L 12 AS 14/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 17 (28) AS 44/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 14/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 10/10 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Beschw. d. Kl. abgelehnt
Es wird festgestellt, dass das Verfahren L 12 AS 55/07 durch die Rücknahmeerklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 18.02.2009 erledigt ist. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Ursprünglich stand zwischen den Beteiligten die Aufhebung von Leistungsbescheiden und die Geltendmachung des Erstattungsbetrages gegenüber dem Kläger im Streit. Nunmehr begehrt der Kläger nach Berufungsrücknahme die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens.

Der 1947 geborene Kläger stellte im September 2004 bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Im Antragsformular trug er als nicht getrennt lebenden Ehepartner seine Ehefrau, Frau X E, ein. Als Adresse gab er nach Aktenlage allein "T 00, C" an. Der Kläger bestätigte mit seiner Unterschrift die Richtigkeit seiner Angaben.

Mit Bescheid vom 19.11.2004 bewilligte die Beklagte Leistungen für den Kläger und seine Ehefrau von 01.01.2005 bis 30.06.2005 in Höhe von monatlich 1.077,00 EUR.

Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass neben dem Kläger seine Ehefrau bei der Berechnung berücksichtigt worden sei. Die Beklagte verwies in dem Bescheid zudem darauf, dass die Kosten der Unterkunft für einen Zweipersonenhaushalt unangemessen hoch seien. Der Kläger wurde unter Fristsetzung aufgefordert, die monatlichen Aufwendungen hierfür zu senken. Im Mai 2005 stellte der Kläger einen Fortzahlungsantrag. Dabei gab er an, dass sich in den persönlichen Verhältnissen keine Änderungen ergeben hätten. Daraufhin bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 31.05.2005 für die Eheleute weitere Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 1.077,00 EUR für den Zeitraum vom 01.07.2005 bis 31.12.2005. Auch im Zuge eines weiteren Fortzahlungsantrages aus November 2005 bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 12.12.2005 für den Kläger und seine Ehefrau Leistungen in dieser Höhe für die Zeit vom 01.01.2006 bis 31.06.2006.

Nach Angaben der Beklagten wurde dieser nachfolgend bekannt, dass zwar der Kläger unter der angegebenen Anschrift, seine Ehefrau dagegen seit dem 30.09.1998 unter der Adresse C-straße 00 in C1 gemeldet war.

Mit Schreiben vom 19.04.2006 wurde der Kläger hinsichtlich einer Überzahlung in Höhe von 5.396,55 EUR angehört. Die Ehefrau des Klägers habe sich während des gesamten Leistungsbezuges nie in C aufgehalten, sondern sei ständig in C1 wohnhaft gewesen. Insoweit sei die Leistungsgewährung für die Ehefrau durch den nach § 36 SGB II örtlich unzuständigen Träger erfolgt.

Mit Bescheid vom 19.04.2006 wurden dem Kläger für die Zeit ab 01.04.2006 nunmehr Leistungen für eine Person gewährt. Daneben wurden die Leistungen für die Unterkunftskosten auf die durch die Beklagte für einen Einpersonenhaushalt als angemessen erachtete Grenze reduziert.

Mit Schreiben vom 05.05.2006 reagierte der Kläger auf die Anhörung. Er machte geltend, dass er bei der Abgabe des Antrags durchaus angegeben habe, dass seine Ehefrau sich dauernd in C1 aufhalte. Diese halte sich dort lediglich aus gesundheitlichen Gründen auf, so dass sie nicht als getrennt lebend, sondern allenfalls als getrennt wohnend bezeichnet werden könnten. Es sei seiner Ehefrau von den Berliner Behörden mitgeteilt worden, dass sie trotz der räumlichen Trennung gleichwohl in leistungsrechtlicher Hinsicht zu ihrem Ehemann zu rechnen sei. Darüber hinaus erfolge die Absenkung der Leistungen für die Unterkunft zu Unrecht.

Mit Bescheid vom 24.05.2006 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II vom 01.01.2005 bis 30.03.2006 teilweise in Höhe von 5.396,55 EUR gegenüber dem Kläger auf und forderte diesen Betrag von ihm zurück.

Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache bei der Beklagten am 12.06.2006 gab der Kläger an, dass sein Schreiben vom 05.05.2006 auf die Anhörung als Widerspruch gegen die Entscheidung über die Aufhebung und Rückforderung der Leistungen gewertet werden sollte.

Der Widerspruch gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2006 nach einer Reduzierung des zu erstattenden Betrages auf 4.155,00 EUR als unbegründet zurückgewiesen. In Folge des dauernden Aufenthalts der Ehefrau des Klägers in C1 ab September 1998 habe diese ihren Lebensmittelpunkt nicht mehr in C gehabt, so dass sie nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft des Klägers gewesen sei. Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung sei § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) heranzuziehen, da der Kläger bei der Antragstellung falsche Angaben gemacht habe, welche er im weiteren Verlauf durch die Abgabe der Fortzahlungsanträge bestätigt habe, in denen er stets angegeben habe, dass Änderungen nicht eingetreten seien. Die Höhe der Rückforderung ergebe sich aus den insoweit zu Unrecht geleisteten Regelleistungen für die Ehefrau, wobei berücksichtigt werde, dass dem Kläger infolge der nun bekannten Umstände die erhöhte Regelleistung für einen Alleinstehenden zustünde. Der erhobene Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.04.2006 bezüglich der Absenkung der Unterkunftskosten wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26.10.2006 ebenfalls als unbegründet zurückgewiesen. Infolge des unterlassenen Nachweises der Bemühungen zur Kostensenkung habe der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung der Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe.

Der Kläger hat am 27.11.2006 von dem Sozialgericht Köln Klage gegen beide Widerspruchsbescheide erhoben und zur Begründung insbesondere ergänzend angeführt, dass die Überzahlung durch einen Fehler der Beklagten verursacht worden sei. Denn dieser sei es durchaus möglich gewesen, mittels eines Datenabgleichs herauszufinden, dass seine Ehefrau in C1 wohne.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 25.07.2007 hat der Kläger seine Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 26.10.2006 - betreffend die Absenkung der Unterkunftskosten - zurück genommen.

Der Kläger hat sodann beantragt,

den Bescheid vom 24.05.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2006 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, dass die Leistungsgewährung von Beginn an rechtswidrig erfolgt sei, da sie als örtlich unzuständiger Leistungsträger gehandelt habe. Bei dem Kläger und seiner Ehefrau lägen weder eine Wohn- noch eine Wirtschaftsgemeinschaft vor, weil sich die Ehefrau des Klägers seit dem September 1998 durchgängig in C1 aufgehalten habe. Insoweit sei die Ehefrau von Beginn des Leistungsbezuges des Klägers an nicht Mitglied seiner Bedarfsgemeinschaft gewesen.

Mit Urteil vom 25.07.2007 hat das Sozialgericht Köln die Klage des Klägers abgewiesen. Die Beklagte habe zu Recht die ergangenen Bewilligungsbescheide für den Zeitraum von Januar 2005 bis März 2006 nach § 45 SGB X zurückgenommen, soweit darin der Ehefrau des Klägers Leistungen gewährt worden sind. Denn diese habe nicht zur Bedarfsgemeinschaft des Klägers gehört und insoweit habe kein Anspruch auf Gewährung entsprechender Leistungen durch die Beklagte bestanden. Entgegen dem Vortrag des Klägers sei von einem Getrenntleben auszugehen. Das Vertrauen des Klägers auf den Bestand der Leistungsbewilligung sei nicht schutzwürdig, weil dieser zumindest grob fahrlässig unrichtige Angaben gemacht und die Rechtswidrigkeit der Bewilligung nicht erkannt habe. Die Beklagte habe schließlich auch die Jahresfrist für die Rücknahme gewahrt. Der Kläger habe nach § 50 Abs. 1 SGB X die für die Zeit von Januar 2005 bis März 2006 erbrachten Leistung in Höhe von 4.155,00 EUR zu erstatten. Die Beklagte habe hierbei zutreffend berücksichtigt, dass dem Kläger als Alleinstehender ein höherer Regelsatz zustehe.

Das Urteil ist dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am 09.08.2007 zugestellt worden.

Am 26.09.2007 hat er gegen das Urteil "Widerspruch" eingelegt und darauf verwiesen, dass er sich aufgrund eines Rezidivs der Krebserkrankung seiner Ehefrau über mehrere Monate in C1 aufgehalten habe. Seine Ehefrau sei am 00.00.2007 verstorben. Trotz eines Nachsendeauftrages sei ihm das Urteil nicht zugeleitet worden. Inhaltlich sei das Urteil des Sozialgerichts Köln fehlerhaft.

Der "Widerspruch" vom 26.09.2007 ist als Berufung gewertet und zunächst unter dem Aktenzeichen L 12 AS 55/07 geführt worden. Mit Beschluss vom 18.03.2008 hat der Senat dem Kläger hinsichtlich der Nichteinhaltung der Rechtsmittelfrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gewährt.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.02.2009 hat der Bevollmächtigte des Klägers im Einverständnis mit dem Kläger ausweislich des Protokolls erklärt: "Ich nehme die Berufung zurück". Diese Prozesserklärung ist laut diktiert, erneut abgespielt und genehmigt worden.

Mit Schreiben vom 19.02.2009 hat sich der Kläger erneut an das Gericht gewandt und darauf verwiesen, dass die Rücknahme der Berufung durch ein Missverständnis entstanden sei. Er habe mit seinem Bevollmächtigten vereinbart, dass er die Berufung nur unter der Bedingung zurücknehme, dass die Gegenseite einen großen Teil der Rückzahlungsforderung erlässt. Diese Bedingung habe die Vertreterin der Beklagten nicht einhalten können bzw. wollen. Daher sei die Berufung wieder einzusetzen. Sollte das Verfahren nicht wieder aufgenommen werden, so werde er sich an die "Gerichtskammer" und den Bundesgerichtshof wenden.

Inhaltlich hat der Kläger seinen Vortrag unter anderem dahingehend erweitert, dass er erhebliche Gegenansprüche gegen die Beklagte habe, denn seine Ehefrau habe aufgrund des Schweigens der Beklagten zu seinem Widerspruch über einen Zeitraum von sechs Monaten nicht die Möglichkeit gehabt, einen entsprechenden Leistungsantrag zu stellen. Sie habe sich vielmehr Geld leihen müssen.

Nach Hinweis des Senats, dass das Verfahren abgeschlossen sei, hat sich der Kläger mit einer "Beschwerde" an das Sozialgericht Köln gewandt und gebeten, diese Beschwerde an die "Gerichtskammer" oder eine andere zuständige Stelle weiterzuleiten.

Aufgrund dieses Schreibens ist der Rechtsstreit unter dem Aktenzeichen L 12 AS 14/09 zunächst zur Prüfung der Wirksamkeit des Verfahrensabschlusses wieder eingetragen worden. Der Bevollmächtigte hat mitgeteilt, dass das Mandat erledigt sei und er den Kläger nicht mehr vertrete.

Der Kläger beantragt nunmehr schriftsätzlich sinngemäß,

1.festzustellen, dass das Verfahren L 12 AS 55/07 durch die Rücknahmeerklärung in der mündlichen Verhandlung vom 18.02.2009 nicht erledigt ist,
2.das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 25.07.2007 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 24.05.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

festzustellen, dass das Verfahren L 12 AS 55/07 durch die Rücknahmeerklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 18.02.2009 erledigt ist.

Sie sieht keine Gründe für die Fortsetzung des Verfahrens.

Der Kläger ist mit Postzustellungsurkunde vom 22.10.2009 zum erneuten Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.11.2009 geladen worden. Die Ladung enthielt den Hinweis, dass auch ohne sein Erscheinen entschieden werden kann. Der Kläger ist zu dem Termin weder selbst erschienen noch hat er einen Vertreter entsandt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, die ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Senat kann eine für den Kläger günstige Sachentscheidung nicht mehr treffen, da das Berufungsverfahren aufgrund der Erklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 18.02.2009, er nehme die Berufung zurück, seine Erledigung gefunden hat. Denn die Rücknahme bewirkt den Verlust des Rechtsmittels, § 156 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 18.02.2009 hat der Bevollmächtigte die Berufung zurückgenommen und der Kläger hat sich seinerseits damit einverstanden erklärt.

Die Sitzungsniederschrift erbringt als öffentliche Urkunde den Beweis für die tatsächliche Abgabe und inhaltliche Vollständigkeit der in ihr aufgeführten Prozesserklärungen, § 202 SGG i.V.m. § 415 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Formvorschriften der §§ 153 Abs. 1, 122 SGG i.V.m. 162 Abs. 1 ZPO sind gewahrt, denn die Rücknahmeerklärung wurde anschließend nach nochmaligem Abspielen genehmigt.

Dem Protokoll ist hingegen nicht zu entnehmen, dass die prozessbeendende Erklärung des Bevollmächtigten des Klägers unter einer Bedingung formuliert worden ist. Ob der Kläger im Innenverhältnis zu seinem Bevollmächtigten eine solche Bedingung formuliert oder sich mental vorbehalten hat, ist unerheblich. Maßgeblich ist allein die dem Gericht gegenüber abgegebene unbedingte Erklärung.

Der Kläger hat seine Prozesshandlung auch nicht durch nachfolgende Erklärungen wieder beseitigt. Er hat seine Rücknahme des Rechtsmittels weder erfolgreich angefochten noch widerrufen.

Die Anfechtung einer Berufungsrücknahme aufgrund von Willensmängeln ist grundsätzlich unzulässig. Eine solche Anfechtung kommt entsprechend § 123 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) allenfalls bei Willensmängeln in Betracht, die auf Täuschung oder Drohung beruhen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 156 Rd. 2a). Diese Voraussetzungen sind nicht ersichtlich.

Auch ein Widerruf der Rücknahmeerklärung kommt nicht in Betracht. Hierfür müsste ein Sachverhalt vorliegen, der eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß §§ 179, 180 SGG i.V.m. § 578 ff ZPO durch Restitutionsklage rechtfertigen würde (Keller a.a.O.). Diese Voraussetzungen sind ebenfalls nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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