L 27 P 34/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 76 P 126/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 P 34/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Januar 2007 geändert. Die Beklagte wird ihrem Anerkenntnis entsprechend unter Änderung ihres Bescheides vom 9. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2004 verurteilt, der Klägerin auch für die Zeit vom 1. Januar bis zum 28. Februar 2005 Pflegegeld bei Pflegestufe II zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Pflegegeld bei Pflegestufe II für die Zeit von Oktober 2003 bis Februar 2005.

Die 1926 geborene Klägerin erhält von der Beklagten aufgrund des Bescheides vom 10. September 2001 Pflegegeld bei Pflegestufe I. Sie beantragte am 27. Oktober 2003 höhere Leistungen wegen der Verschlechterung des Gesundheitszustandes bei Vorliegen der Pflegestufe II. Die Beklagte veranlasste das Gutachten der MDK-Ärztin F vom 5. Dezember 2003. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9. Januar 2004 ab. Die Begutachtung habe ergeben, dass die medizinischen Voraussetzungen für eine höhere Pflegestufe nicht vorliegen würden. Die Klägerin könne daher keine Leistungen der Pflegestufe II erhalten. Die Leistungen der Pflegestufe I würden weiterhin gewährt.

Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 21. Januar 2004. Mobilität sei bis auf das Laufen mit Laufstock in der Wohnung nicht mehr gegeben. Ansonsten sei die Klägerin auf ihren Rollstuhl angewiesen. Das Baden in der Wanne sei nicht mehr möglich. Das Duschen sei seit Wochen nur mit großer Überredung möglich. Ihre Angst zu fallen sei zu groß. Ihr linker Arm sei nicht mehr funktionstüchtig. Sie benötige für die Körperpflege morgens eine halbe Stunde, für das Anziehen benötige sie Hilfe. Das für sie zubereitete Frühstück könne sie selbst verzehren. Sie reichte den Bescheid des zuständigen Versorgungsamtes vom 24. Februar 2004 ein, wonach ihr Grad der Behinderung 100 beträgt und die Merkzeichen B und G zuerkannt wurden. Die Beklagte holte die ergänzende Stellungnahme bei der bisherigen Sachverständigen ein und veranlasste ein Gutachten nach Aktenlage durch den MDK-Arzt B. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Voraussetzungen der Pflegestufe II von 120 Minuten Grundpflege täglich erfülle die Klägerin nicht. Der Hilfebedarf in der Grundpflege betrage nach den eingeholten sozialmedizinischen Gutachten und Stellungnahmen 79 Minuten. Die Entscheidung über den Grad der Behinderung habe keine bindende Wirkung für die Pflegeversicherung.

Die Klägerin hat ihre Klage damit begründet, dass sie seit Längerem an den Rollstuhl gefesselt und in der Wohnung auf den Gehstock angewiesen sei. Sie legte radiologische Atteste vor. Das Sozialgericht veranlasste das Gutachten durch die allgemeinmedizinische Sachverständige Dr. B vom 25. November 2004. Nach einem weiteren Höherstufungsantrag der Klägerin veranlasste die Beklagte eine Begutachtung durch die MDK-Ärztin K. Daraufhin bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 11. Mai 2005 Pflegegeld in Höhe von 410,00 EUR monatlich bei Vorliegen der Pflegestufe II seit 1. März 2005. Das Sozialgericht veranlasste bei der Beklagten die Nachfrage bei der neuen MDK-Gutachterin, woraufhin diese mit Schreiben vom 9. August 2005 mitteilte, dass keine verwertbaren Angaben über den Zeitpunkt der Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Versicherten vorgelegen hätten. Die Gutachterin habe sich an das Datum der Antragstellung gehalten. Sie könne aber nicht ausschließen, dass ein erhöhter Pflegeaufwand bereits zu einem früheren Zeitpunkt bestanden habe. Entsprechende Belege hätten nicht vorgelegen. Mit Urteil vom 18. Januar 2007 wies das Sozialgericht die Klage für die Zeiträume vom März 2005 zurück, weil die Voraussetzungen für die Pflegestufe II für diesen Zeitraum nicht nachgewiesen seien. Belege oder verwertbare Angaben für einen höheren Pflegebedarf für Zeiten vor März 2005 hätten nicht vorgelegen. Die in der Widerspruchsbegründung geltend gemachte Essenszubereitung gehöre zur hauswirtschaftlichen Versorgung und nicht zur Grundpflege. Dies gelte ebenso für die Ausfahrten mit dem Rollstuhl zum Einkaufen.

Ihre Berufung begründet die Klägerin damit, dass es doch denkbar sei, dass die Schwerpflegebedürftigkeit nicht erst seit März 2005 bestanden habe. Ohne die Kompetenz der gerichtlichen Sachverständigen infrage zu stellen, könnte Schwerpflegebedürftigkeit für den Zeitraum nach dem 25. November 2004 bis Ende Februar 2005 angenommen werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Januar 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 9. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Pflegegeld bei Pflegestufe II auch für die Zeit vom 1. Oktober 2003 bis einschließlich 28. Februar 2005 zu gewähren.

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung einen Anspruch der Klägerin auf Leistungen bei Pflegestufe II seit 1. Januar 2005 anerkannt und hält das angefochtene Urteil im Übrigen für zutreffend.

Die Beklagte beantragt,

die über das Anerkenntnis hinausgehende Klage abzuweisen.

Der Senat hat die Befundberichte der Hausärztin der Klägerin, der Fachärztin für Allgemeinmedizin L, vom 3. Mai 2007 und der behandelnden Internistin Dr. K vom 6. Mai 2007 eingeholt. Er hat Dr. B auch zur Sachverständigen des Landessozialgerichts ernannt und ihre Stellungnahme vom 7. Juni 2007 eingeholt.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Das Urteil des Sozialgerichts war zu ändern. Die Beklagte war entsprechend ihrem Teilanerkenntnis zu verurteilen. Gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 313b Abs 1 Zivilprozessordnung werden für das Teilanerkenntnisurteil Entscheidungsgründe nicht dargestellt.

Im Übrigen hat die zulässige Berufung in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht die über das Teilanerkenntnis hinausgehende Klage abgewiesen. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 9. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2004 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Senat kann nicht davon ausgehen, dass die Klägerin im nunmehr noch streitigen Zeitraum vor Januar 2005 die Voraussetzungen der §§ 14, 15, 37 SGB XI für einen Anspruch auf Pflegegeld bei Pflegestufe II erfüllt.

Voraussetzung ist nach § 37 Abs 1 Nr 2 SGB XI u a, dass der Anspruchsteller pflegebedürftig ist und ihm mindestens die Pflegestufe II zuzuordnen ist. Nach § 14 Abs 1 SGB XI sind pflegebedürftig i S des SGB XI solche Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer zumindest in erheblichem Maße der Hilfe bedürfen. Zu berücksichtigen ist hierbei ausschließlich der Umfang des Pflegebedarfs bei den gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen, die in Abs 4 der Vorschrift ausdrücklich aufgeführt sind und in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (Grundpflege) sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung aufgeteilt werden (BSG, Urteil vom 29.04.1999, B 3 P 13/98 R, JURIS-RdNr 10). Voraussetzung für einen Anspruch auf Pflegegeld bei Pflegestufe II ist, dass der Pflegebedürftige in der Grundpflege mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt werden. Außerdem wird vorausgesetzt, dass der Zeitaufwand, den eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, täglich im Wochendurchschnitt drei Stunden beträgt; wobei auf die Grundpflege mindestens zwei Stunden entfallen müssen.

Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass diese Voraussetzungen im streitigen Zeitraum von Oktober 2003 bis Dezember 2004 erfüllt sind. Dass der Beweis für die Anspruchsvoraussetzungen nicht erbracht werden kann, geht zu Lasten der Klägerin. Dies hat das Sozialgericht zutreffend dargestellt. Das Sozialgericht hat ebenfalls die ihm vorliegende Beweislage zutreffend gewürdigt. Auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Urteils vom 18. Januar 2007 wird nach § 153 Abs 2 SGG Bezug genommen.

Das Vorbringen der Klägerin und die vom Senat eingeholten Beweise im Berufungsverfahren rechtfertigen keine abweichende Beurteilung. Sie erbringen auch in Zusammenschau mit den bereits dem Sozialgericht vorliegenden Beweismitteln keinen Vollbeweis der Anspruchs-voraussetzungen. Die Klägerin selbst hält es lediglich für möglich, dass die Voraussetzungen der Pflegestufe II auch schon vor März 2005 vorgelegen haben können. Indes genügt die bloße Möglichkeit nicht für einen Anspruch. Noch im November 2004 ging die gerichtliche Sachverständige davon aus, dass die Voraussetzung eines Pflegeaufwandes von 120 Minuten in der Grundpflege nicht erreicht würden. Für eine wesentliche Verschlechterung noch im Folgemonat Dezember 2004 ergeben sich keine Anhaltspunkte. Die gerichtliche Sachverständige hat die Verschlimmerung des Gesundheitszustandes und auch der Hilfebedürftigkeit vor allem auf die Metastasierung des Karzinoms zurückgeführt. Entsprechende Befunde wurden von den behandelnden Ärzten in den vom Senat angeforderten Befundberichten jedenfalls nicht für Zeiträume vor Januar 2005 mitgeteilt. Vielmehr gab die Hausärztin der Klägerin im Mai 2007 an: "seit 2005 stetige Verschlechterung" "bes im letzten Jahr", Metastasenbefund vom September 05, und die behandelnde Internistin teilte nur eine Verschlechterung des Diabetes bei Chemotherapie mit. Aus diesen medizinischen Daten lässt sich ein hinreichend sicherer Schluss auf die von der Beklagten bereits ab Januar 2005 anerkannte wesentliche Verschlimmerung und der Eintritt der Schwerpflegebedürftigkeit für frühere Zeiträume nicht ziehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Beklagte den Rechtsstreit nicht veranlasst und das Teilanerkenntnis im Klageverfahren unverzüglich erklärt hat, sowie die ganz überwiegende Erfolglosigkeit der Rechtsverfolgung im Übrigen. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs 2 SGG nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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