegenzug zu diesem den Leistungserb-ringern entgegengebrachten Vertrauen besteht die vertragsärztliche Pflicht zur peinlich genau-en Abrechnung. Die Verletzung dieser Pflicht in einem Umfang, wie es im Quartal IV/2008 durch die Beigeladene zu 1) erfolgte, zerstört das notwendige Vertrauensverhältnis irreparabel und auf Dauer.
Die von der Beigeladenen zu 1) gegen den Beschluss des Antragsgegners vorgetragenen Ein-wendungen verfangen nicht. Im Einzelnen:
Die Ausführungen zur zweistufigen Struktur eines MVZ mit unterschiedlichen Verantwort-lichkeiten überzeugen nicht. Wie die Beigeladene zu 1) selbst ausführt, ist die Trägergesell-schaft bzw. ihre Gesellschafter Zulassungsinhaber und Abrechnungsberechtigte. Dieser Ab-rechnungsberechtigung steht die Verantwortung für eine rechtlich und tatsächlich einwandfreie Abrechnung gegenüber. Die Abrechnung gegenüber der Antragstellerin ist Teil der kaufmänni-schen Praxisführung, die der Geschäftsführung und damit der Gesellschaft selbst obliegt. Sie ist gerade nicht Bestandteil der Leistungserbringung im engeren Sinn, die in der Behandlung von Patienten besteht. Bezogen auf die Richtigkeit der Abrechnung beschränkt sich die Ver-antwortung der angestellten Ärzte darauf, die zur Abrechnung an die Geschäftsführung bzw. Buchhaltung übermittelten Leistungspositionen auch tatsächlich, vollständig und persönlich erbracht zu haben. Um diesen Gesichtspunkt der (in)korrekten Abrechnung geht es im vorlie-genden Fall aber nicht. Der vorliegende Verstoß gegen die Pflicht zur peinlich genauen Ab-rechnung beruhte gerade nicht auf dem Fehlverhalten der angestellten Ärzte.
Das Fehlverhalten der Beigeladenen zu 1) kann nicht durch den im Laufe des Jahres 2008 er-folgten Umzug oder durch die Fehler der Praxissoftware abgeschwächt oder gar entschuldigt werden, zumal es auf ein Verschulden – wie bereits ausgeführt – nicht ankommt. Die Beigela-dene zu 1) ist nicht erst im Quartal IV/2008, sondern bereits zum 17. August 2008 umgezogen. Ihre Abrechnung für das Quartal IV/2008 hat sie ausweislich ihres Vorbringens im Wider-spruchsverfahren erst am 29. Januar 2009 eingereicht und unmittelbar zuvor abschließend er-stellt. Im Übrigen war sie – unter anderem Namen – bereits seit 1. April 2008 zugelassen, so dass knapp zehn Monate Zeit war, um die verantwortlichen Mitarbeiter in das Abrechnungs-system einzuarbeiten. Im Übrigen sollte die Beigeladene zu 1) gerade in den ersten Quartalen nach der Zulassung, wenn noch Unsicherheiten mit der Abrechnung bestehen, und nach Ein-führung einer neuen Praxissoftware die Abrechnung besonders sorgfältig erstellen und auf Feh-ler überprüfen. Hätte sie diese notwendige Sorgfalt an den Tag gelegt, hätten ihr die erhebli-chen und offensichtlichen Abrechnungsfehler auffallen müssen.
Die Ungenauigkeiten der Praxissoftware haben letztlich nicht zu der fehlerhaften Abrechnung geführt. Dass die Software die Eingabe und das Überschreiben von lebenslangen Arztnummern nicht verhindert, ändert nichts daran, dass die Falschabrechnung letztlich auf der Eingabe der falschen Arztnummern durch die Mitarbeiter der Beigeladenen zu 1) beruht. Auch kann die Nutzung der falschen Arztnummern nicht in Unkenntnis der Beigeladenen zu 1) erfolgt sein. Aus den sachverständigen Stellungnahmen zur verwendeten Praxissoftware ergibt sich, dass es bei Eingabe einer fehlerhaften Arztnummer seitens der Software Warnhinweise gegeben hat. Diese Warnhinweise müssen die Mitarbeiter der Beigeladenen zu 1) bewusst, zumindest aber in grob fahrlässiger Weise übergangen haben. Schließlich sind die Fehler allein mit der Fehl-eingabe bzw. Überschreibung der Arztnummern nicht zu erklären: So sollen die unter der Arzt-nummer von Frau Dr. S abgerechneten Leistungen wegen eines Überschreibungsfehlers Herrn Dr. H zuzuordnen sein. In diesem Fall müssten aber alle Leistungen, die Dr. H im Quartal IV/2008 erbracht haben soll, der Arztnummer der Frau Dr. S zugeordnet worden sein. Dies ist indes nicht der Fall. Wie der Antragsgegner festgestellt hat, sind jedenfalls zwei Scheine auch mit der Arztnummer des Dr. H abgerechnet worden. Dieser Widerspruch ist nicht zu erklären.
Die Zulassungsentziehung ist nicht unverhältnismäßig. Soweit die Beigeladene zu 1) die Unge-eignetheit der Maßnahme geltend macht, weil die letztlich verantwortlichen Ärzte wieder zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden könnten, steht dem zum einen entgegen, dass die Verantwortung für die vorliegenden Abrechnungsfehler – wie bereits dargelegt – im kauf-männisch-betriebswirtschaftlichen Bereich liegen und damit die Beigeladene zu 1) bzw. ihre Gesellschafter trifft. Zum anderen wären die Ärzte – sollte sich ihre (Mit-)Verantwortung noch herausstellen – jedenfalls bis zum Ablauf der Schamfrist von fünf Jahren wegen Ungeeignet-heit von der Zulassung ausgeschlossen (vgl. § 21 Ärzte-ZV: Ungeeignetheit bei sonstigen in der Person liegenden schwerwiegenden Mängeln).
Soweit die Beigeladene zu 1) vorträgt, sie habe die ärztliche Leistung und den Standortmana-ger des von ihr betrieben MVZ bereits ausgetauscht bzw. der Antragsgegner hätte dies anstelle der Zulassungsentziehung anordnen sollen, so ist diese Rechtsfolge zum einen vom Gesetz nicht vorgesehen, stellt zum anderen aber auch kein geeignetes milderes Mittel dar. Denn das Vertrauen der vertragsärztlichen Institutionen in die die Abrechnungsgenehmigung innehaben-de GmbH und deren Gesellschafter kann dadurch nicht wiederhergestellt werden. Im Übrigen hat die Beigeladene zu 1) immer wieder vorgetragen, die Abrechnungsfehler seien durch über-eifrige und ungeübte Mitarbeiter zustande gekommen, ohne diese allerdings zu benennen. Die-se müssten zusätzlich auch alle entlassen bzw. von ihren Aufgaben entbunden werden, was a-ber kaum möglich erscheint und was die Beigeladene zu 1) offensichtlich nicht in Betracht zieht.
Schließlich ist die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne auch gegeben. Da nach § 95 Abs. 6 S. 1 3. Alt. SGB V gröbliche Pflichtverletzungen zwingend und ohne Ermessen des Antragsgeg-ners den Entzug der Zulassung zur Folge hat, ist die Verhältnismäßigkeit durch eine restriktive Auslegung des Tatbestandsmerkmals der gröblichen Pflichtverletzung zu wahren. Eine solche Auslegung hat der Tatbestand durch die Rechtsprechung des BSG, die die Kammer übernom-men hat, erfahren. Ist aber unter diesen Vorgaben dennoch eine gröbliche Pflichtverletzung – wie hier – zu bejahen, so ist keine Unverhältnismäßigkeit gegeben. Es ist nochmals zu betonen, dass die Verstöße im sensibelsten Bereich des Vertrauensverhältnisses liegen und von unge-wöhnlich großem Umfang sind (807 Scheine, 2304 Gebührenordnungspositionen). Hinzu kommen noch die Verstöße der Beschäftigung und der Leistungserbringung von Ärzten, deren Anstellung durch den Zulassungsausschuss nicht genehmigt war.
Die hälftige Entziehung der Zulassung nach § 95 Abs. 6 S. 2 SGB V kommt nicht in Betracht, weil dies zur Behebung des Vertrauensverlustes nicht geeignet ist.
2. Es besteht auch ein hinreichendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit: Wegen der zerstörten Vertrauensbasis zur Antragstellerin und den Krankenkassen ist es not-wendig, dass die Beigeladene zu 1) mit sofortiger Wirkung keine weitere Abrechnungsmög-lichkeit mehr hat. Dass die Beigeladene zu 1) während des schwebenden Hauptsacheverfahrens nur wegen der aufschiebenden Wirkung der (offensichtlich aussichtslosen) Klage noch zur Leistungserbringung und -abrechnung berechtigt ist, ist der Antragstellerin unzumutbar. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung dient weiter auch dem Interesse der Versichertenge-meinschaft, mit ihren Beiträgen einem Leistungserbringer, dem bereits die Zulassung in recht-mäßiger Weise entzogen wurde, keine weitere Einkommens- und Gewinnmöglichkeit zu eröff-nen. Im Übrigen sieht die Kammer auch die Gefahr, dass die Abrechnungsfehler sich während der Dauer des Gerichtsverfahrens wiederholen könnten. Die von der Beigeladenen zu 1) ver-antwortlich gemachten übereifrigen Mitarbeiter wurden bisher weder entlassen noch sonst von ihren Aufgaben entbunden. Auch hat die Beigeladene zu 1) nichts dafür vorgetragen, wie sie selbst – bzw. ihre handelnden Gesellschafter – ihren Pflichten zukünftig besser nachkommen will und wer aus dem Gesellschafterkreis bzw. dem Kreis der Geschäftsführung persönlich für die Einhaltung der notwendigen Abrechnungsstandards garantieren kann und soll.
3. Stehen die Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung wie hier mit al-lergrößter Wahrscheinlichkeit fest, kommt eine Entscheidung aufgrund einer Folgenabwägung nicht mehr in Betracht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Der Streitwertbeschluss beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit §§ 53 Nr. 4, 52 Abs. 1 und 2 GKG. Die Kammer folgt bei der Bemessung des Streitwerts den Darstellungen der Antragstellerin aus dem Schriftsatz vom 27. Oktober 2009, die insbesondere auch in Bezug auf den Berechnungsweg (Honorarumsätze eines Jahres abzüg-lich der Praxiskosten) der Rechtsprechung der Kammer, des LSG Berlin-Brandenburg und dem Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit (NZS 2009, S. 496, IX.16.2) entspricht.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
Saved