S 165 SF 657/09 E

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
165
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 165 SF 657/09 E
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Anschlusserinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Sozialgerichts vom 29. September 2008 werden die zu erstattenden Kosten auf 321,30 EUR festgesetzt. Die Erinnerung wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die zulässige Erinnerung ist nicht begründet.

Die Anschlusserinnerung ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht wegen Verspätung zurückzuweisen. § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO findet keine analoge Anwendung. Im Gegensatz zu Erinnerungen nach § 573 ZPO sind Erinnerungen des Rechtsanwaltes und der Staatskasse nach § 56 RVG gegen die Festsetzung nach § 55 RVG unbefristet, sie können allenfalls verwirkt sein (Verwirkung im Einzelfall ein Jahr nach der Festsetzung, LG Aachen, JurBüro 1987, 585), wenn sich die Beteiligten darauf einstellen konnten, dass auch die Kostenfragen längst geklärt sind, nachdem auch das Ausgangsverfahren schon seit langem abgeschlossen ist, jedoch nicht alleine wegen Zeitablaufes (Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Handkommentar, 3. Aufl. 2008, § 56 Rz. 10 m.w.N.). Keine der genannten Voraussetzungen für eine Verwirkung liegen hier vor. Das Ausgangsverfahren war faktisch erst mit Erlass der des PKh-Beschlusses vom 19. August 2008 abgeschlossen. Die Erinnerung vom 8. Oktober 2008 richtete sich zunächst (vor Klarstellung im Schriftsatz vom 9. Dezember 2008) gegen einen – nicht existenten – Beschluss vom 19. November 2007. Zum Zeitpunkt der Erhebung der Anschlusserinnerung vom 17. März 2009 war die Vergütungsfrage angesichts der offenen Erinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 29. September 2008 nicht geklärt und auch die o.g. Jahresfrist nicht abgelaufen.

Die Anschlusserinnerung ist im Ergebnis auch begründet. Danach waren die zu erstattenden Kosten auf den Betrag von 321,30 EUR lt. nachstehender Berechnung festzusetzen:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 250,00 EUR

Post- und Telekommunikationsdienstleistungen Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR

Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG (19 %) 51,30 EUR

Summe 321,30 EUR.

Nach dem Beschluss der 165. Kammer vom 10. Juni 2009 – S 165 SF 601/09 E (in juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de sowie http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/page/sammlung.psml/bs/10) ist die Verfahrensgebühr – auch bei Tätigkeit des Anwaltes im Verwaltungs- oder Vorverfahren - nach Nr. 3102 VV RVG anzusetzen und nicht nach Nr. 3103 VV RVG wie im angegriffenen Beschluss.

Die Kammer hält einen Betrag von 250,00 EUR für die Verfahrensgebühr für billig, und zwar aus folgenden Gründen:

Innerhalb des Gebührenrahmens der Nr. 3102 VVRVG ist die dortige Mittelgebühr von 250,00 EUR vorliegend zunächst um 1/3 (auf 166,66 EUR, aufgerundet auf 170.00 EUR) herabzusetzen, da der Bevollmächtigte des Erinnerungsführers und Anschlusserinnerungsgegners gleichzeitig im Widerspruchsverfahren tätig war und der anwaltliche Aufwand entsprechend dem dadurch entstandenen Synergieeffekt entsprechend geringer, und zwar aus den Gründen des genannten Beschlusses vom 10. Juni 2009 – S 165 SF 601/09 E –. Dazu heißt es darin:

"Zur Bestimmung der konkreten Gebührenhöhe nach § 14 RVG gilt nach Auffassung der Kammer bei der Berücksichtigung von Synergieeffekten grundsätzlich folgendes:

Eine Tätigkeit des Bevollmächtigten im Vorverfahren führt unzweifelhaft zu einem geringeren Einarbeitungsaufwand im Eilverfahren. Dieser ist innerhalb des Gebührenrahmens der Nr. 3102 VV RVG zu berücksichtigen, wobei die Absenkungsquote auf 2/3 der Mittelgebühr billig erscheint und nach folgender Überlegung zu bilden ist:

Der mit der vorgenommenen Absenkung um 1/3 erfasste Synergieeffekt bei Vor- bzw. gleichzeitiger Befassung mit einem parallelen Verwaltungs- oder Vorverfahren betrifft regelmäßig die Erfassung und Darstellung des (insoweit) einheitlichen Sachverhaltes sowie des geltend gemachten Anspruches und muss daher eine entsprechenden Verminderung von Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit i.S.v. § 14 RVG bewirken, wobei immerhin ein anerkennungsfähiger Spielraum von 2/3 für die besonderen Gegebenheiten des einstweiligen Rechtsschutzes verbleibt. Eine weitere Absenkung alleine aus Gründen der Synergie auf unter 2/3 der Mittelgebühr der Nr. 3102 VV RVG erscheint der Kammer dagegen als unbillig, denn eine solche befände sich im Ergebnis selbst unterhalb der Mittelgebühr der Nr. 3103 VV RVG und würde insoweit zu einem Wertungswiderspruch führen. Dies rechtfertigt auch generell die vorgenommene Aufrundung von rechnerisch 2/3 der Mittelgebühr (250,00 EUR) i.H.v. 166,66 EUR auf 170.00 EUR."

Soweit der Erinnerungsführer und Anschlusserinnerungsgegner anhand von Faxprotokollen den geringen zeitlichen Abstand von etwa ¼ Stunde zwischen der Einreichung des ER-Antrages und des Widerspruches geltend macht bzw. die Tatsache, eine vorausgegangene Tätigkeit im ER-Verfahren habe die Tätigkeit im Widerspruchsverfahren erleichtert, reicht dies vorliegend nicht aus, um den erörterten Synergieeffekt zu verneinen. Nach dem genannten Grundsatz genügt "Eine Tätigkeit des Bevollmächtigten im Vorverfahren". Der geltend gemachte geringe zeitliche Abstand zeigt vielmehr die hier gegebene einheitliche, d.h. synergetische Einarbeitungsmöglichkeit des Anwaltes. Zudem setzt materiell- und prozessrechtlich die im Anordnungsverfahren beantragte aufschiebende Wirkung die Einlegung des Widerspruches voraus, d.h. der Anwalt muss sich denknotwendigerweise bei faktisch gleichzeitiger Bearbeitung zunächst mit den Erfolgsaussichten des Widerspruches befassen, bevor er die weiteren Voraussetzungen des hierauf beruhenden Anordnungsverfahrens prüft, dies auch und gerade dann, wenn er zunächst die ER-Antragsschrift formuliert und im unmittelbaren Anschluss den "zugrunde liegenden" Widerspruch daraus "ableitet". Zudem kann alleine aus dem formalen zeitlichen Abstand von FAX-Sende-Protokollen bzw. deren Reihenfolge bei kurzem Abstand gerade nicht zwingend auf eine umfassende faktische Vorbefassung in einem ER-Verfahren mit späterem nochmaligem, aber aufgrund der Vorbefassung erleichterten Einarbeitungsaufwand in ein nachfolgendes Widerspruchsverfahren geschlossen werden, wie es für die Verneinung des hier von der Kammer für gegeben erachteten Synergieeffektes erforderlich wäre.

Überdurchschnittlich waren zur Überzeugung der Kammer allerdings entgegen der Ansicht des Erinnerungsgegners und Anschlusserinnerungsführers der weitere Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, wie es der Erinnerungsführer und Anschlusserinnerungsgegner bereits in seinem Schriftsatz vom 3. September 2008 im einzelnen dargelegt hat und dessen Billigkeitserwägungen die Kammer insoweit folgt. Aus diesen Erwägungen kann im Ergebnis – wenn auch mit anderer Begründung als die Anschlusserinnerung, welche den genannten Synergieeffekt weder bei der Wahl des Gebührenrahmens noch bei der Gebührenhöhe berücksichtigt hat - die (zunächst wegen des Synergieeffektes um 1/3 auf 170,00 EUR verminderte) Mittelgebühr i.H.v. 250,00 EUR festgesetzt werden. Eine Erhöhung über diesen Betrag hinaus auf 300,00 EUR, wie mit der Erinnerung geltend gemacht, hält die Kammer dagegen für nicht mehr billig: Der Erinnerungsführer und Anschlusserinnerungsgegner hat in seinem Kostenfestsetzungsantrag die Mittelgebühr der Nr. 3102 VV RVG um 20% erhöht (der Synergieeffekt fand dort ebenfalls weder beim Gebührenrahmen noch bei der Gebührenhöhe Berücksichtigung). Dagegen entspräche eine Erhöhung ausgehend von den nach den getroffenen Feststellungen hier zugrunde zu legenden 170,00 EUR auf 300,00 EUR einer Erhöhungsquote von 56%, welche dem weiteren Umfang und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit nicht mehr gerecht wird.

Zur Frage der ("fiktiven") Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG für Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b Abs. 1 und Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vertritt die erkennende Kammer seit - S 165 SF 7/09 - vom 30. Januar 2009 (in juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de sowie http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de/jportal/portal/page/sammlung.psml/bs/10) und im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der 164. Kammer des Sozialgerichts Berlin (seit S 164 SF 14/09 E vom 21. Januar 2009) aus den dort genannten Gründen, an denen sie auch nach nochmaliger Prüfung festhält, die Auffassung, dass in Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b Abs. 1 und Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eine Gebühr nach Nr. 3106 VV RVG in Gestalt der "fiktiven" Terminsgebühr nicht anfallen kann, wenn ein Termin tatsächlich nicht stattgefunden hat. Darin heißt es:

"In Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b Abs. 1 und Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann eine Gebühr nach Nr. 3106 VV RVG in Gestalt der "fiktiven" Terminsgebühr, wenn ein Termin tatsächlich nicht stattgefunden hat, nicht anfallen, da für die Beschlussentscheidung nach § 86b SGG die Durchführung eines Termins zur mündlichen Verhandlung nicht vorgesehen ist (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 01.02.2007 zum Verfahren V ZB 110/06). Diese Auffassung teilt auch die 164. Kammer des Sozialgerichts Berlin, die nunmehr neben der 165. Kammer des Sozialgerichts Berlin für die Entscheidungen nach § 197 Satz 2 SGG eine Alleinzuständigkeit hat, vgl. Beschluss vom 21. Januar 2009 – S 164 SF 14/09 E -. Soweit der Vorsitzende der 164. Kammer als Vorsitzender der 87. Kammer des Sozialgerichts Berlin in der Entscheidung vom 15.04.2008 zum Verfahren S 87 AS 6754/06 ER unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.04.2007 zum Aktenzeichen L 7 B 36/07 AS die Auffassung vertreten hatte, dass auch im Verfahren nach § 86b SGG eine fiktive Terminsgebühr anfallen kann, so hat er diese Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben (Beschluss S 87 AS 3339/08 ER). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 05.12.2007 zum Verfahren 4 KSt 1007.07 (4 A 1070.06) nachvollziehbar dargelegt, dass grundsätzlich in Beschlussverfahren, in denen eine mündliche Verhandlung oder eine Erörterung tatsächlich nicht stattfindet, eine Terminsgebühr nicht anfallen kann.

Es trifft zu, dass die Entstehung der Terminsgebühr weder eine über die Annahme des Anerkenntnisses hinausgehende Mitwirkung im Sinne einer vorhergehenden Kommunikation voraussetzt noch die von Gesetzes wegen obligatorische Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Grundvoraussetzung für die Entstehung dieser Gebühr ist jedoch nach § 2 Abs. 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 3 des Vergütungsverzeichnisses (VV-RVG) i.V.m. Abschnitt 1 Nr. 3106 Ziffer 3 VV-RVG, dass für das entsprechende Rechtsschutzverfahren überhaupt eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist oder, wie etwa im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, ausnahmsweise durchgeführt werden soll. Denn die Terminsgebühr wird gerade deshalb gewährt, um (regelmäßig vorgeschriebene) mündliche Verhandlungen im Sinne der Prozessökonomie entbehrlich zu machen, ohne dass hierdurch der Vergütungsanspruch des Prozessbevollmächtigten beeinträchtigt wird (vgl. auch KG Berlin, Beschluss vom 21. Februar 2007, Az. 5 W 24/06, zitiert nach Juris). Da für einstweilige Rechtsschutzverfahren gemäß § 124 Abs. 3 i.V.m. § 86b Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Durchführung einer mündlichen Verhandlung von der Verfahrensordnung nicht obligatorisch vorgesehen ist und vorliegend eine mündliche Verhandlung bzw. die Erörterung der Sache durch das Gericht weder angeordnet noch hierzu geladen wurde, ist auch keine Terminsgebühr entstanden (so auch Sächsisches LSG, Beschluss vom 7. Februar 2008, L 23 B 33/08 AS-KO; SG Halle, Beschluss vom 6. Juni 2008, S 11 SF 76/07 AS; SG Reutlingen, Beschluss vom 12. September 2007, Az. S 2 AS 3109/07 KE; SG Lüneburg, Beschluss vom 10. Mai 2007, Az. 25 SF 23/07, jeweils zitiert nach Juris).

Zwar lässt sich diese Rechtsfolge nicht unmittelbar dem Wortlaut des Satzes 2 zu Ziffer 3106 VV RVG (Nr. 3) entnehmen. Der Gebührentatbestand lautet vielmehr: "Die Gebühr entsteht auch, wenn (3.) das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet." Dieser Wortlaut lässt jedoch durchaus auch die Auslegung zu, dass hier nur eine Regelung in Bezug auf Verfahren getroffen wurde, die regelmäßig aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden werden. Diese Auslegung wird – anders als die entgegenstehende – durch den Sinn und Zweck der Norm gestützt, der im Zusammenhang mit den Ziffern 1 und 2 zu Nr. 3106 VV-RVG sowie der erwähnten Vorbemerkung 3 zu Teil 3 zu erkennen ist. Denn hieraus ergibt sich, dass der Gebührentatbestand der Nr. 3106 VV-RVG insgesamt darauf abzielt, kraft Gesetzes durchzuführende mündliche Verhandlungen im Einzelfall zu vermeiden, ohne insoweit den Verdienst des Rechtsanwalts zu schmälern. So ordnet Ziffer 1 die Entstehung der Gebühr an, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Ziffer 2 sieht die Terminsgebühr dann vor, wenn statt aufgrund mündlicher Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird. Die sich unmittelbar daran anschließende Ziffer 3 wird sodann durch das Bindewort "oder" eingeleitet wird, welches semantisch den inhaltlichen Sinnzusammenhang zu den vorherigen Ziffern herstellt. Für den aus anwaltlicher Sicht bestehenden Anreiz des Verdienens einer Terminsgebühr unter Verzicht auf eine mündliche Verhandlung ist dagegen kein schützenswertes Bedürfnis erkennbar in Fällen, in denen durch das Gesetz eine solche von Vornherein nicht vorgeschrieben ist und, von Ausnahmen abgesehen, regelmäßig auch nicht durchgeführt wird. Schließlich würde anderenfalls der bevollmächtigte Rechtsanwalt in solchen Verfahren, wie im vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren, im Falle der Verfahrensbeendigung durch die Annahme eines Anerkenntnisses gegenüber dem sonst regelmäßig im schriftlichen Verfahren ergehenden Beschluss gebührenrechtlich zu Lasten des Antragsgegners begünstigt werden, ohne dass hierfür ein eindeutiger Wille des Gesetzgebers erkennbar wäre. Ausnahmetatbestände, wie der in Ziffer 3106 Nr. 3 VV RVG geregelte, sind jedoch grundsätzlich eng auszulegen (SG Berlin, Beschluss vom 23.09.2008, S 88 SO 821/07 ER)."

Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet, § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.

Die Beschwerde gegen diese Entscheidung ist nicht statthaft, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.06.2008, L 1 B 60/08 SF AL.
Rechtskraft
Aus
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