L 9 U 273/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 U 4687/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 273/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 6. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Zugunstenverfahren darüber, ob der Kläger Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 21. Juli 1992 hat.

Der 1961 geborene türkische Kläger, bei dem seit dem 25. September 2003 ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt ist, stürzte bei seiner Tätigkeit als Bauhelfer beim Absteigen von einem Gerüst aus 4 bis 6 m Höhe auf das Gesäß und den Rücken und zog sich dabei im Wesentlichen eine Fraktur des ersten Lendenwirbelkörpers (bzw. des zweiten LWK bei 6-gliedriger LWS) zu. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bestand bis zum 13. September 1992.

Mit Bescheid vom 8. Februar 1994 teilte die Beklagte dem Kläger mit, ein Anspruch auf Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 21. Juli 1992 bestehe nicht. Als Unfallfolgen würden anerkannt: Verheilte Fraktur des ersten Lendenwirbelkörpers mit geringer Verformung der Vorderkante.

Nach Eingang eines Nachschauberichts des Orthopäden Dr. S. vom 11. April 2000 (Diagnosen: Zustand nach Arbeitsunfall, Restbeschwerden, Lumboischialgie rechts, Wurzelreizsymptomatik L5/S1) sowie von Nachschauberichten vom 15. Mai und 22. August 2000 sowie Zwischenberichten vom 19. Mai und 15. Juli 2000 des Chirurgen/Unfallchirurgen Dr. B. (Diagnosen: LWK-2-Kompressionsfraktur, Bandscheibenvorfall L5 rechts bzw. Bandscheibenprotrusionen L4-5 rechts) nebst eines Befundberichts des Radiologen Dr. Sch. vom 16. Mai 2000 (rechtsbetonte, dorsale Bandscheibenprotrusion L4/5) holte die Beklagte ein Gutachten ein.

Prof. Dr. B., Chefarzt der Chirurgischen Abteilung der Kreisklinik Hechingen, führte im zusammen mit Dr. H. erstatteten Gutachten vom 25. August 2000 aus, die erneut angefertigten nativen Röntgenaufnahmen der Brustwirbelsäule (BWS) und Lendenwirbelsäule (LWS) in 2 Ebenen zeigten eine knöchern gut konsolidierte alte LWK-1-Fraktur mit nur geringer Sinterung. Die derzeitigen progredienten lumbalgiformen Beschwerden seien am ehesten durch eine degenerative Diskopathie bedingt. Ein Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis vom 21. Juli 1992 und den derzeitigen Symptomen bestehe nicht. Die LWK-1-Fraktur bedinge eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 v.H.

Nach Einwendungen von Dr. B. gegen das Gutachten im Zwischenbericht vom 5. November 2000, Beiziehung des Vorerkrankungsverzeichnisses der AOK Zollernalb, die Zeit vom 29. April 1991 bis 29. Oktober 2000 betreffend, das eine Arbeitsunfähigkeit vom 25. Mai 1992 bis 3. Juni 1992 wegen eines akuten Lumbalsyndroms, Epistaxis ausweist, und Röntgenaufnahmen führten Prof. Dr. B. und Dr. K. in der Stellungnahme vom 13. März 2001 aus, ihre im Gutachten getroffene Beurteilung habe sich auch nach sorgfältiger Prüfung der vorliegenden Unterlagen nicht geändert. Sie sähen keinen Zusammenhang zwischen den Rückenbeschwerden und dem Arbeitsunfall vom 21. Juli 1992.

Mit Bescheid vom 5. April 2001 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aufgrund der Wirbelsäulenbeschwerden ab, da diese nicht auf das Ereignis vom 21. Juli 1992 zurückzuführen seien. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2002 zurück.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Reutlingen (S 7 U 1726/02) wurden Gutachten von Amts wegen und auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholt.

In dem von Amts wegen eingeholten Gutachten vom 4. April 2003 gelangte Prof. Dr. W., Ärztlicher Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Tübingen, zusammen mit Oberarzt Dr. V. zum Ergebnis, als Folgen des Unfalls vom 21. Juli 1992 liege eine knöchern unter leichter Deformierung mit Höhenminderung der Vorderkante um 6 mm fest verheilter Zusammendrückungsbruch des 2. LWK (bei 6-gliedriger LWS) vor. Eine funktionelle Einschränkung ergebe sich daraus nicht. Die Bandscheibenprotrusion L4/5 lasse sich nicht mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom 21. Juli 1992 zurückführen. Zwar sei der Unfallmechanismus geeignet gewesen, eine Bandscheibenschädigung zu verursachen; in diesem Falle sei jedoch eine sofortige neurologische Symptomatik zu erwarten, die beim Kläger nicht vorgelegen habe. Gegen einen ursächlichen Zusammenhang spreche auch, dass der Kläger bereits zwei Monate vor dem Unfall wegen eines akuten Lumbalsyndroms behandelt worden sei. Die MdE werde vom 14. September 1992 bis 20. Juli 1994 auf 10 v.H. und danach auf Dauer auf unter 10 v.H. eingeschätzt.

In dem gem. § 109 SGG eingeholten Gutachten vom 3. Dezember 2003 gelangte PD Dr. G.-Z., Arzt für Orthopädie und Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Sana-Klinik Zollernalb GmbH zusammen mit Oberarzt Dr. R. zum Ergebnis, die in geringer Keilwirbelfehlstellung verheilte LWK-2-Fraktur (bei 6-gliedriger LWS) sei Folge des Unfalls vom 21. Juli 1992. Geringfügige, wiederkehrende lokale Schmerzen im Bereich der oberen LWS könnten auf das Unfallereignis zurückgeführt werden. Die Bandscheibenvorwölbung im Segment LWK 4/5 stehe in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfall, da weder in den Berichten des Kreiskrankenhauses Reutlingen (erstbehandelnde Klinik) noch in denen des Kreiskrankenhauses Hechingen bandscheibenvorfalltypische Symptome diagnostiziert worden seien. Die MdE für die Unfallfolgen betrage vom 14. September 1992 bis 20. Juli 1994 10 v.H. und danach weniger als 10 v.H.

Mit Urteil vom 9. Dezember 2004 wies das SG die Klage, gestützt auf die im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Gutachten, ab.

Im anschließenden Berufungsverfahren (L 2 U 71/05) wurde ein weiteres Gutachten gem. § 109 SGG bei dem Neurologen Dr. N., Chefarzt der Neurologischen Abteilung des Vinzenz von Paul Hospital gGmbH, eingeholt. Dieser führte im Gutachten vom 6. Dezember 2005 aus, der Kläger leide unter Schmerzen im Bereich der gesamten Wirbelsäule mit Ausstrahlung in beide Beine. Im Zentrum stünden beidseitige Lumboischialgien im Sinne eines Wurzelreizsyndroms L5 und S1. Diese Gesundheitsstörungen könnten nicht auf das Unfallereignis vom 21. Juli 1992 bezogen werden, zumal der zeitliche Zusammenhang fehle und der Kläger offenbar wenige Monate vor dem Unfallereignis wegen lumbaler Beschwerden krankgeschrieben gewesen sei. Von neurologischer Seite sei keine unfallbedingte MdE anzunehmen.

Daraufhin nahm der Kläger mit Schriftsatz vom 9. Februar 2006 die Berufung zurück.

Mit Schreiben vom 24. Juni 2006 stellte der Kläger einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sowie einen Verschlimmerungsantrag gem. § 48 SGB X. Er trug vor, seit dem 1. September 2002 sei er voll erwerbsgemindert, seit 23. Juni 2000 sei ein Grad der Behinderung von 50 anerkannt. Wenn für seine Kreuzschmerzen degenerative Schäden allein wesentlich sein sollten, so stelle sich auch die Frage, ob eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 vorliege.

Mit Schreiben vom 14. August 2006 lehnte die Beklagte die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens ab. Aus dem Schreiben vom 24. Juni 2006 ergäben sich keine Hinweise, die geeignet sein könnten, Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 5. April 2001 zu begründen. Es werde auf den Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2002 und das Urteil vom 9. Dezember 2004 verwiesen. Nach den vorliegenden Unterlagen und oben genannten Entscheidungen seien die aufgeführten Kreuzschmerzen mit Schmerzausstrahlung in das linke Bein nicht auf den Unfall vom 21. Juli 1992 zurückzuführen. Damit bestehe auch kein begründeter Verdacht auf eine Verschlimmerung der Unfallfolgen. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. November 2006 zurück, da bei Erlass des Bescheides vom 5. April 2001 das Recht nicht unrichtig angewandt worden sei. Ein Zusammenhang zwischen dem Bandscheibenvorfall L5 rechts und der Bandscheibenprotrusion L 4/5 mit dem Unfall vom 21. Juli 1992 bestehe nicht.

Hiergegen erhob der Kläger am 14. Dezember 2006 Klage zum SG Reutlingen, mit der er im Zugunstenwege die Anerkennung weiterer Unfallfolgen sowie die Gewährung einer Verletztenrente begehrte.

Das SG hörte die behandelnden Ärzte des Klägers, den Internisten Dr. F. und den Chirurgen Dr. B., schriftlich als sachverständige Zeugen (Auskünfte vom 11. Juni und 7. Juli 2007).

Mit Urteil vom 6. Dezember 2007 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe es zu Recht abgelehnt, dem Kläger im Wege eines Rücknahmebescheides nach § 44 SGB X bzw. eines Neufeststellungsbescheides nach § 48 SGB X anlässlich des Arbeitsunfalls vom 21. Juli 1992 Rente zu zahlen. Der Bescheid vom 5. April 2001 sei rechtlich nicht zu beanstanden. Seitdem sei auch keine wesentliche Verschlimmerung in den anerkannten Unfallfolgen eingetreten. Die Fraktur des 1. bzw. 2. LWK sei mit geringer Verformung der Vorderkante fest verheilt. Es sei nicht vorstellbar, dass es insoweit zu einer Verschlimmerung gekommen sein soll. Die Wirbelsäulenschäden bei L5 bzw. L4/5 rechts stünden mit dem angeschuldigten Arbeitsunfall vom 21. Juli 1992 in keinem ursächlichen Zusammenhang.

Gegen das am 17. Dezember 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. Januar 2008 Berufung eingelegt und vorgetragen, es liege außerordentlich nahe, dass eine Kompressionsfraktur des 2. LWK neurologische Ausfallserscheinungen mit sich bringe. So habe Dr. B. im Bericht vom 19. Mai 2000 bei ihm einen traumatischen Bandscheibenschaden angenommen, da er seit dem Unfall anhaltende Schmerzen habe. Die MdE veranschlage er mit 20 v.H. Diesem Urteil sei am ehesten zu folgen. Das SG bzw. die Beklagte hätten unzulässige Beweisregeln angewandt mit der Folge, dass eine wesentliche Mitursächlichkeit übersehen werde. Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 6. Dezember 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2006 und den Bescheid vom 5. April 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen des Arbeitsunfalls vom 21. Juli 1992 Verletztenrente zu gewähren, hilfsW. die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, das angefochtene Urteil des SG sei nicht zu beanstanden. Bei Erlass der Bescheide vom 5. April 2001 bzw. 28. Juni 2002 sei das Recht weder unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden, der sich als unrichtig erwiesen habe.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG hat der Senat ein Gutachten bei dem Orthopäden Dr. M. eingeholt. Dieser ist im Gutachten vom 2. März 2009 zum Ergebnis gelangt, der Kläger habe sich am 21. Juli 1992 einen leichten vorderen Zusammendrückungsbruch des ersten Lendenwirbels zugezogen. Unfallfolgen seien nicht mehr feststellbar. Beim Kläger liege ein unfallunabhängiges Schmerzsyndrom (auch) der LWS mit Ausstrahlung in das rechte Bein vor.

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor. Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 5. April 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2002 und auf Gewährung einer Verletztenrente hat.

Der Bescheid vom 5. April 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2002 ist gem. § 77 SGG bindend geworden, nachdem die dagegen eingelegten Rechtsmittel erfolglos geblieben sind. Die Klage (S 7 U 1726/02) wurde vom SG mit Urteil vom 9. Dezember 2004 abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung (L 2 U 71/05) hat der Kläger am 9. Februar 2006 zurückgenommen.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nach dieser Bestimmung zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Der Zeitpunkt der Rücknahme wird von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird, bei Rücknahme auf Antrag tritt bei Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (§ 44 Abs. 4 Satz 2 und 3 SGB X).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, denn bei der Ablehnung der Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 21. Juli 1992 wurde weder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, noch das Recht unrichtig angewandt.

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch richtet sich auch nach Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 nach den bis dahin geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO); denn nach § 212 SGB VII gilt das neue Recht grundsätzlich erst für Versicherungsfälle, die nach dem 31. Dezember 1996 eingetreten sind. Einer der Ausnahmetatbestände nach §§ 213 ff SGB VII ist nicht gegeben. Dies gilt insbesondere für § 214 Abs. 3 SGB VII. Nach dieser Regelung gelten die Vorschriften des SGB VII über Renten auch für Versicherungsfälle, die nach dem Tag des Inkrafttreten dieses Gesetzes (1.1. 1997) erstmals festzusetzen sind. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die Beklagte bereits unter der Geltung der RVO erstmals über eine Rentengewährung (Bescheid vom 8. Februar 1994) entschieden hatte. Unerheblich ist dabei, dass eine Rentengewährung abgelehnt wurde (BSG, Urteil vom 20. Februar 2001 - B 2 U 1/00 - in JURIS).

Ein Arbeitsunfall ist nach § 548 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (versicherte Tätigkeit). Ein solcher Arbeitsunfall liegt mit dem Ereignis vom 21. Juli 1992 vor und wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 8. Februar 1994 auch anerkannt.

Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles bei der Bemessung der MdE ist u.a. ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einem Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) und dem Gesundheitserstschaden und der fortdauernden Gesundheitsstörung (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen - neben der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis - der Gesundheitserstschaden und die eingetretenen fortdauernden Gesundheitsstörungen gehören, mit einem der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit erwiesen sein. Für die Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Einwirkung und dem Gesundheitserstschaden sowie dem Gesundheitserstschaden und fortdauernden Gesundheitsstörungen gilt im Bereich in der gesetzlichen Unfallversicherung die Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung". Diese hat zur Ausgangsbasis die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob das Ereignis nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Auf Grund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden. Bei mehreren konkurrierenden Ursachen muss die rechtlich wesentliche Bedingung nicht "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig" sein. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Kommt einer der Ursachen gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist sie allein wesentliche Ursache und damit allein Ursache im Rechtssinn (vgl. hierzu das grundlegende Urteil des BSG vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 17= BSGE 96, 196-209).

Die hier vorzunehmende Kausalitätsbeurteilung hat im Übrigen auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Dies schließt die Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet war, eine bestimmte körperliche Störung hervorzurufen (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - aaO).

Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO in der dem Grad der Erwerbsminderung entsprechenden Höhe gewährt, wenn und solange ein Verletzter infolge des Arbeitsunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit um wenigstens ein Fünftel gemindert ist und diese Minderung der Erwerbsfähigkeit über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert (§ 580 Abs. 1 RVO). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch einen früheren Versicherungsfall Anspruch auf Rente (§ 581 Abs. 3 Satz 1 RVO). Die Folgen eines Arbeitsunfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§ 581 Abs. 3 Satz 2 RVO). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (so jetzt ausdrücklich § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII, mit dessen Inkrafttreten die früheren Kriterien zur Bemessung der MdE nach der RVO übernommen worden sind, vgl. BSG, Urteil vom 18. März 2003, B 2 U 31/02 R).

Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Bei dem Arbeitsunfall vom 21. Juli 1992 hat der Kläger eine LWK-I-Fraktur mit leichter ventraler Höhenminderung erlitten, die während des stationären Aufenthalts vom 21. bis 28. Juli 1992 im Kreiskrankenhaus Reutlingen konservativ behandelt wurde. Bei der Aufnahmeuntersuchung fand sich ein Druck- und Klopfschmerz im oberen LWS-Bereich. Die Extremitäten waren frei beweglich, Motorik, Sensibilität und Durchblutung sowie Reflexe der unteren Extremitäten waren ohne pathologischen Befund. Bei der Entlassung bestanden kaum noch Beschwerden. Nachdem nach der Entlassung wieder starke Schmerzen aufgetreten sind, mit denen der Kläger zuhause nicht zurecht kam, wurde er vom 3. bis 14. August 1992 erneut stationär behandelt, und zwar im Kreiskrankenhaus Hechingen. Bei der Entlassung bestanden nur noch geringe Schmerzen nach längerem Gehen. Dies ergibt sich aus dem DA-Bericht des Kreiskrankenhauses Reutlingen vom 21. Juli 1992 sowie dem weiteren Bericht vom 31. August 1992 und dem Arztbrief des Kreiskrankenhauses Hechingen vom 1. September 1992. Arbeitsfähigkeit trat zum 14. September 1992 wieder ein. Irgendein Schaden an der LWS im Bereich L4 bzw. L5 wurde während der stationären Behandlungen nicht festgestellt.

Im Jahr 2000 traten beim Kläger verstärkte Wirbelsäulenbeschwerden auf, weswegen Dr. S. im Nachschaubericht vom 11. April 2000 die Diagnosen einer Lumboischialgie rechts und einer Wurzelreizsymptomatik L5/S1 und Dr. B. im Nachschaubericht vom 15. Mai 2000 die Diagnosen eines Bandscheibenvorfalls L5 rechts bzw. einer Bandscheibenprotrusion L4/5 rechts stellte. Aufgrund der vom Radiologen Dr. Sch. durchgeführten MR-Tomografie konnte ein Bandscheibenvorfall L5 ausgeschlossen werden. Er stellte lediglich eine rechtsbetonte, dorsale Bandscheibenprotrusion L4/5 fest und führte aus, das Alter dieser Veränderung sei ohne weitere Voraufnahmen nicht bestimmbar. Außerdem stellte er ansonsten im LWS-Bereich einen unauffälligen Befund, ohne Nachweis einer älteren Fraktur im LWS-Bereich fest.

Einen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall vom 21. Juli 1992 und der im Jahr 2000 aufgetretenen Bandscheibenprotrusion L4/5 und den in diesem Bereich vorliegenden Beschwerden hat die Beklagte im Bescheid vom 5. April 2001 zu Recht verneint. So wurde in diesem Bereich schon unmittelbar nach dem Unfall kein Erstschaden festgestellt. Um einen traumatischen hinteren Bandscheibenvorfall zu diagnostizieren, wären schmerzhafte Funktionsstörungen an der LWS (Lumbago = Hexenschuss, Lumbalgie, Lendenwirbelsäulensyndrom) im Anschluss an den Unfall und klinische Symptome, die für eine hinteren Bandscheibenvorfall sprechen (starke lokale Schmerzsymptomatik), erforderlich. Eine derartige Symptomatik bestand beim Kläger jedoch nicht. Vielmehr bestand beim Kläger am Unfalltag lediglich ein Druck- und Klopfschmerz im oberen LWS-Bereich, das heißt im Verletzungsbereich der LWK-1-Fraktur. Diese Beschwerden besserten sich, so dass bei der Entlassung aus dem Kreiskrankenhaus Reutlingen am 28. Juli 1992 und der am selben Tag erfolgten Vorstellung bei Prof. Dr. B., Chefarzt des Kreiskrankenhauses Hechingen, kaum Beschwerden bestanden. Nach der erneuten stationären Behandlung vom 3. bis 14. August 1992 lagen bei der Entlassung nur noch geringe Schmerzen nach längerem Gehen vor. Das Erfordernis des Vorliegens der oben genannten Symptome stellt auch keine Beweisregel dar, wie von den klägerischen Bevollmächtigten angenommen, sondern ist Ausdruck des Standes der aktuellen medizinischen Wissenschaft zur Diagnose eines traumatischen Bandscheibenvorfalls, wie sich aus den Gutachten von Prof. Dr. W., Dr. G.-Z., Dr. N. und Dr. M. in Übereinstimmung mit den Ausführungen in Schönberger/Mehrtens/Valentin (Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S. 435 ff) ergibt.

Aus sämtlichen Gutachten (Prof. Dr. B. vom 25. August 2000 nebst ergänzender Stellungnahme vom 13. März 2001, Prof. Dr. W. vom 4. April 2003 sowie den drei gem. § 109 SGG eingeholten Gutachten von Dr. G.-Z. vom 3. Dezember 2003, Dr. N. vom 6. Dezember 2005 und Dr. M. vom 2. März 2009) ergibt sich, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall vom 21. Juli 1992 und den Bandscheibenschäden L4/5, die im Jahr 2000 festgestellt worden, bzw. den Beschwerden in diesem LWS-Bereich nicht besteht. Unerheblich ist dabei, dass der Kläger aus laienhafter Sicht meint, es liege außerordentlich nahe, dass eine Kompressionsfraktur des 2. LWK neurologische Ausfallerscheinung mit sich bringe. Entscheidend ist, ob solche vorliegen bzw. festgestellt wurden, was vorliegend nicht der Fall ist. Dr. B. hatte solche auch nicht im Bereich des 2. LWK angenommen, sondern vermutet, dass der Bandscheibenschaden L4/5 bzw. L5 auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sein könnte und deswegen eine gutachterliche Beurteilung empfohlen. Diese Vermutung ist durch die oben genannten Gutachten widerlegt worden. Der knöchern konsolidiert verheilte LWK-1-Bruch führt zu keinen nennenswerten Beeinträchtigungen und insbesondere zu keiner MdE um 20 v.H.

Soweit der Kläger - neben seinem Zugunstenantrag - auch eine Neufeststellung gemäß § 48 SGB X begehrt hat, ist zunächst festzustellen, dass es sich bei dem Bescheid vom 5. April 2001 nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt, da er sich in der Ablehnung von Leistungen erschöpft (BSGE 58,27 = SozR 1300 § 44 Nr. 16, BSG SozR 1300 § 48 Nr. 29 S. 86f), so dass diese Vorschrift, die einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung voraussetzt, nicht anwendbar ist. Unabhängig davon hat der Kläger keinen Anspruch auf eine Verletztenrente, da eine wesentliche Änderung seit Erlass des Bescheides vom 5. April 2001, die die Gewährung einer Verletztenrente rechtfertigen könnte, nicht eingetreten ist.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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