S 7 AS 586/09 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AS 586/09 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1) Keine Auskunftspflicht des Hilfebedürftigen über die Einkommens- und Vermögenssituation seiner mit ihm in einer Haushaltsgemeinschaft lebenden Eltern.
2) Keine Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen einen Bescheid, der eine vorläufige Entscheidung gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II i.V.m. § 328 SGB III ersetzt.
1) Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 14.09.2009 bis längstens 30.11.2009 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II in der mit Bescheid vom 18.06.2009 bewilligten Höhe vorläufig zu gewähren.

2) Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu tragen.

Gründe:

1)

Zwischen den Beteiligten ist die Versagung der mit Bescheid vom 18.06.2009 gewährten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II streitig.

Der am 20.12.1975 geborene Antragsteller (Ast) wohnt mit seinen Eltern M. und R. S. im gleichen Haushalt.

Am 19.05.2009 stellte er bei der Ag Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II.

Mit Schreiben vom 19.05.2009 bat die Ag den Ast u. a. Nachweise über das monatliche Gesamteinkommen, die monatlichen Gesamtausgaben sowie über eventuell vorhandenes Vermögen der Eltern des Ast vorzulegen.

Der Ast äußerte daraufhin, dass er bezugnehmend auf § 9 Abs. 5 SGB II keine Leistungen von seinen Eltern erhalte. Eine Auskunftsverpflichtung der Eltern bestehe nicht. Ein Verstoß gegen Mitwirkungspflichten des Ast liege nicht vor, da dem Ast mangels Kenntnis keine Auskunft möglich sei.

Mit weiterem Schreiben vom 04.06.2009 forderte die Ag den Ast erneut auf, die angeforderten Nachweise vorzulegen.

Mit Schreiben vom 15.06.2009 wies der Ast die Ag darauf hin, dass er die entsprechenden Auskünfte nicht erteilen könne. Er kenne die Vermögens- und Einkommenssituation seiner Eltern nicht. Er habe insoweit auch keinen Auskunftsanspruch gegen die Eltern. Es reiche aus, die Vermutungsregelung des § 9 Abs. 5 SGB II zu erschüttern, wenn der Hilfebedürftige schriftlich erklärt, dass er keine Leistungen erhalte. Da die Ag möglicherweise einen Auskunftsanspruch gegenüber den Eltern gemäß § 60 SGB II habe, könne kein Verstoß des Ast nach § 60 SGB I vorliegen.

Schließlich gewährte die Ag mit Bescheid vom 18.06.2009 für den Zeitraum vom 01.06. bis 30.06.2009 Leistungen in Höhe von 511 EUR und vom 01.07. bis 30.11.2009 in monatlicher Höhe von 519 EUR. In der Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, dass die Leistungen bis zur Klärung der Sach- und Rechtslage lediglich vorläufig erbracht würden.

Mit Schreiben vom 18.06.2009 wurden die Eltern des Ast aufgefordert, die angeforderten Nachweise vorzulegen. Daraufhin teilte der Ast mit Schreiben vom 01.07.2009 mit, dass die Unterlagen von den Eltern nicht bereitgestellt würden.

Mit weiterem Schreiben vom 13.07.2009 wurde der Ast erneut aufgefordert die Nachweise vorzulegen. Es wurde u. a. ausgeführt, dass ein Auskunftsverlangen gemäß § 60 Abs. 4 SGB II gegenüber den Eltern nicht durchsetzbar sei. Auf § 66 SGB I werde hingewiesen.

Mit Bescheid vom 24.08.2009 wurden schließlich die Leistungen nach SGB II ab dem 01.08.2009 vollständig versagt. In der Begründung wurde ausgeführt, dass trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die angeforderten Nachweise nicht vorgelegt worden seien. Der Ast sei daher seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Die Anspruchsvoraussetzungen hätten daher nicht geprüft werden können.

Mit Schreiben vom 26.08.2009 erhob der Ast dagegen Widerspruch. In der Widerspruchsbegründung führte der Ast im wesentlichen dasselbe aus, das er bereits vor Erlass des Bescheides eingewendet hatte. Darüber hinaus wies der Ast daraufhin, dass die Mitwirkungspflicht ihre Grenze im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz finde. Die Mitwirkung müsse objektiv und subjektiv möglich sein. Mitwirkungspflichten iSv §§ 60 ff SGB I bestünden nicht, wenn deren Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden können. Die angeforderten Unterlagen beträfen einen Dritten, der nicht im Sozialleistungsverhältnis beteiligt sei. Auskunftspflichten die Dritte beträfen, würden sich nur auf Tatsachen erstrecken, die dem Leistungsempfänger bekannt seien. Der Ast sei aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage die Auskünfte zu erteilen. Aber auch aus rechtlichen Gründen sei dies unmöglich. Der Ast habe keinen Auskunftsanspruch gegen die Eltern. Der Bescheid der Bekl. sei daher aufzuheben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 02.09.2009 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 14.09. erhob der Ast Klage.

Mit weiterem Schreiben gleichen Datums stellte der Ast Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. In der Begründung des Antrages wurde im wesentlichen das Vorbringen im Verwaltungs- und Vorverfahren wiederholt.

Auch die Ag trug in der Antragserwiderung keine wesentlich neuen Argumente vor.

Der Ast hat beantragt,

die aufschiebende Wirkung gegen den Bescheid vom 24.08.2009 in der Gestalt des WB vom 02.09.2009 anzuordnen.

Die Ag hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Akten der Ag, die Akte des Sozialgerichts Landshut mit dem Az.: S 7 AS 587/09 und die Prozessakte ergänzend Bezug genommen.

2)

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig und auch begründet.

Vorliegend handelt es sich nicht um einen Antrag gemäß § 86b Abs. 1 Nr. Sozialgerichtsgesetz (SGG) sondern um einen Antrag gemäß § 86b Abs. 2 SGG. Insoweit ist der Antrag gemäß § 123 SGG auszulegen.

Mit dem Erlass des Bescheides vom 24.08. 2009 erledigte sich der Bescheid vom 18. 06. 2009. Denn damit entschied die Ag nach dem als vorläufige Entscheidung bezeichneten Bescheid vom 18.06.2009 endgültig über den Antrag vom 19.05.2009 auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II, § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II i.V.m. § 328 SGB III. Dem Rechtscharakter eines vorläufigen Verwaltungsaktes entsprechend wird dieser durch die endgültige Entscheidung ersetzt und erledigt sich im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X auf andere Weise, ohne dass es einer Aufhebung der vorläufigen Entscheidung bedarf (insoweit allgemeine Auffassung: vgl. z.B. Münder - SGB II, Rdnr. 10 ff zu § 40; Eicher/Spellbrink - SGB II, Rdnr. 68j ff zu § 40).

Die aufschiebende Wirkung des mit Schreiben vom 26.08.2009 erhobenen Widerspruches gegen den Bescheid vom 24.08.2009 hemmt nach der herrschenden Meinung nicht die Wirksamkeit dieses Bescheides, sondern nur dessen Vollziehung (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 11. März 2009 - B 6 KA 15/08 R). Dem entsprechend bleibt der (vorläufige) Bescheid vom 18.06.2009 trotz des Widerspruches unwirksam im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X. Denn er wurde durch den (endgültigen) Bescheid vom 24.08.2009 ersetzt und erledigte sich damit. Die verfahrensrechtliche Situation ist mit der nach Erlass einer Ablehnungsentscheidung ohne vorherige vorläufige Entscheidung zu vergleichen. Ein Antrag gemäß § 86b Abs. 1 SGG kommt daher nicht in Betracht.

Jedenfalls ist aber der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 SGG zum Teil begründet.

Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Regelungsanordnung) ist zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, § 86 b Abs.2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das ist etwa dann der Fall, wenn dem Ast. ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG vom 25.10.1988, BVerfGE 79, 69).

Eine solche Regelungsanordnung setzt voraus, dass der Ast. einen Anordnungsanspruch, das heißt die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass er auch in der Hauptsache Erfolg haben wird, und einen Anordnungsgrund, das heißt die Dringlichkeit, der begehrten vorläufigen Regelung, darlegen und glaubhaft machen kann, § 86 b Abs.2 SGG i.V.m. §§ 920, 294 Zivilprozessordnung (ZPO).

Höhere Leistungen für den Ast vor dem 14.09.2009 kommen vorliegend deshalb nicht in Betracht, weil im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes keine rückwirkende Leistungsgewährung erwirkt werden kann. Der Antrag ging bei Gericht am 14.09.2009 ein. Erst ab diesem Zeitpunkt können Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geltend gemacht werden.

Nach summarischer Prüfung bestehen ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 24.08.2009 in der Gestalt des WB vom 02.09.2009. Insoweit kann von einem Anordnungsanspruch des Ast ausgegangen werden.

Gemäß § 66 Abs. 1 SGB I kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nachkommt und die Aufklärung des Sachverhalts hierdurch erheblich erschwert wird, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Dies gilt entsprechend, wenn der Ast oder Leistungsberechtigte in anderer Weise absichtlich die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert.

Gemäß § 60 Abs. 1 SGB I hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen(1.), Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen(2.), Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen(3.).

Die Leistungen nach dem SGB II konnten nicht wegen fehlender Mitwirkung versagt werden. Der Ast hat nicht gegen seine Pflichten aus § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB I verstoßen, denn die sich aus § 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB I ergebende Grenze der Mitwirkung ist überschritten. Nach dieser Vorschrift bestehen Mitwirkungspflichten nach den § 60 bis 64 SGB I dann nicht, soweit ihre Erfüllung den Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann. Dies ist hier hinsichtlich der Nachweise über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern des Ast der Fall. Die Anforderung dieser Unterlagen betrifft dritte Personen, die nicht am Sozialleistungsverhältnis beteiligt sind. Auskunftspflichten, die Dritte betreffen, erstrecken sich nur auf die Tatsachen, die dem Leistungsempfänger selbst bekannt sind (vgl. BSG, Urteil vom 10.03.1993 – Az.: 14b/4 REg 1/91). Grundsätzlich besteht keine Ermittlungspflicht des Leistungsempfängers gegenüber Dritten. Er braucht sich keine Erkenntnisse verschaffen. Daraus folgt, dass auch keine Verpflichtung besteht, Beweismittel, z. B. Urkunden, von einem privaten Dritten zu beschaffen und vorzulegen. Dies muss insbesondere dann gelten, wenn es der betreffende Dritte bzw. die Eltern des Ast abgelehnt haben, entsprechende Angaben zu machen(vgl. Schreiben vom 01.07.2009). Da die Ag insoweit vom Ast etwas subjektiv Unmögliches verlangt hat, kann von einer Mitwirkungsobliegenheit im Sinne des § 60 Abs. 1 SGB I nicht ausgegangen werden.

Die Ag ist gehalten, die von ihr insoweit für entscheidungserheblich erachteten Auskünfte nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB II unmittelbar von den Eltern des Ast zu beschaffen. § 60 Abs. 4 Satz 1 SGB II normiert eine eigenständige öffentlich-rechtliche Auskunftspflicht des Partners, die bußgeldbewehrt ist und bei deren Verletzung der Auskunftspflichtige schadenersatzpflichtig werden kann (vgl. §§ 63 Abs. 1 Nr. 4, 62 SGB II). Wenn die Ag somit vom Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft überzeugt ist, muss sie die gegenüber den Eltern des Ast bestehende Auskunftspflicht durch Verwaltungsakt feststellen und gegebenenfalls im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchsetzen. Eine Leistungsentziehung wegen fehlender Mitwirkung gegenüber dem Ast kommt insoweit nicht in Betracht.

Aber auch § 9 Abs. 5 SGB II bildet keine Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 24.08.2009 in der Gestalt des WB vom 02.09.2009.

Gemäß § 9 Abs. 5 SGB II wird vermutet, dass Hilfebedürftige von Verwandten oder Verschwägerten, die in der Haushaltsgemeinschaft leben, Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.

Da nach dem bisherigen Ermittlungsstand völlig unklar ist, welches Einkommen oder welches Vermögen die in der Haushaltsgemeinschaft lebenden Eltern des Ast haben und der Ast ausdrücklich erklärt, dass er nicht in der Lage sei, insoweit irgendwelche Angaben zu machen, kann die Vermutungsregel des § 9 Abs. 5 SGB II nicht greifen (vgl. Münder – SGB II, Rdnr. 69 zu § 9).

Ausweislich der Akte der Ag und den vom Ast gemachten Angaben hinsichtlich seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse wird ein Anordnungsgrund unterstellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 ff SGG.
Rechtskraft
Aus
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