L 9 R 2377/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 16 R 4610/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 2377/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. April 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1948 geborene Klägerin kam im Jahre 1968 aus Italien in die Bundesrepublik Deutschland. Sie hat keine Berufsausbildung absolviert und war von 1968 bis 1998 als Lager- und Montagearbeiterin beschäftigt. Seitdem ist sie - abgesehen von einer Tätigkeit beim Versandhaus Klingel von Juni bis September 2007 - arbeitslos.

Am 27.3.2007 beantragte sie zum wiederholten Male die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte einen Befundbericht bei dem Nervenarzt Dr. H. vom 16.5.2007 ein und ließ die Klägerin begutachten. Die Ärztin für Anästhesie und Sozialmedizin Dr. Sch. stellte bei der Klägerin im Gutachten vom 24.5.2007 folgende Gesundheitsstörungen fest: &61607; Depressives Syndrom mit Somatisierung DD Fibromyalgie &61607; Chronisch rezidivierendes Halswirbelsäulen-(HWS-) und Lendenwirbelsäulen-(LWS-) Syndrom &61607; Belastungsabhängige Kniegelenksschmerzen beidseits bei ausgeprägter Spreizfußbildung beidseits &61607; Adipositas Grad I &61607; Ohrgeräusche. Sie führte aus, der Befund habe sich seit den vorangegangenen Begutachtungen in den Jahren 2004, 2005 und 2006 nicht verändert. Dies bestätige auch der Befund des behandelnden Nervenarztes. Von diesem werde sie mit niedrig dosierter antidepressiver Therapie stabilisiert. Die Klägerin könne weiterhin leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens 6 Stunden täglich verrichten. Zu vermeiden seien einseitige Körperhaltungen (Überkopfarbeiten, häufiges Steigen auf Leitern und Gerüsten, häufiges Knien und Hocken), Akkordarbeit und Nachtschicht.

Mit Bescheid vom 31.5.2007 lehnte die Beklagte daraufhin den Rentenantrag der Klägerin ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und keine Berufsunfähigkeit vorliege. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 20.8.2007 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 19.9.2007 Klage zum Sozialgericht (SG) Karlsruhe erhoben, mit der sie die Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung begehrte.

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen gehört und Gutachten auf orthopädischem und neurologisch-psychiatrischem Gebiet eingeholt.

Dr. H. hat am 27.12.2007 über die Behandlungen der Klägerin im Jahr 2007 berichtet und angegeben, der neurologische Befund sei bei allen Untersuchungen unauffällig gewesen. Es hätten sich wechselnde Ausmaße an Depressivität mit Somatisierung gezeigt. Die Medikation erfolge unverändert mit Amitryptilin. Leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung halte er allenfalls 3 bis 6 Stunden pro Tag für möglich.

Der Orthopäde Dr. R. hat am 3.1.2008 erklärt, die Klägerin sei im Jahr 2007 nur zweimal von ihm behandelt worden. Die von ihm erhobenen Befunde und Schlussfolgerungen wichen nicht von denen im Gutachten vom 24.5.2007 ab.

Der Hausarzt der Klägerin Dr. T., Arzt für innere Krankheiten, hat unter dem 30.1.2008 ausgeführt, seine Befunde stimmten mit denen im Gutachten vom 24.5.2007 weitgehend überein. Allerdings seien eine Leberschädigung der Klägerin (Gamma-GT bis 238 U/l) und eine diabetische Stoffwechsellage (Blutzuckerwerte von 153 mg/dl) nicht berücksichtigt worden. Er sei der Meinung, dass der Klägerin eine vorzeitige Erwerbsunfähigkeitsrente gewährt werden sollte, da es auf dem Arbeitsmarkt keine Tätigkeit gebe, die der Erkrankung der Klägerin Rechnung trage.

Der Orthopäde Dr. M. hat im Zusatzgutachten vom 3.4.2008 folgende Diagnosen gestellt: &61607; Chronisches generalisiertes Schmerzsyndrom vom sog. Fibromyalgietyp &61607; Subjektive Beschwerden der Hals- und Lendenwirbelsäule ohne gravierende klinische oder radiologischen Befunde, kein Wurzelreiz &61607; Fingerpolyarthrose &61607; Fußdeformität. Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und degenerative Veränderungen seien auszuschließen. Aufgrund der objektivierbaren orthopädischen Erkrankungen, der Finger-gelenkspolyarthrose und des Senk/Spreizfußes, könne die Klägerin leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten 8 Stunden täglich verrichten. Die Fibromyalgie schließe in der Regel schwere körperliche Tätig¬keiten, ständige Zwangshaltungen sowie Tätigkeiten in Kälte und Nässe aus. Diesbezüglich müsse jedoch der Psychosomatiker das Leistungsvermögen beurteilen.

Dr. H., Arzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychotherapeutische Medizin, hat bei der Klägerin im Gutachten vom 26.5.2008 eine gering bis mäßig ausgeprägte Somatisierungsstörung diagnostiziert. Im Vordergrund stehe das diffuse Schmerzerleben. Aus psychiatrisch-psychosomatischer Sicht kämen keine weiteren Einschränkungen über die von orthopädischer und neurochirurgischer Seite beschriebenen hinzu. Auf neurologischem Gebiet finde sich keine Funktionsminderung, insbesondere keine Wurzelreiz- und Wurzelausfallssymptome. Die Klägerin könne aus psychiatrisch-psychosomatischer Sicht sowohl Tätigkeiten als Lagerarbeiterin wie auch Hilfsarbeiten 8 Stunden täglich verrichten. Zu berücksichtigen seien lediglich die Einschränkungen auf orthopädischem/neurochirurgischem Fachgebiet. Der jetzt festgestellte Gesundheitszustand bestehe offensichtlich sei 1998; wesentliche Veränderungen - auch im Längsschnitt der psychiatrischen Befunde - ließen sich nicht ausmachen und würden vom behandelnden Nervenarzt Dr. H. auch nicht beschrieben. Eine stationäre psychosomatische Behandlung sei zu empfehlen.

Vom 16.9.2008 bis 21.10.2008 ist die Klägerin in der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin des Rheumazentrums Baden-Baden behandelt worden. Die dortigen Ärzte haben im Entlassungsbericht vom 31.10.2008 bei der Klägerin eine mittelgradige depressive Episode, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie ein Fibromyalgiesyndrom diagnostiziert. Sie haben ausgeführt, während des stationären Aufenthalts habe sich das Selbstwertgefühl stabilisiert und die depressive Symptomatik der Klägerin etwas verbessert; die Schmerzsymptomatik sei unverändert geblieben. Die Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme der Ärztin für Psychiatrie Dr. H. vom 30.3.2009 vorgelegt.

Mit Urteil vom 27.4.2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei noch in der Lage, leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten. Zu dieser Überzeugung sei das SG aufgrund der Gutachtens des Orthopäden Dr. M. und des Arztes für Sozialmedizin Dr. Sch., der sachverständigen Zeugenaussage des Orthopäden Dr. R. sowie des neurologisch-psychiatrisch-psychosomatischen Gutachtens von Dr. H. gekommen. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 6.5.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25.5.2009 Berufung eingelegt und vorgetragen, das SG habe sich hauptsächlich auf das neurologisch-psychiatrische Gutachten von Dr. H. gestützt. Dieses Gutachten sei in sich widersprüchlich und genüge in keiner Weise den Anforderungen an ein solches Gutachten im sozialmedizinischen Bereich. So habe Dr. H. bei der Beurteilung des Leistungsvermögens nicht die bei ihr vorliegende Depression berücksichtigt. Im Entlassungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin in Baden-Baden vom 31.10.2008 sei eine mittelgradige depressive Episode bestätigt worden. Nachdem es dort heiße, die depressive Symptomatik habe sich etwas gebessert, habe zuvor sicherlich eine schwere depressive Episode vorgelegen. Nachdem Dr. H. die bei ihr bestehenden Depressionen nicht berücksichtigt habe, werde eine weitere medizinische Sachaufklärung durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens für erforderlich gehalten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. April 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. Mai 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2007 aufzuheben und ihr Rente wegen voller/teilweiser Erwerbsminderung ab 1. Mai 2007, ausgehend von einem am 2. April 2007 eingetretenen Leistungsfall, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte, die eine Änderung ihres bisherigen Standpunkt zuließen.

Mit Verfügung vom 1.10.2009 hat der Senat darauf hingewiesen, dass er den Sachverhalt als umfassend aufgeklärt ansieht, zumal ärztliche Unterlagen vorliegen, die den Verlauf der Erkrankung der Klägerin seit 1998 (erster Rentenantrag) dokumentieren und eine wesentliche dauerhafte Verschlechterung aus dem Entlassungsbericht des Rheumazentrum Baden-Baden nicht zu entnehmen sei. Gleichzeitig hat er auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch Beschluss gem. § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zum Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Mit Schreiben vom 1.10.2009 hat der Senat die Beteiligten auch auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich. Neue Gesichtspunkte haben sich auch nicht aus der Stellungnahme der Klägerin vom 21.10.2009 ergeben.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchte Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung - § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung oder teilweiser Erwerbsminderung nicht besteht, weil die Klägerin noch wenigstens sechs Stunden täglich leistungsfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren uneingeschränkt an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Ergänzend ist auszuführen, dass der Senat Widersprüchlichkeiten im Gutachten von Dr. H. nicht festzustellen vermag. Insbesondere ist die Behauptung der Klägerin, das Gutachten von Dr. H. entspreche in keiner Weise den Anforderungen, die an ein solches Gutachten zu stellen seien, nicht nachvollziehbar. Soweit die Klägerin kritisiert, Dr. H. habe ausgeführt, zahlreiche Schmerzen und Beschwerden, die sie in den Fragebögen angegeben habe, habe sie bei den Spontanangaben nicht geäußert und er habe hierbei ihre Sprachschwierigkeiten nicht berücksichtigt, die sie habe, wenn sie schnell etwas sagen solle, ist darauf hinzuweisen, dass Dr. H. die Klägerin darauf angesprochen hat und sie dazu erklärt hat, sie habe vergessen, das zu erwähnen, es sei immer alles so viel (Bl. 10 des Gutachtens). Die Vermutung der Klägerin (bzw. ihres Bevollmächtigten) die Beschwerdeangaben seien wegen Sprachschwierigkeiten unterblieben, ist damit widerlegt. Darüber hinaus lebt die Klägerin seit 40 Jahren in Deutschland; Verständigungsschwierigkeiten hat Dr. H. nicht festgestellt, sondern lediglich bemerkt, dass die Klägerin mit ausgesprochenem italienischem Akzent spricht. Im Übrigen erfordern Spontanangaben nicht, dass sie besonders schnell gemacht werden. Auch war die Klägerin in der Lage, andere Beeinträchtigungen spontan - d.h. aus eigenem Antrieb ohne Aufforderung - anzugeben, wie sich aus Bl. 9/10 des Gutachtens ergibt. Soweit die Klägerin schildert, seit dem gescheiterten Arbeitsversuch im Jahr 2007 hätten ihre Depressionen, Angstzustände und Schmerzen am ganzen Körper weiter zugenommen, sie schaffe an den meisten Tagen der Woche nicht einmal die üblich anfallenden Hausarbeiten, was Dr. H. nicht zutreffend wiedergegeben habe, ist zu berücksichtigen, dass Dr. H. die Klägerin zu ihrem Tagesablauf (Bl. 14/15 des Gutachtens) und zu ihren Tätigkeiten (Bl. 13 des Gutachtens) konkret befragt hat. Dabei ist es Aufgabe eines Sachverständigen, subjektive Angaben über Beschwerden und Funktionseinschränkungen kritisch zu würdigen und zu überprüfen, inwiefern sie mit dem objektiv feststellbaren Befund übereinstimmen. Eine unkritische Zugrundelegung subjektiver Angaben eines Versicherten bei der Diagnose und der Leistungsbeurteilung ist gerade nicht Aufgabe eines Sachverständigen.

Eine wesentliche dauerhafte Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin seit der Untersuchung durch Dr. H. im April und Mai 2008 vermag der Senat aus dem Entlassungsbericht der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin des Rheumazentrum Baden-Baden vom 31.10.2008 nicht abzuleiten. So war die Klägerin nach dem dort erhobenen psychischen Befund bewusstseinsklar und allseits orientiert, die mnestischen Funktionen erschienen nicht beeinträchtigt. Zwar war die Stimmung deutlich zum depressiven Pol verschobenen und der Affekt labil, jedoch besserte sich im Laufe der stationären Behandlung die depressive Symptomatik etwas, das Selbstwertgefühl stabilisierte sich und als Weiterbehandlung wurde lediglich eine ambulante Psychotherapie empfohlen. Eine neue antidepressive Behandlung war während des vierwöchigen stationären Aufenthalts nicht eingeleitet, sondern die seit Jahren durchgeführte Gabe von wenigen Tropfen Amitryptilin zum Abend fortgeführt worden. Angesichts dessen schließt sich der Senat der Beurteilung der Ärztin für Psychiatrie Dr. H. an, dass sich daraus keine relevante dauerhafte Veränderung der psychischen Situation der Klägerin ableiten lässt. Zu Recht hat Dr. H. auch darauf hingewiesen, dass unterschiedliche Schweregrade von Depressionen die Somatisierungsstörung bzw. somatoforme Schmerzstörungen begleiten. Diese müssen jedoch nur dann mit eigener Diagnose belegt werden, wenn sie sehr deutlich und anhaltend sind. Da keine wesentliche Änderung der Gesundheitsstörungen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet erkennbar ist, sieht der Senat auch keine Notwendigkeit, ein weiteres neurologisch-psychiatrisches Gutachten einzuholen.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung der Klägerin musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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