L 4 KR 379/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 KR 419/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 379/07
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Ehefrau eines geschäftsführenden GmbH Gesellschafters ist abhängig beschäftigt, auch wenn sie an herausragender Stelle weitgehend freie Hand bei ihrer Tätigkeit in dem Unternehmen hat (§ 7 SGB IV).
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts
Regensburg vom 19. Juli 2007 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Die Beteiligten streiten darüber, ob die 1963 geborene Klägerin seit 01.10.1988 im Familienbetrieb A. Maschinen GmbH - Beigeladene zu 1) - sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist.

Seit dem 19.05.1988 ist die Klägerin als Volkswirtin diplomiert, trat am 01.10.1988 in die Firma A. Maschinen GmbH in A-Stadt ein und arbeitet dort seitdem im Vertrieb, Markting und Personalführung. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag sei nicht geschlossen worden. Prokura wurde 1993 erteilt, nicht jedoch eine Gesellschafterstellung, die sich ihr Ehemann M. vorbehalten hat. Von den Anteilen der GmbH hält er den größten Anteil mit 28,5 %, den er wie auch die anderen Gesellschafter - das sind nunmehr T. A., M. A., D. A. und E. E. - im Jahre 1999 in die Dachgesellschaft A. Holding GmbH eingebracht hat, ebenso wie die anderen in in- und ausländischen Gesellschaften der Firmengruppe A ...

Die Klägerin erhält ein monatliches Gehalt und darüber die üblichen Lohnabrechnungen. Aus ihnen geht neben der Gehaltszahlung hervor, die freiwillige Versicherung bei der Beklagten, die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit, der Urlaubsanspruch und die Zahlung vermögenswirksamer Leistungen. Außerdem werden an die Klägerin Tantiemen ausgeschüttet. Im Jahre 2003 schloss sie mit der Beigeladenen zu 1) eine schriftliche Vereinbarung, wonach ihre Arbeitszeit auf eine komplette Vollbeschäftigung umgestellt und sie in die französische Firma der Holding "abgeordnet" wurde. Seit 2005 wird die Klägerin allein zu Einkommensteuer veranlagt, zuvor gemeinsam mit ihrem Ehemann M ... Dabei sind seit 1989 die Lohnzahlungen als Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit erklärt und anerkannt worden. Zumindest bis zum Jahr 2007 hat die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann der Beigeladenen zu 1) verschiedene verzinste Darlehen gewährt, die im Jahre 2004 nur beim Ehemann zu Einkünften führten, während der Klägerin negative Zinseinkünfte zugerechnet wurden Bei den bekannt gewordenen Betriebsprüfungen für drei Zeiträume zwischen 1993 und 2006 ist die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Klägerin weder von ihr noch von sonst jemanden, der an der Prüfung beteiligt war, beanstandet worden.

Noch vor der letzten Prüfung, am 23.11.2005, beantragte die Firma P., Gesellschaft für Consulting GmbH namens der Klägerin die Klärung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status. Dazu wurde die vielfältige, weitgehend unabhängige und weisungsfreie Tätigkeit, die mit großer Verantwortung für die Firmen der Holding einhergehe, hervorgehoben, woraus die Klägerin ihre überwiegend unternehmerische und damit sozialversicherungsfreie Stellung folgert. Nach Rücksprache mit der Beigeladenen zu 2) entschied die Beklagte jedoch am 17.02.2006, dass die Klägerin wie zuvor weiterhin in ihrer Tätigkeit der Sozialversicherungspflicht dem Grunde nach unterliegt, da die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung die der Selbständigkeit überwögen. Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch ließ die Klägerin erneut ihre Weisungsungebundenheit betonen, wie das gleichberechtigte und arbeitsteilige Zusammenwirkung mit ihrem Ehemann, das Fehlen eines schriftlichen Arbeitsvertrages und die Hingabe des Darlehens. Auch würde sich ihr Entgelt maßgeblich am Firmengewinn orientieren. Es fehle an einer Eingliederung in einen fremden Betrieb, so dass die fehlende Kapitalbeteiligung an der GmbH zu vernachlässigen sei ebenso wie die steuerliche Behandlung ihres Entgelts. Dem folgte die Beklagte nicht, so dass die Klägerin gegen den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 06.12.2006 am 29.12.2006 Klage unter Bezugname auf ihr bisheriges Vorbringen erheben ließ.

Das Sozialgericht Regensburg wiederum hat die Klage mit Urteil vom 19.07.2007 abgewiesen und dazu ausgeführt, dass die weitgehenden Befugnisse der Klägerin als leitende Angestellte allein nicht ausreichen würden, sie als Selbständige einzuschätzen, schließlich sei ihr gesellschaftsrechtlich keinerlei Einfluss auf die Firma eingeräumt, die bereits über drei tatsächliche GmbH-Geschäftsführer verfüge. Die Tätigkeit für die französische Tochterfirma habe außer Betracht zu bleiben.

Die dagegen eingelegte Berufung wird mit der fehlenden Abhängigkeit und dem unternehmenstypischen Risiko begründet, dessen Nichtbeachtung durch das Sozialgericht "absurd und unwürdig" sei.

Der Klägervertreter beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 19.07.2007 und den Bescheid der Beklagten vom 17.02.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.12.2006 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit in der A. Maschinen GmbH seit 01.10.1988 nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegt.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladenen haben keinen Antrag bestellt.

Im Übrigen wird zur weiteren Darstellung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakten der beigezogenen Akten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 SGG). Ihr liegt eine zulässige Feststellungsklage gemäß § 55 SGG zu Grunde. Auch wenn ein entsprechender Antrag noch nicht gestellt wurde, deutet zwar vieles darauf hin, dass es der Klägerin vorrangig um die Erstattung der Beiträge zur Beigeladenen zu 2) geht, doch unterstellt der Senat der Klägerin ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse für die vorweggenommene Klärung ihres Versichertenstatus in der streitigen Zeit und sieht darin nicht bloß eine an sich unzulässige Klage zu einem Element innerhalb des Beitragserstattungsverfahrens. Den Ergebnissen der jeweiligen Betriebsprüfungen kommt zwar eine Bedeutung bei der materiellen Würdigung des klägerischen Anliegens zu, hindert aber nicht das Rechtsschutzinteresse an der endgültigen Klärung des am 23.11.2005 gestellten Antrags (vgl. dazu BSG vom 24.06.2008, B 12 KR 24/07 R, Rdnr.18 - SozR 4-2400 § 28 h Nr.4).

In der Sache selbst ist die Berufung nicht begründet, denn die Beklagte wie auch das Sozialgericht haben zutreffend festgestellt, dass die Klägerin in der Fa. A. Maschinen GmbH von Beginn an ihrer Tätigkeit im Jahr 1988, auch nach Heirat mit dem Hauptgesellschafter M. A., eine herausragende, aber abhängige Beschäftigung ausgeübt hat.

Der Senat sieht in der jahrelang geübten und von allen Beteiligten akzeptierten Einschätzung dieser Tätigkeit als Arbeitnehmerin keine durchschlagenden Fehler, die es erforderlich machen, rückwirkend den bisherigen Status zu verändern in Hinblick auf eine mögliche Beitragserstattung, die dann die gesicherte Anwartschaft der Klägerin auf eine eigene Versorgung im Alter oder im Falle der Invalidität entfallen ließe.

Die somit gebotene kritische Beurteilung der klägerischen Tätigkeit im Betrieb der Familie A. hat anhand des hier maßgeblichen § 7 SGB IV in der jeweils geltenden Fassung seit 1988 zu erfolgen.

Nach dieser Regelung ist von einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung auszugehen, wenn eine nicht selbständige Arbeit, vorrangig in einem Arbeitsverhältnis, vorliegt. Das ist anzunehmen, wenn ein Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist und bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb, wenn der Betroffene in den fremden Betriebsablauf eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer- Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitsgebers unterliegt. Dies wiederum kann variieren und sich je nach Stellung des Betreffenden in einem weiten Rahmen bewegen. Schließlich manifestiert sich die Arbeitnehmereigenschaft auch im Fehlen eines unmittelbaren Geschäftsrisikos oder einer eigenen Betriebsstätte. Die Verfügungsmöglichkeit über die Arbeitskraft liegt beim Arbeitgeber. Fehlt dies alles, ist in der Regel von einer selbständigen Tätigkeit auszugehen. Finden sich in der Berufsgestaltung Elemente, die für eine Unternehmereigenschaft sprechen, und andere, die auf eine Arbeitnehmertätigkeit hinweisen, richtet sich die Eingruppierung danach, welche Merkmale im Einzelfall überwiegen und letztlich das Gesamtbild der Arbeitsverrichtung ausmachen (vgl. dazu BSG vom 24.01.2007 - B 12 KR 31/06 R, abgedruckt in Die Beiträge, Beilage 07, 212, 215). Liegt ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 7 Abs.1 SGB IV vor, folgt daraus die Versicherungs- bzw. Beitragspflicht in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung (§ 1 Satz 1 Nr.1 SGB VI bezüglich der Rentenversicherung, § 25 Abs.1 SGB III und deren Vorläufervorschrift § 168 Abs.1 AFG für die Arbeitslosenversicherung und bei Unterschreiten der Jahresarbeitsentgeltgrenze § 5 Abs.1 Nr.1 SGB V für die Krankenversicherung und damit einhergehend gemäß § 20 Abs.1 Nr.1 SGB IX für die Pflegeversicherung).

Die rechtliche Ausgestaltung der klägerischen Beschäftigung deuten auf ein abhängiges Verhältnis hin. Sie hat keinerlei Anteile an den auf verschiedene Schultern verteilten Gesellschaftsanteile und ist auch nicht zur Geschäftsführerin bestellt worden. Neben der Prokura und der Zeichnungsvollmacht kann sie rechtlich keinerlei Einflüsse auf die rechtliche und wirtschaftliche Betätigung der Beigeladenen zu 1) ausüben. Angeblich sei kein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen worden, doch liegt eine Vereinbarung aus dem Jahre 2003 vor, wonach sie eindeutige Weisungen zu erfüllen hat und ihre Arbeitszeit geregelt wird. Nur ein Arbeitnehmer, nicht aber ein selbständiger Unternehmer lässt sich an eine andere Arbeitsstelle "abordnen".

Daher begründet die Klägerin ihr Verlangen auch hauptsächlich mit den tatsächlichen Verhältnissen, die den rechtlichen nicht gerecht würden. Aber auch hier sind diese Verhältnisse nicht so durchschlagend, um die wirtschaftliche und tatsächliche Unabhängigkeit der Klägerin ausreichend zu begründen. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerin entsprechend ihren Einlassungen in der beigeladenen Firma wie auch in der französischen Tochterfirma weitgehende Freiheiten hat, Entscheidungen von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung zu treffen. Das allein verleiht ihr aber keine rechtliche Befugnis. Es kann insbesondere nicht darüber hinweggesehen werden, dass bei den Vorgängen im Jahr 1999, als die Unternehmensgruppe neu geordnet wurde, keinerlei Anstalten gemacht wurden, die Klägerin entsprechend ihrer angeblichen Bedeutung mit in die Gesellschaft aufzunehmen. Daraus lässt sich nur folgern, dass die Klägerin nicht derart mitentscheidend in den Unternehmensverband der Familie A. aufgenommen werden sollte, was die logische Konsequenz gewesen wäre, wenn sie nach ihrer Einheirat derart unverzichtbar geworden wäre, wie das vorgetragen wird. Dass sie als Ehefrau des tatsächlichen Chefs innerhalb der Firma eine andere Stellung einnimmt als eine nicht familiäre Arbeitnehmerin, liegt auf der Hand, zumal sie als Marketingleiterin und Personalchefin ohnehin an herausragender Stelle arbeitet. Beides reicht im vorliegenden Fall aber nicht aus, die mangelnde rechtliche Legitimation zu ersetzen. Als Lohnempfängerin hat sie kein besonderes unternehmerisches Risiko getragen.

Als der Gesetzgeber zum 01.01.1967 durch Art.1 des 2. Rentenversicherungsgesetzes vom 23.12.1966 (Bundesgesetzblatt I S.445) die bis dahin bestehende Versicherungsfreiheit von Ehegatten nach § 1228 Abs.1 Nr.1 RVO aufhob, beabsichtigte er, die mitarbeitenden Ehefrauen sozialversicherungsrechtlich besser zu schützen. Diese gesetzgeberische Intention kann nunmehr nicht nachträglich von der Klägerin unterlaufen werden, indem sie für sich beansprucht, gewissermaßen nach altem Recht behandelt zu werden.

Auch die Darlehenshingabe beider Eheleute sieht der Senat vor dem Hintergrund der bestehenden Ehe und betrachtet sie als nicht ungewöhnlich. Zwar ist der Ehemann der Klägerin nicht Alleineigentümer, doch trotz seines 28-prozentigen Anteils Kopf und Hirn der Beigeladenen zu 1), die Klägerin ihr Geld also nicht an eine namenlose Gesellschaft ausgeliehen hat. Dabei ist ungeklärt, in welchem Verhältnis die gemeinsamen Zahlungen der Klägerin zuzurechnen sind bzw. woraus sie erwirtschaftet wurden und es sich nicht bloß um Firmengewinne handelte, die wieder in den Geldkreislauf zurückgeführt wurden. Das kann aber letztlich offen bleiben.

In den, den Beteiligten bekannten Urteilen des Senats z.B. L 4 KR 155/07 vom 23.10.2008 (Gegenstand der Beschwerde B 12 KR 79/08 beim BSG) hat der Senat immer wieder die Bedeutung der steuerrechtlichen Behandlung hervorgehoben. Dies ist keine bloße Formalie, wenn gegenüber dem Finanzamt über Jahre hinweg nach besten Wissen und Gewissen erklärt wird, als Arbeitnehmer sein Geld zu verdienen und auch entsprechende Vergünstigungen steuerlicher Art in Anspruch genommen werden. Dies gilt auch für die Betriebsprüfungen. Die Klägerin gibt an, im Personalsektor eingebunden gewesen zu sein, war also mit dem Ergebnis der Betriebsprüfungen vertraut. Hier hat sie nicht einmal nach Stellung des Antrages durch die Firma P. Zweifel bei der danach durchgeführten Betriebsprüfung über ihren Status angemeldet.

Auch in diesem Fall nimmt der Senat Bezug auf seinen Urteil vom 18.10.2007 L 4 KR 79/06, worin er dem Gedanken des BSG aus dem Jahre 1999 (BSGE 85, 208, 213) folgt, dass nicht unnötig in langjährig durchgeführte Versicherungsverhältnisse rückwirkend eingegriffen werden soll, also nicht das, was über Jahre hinweg gelebt und praktiziert worden ist, nachträglich umzustoßen, solange die zurückliegenden Vorgänge nicht eindeutig und unstreitig rechtswidrig gewesen waren. Das ist hier aber gerade nicht der Fall.

Somit bleibt festzuhalten, dass die Klägerin ihre Arbeitskraft in das Familienunternehmen, in dem ihr Ehemann an maßgeblicher Stelle wirkt, eingebracht hat, dabei aber den Status der Angestellten nicht verlassen hat.

Angesichts des Verfahrensausgangs besteht keinen Anlass, der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten (§ 193 SGG). Auch hält es der Senat nicht für geboten, der unterlegenen Klägerin eventuelle Kosten der Beigeladenen zu 1) aufzuerlegen.

Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen mangels grundsätzlicher Rechtsfragen im vorliegenden Fall nicht.
Rechtskraft
Aus
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