S 6 P 201/09 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 6 P 201/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 02. Dezember 2009 gegen den Bescheid der Antragsgegner vom 26. Oktober 2009 wird angeordnet. Die Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin - Trägerin einer Pflegeeinrichtung - begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen einen Maßnahmebescheid der Antragsgegner nach einer erfolgten Qualitätsprüfung.

Am 28. Juli 2009 führte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK) in dem Pflegeheim der Antragstellerin eine Qualitätsprüfung (Regelprüfung) gemäß den §§ 114 ff des Sozialgesetzbuchs - Elftes Buch - (SGB XI) durch.

In der zusammenfassenden Beurteilung des Prüfberichts vom 28. Juli 2009 heißt es einleitend, dass die Heim- und Pflegedienstleitung an der Prüfung wegen Urlaubs nicht habe teilnehmen können. In der Einrichtung seien derzeit 49 vollstationäre Pflegeplätze belegt. Die häuslichen Gegebenenheiten entsprächen nicht mehr den aktuellen Anforderungen. Deshalb entstehe zur Zeit gegenüber der Einrichtung einer neuer Geländekomplex. Der pflegerische Umgang der Mitarbeiter mit den Bewohnern sei als sehr umsichtig empfunden worden. Untersuchungen von fünf per Zufallsstichprobe ausgewählter Bewohner hätten ergeben, dass der Pflegezustand im Bereich der Körperpflege in einem Fall sehr gut, im Übrigen nicht ganz befriedigend gewesen sei. Die individuelle Planung und Umsetzung des Pflegeprozesses sei den Pflegedokumentationen nicht im erforderlichen Maße zu entnehmen. Vor allen Dingen im Bereich der Kontrakturgefahr und bei bereits bestehenden Kontrakturen erfolge keine systematische Risikoerfassung. Die Durchführung erforderlicher Maßnahmen sei anhand der Pflegedokumentation nicht erkennbar. Die behandlungspflegerischen Leistungen würden von der Einrichtung überwiegend korrekt durchgeführt. Lediglich bei einem Bewohner wäre die Kompressionswickel nicht fachgerecht angelegt worden. Eine ärztliche Anordnung sei immer vorhanden. Die Kommunikation mit dem Arzt sei überwiegend ersichtlich. Die Durchführung entspreche immer der ärztlichen Anordnung. Die verordneten Medikamente seien nicht immer korrekt dokumentiert. Der Umgang mit Medikamenten sei nicht sach- und fachgerecht. Im Rahmen der Qualitätsprüfung habe ein sachgerechter Umgang bei den auf den Pflegebedürftigen bezogenen Aspekten nicht in ausreichendem Umfang festgestellt werden können. Dies gelte insbesondere in den Bereichen Mobilität mit Sturzrisiko und Dekubitusgefahr, Ernährung und Flüssigkeitsversorgung, Urininkontinenz, Demenz sowie Körperpflege. Meist seien diese Aspekte unzureichend in den Pflegedokumentationen dargestellt. Dem Prüfbericht integriert ist ein ausführlicher Katalog von Empfehlungen zur Beseitigung von Qualitätsdefiziten (S. 13 - 18 des Berichts). Als Frist zur Umsetzung der aufgeführten Maßnahmen wurde überwiegend "ab sofort", teilweise bis Ende Oktober, Ende November oder Ende Dezember 2009 angegeben.

Mit Schreiben vom 10. August 2009 übersandten die Antragsgegner der Antragstellerin den Prüfbericht. Zugleich teilten sie ihre Absicht mit, einen Bescheid zu erteilen, mit dem die Antragstellerin aufgefordert werden würde, die festgestellten Mängel binnen angemessener Frist zu beseitigen. Der Bescheid werde sich an den im Prüfbericht auf den Seiten 13 - 18 aufgelisteten Mängeln orientieren. Zur Abgabe einer Stellungnahme wurde eine Frist bis zum 14. September 2009 eingeräumt.

In einer ausführlichen, eingehenden Stellungnahme vom 11. September 2009 hat die Heim- und Pflegedienstleitung der Antragstellerin den im Prüfbericht dargelegten Qualitätsmängeln widersprochen. Die Feststellungen der Prüfer seien weitgehend unzutreffend. In einigen wenigen Punkten - etwa bei der systematischen Begleitung in der Eingewöhnungsphase oder bei dem Erfordernis eines Konzepts zur Sterbebegleitung - wurde eine Nachbesserung zugesagt. Der Stellungnahme beigefügt war u.a. ein Bericht über eine unangekündigte Stichprobenprüfung der kommunalen Heimaufsicht vom 29. Juni 2009, der - nahezu - keine Beanstandungen enthält. In dem Bericht heißt es zusammenfassend, dass ein "positiver Eindruck" gewonnen werden konnte.

Unter dem 26. Oktober 2009 erteilten die Antragsgegner sodann einen Bescheid über die von der Antragstellerin zu treffenden Maßnahmen zur Beseitigung von Qualitätsdefiziten. Vor der Auflistung der Maßnahmen führten die Antragsgegner aus, dass zwischenzeitlich begonnene, erledigte oder nachgewiesene Maßnahmen in diesem Bescheid teilweise dennoch aufgeführt würden. Hierdurch werde dokumentiert, dass die auferlegten Maßnahmen eine Dauerwirkung hätten und permanent erfüllt sein müssten. Anschließend stellten die Antragsgegner fest, dass die Pflege nach dem Prinzip der Bezugspflege organisiert und durchgeführt werden müsse. Die Personaleinsatzplanung habe sich daher am Versorgungs- und Pflegebedarf der Bewohner zu orientieren, wobei eine personelle Kontinuität in der pflegerischen Versorgung und sozialen Betreuung zu gewährleisten sei. Beim Einsatz von Pflegehilfskräften sei nachweislich sicherzustellen, dass Pflegefachkräfte die fachliche Überprüfung des Pflegebedarfs, die Anleitung der Hilfskräfte und Kontrolle der geleisteten Arbeit gewährleisteten. Im Rahmen des Qualitätsmanagements seien die für die stationäre Pflege relevanten Aussagen der Expertenstandards des DNQP zu berücksichtigen. Der Expertenstandard "Förderung der Kontinenz" sei - sofern noch nicht geschehen - zu implementieren und anzuwenden. Die Dienstplanung sei bewohnerorientiert nach den Notwendigkeiten einer ausreichenden und zweckmäßigen Pflege von der verantwortlichen Pflegefachkraft vorzunehmen. Die Koordination mit anderen an der Versorgung beteiligten Beschäftigten der Einrichtung sei vom Träger der Einrichtung sicherzustellen. Dazu gehöre ein regelmäßiger Informationsaustausch - auch professionsübergreifend - in Form von Dienstbesprechungen. Zu den elementaren Bedürfnissen der Bewohner gehöre u. a. die soziale Betreuung. Das Angebot müsse ausreichend sein. Für Bewohner mit vollständiger Immobilität und Bewohner mit geronto-psychiatrischen Beeinträchtigungen müsse ein nahezu tägliches Angebot zur Tagesstrukturierung erfolgen. Die Antragstellerin habe ein geeignetes Pflegedokumentationssystem vorzuhalten. Die Pflegedokumentation sei sachgerecht und kontinuierlich zu führen. Aus den Unterlagen der Pflegedokumentation müsse jederzeit der aktuelle Verlauf und Stand des Pflegeprozesses ablesbar sein. Bei Neuaufnahmen sei ab sofort gesetzes- und vertragskonform zu dokumentieren. Die vorhandenen Dokumentationen seien sukzessiv zu vervollständigen. Ferner stellten die Antragsgegner fest, dass die Verpflichtung zur Leistungserbringung nach dem jeweils aktuellen Stand der pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse auch die Beachtung der Hinweise auf den Seiten 14 - 18 des Prüfberichts impliziere. Ab sofort seien sämtliche Pflegeleistungen adäquat zu erbringen. Die Erledigung der einzelnen Maßnahmen sei fristgerecht nachzuweisen. Bis zum 28. Februar 2010 sei zu bestätigen, dass auch die Auflagen ohne Fristsetzung erfüllt worden seien. Würden die festgestellten Mängel nicht fristgerecht beseitigt, könnten die Antragsgegner den Versorgungsvertrag kündigen. Auch könnten die vereinbarten Pflegevergütungen gekürzt werden, sofern die Pflegeeinrichtung ihre gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen zu einer qualitätsgerechten Leistungserbringung nicht einhielte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 25. November 2009 beim Sozialgericht Münster (Az.: S 6 P 193/09) erhobene Klage der Antragstellerin.

Mit ihrem Antrag vom 02. Dezember 2009 begehrt die Antragstellerin im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage. Mit einem weiteren Antrag vom 02. Dezember 2009 begehrt die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der den Antragsgegnern vorläufig untersagt werden soll, einen auf dem Prüfbericht beruhenden Transparenzbericht im Internet zu veröffentlichen. Dieses Verfahren wird unter dem Aktenzeichen S 6 P 202/09 ER geführt.

Zur Begründung des hier streitigen Antrags auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage verweist die Antragstellerin auf ihre eingehende Klagebegründungsschrift vom 02. Dezember 2009 im Hauptsacheverfahren. Der angefochtene Bescheid sei in formeller, aber auch in materiell-rechtlicher Hinsicht rechtswidrig. Bereits die der Qualitätsprüfung zugrundeliegenden Richtlinien seien rechtswidrig, weil nicht alle der in § 114 a Abs. 7 Satz 2 SGB XI aufgeführten Verbände bei der Beschlussfassung beteiligt worden seien. Die Antragstellerin sei nicht ordnungsgemäß angehört worden. Die Antragsgegner hätten ihr Auswahlermessen nicht ausgeübt. Die der Antragstellerin auferlegten Maßnahmen seien zu unbestimmt. Die festgestellten Mängel lägen weitgehend nicht vor. Sollten die Antragsgegner auf der Grundlage des Prüfberichts und des angefochtenen Bescheides einen Transparenzbericht veröffentlichen, drohte der Antragstellerin ein erheblicher Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Pflegeheimen. Zudem könnten, sofern die aufschiebende Wirkung der Klage nicht angeordnet würde, die Antragsgegner unter Umständen den Versorgungsvertrag kündigen oder die Pflegevergütungen kürzen.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 25. November 2009 gegen den Bescheid der Antragsgegner vom 26. Oktober 2009 anzuordnen.

Die Antragsgegner beantragen,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie vertreten die Auffassung, den formellen und materiellen Einwendungen der Antragstellerin könnten im Rahmen der im einstweiligen Anordnungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht gefolgt werden. Der Bescheid sei formell rechtmäßig zustande gekommen. Insbesondere sei die Antragstellerin ordnungsgemäß angehört worden. Im Rahmen einer Nachbesprechung am 20. Oktober 2009 sei der Maßnahmenkatalog des MDK detailliert besprochen und konsensual abgestimmt worden. Dass die Pflegeeinrichtungen die von ihr abverlangten Maßnahmen vornehmen müssten, auch wenn Klage eingereicht worden sei, entspreche der Intention des Gesetzgebers. Die Qualität der Pflege in den Pflegeeinrichtungen habe eine sehr große Bedeutung. Die zeitnahe Beseitigung von Mängeln sei erforderlich. Die Pflegeeinrichtungen hätten im Übrigen auch die Möglichkeit, Wiederholungsprüfungen zu beantragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten einschließlich der Streitakten S 6 P 202/09 ER und S 6 P 193/09 sowie auf die Verwaltungsakten der Antragsgegner Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Die Statthaftigkeit des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage folgt aus § 86 a Abs. 2 Nr. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG. Bei dem angefochtenen Bescheid der Antragsgegner vom 26. Oktober 2009 handelt es sich um einen Verwaltungsakt, gegen den nach der gemäß § 115 Abs. 2 Satz 3 SGB XI entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 73 Abs. 2 SGB XI der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ohne Durchführung eines Vorverfahrens gegeben ist. § 73 Abs. 2 Satz 2,2. Halbsatz SGB XI bestimmt ausdrücklich, dass die Klage keine aufschiebende Wirkung hat.

Nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hat, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die hiernach zu treffende Entscheidung erfolgt aufgrund einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsakts bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, und das öffentliche Interesse an einer zeitnahen Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Ein wichtiges Kriterium dieser Abwägungsentscheidung sind die Erfolgsaussichten in dem Hauptsacheverfahren, d. h. die Prüfung der Rechtmäßigkeit des belastenden Verwaltungsakts (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl. 2008, § 86 b Rdnr. 12 e).

Bei dieser Interessenabwägung ist auch zu berücksichtigen, dass in einem Falle einer gesetzlichen Sofortvollziehungsanordnung - wie er hier vorliegt - besondere Umstände vorliegen müssen, um von einer gesetzlichen Anordnung des Vollziehungsinteresses abzuweichen. Deshalb dürften lediglich geringe Erfolgsaussichten in der Hauptsache regelmäßig bei einem vom Gesetzgeber angeordneten Sofortvollzug nicht für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung genügen.

Die nach diesem Maßstab zu treffende Abwägungsentscheidung fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus, weil sie ein großes Aussetzungsinteresse hat und nach der im einweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage der Klage im Hauptsacheverfahren große Erfolgsaussichten beizumessen sind.

Das Ausmaß der Intensität der der Antragstellerin drohenden Rechtsverletzung ist erheblich. Mit dem angefochtenen Bescheid haben die Antragsgegner der Antragstellerin für den Fall, dass die festgestellten Mängel nicht fristgemäß beseitigt würden, bereits die Kürzung der vereinbarten Pflegevergütungen und die Kündigung des Versorgungsvertrages angedroht.

Des Weiteren spricht nach Auffassung der Kammer sehr viel dafür, dass der Bescheid vom 26. Oktober 2009 rechtswidrig ist. Dabei kann dahinstehen, ob die von der Antragstellerin gerügte unzureichende Beteiligung der Träger- und Berufsverbände bei der Verabschiedung der der Qualitätsprüfung zugrundeliegenden Richtlinien die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheides zur Folge haben kann. Unerörtert bleiben kann auch, ob die Rechtswidrigkeit aufgrund einer möglicherweise unzureichenden Anhörung der Antragstellerin vor Erteilung des Bescheides anzunehmen ist. Insoweit ist immerhin hervorzuheben, dass in § 115 Abs. 2 Satz 1 SGB XI die bereits allgemein aus § 24 SGB X folgende Anhörungspflicht besonders geregelt worden ist. Dementsprechend sind nach Klie (Lehr- und Praxiskommentar, SGB XI, 3. Aufl. 2009, Rdnr. 6 zu § 115) vor Erteilung eines Bescheides in einer Anhörung mit dem Einrichtungsträger die Maßnahmen zu beraten, die in sinnvoller Weise zur Abstellung der festgestellten Mängel getroffen werden könnten. Unentschieden mag auch bleiben, ob die Rechtswidrigkeit daraus folgt, dass die Antragsgegner ihr durch § 115 Abs. 2 Satz 1 SGB XI eingeräumtes Auswahlermessen nicht erkennbar ausgeübt haben.

Die größten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides folgen nach Auffassung der Kammer vielmehr daraus, dass die Antragsgegner auf der Grundlage einer unsicheren Tatsachenfeststellung entschieden haben und dass des Weiteren die der Antragstellerin aufgegebenen Maßnahmen zu unbestimmt sind.

Zwar lässt der von zwei Gutachterinnen des MDK auf der Grundlage einer eintägigen Prüfung - in Abwesenheit der Heim- und Pflegedienstleitung - erstattete Prüfbericht vom 28. Juli 2009 nach kursorischer Prüfung keine offenbaren Unrichtigkeiten erkennen. Angesichts der gegen den Bericht von der Antragstellerin unter Beifügung von Belegen und Unterlagen - u. a. eines aktuellen Berichts der Heimaufsicht, der wesentliche Beanstandungen hinsichtlich der Pflegequalität nicht enthält - vorgelegten sehr eingehenden, ausführlichen Stellungnahme vom 11. September 2009 kann jedoch ohne weitere Sachverhaltsaufklärung von einer gesicherten Tatsachenfeststellung als Grundlage für einen so einschneidenden Bescheid, wie der angefochtene Maßnahmebescheid ihn darstellt, keine Rede sein. Der ohne Einholung zumindest einer ergänzenden substantiellen Stellungnahme des MDK zu den keineswegs von der Hand zu weisenden Einwendungen der Antragstellerin erteilte Bescheid erscheint geradezu als eine Maßnahme "aufs Geratewohl" und "ins Blaue" hinein. Ein derartiges Vorgehen entspricht nicht den Mindestanforderungen an ein rechtsstaatliches, faires Verfahren.

Der angefochtene Bescheid dürfte ferner nicht den Anforderungen an die gemäß § 33 Abs. 1 SGB X gebotene hinreichende Bestimmtheit eines Verwaltungsakts genügen. Bei der inhaltlichen Bestimmtheit eines Verwaltungsakts handelt es sich um eine Voraussetzung seiner materiellen Rechtmäßigkeit. Aus dem Verfügungssatz muss für die Beteiligten vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde will. Der Adressat des Verwaltungsakts muss sein Verhalten danach ausrichten können. Ein Verwaltungsakt ist somit hinreichend bestimmt, wenn für den verständigen Beteiligten der Wille der Behörde unzweideutig erkennbar wird und eine unterschiedliche subjektive Bewertung nicht möglich ist (vgl. Engelmann in von Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, Rdnr. 3 zu § 33).

Diesen Anforderungen wird der Bescheid vom 26. Oktober 2009 nicht gerecht. "Verfügungssatz" dieses Bescheides sind die dort beschriebenen zahlreichen Maßnahmen zur Beseitigung von Qualitätsdefiziten. Die getroffenen Handlungsanweisungen sind keinesweg eindeutig. Dem Adressaten dieses Bescheides kann nicht ohne Weiteres klar sein, was von ihm erwartet wird. Die offenbar auf der Basis von Textbausteinen formulierten Maßnahmen enthalten durchweg nur allgemeine Anforderungen, die dem Gesetz oder allgemeinen fachlichen Standards entnommen werden können. So beginnt der Maßnahmekatalog mit der Floskel, dass die Pflege nach den Prinzip der Bezugspflege organisiert und durchgeführt werden müsse. Die Personaleinsatzplanung habe sich daher am Versorgungs- und Pflegebedarf der Bewohner zu orientieren, wobei eine personelle Kontinuität in der pflegerischen Versorgung und sozialen Betreuung zu gewährleisten sei. Am Ende des umfassenden Katalogs heißt es, dass "ab sofort sämtliche Pflegeleistungen adäquat zu erbringen" seien. Konkrete Handlungsmaßnahmen - etwa bezogen auf bestimmte Bewohner der Einrichtung - werden nicht festgelegt. Vielmehr unterstellen die unterschiedslos auf alle Bewohner bezüglichen, abstrakt formulierten, nahezu alle Qualitätsbereiche betreffenden "Maßnahmen" - offenbar zu Unrecht - dass eine sachgerechte Pflege in der Einrichtung der Antragstellerin nahezu zur Gänze nicht erfolgt. Träfe dies zu, was allerdings allein wegen des aktuellen, positiven Berichts der Heimaufsicht, aber auch wegen der Feststellungen des MDK im Prüfbericht, auszuschließen ist, wären die Antragsgegner sicherlich verpflichtet, den Versorgungsvertrag mit der Antragstellerin gemäß § 74 Abs. 2 SGB XI fristlos zu kündigen. Das Pflegeheim müsste geschlossen werden. Für einen Maßnahmebescheid gemäß § 115 Abs. 2 SGB XI wäre dann kein Raum.

Die Kammer verkennt nicht die große Bedeutung, die der Qualitätsprüfung von Pflegeeinrichtungen und der durch Maßnahmebescheide bezweckten - im Interesse der pflegebedürftigen Menschen liegenden - Verbesserung der Pflegequalität zukommt. Das insoweit bestehende grundsätzlich durchaus erhebliche Vollziehungsinteresse muss allerdings zurückstehen, wenn der angefochtene Bescheid - wie hier - mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer intensiven Rechtsverletzung führt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197 a SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Da der bisherige Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet, war unter Berücksichtigung der Verfahrensart des vorläufigen Rechtsschutzes die Hälfte des Auffangwertes anzusetzen.
Rechtskraft
Aus
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