Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 SB 6291/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 3195/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 05.06.2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Kläger erstrebt die behördliche Feststellung einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen G).
Der im Jahre 1956 geborene Kläger erlitt am 01.11.2002 bei einem Motorradunfall u. a. ein Schädelhirntrauma mit Hirnkontusion und traumatischer Subarachnoidalblutung. Er leidet zwischenzeitlich an einem leichten hirnorganischen Psychosyndrom mit Einschränkungen im affektiven und kognitiven Bereich (Konzentrations- und Gedächtnisstörung, vermehrte Reizbarkeit und emotionale Labilität). Am 22.05.2005 erlitt er einen epileptischen Grand Mal Anfall. Unter Medikation mit Carbamazepin bestand ab Ende Mai 2005 zunächst Anfallsfreiheit.
Am 06.07.2006 stellte der Kläger einen Erstantrag nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Zur Begründung gab er an, er habe Angst vor weiteren epileptischen Anfällen und leide an Depressionen; darüber hinaus sei er dem Zeitdruck nicht mehr gewachsen und interesselos. Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. T.-T. vom 16.08.2006 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 05.09.2006 beim Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit dem 22.05.2006 wegen der Funktionsbeeinträchtigungen Schädel-Hirn-Trauma, hirnorganisches Psychosyndrom und Anfallsleiden fest. Die Feststellung gesundheitlicher Merkmale (Merkzeichen), insbesondere des Merkzeichens G, lehnte er ab.
Der Kläger erhob Widerspruch und begehrte die Feststellung eines GdB von mindestens 60 sowie die Feststellung des Merkzeichens G. Zur Begründung des letztgenannten Begehrens trug er vor, auf Grund des Traumas sei seine Orientierung nicht gewährleistet. Nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. M. vom 06.11.2006 wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.11.2006 zurück. Die beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen seien mit einem GdB von 50 angemessen bewertet. Ein Hinweis auf erhebliche Orientierungsstörungen bestehe nicht, so dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G nicht vorlägen.
Am 19.12.2006 erhob der Kläger beim Sozialgericht Freiburg Klage, mit der er sein Begehren weiter verfolgte. Zur Begründung trug er ergänzend vor, bei ihm seien vom 22. bis zum 25.05.2005 insgesamt drei epileptische Anfälle aufgetreten, der erste zu Hause, der zweite auf der Fahrt von seiner Wohnung zum Krankenhaus und der dritte im Krankenhaus selbst.
Das Sozialgericht holte schriftliche sachverständige Zeugenaussagen der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. vom 04.01.2008 und des Diplom Psychologen Dr. U. vom 06.09.2008 ein. Dr. M. berichtete von einem unauffälligen Hirnnervenstatus, von Reflexen, Zeige- und Vorhalteversuchen ohne pathologischen Seitenhinweis sowie von einem Rombergversuch mit vermehrter ungerichteter Unsicherheit. Angesichts der Gleichgewichtsstörung seien auch Beeinträchtigungen bei längerem Gehen anzunehmen. Übliche Wegstecken im Ortsverkehr könne der Kläger ohne Gefahr zurücklegen; mit längerer Gehstrecke (Ermüdung) könnten sich die Einschränkungen erhöhen. Eine Gehstrecke von zwei Kilometern in einer halben Stunde könne der Kläger mit großer Wahrscheinlichkeit nicht beschwerdefrei zurücklegen. Er könne sich allerdings im Straßenverkehr auf Wegen, die er nicht täglich benutze, ausreichend zurechtfinden. Ärztlicherseits bestätigt wurde schließlich ein einmaliger Krampfanfall des Klägers am 22.05.2005. Dr. U. gab an, der Kläger habe sich im Oktober 2006 zweimal bei ihm vorgestellt und von einem einmaligen Krampfanfall berichtet. Er leide neben den neurologischen Störungen an einer mittelgradigen depressiven Episode mit somatischen Symptomen. Den GdB für die Hirnschädigung mit psychischer Störung schätze er auf 60. Auswirkungen auf die Gehfähigkeit bestünden nicht. Der Kläger könne ohne erhebliche Schwierigkeiten oder Gefahren übliche Wegstrecken im Ortsverkehr zu Fuß zurücklegen. Auf Grund der Anfallsfreiheit unter medikamentöser Einstellung könne er sich im Straßenverkehr auf Wegen, die er nicht täglich benutze, zurechtfinden.
Auf Anfrage des Sozialgerichts lehnte der Kläger die Erteilung der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Schriftsatz vom 24.03.2009 ab.
Ohne eine mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben, änderte das Sozialgericht mit Urteil vom 05.06.2009 den Bescheid vom 05.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2006 ab und verurteilte den Beklagten, beim Kläger einen Gesamt-GdB von 60 seit dem 06.07.2006 anzuerkennen; im Übrigen wies es die Klage ab. Zwar sei dem Kläger unter Berücksichtigung eines Einzel-GdB von 40 für das Anfallsleiden und von 30 für den leichten Hirnschaden mit psychischen Störungen ein Gesamt-GdB von 60 zuzuerkennen. Indes seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G nicht erfüllt. Der Kläger sei nicht in Folge von Orientierungslosigkeit nicht dergestalt beeinträchtigt, dass er nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder Gefahren für sich bzw. andere Wegstrecken im Ortverkehr zurücklegen könne. Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen bzw. der Lendenwirbelsäule oder innere Erkrankungen bzw. eine Atembehinderung lägen nicht vor. Bei hirnorganischen Anfällen sei auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage aufträten. Dies sei aber nicht der Fall. Diese Entscheidung wurde dem Kläger am 19.06.2009 zugestellt.
Am 15.07.2009 hat der Kläger Berufung eingelegt und weiterhin die Zuerkennung des Merkzeichens G begehrt.
Zur Begründung trägt er vor, er habe zwischenzeitlich vier epileptische Anfälle, zuletzt am 14.02.2009, erlitten. Zur Bestätigung bezieht er sich auf das an den Beklagten gerichtete Schreiben von Dr. M. vom 16.07.2009 samt vorläufiger Mitteilung des O. Klinikums vom 14.02.2009.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 05.06.2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 05.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2006 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen G) festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, die vom Kläger geltend gemachten weiteren epileptischen Anfälle seien nicht belegt. Im Übrigen verweist er unter Vorlage des entsprechenden Protokolls auf die Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom November 2008, eine mittlere Anfallshäufigkeit nur dann als für die Zuerkennung des Merkzeichens genügen zu lassen, wenn die Anfälle mit einem GdB/Grad der Schädigung (GdS) von wenigstens 70 zu bewerten sind.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats und des Sozialgerichts Freiburg sowie die beigezogenen Schwerbehindertenakten des Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat entscheidet im erklärten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Zwar hätte das Sozialgericht nach § 124 Abs. 1, Abs. 2 SGG nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen, da der Kläger sein Einverständnis zu einer solchen Entscheidung nicht erteilt hatte. Das erstinstanzliche Verfahren leidet deshalb an einem wesentlichen Mangel, der den Senat gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG berechtigt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Streitsache an das Sozialgericht zurückzuverweisen. In Anwendung des ihm nach § 159 SGG eingeräumten Ermessens sieht der Senat indes aus Gründen der Prozessökonomie von einer solchen Zurückverweisung ab, nachdem der Kläger selbst eine Sachentscheidung im Berufungsverfahren begehrt und die Berufungsinstanz in vollem Umfang als zweite Tatsacheninstanz ausgestattet ist.
In der Sache hat das Sozialgericht die auf Verurteilung des Beklagten zur Feststellung einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit des Klägers im Straßenverkehr (Merkzeichen G) gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 05.09.2006 und der Widerspruchsbescheid vom 22.11.2006 sind im allein zur Entscheidung des Berufungsgerichts gestellten Umfang rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Denn er hat keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G.
Die Voraussetzungen für die erstrebte Feststellung hat das Sozialgericht im Urteil vom 05.06.2009 unter Zugrundelegung der zum 01.01.2009 in Kraft getretenen und gemäß § 69 Abs. 4 SGB IX auch für die Feststellung gesundheitlicher Merkmale geltenden "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" - VG (Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz [BVG] [Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV - vom 10. Dezember 2008, BGBl. I, S. 2412]), mit denen eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP), von wenigen hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen, nicht einhergeht - ausführlich und zutreffend dargelegt; hierauf wird verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
In Anwendung dieser Grundsätze sind die Voraussetzungen für die begehrte Feststellung einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen G) nicht erfüllt. Denn eine mittlere Anfallshäufigkeit (vgl. Teil D Nr. 1. Buchst. e S. 114 der VG bzw. Nr. 30 Abs. 4 S. 138 der AHP 2004 und 2008), also generalisierte (große) und komplex-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen; kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Tagen (vgl. Teil B Nr. 3.1.2 S. 22 der VG bzw. Nr. 26.3 S. 43 der AHP 2004 und 2008) liegen nicht vor. Dies gilt selbst dann, wenn man bezogen auf die Zeit vom 22.05. bis zum 25.05.2005 von insgesamt drei (vgl. hierzu den Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 07.02.2007 an das Sozialgericht) und darüber hinaus von zwei weiteren epileptischen Anfällen am 26.07.2008 und am 14.02.2009 (vgl. hierzu die Berufungsschrift der Prozessbevollmächtigten des Kläger vom 14.07.2009) ausgeht. Denn zwischen diesen Anfällen liegen nicht nur Pausen von Wochen, sondern von Monaten und sogar Jahren. Darauf, dass der Verordnungsgeber der Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom November 2008, eine mittlere Anfallshäufigkeit nur dann für die Zuerkennung des Merkzeichens genügen zu lassen, wenn die Anfälle mit einem GdB/GdS von wenigstens 70 zu bewerten sind (vgl. hierzu das vom Beklagten vorgelegte Protokoll der Sitzung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats vom 06. und 07.11.2008) bisher nicht gefolgt ist, kommt es mithin nicht an.
Eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr lässt sich im Ergebnis auch nicht mit Gleichgewichtsstörungen des Klägers begründen. Zwar hat die behandelnde Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. in der vom Sozialgericht eingeholten sachverständigen Zeugenaussage von einer vermehrten ungerichteten Unsicherheit des Klägers beim Rombergversuch berichtet. Indes lässt sich aus der damit gezeigten Gleichgewichtsstörung bei geschlossenen Augen (vgl. zum Inhalt des Rombergversuchs Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch) eine hier erhebliche Einschränkung der Wegefähigkeit für sich allein nicht ableiten. Soweit Dr. M. ausgeführt hat, der Kläger könne eine - hier maßgebliche (vgl. Teil D Nr. 1. Buchst. b S. 40 der VG sowie Nr. 30 S. 137 der AHP 2004 und 2008) - Wegstrecke von etwa zwei Kilometern in etwa einer halben Stunde mit großer Wahrscheinlichkeit nicht beschwerdefrei zurücklegen, liegt dem die Annahme einer durch vorzeitige Ermüdung herbeigeführten Gleichgewichtsproblematik auch bei geöffneten Augen zugrunde. Allerdings sind weder eine solche vorzeitige Ermüdung noch damit zwangsläufig einhergehende und zudem unzumutbare (vgl. zu diesem Kriterium BSG, Urteil vom 24.04.2008 - B 9/9a SB 7/06 R - SozR 4 - 3250 § 146 Nr. 1) Beschwerden schlüssig dargelegt. Dies wäre aber erforderlich gewesen, nachdem die genannte Ärztin in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage gegenüber dem Sozialgericht selbst ausdrücklich bestätigt hat, dass der Kläger in der Lage ist, übliche Wegstrecken ohne Gefahren für sich oder andere zu Fuß zurückzulegen.
Ein Anspruch auf die erstrebte Feststellung ergibt sich schließlich auch nicht aus einer mangelnden Orientierungsfähigkeit des Klägers. Denn Dr. M. und Dr. U. haben in ihren vom Sozialgericht eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen übereinstimmend bestätigt, dass der Kläger in der Lage ist, sich im Straßenverkehr auf Wegen, die er nicht täglich benutzt, ausreichend zurecht zu finden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Kläger erstrebt die behördliche Feststellung einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen G).
Der im Jahre 1956 geborene Kläger erlitt am 01.11.2002 bei einem Motorradunfall u. a. ein Schädelhirntrauma mit Hirnkontusion und traumatischer Subarachnoidalblutung. Er leidet zwischenzeitlich an einem leichten hirnorganischen Psychosyndrom mit Einschränkungen im affektiven und kognitiven Bereich (Konzentrations- und Gedächtnisstörung, vermehrte Reizbarkeit und emotionale Labilität). Am 22.05.2005 erlitt er einen epileptischen Grand Mal Anfall. Unter Medikation mit Carbamazepin bestand ab Ende Mai 2005 zunächst Anfallsfreiheit.
Am 06.07.2006 stellte der Kläger einen Erstantrag nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Zur Begründung gab er an, er habe Angst vor weiteren epileptischen Anfällen und leide an Depressionen; darüber hinaus sei er dem Zeitdruck nicht mehr gewachsen und interesselos. Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. T.-T. vom 16.08.2006 stellte der Beklagte mit Bescheid vom 05.09.2006 beim Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 seit dem 22.05.2006 wegen der Funktionsbeeinträchtigungen Schädel-Hirn-Trauma, hirnorganisches Psychosyndrom und Anfallsleiden fest. Die Feststellung gesundheitlicher Merkmale (Merkzeichen), insbesondere des Merkzeichens G, lehnte er ab.
Der Kläger erhob Widerspruch und begehrte die Feststellung eines GdB von mindestens 60 sowie die Feststellung des Merkzeichens G. Zur Begründung des letztgenannten Begehrens trug er vor, auf Grund des Traumas sei seine Orientierung nicht gewährleistet. Nach Einholung der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. M. vom 06.11.2006 wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.11.2006 zurück. Die beim Kläger vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen seien mit einem GdB von 50 angemessen bewertet. Ein Hinweis auf erhebliche Orientierungsstörungen bestehe nicht, so dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G nicht vorlägen.
Am 19.12.2006 erhob der Kläger beim Sozialgericht Freiburg Klage, mit der er sein Begehren weiter verfolgte. Zur Begründung trug er ergänzend vor, bei ihm seien vom 22. bis zum 25.05.2005 insgesamt drei epileptische Anfälle aufgetreten, der erste zu Hause, der zweite auf der Fahrt von seiner Wohnung zum Krankenhaus und der dritte im Krankenhaus selbst.
Das Sozialgericht holte schriftliche sachverständige Zeugenaussagen der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. vom 04.01.2008 und des Diplom Psychologen Dr. U. vom 06.09.2008 ein. Dr. M. berichtete von einem unauffälligen Hirnnervenstatus, von Reflexen, Zeige- und Vorhalteversuchen ohne pathologischen Seitenhinweis sowie von einem Rombergversuch mit vermehrter ungerichteter Unsicherheit. Angesichts der Gleichgewichtsstörung seien auch Beeinträchtigungen bei längerem Gehen anzunehmen. Übliche Wegstecken im Ortsverkehr könne der Kläger ohne Gefahr zurücklegen; mit längerer Gehstrecke (Ermüdung) könnten sich die Einschränkungen erhöhen. Eine Gehstrecke von zwei Kilometern in einer halben Stunde könne der Kläger mit großer Wahrscheinlichkeit nicht beschwerdefrei zurücklegen. Er könne sich allerdings im Straßenverkehr auf Wegen, die er nicht täglich benutze, ausreichend zurechtfinden. Ärztlicherseits bestätigt wurde schließlich ein einmaliger Krampfanfall des Klägers am 22.05.2005. Dr. U. gab an, der Kläger habe sich im Oktober 2006 zweimal bei ihm vorgestellt und von einem einmaligen Krampfanfall berichtet. Er leide neben den neurologischen Störungen an einer mittelgradigen depressiven Episode mit somatischen Symptomen. Den GdB für die Hirnschädigung mit psychischer Störung schätze er auf 60. Auswirkungen auf die Gehfähigkeit bestünden nicht. Der Kläger könne ohne erhebliche Schwierigkeiten oder Gefahren übliche Wegstrecken im Ortsverkehr zu Fuß zurücklegen. Auf Grund der Anfallsfreiheit unter medikamentöser Einstellung könne er sich im Straßenverkehr auf Wegen, die er nicht täglich benutze, zurechtfinden.
Auf Anfrage des Sozialgerichts lehnte der Kläger die Erteilung der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Schriftsatz vom 24.03.2009 ab.
Ohne eine mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben, änderte das Sozialgericht mit Urteil vom 05.06.2009 den Bescheid vom 05.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2006 ab und verurteilte den Beklagten, beim Kläger einen Gesamt-GdB von 60 seit dem 06.07.2006 anzuerkennen; im Übrigen wies es die Klage ab. Zwar sei dem Kläger unter Berücksichtigung eines Einzel-GdB von 40 für das Anfallsleiden und von 30 für den leichten Hirnschaden mit psychischen Störungen ein Gesamt-GdB von 60 zuzuerkennen. Indes seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G nicht erfüllt. Der Kläger sei nicht in Folge von Orientierungslosigkeit nicht dergestalt beeinträchtigt, dass er nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder Gefahren für sich bzw. andere Wegstrecken im Ortverkehr zurücklegen könne. Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen bzw. der Lendenwirbelsäule oder innere Erkrankungen bzw. eine Atembehinderung lägen nicht vor. Bei hirnorganischen Anfällen sei auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit erst ab einer mittleren Anfallshäufigkeit zu schließen, wenn die Anfälle überwiegend am Tage aufträten. Dies sei aber nicht der Fall. Diese Entscheidung wurde dem Kläger am 19.06.2009 zugestellt.
Am 15.07.2009 hat der Kläger Berufung eingelegt und weiterhin die Zuerkennung des Merkzeichens G begehrt.
Zur Begründung trägt er vor, er habe zwischenzeitlich vier epileptische Anfälle, zuletzt am 14.02.2009, erlitten. Zur Bestätigung bezieht er sich auf das an den Beklagten gerichtete Schreiben von Dr. M. vom 16.07.2009 samt vorläufiger Mitteilung des O. Klinikums vom 14.02.2009.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 05.06.2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 05.09.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2006 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen G) festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, die vom Kläger geltend gemachten weiteren epileptischen Anfälle seien nicht belegt. Im Übrigen verweist er unter Vorlage des entsprechenden Protokolls auf die Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom November 2008, eine mittlere Anfallshäufigkeit nur dann als für die Zuerkennung des Merkzeichens genügen zu lassen, wenn die Anfälle mit einem GdB/Grad der Schädigung (GdS) von wenigstens 70 zu bewerten sind.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats und des Sozialgerichts Freiburg sowie die beigezogenen Schwerbehindertenakten des Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat entscheidet im erklärten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Zwar hätte das Sozialgericht nach § 124 Abs. 1, Abs. 2 SGG nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen, da der Kläger sein Einverständnis zu einer solchen Entscheidung nicht erteilt hatte. Das erstinstanzliche Verfahren leidet deshalb an einem wesentlichen Mangel, der den Senat gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG berechtigt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Streitsache an das Sozialgericht zurückzuverweisen. In Anwendung des ihm nach § 159 SGG eingeräumten Ermessens sieht der Senat indes aus Gründen der Prozessökonomie von einer solchen Zurückverweisung ab, nachdem der Kläger selbst eine Sachentscheidung im Berufungsverfahren begehrt und die Berufungsinstanz in vollem Umfang als zweite Tatsacheninstanz ausgestattet ist.
In der Sache hat das Sozialgericht die auf Verurteilung des Beklagten zur Feststellung einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit des Klägers im Straßenverkehr (Merkzeichen G) gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 05.09.2006 und der Widerspruchsbescheid vom 22.11.2006 sind im allein zur Entscheidung des Berufungsgerichts gestellten Umfang rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Denn er hat keinen Anspruch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G.
Die Voraussetzungen für die erstrebte Feststellung hat das Sozialgericht im Urteil vom 05.06.2009 unter Zugrundelegung der zum 01.01.2009 in Kraft getretenen und gemäß § 69 Abs. 4 SGB IX auch für die Feststellung gesundheitlicher Merkmale geltenden "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" - VG (Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz [BVG] [Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV - vom 10. Dezember 2008, BGBl. I, S. 2412]), mit denen eine inhaltliche Änderung der bisher angewandten Grundsätze und Kriterien der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP), von wenigen hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen, nicht einhergeht - ausführlich und zutreffend dargelegt; hierauf wird verwiesen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
In Anwendung dieser Grundsätze sind die Voraussetzungen für die begehrte Feststellung einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen G) nicht erfüllt. Denn eine mittlere Anfallshäufigkeit (vgl. Teil D Nr. 1. Buchst. e S. 114 der VG bzw. Nr. 30 Abs. 4 S. 138 der AHP 2004 und 2008), also generalisierte (große) und komplex-fokale Anfälle mit Pausen von Wochen; kleine und einfach-fokale Anfälle mit Pausen von Tagen (vgl. Teil B Nr. 3.1.2 S. 22 der VG bzw. Nr. 26.3 S. 43 der AHP 2004 und 2008) liegen nicht vor. Dies gilt selbst dann, wenn man bezogen auf die Zeit vom 22.05. bis zum 25.05.2005 von insgesamt drei (vgl. hierzu den Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 07.02.2007 an das Sozialgericht) und darüber hinaus von zwei weiteren epileptischen Anfällen am 26.07.2008 und am 14.02.2009 (vgl. hierzu die Berufungsschrift der Prozessbevollmächtigten des Kläger vom 14.07.2009) ausgeht. Denn zwischen diesen Anfällen liegen nicht nur Pausen von Wochen, sondern von Monaten und sogar Jahren. Darauf, dass der Verordnungsgeber der Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom November 2008, eine mittlere Anfallshäufigkeit nur dann für die Zuerkennung des Merkzeichens genügen zu lassen, wenn die Anfälle mit einem GdB/GdS von wenigstens 70 zu bewerten sind (vgl. hierzu das vom Beklagten vorgelegte Protokoll der Sitzung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats vom 06. und 07.11.2008) bisher nicht gefolgt ist, kommt es mithin nicht an.
Eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr lässt sich im Ergebnis auch nicht mit Gleichgewichtsstörungen des Klägers begründen. Zwar hat die behandelnde Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. M. in der vom Sozialgericht eingeholten sachverständigen Zeugenaussage von einer vermehrten ungerichteten Unsicherheit des Klägers beim Rombergversuch berichtet. Indes lässt sich aus der damit gezeigten Gleichgewichtsstörung bei geschlossenen Augen (vgl. zum Inhalt des Rombergversuchs Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch) eine hier erhebliche Einschränkung der Wegefähigkeit für sich allein nicht ableiten. Soweit Dr. M. ausgeführt hat, der Kläger könne eine - hier maßgebliche (vgl. Teil D Nr. 1. Buchst. b S. 40 der VG sowie Nr. 30 S. 137 der AHP 2004 und 2008) - Wegstrecke von etwa zwei Kilometern in etwa einer halben Stunde mit großer Wahrscheinlichkeit nicht beschwerdefrei zurücklegen, liegt dem die Annahme einer durch vorzeitige Ermüdung herbeigeführten Gleichgewichtsproblematik auch bei geöffneten Augen zugrunde. Allerdings sind weder eine solche vorzeitige Ermüdung noch damit zwangsläufig einhergehende und zudem unzumutbare (vgl. zu diesem Kriterium BSG, Urteil vom 24.04.2008 - B 9/9a SB 7/06 R - SozR 4 - 3250 § 146 Nr. 1) Beschwerden schlüssig dargelegt. Dies wäre aber erforderlich gewesen, nachdem die genannte Ärztin in ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage gegenüber dem Sozialgericht selbst ausdrücklich bestätigt hat, dass der Kläger in der Lage ist, übliche Wegstrecken ohne Gefahren für sich oder andere zu Fuß zurückzulegen.
Ein Anspruch auf die erstrebte Feststellung ergibt sich schließlich auch nicht aus einer mangelnden Orientierungsfähigkeit des Klägers. Denn Dr. M. und Dr. U. haben in ihren vom Sozialgericht eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen übereinstimmend bestätigt, dass der Kläger in der Lage ist, sich im Straßenverkehr auf Wegen, die er nicht täglich benutzt, ausreichend zurecht zu finden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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