S 1 SO 5729/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
1
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SO 5729/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Zur Begleichung der anfallenden Bestattungskosten hat der Bestattungspflichtige vorrangig den Nachlass zu verwenden. Zumutbar ist der Einsatz des gesamten vorhandenen Nachlasses. Eine Aufrechnung gegen den Nachlasswert mit Nachlassverbindlichkeiten ist nicht zulässig.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Bestattungskosten aus Mitteln der Sozialhilfe nach den Bestimmungen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuches (SGB XII).

Der 1960 geborene Kläger ist der Sohn und Alleinerbe des am 26.11.1928 geborenen und am 09.04.2008 in B. verstorbenen S ... Er bezog ab dem 01.03.2008 von der Agentur für Arbeit B. (Regelsatz: monatlich 347,- EUR) und dem Beklagten (Kosten der Unterkunft: monatlich 348,47 EUR) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Am 24.04.2008 stellte er beim Beklagten den Antrag, die für die Bestattung seines Vaters angefallenen Aufwendungen aus Mitteln der Sozialhilfe zu übernehmen. Hierzu legte er Rech¬nungen des Bestattungsinstituts J-GmbH, H., vom 21.04.2008 über 2.204,02 EUR und der B-Zeitung, K., vom 22.04.2008 über 134,95 EUR und vom 30.04.2008 über weitere 149,94 EUR vor. Auf Anfrage des Beklagten gab der Kläger ergänzend an, der Nachlass bestehe aus einem PKW und Aktien im Wert von 1.600,- EUR. Außerdem bestehe ein Bankguthaben in Höhe von 275,- EUR auf dem Kto.-Nr ... bei der Bank B.-Br. eG. Neben den Beerdigungskosten bestünden 1.250,- EUR Verbindlichkeiten aus einem Kredit und weitere 2.000,- EUR wegen der Beerdigung der vorverstorbenen Ehefrau des Erblassers. Die Bank teilte der Beklagten mit, der Erblasser sei am Todestag Inhaber diverser Konten mit folgenden Kontenständen gewesen: • Kto.-Nr ... - 850,- EUR • Kto.-Nr ... 1.370,- EUR • Kto.-Nr ... 1.592,- EUR • Kto.-Nr ... 1.644,- EUR (vgl. Schreiben vom 12.06.2008).

Der Beklagte lehnte daraufhin den Antrag mit der Begründung ab, die Kosten für die Todesanzeige und die Danksagung seien keine "erforderliche Kosten" im Sinne des SGB XII. Im Übrigen könne der Kläger selbst bei Außerachtlassen des Wertes des PKW die erforderlichen Kosten der Beerdigung (2.204,02 EUR) zumutbar in vollem Umfang aus dem Nachlass (4.031,11 EUR) abdecken (Bescheid vom 28.07.2008).

Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger im Wesentlichen vor, er könne die Beerdigungskosten nicht aus dem Nachlass aufbringen. Denn er habe noch die Kosten der Beerdigung seiner Mutter zu tragen. Der Erlös aus dem Verkauf des PKW diene der Schuldentilgung bzw. der Ablösung von Verbindlichkeiten gegenüber dem Kfz-Händler. Der Beklagte wies den Widerspruch zurück: soweit der vorhandene Nachlass ausreiche, die erforderlichen Kosten der Beerdigung zu bestreiten, sei es dem Verpflichteten immer zumutbar, die Bestattungskosten zu tragen. Mit Blick auf den sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatz habe der Verpflichtete den Nachlass stets in voller Höhe zur Begleichung der Bestattungskosten einzusetzen. Erst danach stehe dieser zum Ausgleich bereits vorbestehender Verbindlichkeiten zur Verfügung. Diese seien deshalb im Fall des Klägers nicht berücksichtigungsfähig (Widerspruchsbescheid vom 26.11.2008).

Deswegen erhob der Kläger am 29.12.2008 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe. Zur Begründung trägt er vor, der Beklagte habe den Wert des Nachlasses unrichtig berechnet, insbesondere fortbestehende Verpflichtungen aus dem Mietverhältnis des Verstorbenen, die auch schon von diesem nur in Raten zu tilgenden Beträge für die Beerdigung der Ehefrau sowie erhebliche Verbindlichkeiten wegen des PKW unberücksichtigt gelassen. Damit sei der Nachlass zur Bestreitung der Beerdigungskosten nicht ausreichend gewesen.

Der Kläger beantragt - teilweise sinngemäß -,

den Bescheid vom 28. Juli 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm die Kosten für die Bestattung seines Vaters aus Sozialhilfemitteln in gesetzlichem Umfang zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.

Mit Schreiben vom 23.12.2009 hat das Gericht die Beteiligten darauf hingewiesen, es erwäge eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid, und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Die Beteiligten haben sich damit ausdrücklich einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte des Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Beerdigung seines Vaters aus Mitteln der Sozialhilfe. Hierüber konnte die Kammer ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil sie der Auffassung ist, dass die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, und der Sachverhalt geklärt ist (§ 105 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch ist § 74 SGB XII. Danach werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Die Verpflichtung, die Kosten einer Beerdigung zu tragen, kann sich aus Vertrag, z.B. mit dem Bestattungsunternehmen gemäß § 631 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), aus einer Unterhaltspflicht, z.B. als Abkömmling gemäß § 1601 ff., § 1615 Abs. 2 BGB (vgl. BSG vom 29.09.2009 - B 8 SO 23/08 R -), als Erbe (§ 1968 i.V.m. §§ 1924 ff. BGB; vgl. BVerwGE 116, 287, 289) oder nach landesrechtlichem öffentlich-rechtlichem Bestattungsrecht (vgl. BVerwGE 114, 57, 58f., BVerwG Buchholz 436.0 § 15 BSHG Nr. 5; z.B. § 31 Abs. 1 i.V.m. § 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 des Bestattungsgesetzes Baden-Württemberg) ergeben.

Hier ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und nicht zweifelhaft, dass der Kläger jedenfalls als Erbe verpflichtet war, die Kosten der Beerdigung seines Vaters zu tragen. Ihm ist auch zuzumuten, die erforderlichen Kosten der Bestattung aus dem Nachlass zu tragen. Der Beurteilungsmaßstab dafür, was dem Verpflichteten zugemutet werden kann, ergibt sich insbesondere aus den allgemeinen Grundsätzen des Sozialhilferechts (vgl. Gotzen, ZfF 2006, 1, 3; offen gelassen in BVerwGE 114, 57, 60). Da § 74 SGB XII den Anspruch auf Kostenübernahme nicht zwingend an die Bedürftigkeit des Anspruchsinhabers (des Verpflichteten) knüpft, sondern die eigenständige Leistungsvoraussetzung der Unzumutbarkeit verwendet (vgl. BVerwGE 105, 51 ff), nimmt § 74 SGB XII im Recht der Sozialhilfe aber eine Sonderstellung ein. Die Regelung unterscheidet sich von anderen Leistungen des 5. bis 9. Kapitels u.a. dadurch, dass der Bedarf bereits vorzeitig (vor Antragstellung) gedeckt sein kann, eine Notlage, die andere Sozialhilfeansprüche regelmäßig voraussetzen, also nicht mehr gegeben sein muss. Die Verpflichtung des zuständigen Trägers der Sozialhilfe setzt nach § 74 SGB XII nur voraus, dass die (ggf. bereits beglichenen) Kosten "erforderlich" sind und es dem Verpflichteten nicht "zugemutet" werden kann, diese Kosten zu tragen, ohne ausdrücklich und ausschließlich auf die Bedürftigkeit abzustellen (vgl. BSG vom 29.09.2009 - B 8 SO 23/08 R -). Je enger das Verwandtschaftsverhältnis oder die rechtliche Beziehung war, desto geringer sind in der Regel die Anforderungen an die Zumutbarkeit des Einkommens- und Vermögenseinsatzes.

Zu Recht hat der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf Übernahme der erforderlichen Bestattungskosten aus § 74 SGB XII - wie sämtliche Leistungen im Rahmen der Sozialhilfe (vgl. § 2 Abs. 1 SGB XII) - unter dem Vorbehalt der Nachrangigkeit stehen. Dies bedeutet, dass der zur Bestattung Verpflichtete - hier: der Kläger als Erbe auf Ableben seines Vaters (§ 1968 BGB) wie auch als Abkömmling (§ 31 Abs. 1 i.V.m. § 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 des Bestattungsgesetzes Baden-Württemberg) - vorrangig zur Begleichung der angefallenen Bestattungskosten den Nachlass zu verwenden hat. Zumutbar ist dabei der Einsatz des gesamten vorhandenen Nachlasses (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, FEVS 48, 446, Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl. 2008, § 74, Rdnr. 29, Meusinger in Fichtner/Wenzel, SGB XII - Sozialhilfe und AsylbLG, 4. Aufl. 2009, § 74, Rdnr. 5 und Berlit in LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 74, Rdnr. 8). Dem Bestattungspflichtigen dabei die gesetzlichen Regelungen zur Vermögens¬-schonung (§ 90 Abs. 2 und § 102 Abs. 3 SGB XII) nicht zugute (vgl. BVerwG, FEVS 51, 5 sowie Meusinger, a.a.O. und Berlit, a.a.O.). Der Kläger ist deshalb nicht berechtigt, gegen das im Zeitpunkt des Todes seines Vaters vorhanden gewesene Nachlassvermögen aus Spar- und Wertpapierkonten, das der Beklagte mit 4.031,11 EUR zutreffend berechnet und dabei zugunsten des Klägers bereits den Debetsaldo auf dem Konto-Nr ... von 850,- EUR in vollem Umfang berücksichtigt hat, mit Nachlassverbindlichkeiten aufzurechnen. Denn dies würde im Ergebnis dazu führen, dass der Beklagte Schulden des Hilfesuchenden - hier des Klägers als Erbe auf Ableben seines Vaters - übernehmen müsste. Die Übernahme von Schulden ist jedoch - von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen des § 34 Abs. 1 SGB XII abgesehen - nicht Aufgabe der Sozialhilfe (vgl. insoweit BVerwGE 40, 59 und 343; 66, 342, 346; 92, 152, 155 ff. sowie LSG Baden-Württemberg vom 14.06.2007 - L 7 SO 3186/06 -). Das Nachlassvermögen überstieg damit die vom Kläger aufzuwendenden Bestattungskosten von 2.204,02 EUR um 1.827,09 EUR. Anders wäre selbst dann nicht zu entscheiden, wenn man weiter auch die Aufwendungen für die Todesanzeige und die Danksagung von insgesamt 284,89 EUR als "erforderliche" Kosten der Bestattung ansehen wollte (bejahend: Berlit, a.a.O., Rdnr. 13, verneinend: Grube, a.a.O., Rdnr. 32).

Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
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