L 10 R 5143/09 AK-A

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 5143/09 AK-A
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beigeladene hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zur Hälfte zu erstatten.

Gründe:

I.

In der Hauptsache begehrte die Klägerin die Verurteilung des beklagten Rentenversicherungs-trägers zur Erstattung von Kosten für zwei Hörgeräte, soweit diese den - von ihrer Krankenkasse bereits übernommenen - Festbetrag überstiegen. Das Sozialgericht Karlsruhe hat nach Einholung eines hno-ärztlichen Gutachtens die Klage abgewiesen. Die im Berufungsverfahren beigeladene Krankenversicherung hat nach weiterer medizinischer Ermittlung durch den Senat (Einholung einer ergänzenden Stellungnahme beim Sachverständigen) und Hinweis, dass sie zur Übernahme der Kosten für die Hörgeräte verpflichtet sein dürfte, ihre Erstattungspflicht anerkannt und Zah-lung geleistet. Daraufhin hat die Klägerin den Rechtsstreit für erledigt erklärt und eine Ent-scheidung über die Kosten des Verfahrens beantragt.

II.

Gemäß § 155 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergeht die Kostenentscheidung durch den Berichterstatter, wobei über die Kosten beider Rechtszüge zu entscheiden ist.

Nach § 193 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGG hat das Gericht, wenn das Verfahren anders als durch Ur-teil (oder das Hauptsacheverfahren abschließenden Beschluss) beendet wurde, auf Antrag durch Beschluss zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu er-statten haben. Diese Vorschrift ist hier anzuwenden, nachdem die Klägerin nach Erhalt der be-gehrten Leistung den Rechtsstreit für erledigt erklärt und eine Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beantragt hat.

Bei einer derartigen Entscheidung über die Kosten im Sinne des § 193 SGG entscheidet das Ge-richt unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen. Dabei sind die Gründe für die Einlegung des Rechtsmittels zu berücksichtigen (vgl. u. a. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 193 Rdnr. 13) und es ist vor allem der nach dem bisherigen Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erle-digung zu erwartende voraussichtliche Verfahrensausgang zu berücksichtigen. Sofern sich wäh-rend des Rechtsstreits die Sach- und Rechtslage ändert, hat die Behörde keine Kosten zu tragen, wenn sie dem ohne schuldhaftes Zögern Rechnung trägt. Bei ungewissem Ausgang kommt auch eine Kostenteilung in Betracht (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O. m. w. N.).

Auch ein - ursprünglich nicht beteiligter - Versicherungsträger kann nach Beiladung verurteilt werden (§ 75 Abs. 5 SGG), es sei denn, er hat den Anspruch bereits durch bindenden Ver-waltungsakt abgelehnt (BSG, Urteil vom 13.08.1981, 11 RA 56/80 in SozR 1500 § 75 Nr. 38). Die Vorschrift gibt den Gerichten aus prozessökonomischen Gründen die Befugnis, in Fällen, in denen der Kläger einen nicht leistungspflichtigen Versicherungsträger verklagt, den in Wirklich-keit leistungspflichtigen Versicherungsträger nach Beiladung zu verurteilen, um einen neuen Rechtsstreit und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen zu vermeiden. Daraus folgt, dass eine Verurteilung der Beigeladenen nur subsidiär in Betracht kommt; sie darf erst stattfin-den, wenn (soweit) die Klage gegen den Beklagten keinen Erfolg haben kann (BSG, Urteil vom 30.01.1990, 11 Rar 87/88 in SozR 3-4100 § 155 Nr. 1).

Nach diesen Grundsätzen hat die Beigeladene die außergerichtlichen Kosten der Klägerin teil-weise zu tragen, weil sie die Hörgeräte der Klägerin - zumindest als Sachleistung - hätte er-bringen müssen und darüber hinaus auch ihre Pflicht zur Erstattung der Kosten für die von der Klägerin selbst beschafften Hörgeräte über den Festbetrag hinaus anerkannt hat.

Der Anspruch der Klägerin auf eine Hörgeräteversorgung nach § 33 des Fünften Buches Sozial-gesetzbuch (SGB V) - zu der die Beigeladene bereits am 09.03.2007 ihre Zustimmung erteil hat - ist nur dann auf die Höhe des Festbetrages (§ 36 SGB V) beschränkt, wenn eine sach-gerechte Versorgung zu den festgesetzten Festbeträgen möglich ist. Der für ein Hilfsmittel fest-gesetzte Festbetrag begrenzt die Leistungspflicht der Krankenkasse nämlich dann nicht, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreicht (BSG, Urteil vom 21.08.2008, B 13 R 33/07 R in SozR 4-3250 § 14 Nr. 7; s.a. Urteil vom 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R - Medieninformation Nr. 59/09, schriftliche Gründe liegen noch nicht vor -). Die Not-wendigkeit der tatsächlich erfolgten Versorgung hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme für den Senat erstmals angegeben. Er hat ausgeführt, selbst ein zweikanaliges digitales Hörgerät zum Festbetrag könne die Schwerhörigkeit der Klägerin im Hoch-, Mittel- und Tieftonbereich nicht ausreichend kompensieren. Nur ein mindestens sechs- bis achtkanaliges Hörgerät mit zusätzlicher Störgeräuschunterdrückung und selektiver Frequenzanhebung, wie von ihr ausgewählt, ermögliche ihr eine geistige Betätigung und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben einschließlich des allgemeinen Arbeitslebens. Zwar steht damit nicht gleichzeitig fest, dass nicht ein anderes, preiswerteres sechs- bis achtkanaliges Hörgerät für den Ausgleich der Hörbehinderung der Klägerin ausgereicht hätte. Dies steht aber einer vollen Erstattung der Kos-ten der Hörgeräte nicht entgegen, weil beim Umfang des - nach Selbstbeschaffung durch die Klägerin nur noch streitigen - Kostenerstattungsanspruchs die Grundsätze des Systemversagens zu beachten sind (hierzu und zum Folgenden: BSG, Urteil vom 21.08.2008, a.a.O.). Dies be-deutet, dass dann, wenn auch ein billigeres als das vom Versicherten gewählte Hörgerät zum Ausgleich der Behinderung ausgereicht hätte, dieser die Differenz zwischen den Kosten beider Geräte nicht selbst tragen muss, weil ihm gerade durch die zu Unrecht erfolgte Ablehnung des Antrags die erforderliche sachgerechte Beratung (§ 14 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch ([SGB I]) durch den Rentenversicherungsträger vorenthalten worden ist, wie er seine eigene Be-lastung möglichst gering halten kann. Entsprechend verhält es sich im Fall der Klägerin: eine Beratung durch die Beigeladene, welches Gerät zu welchem Preis sie beanspruchen kann, ist nicht erkennbar und wird von der Beigeladenen auch nicht behauptet. Damit ist es - jedenfalls bei Vorliegen eines Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin - nicht gerechtfertigt, dass sie das Risiko einer möglicherweise zu teuren Versorgung trägt.

Hierbei wird nicht verkannt, dass die Beigeladene über die Hörgeräteversorgung weder zum Zeitpunkt der Anschaffung der Hörgeräte durch die Klägerin noch zu einem späteren Zeitpunkt durch Bescheid entschieden hat. Denn es ist zweifelhaft, ob es sich bei der von der Beigeladenen erteilten "Zustimmung der Krankenasse" vom 09.03.2007 zu einer Hörsystemversorgung über-haupt um einen wirksamen Verwaltungsakt handelt. Die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes setzt dessen Bekanntgabe gegenüber demjenigen voraus, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird (§ 39 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch [SGB X]). Die Zustimmung war an den Hörgeräteakustiker gerichtet, für einen Zugang an die Klägerin liegen keine Anhalts-punkte vor. Die Klägerin hat im Erörterungstermin vom 12.05.2009 auf die Frage, ob sie die Zustimmung erhalten habe, überdies darauf hingewiesen, dass die Bescheinigung direkt von der Beigeladenen an die Akustikerin gegangen sei und somit einen Zugang an sie nicht bestätigt. Auch wenn sie der Beigeladenen gleichwohl keine Frist im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB IX gesetzt hat und damit - weil es sich auch nicht um eine unaufschiebbare Leistung handelte - möglicherweise die Voraussetzungen für eine Erstattung der Kosten gemäß § 15 SGB IX nicht vorliegen, ist eine teilweise Übernahme der außergerichtlichen Kosten der Klägerin durch die Beigeladene gerechtfertigt, weil ihr nach Vorliegen des Anpassberichtes der Akustikerin klar sein musste, dass es sich bei den der Klägerin ausgehändigten Hörgeräten nicht um Festbetrags-geräte handelte, nach Aktenlage aber keine Prüfung erkennbar ist, ob auch ein Festbetragsgerät zur Versorgung der Klägerin tatsächlich ausgereicht hätte. Statt dessen hat sich die Beigeladene ohne weiteres darauf beschränkt, den Festbetrag zu übernehmen. Damit hat sie letztendlich An-lass für die Entstehung des Rechtstreits gegeben und kann sich nicht mit Erfolg unter Hinweis darauf, dass sie erst im Berufungsverfahren beigeladen worden sei, gegen die Kostenlast ver-wahren. Das Anerkenntnis hat sie nicht sofort nach der Beiladung abgegeben, sondern erst nach Eingang der ergänzenden Stellungnahme des Gutachters und Hinweis des Berichterstatters auf ihre Leistungspflicht. Bei Erledigung nach Beweisaufnahme im Rechtsstreit befreit auch ein sofortiges Anerkenntnis einen Versicherungsträger nicht von der Erstattungspflicht; es handelt sich um ein normales Kostenrisiko (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., Rdnr. 13).

Daher ist im Ergebnis eines Kostenteilung zwischen der Klägerin und der Beigeladenen an-gemessen.

Einen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung ihrer übrigen außergerichtlichen Kosten hat die Klägerin nicht. Denn diese ist nicht zur Versorgung der Klägerin mit digitalen Hörgeräten als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß § 16 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 4 SGB IX verpflichtet, wie das Sozialgericht zutreffend fest-gestellt hat. Die Hörgeräteversorgung war - dies hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme für den Senat nochmals bestätigt - nicht zum Ausgleich einer Behinderung der Klägerin für eine bestimmte Berufsausübung - hier für ihre berufliche Tätigkeit als Sozialver-sicherungsangestellte - erforderlich, sondern generell für alle beruflichen Tätigkeiten und auch für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben überhaupt mit der Folge, dass eine Pflicht der Beklagten zur Gewährung als (Sach-)Leistung und damit auch eine Erstattungspflicht gemäß § 15 Abs. 1 Satz 3, 4 SGB des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) nicht bestanden hat (vgl. zur Gewährung von Hörgeräten als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben das Urteil des Bundessozialgerichts vom 21.08.2008, a.a.O.).

Ein Leistungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ergibt sich auch nicht aus § 14 SGB IX. Die in dieser Vorschrift geregelte umfassende Zuständigkeit als erstangegangener Träger er-streckt sich im Verhältnis zum Versicherten zwar stets auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in der konkreten Bedarfssituation für behinderte Menschen vorgesehen sind. Daher hätte die Be-klagte als erstangegangene Träger auch diejenigen Leistungen zu erbringen, für die "eigentlich" die Krankenkasse zuständig ist. Dies gilt selbst dann, wenn die Versorgung mit Hörhilfen nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung keine Leistung zur medizinischen Re-habilitation ist, weil § 14 SGB IX nach seiner Intention auch in solchen Fällen gelten muss, in denen eine Leistung (hier: Hörhilfe/Hilfsmittel) beantragt wird, die nach dem Recht des an-gegangenen Trägers eine solche der medizinischen Rehabilitation, nach dem Recht der ("eigent-lich" mit- oder allein-) zuständigen Krankenkasse jedoch keine Leistung zur Teilhabe (im Sinne der §§ 4, 5 SGB IX) ist (vgl. hierzu das Urteil des Bundessozialgerichts vom 21.08.2008, a.a.O.).

Die Beklagte war jedoch nicht erstangegangener Träger im Sinne des § 14 SGB IX, weil die Beigeladene vorher mit der Hörgeräteversorgung der Klägerin befasst war. Die Klägerin hat nach ihren glaubhaften Angaben im Erörterungstermin vom 12.05.2009 bei der Beigeladenen zu einem ihr nicht mehr genau erinnerlichen und in den Verwaltungsakten nicht dokumentierten Zeitpunkt die Hörgeräteverordnung ihrer HNO-Ärztin vom 24.02.2007 eingereicht. Die Bei-geladene hat daraufhin bereits am 09.03.2007 einer Hörsystemversorgung der Klägerin zugestimmt. Bei der Beklagten ging der Antrag der Klägerin auf Bewilligung der Hörgeräte als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben hingegen erst am 11.03.2007 ein. Damit ist die Beigeladene erstangegangener Träger im Sinne des § 14 SGB IX.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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