L 5 AS 156/10 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 99 AS 42321/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 156/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. Januar 2010 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Nachdem das Sozialgericht seinem Begehren teilweise entsprochen hat, begehrt der Antragsteller noch die Verpflichtung des Antragsgegners, vorläufig Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 18. Juni bis zum 3. Dezember 2009 zu übernehmen und ihm für den Monat Februar 2010 zur Sicherung des Lebensunterhalts weitere 72,- Euro zu gewähren.

Der 1989 geborene Antragsteller wohnte eigenen Angaben zufolge bis März 2009 bei seinen Eltern in einem holsteinischen Dorf und zog dann wegen Streitigkeiten mit den Eltern ohne vorherige Zustimmung eines Leistungsträgers zu seiner Schwester nach Berlin. Diese, eine Rechtsreferendarin, bewohnt seit dem 16. November 2007 eine 57 m² große Zweizimmerwohnung; die Bruttowarmmiete beträgt 425,- Euro monatlich. Die Geschwister schlossen zum 1. Juni 2009 einen Untermietvertrag über ein Zimmer; der Antragsteller entrichtet den vereinbarten Mietzins von 285,- Euro monatlich jedoch nicht. Am 18. Juni 2009 beantragte er bei dem Antragsgegner Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), die dieser mit Bescheid vom 3. September 2009 wegen der Verletzung von Mitwirkungspflichten versagte. Gegen den Bescheid legte der Antragsteller am 22. September 2009 Widerspruch ein.

Am 4. Dezember 2009 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und vorgetragen, er habe schon bei der Antragstellung alle erforderlichen Unterlagen abgegeben gehabt, sie aber nach Erhalt des ablehnenden Bescheids dem Antragsgegner am 22. September 2009 nochmals zur Verfügung gestellt. Dennoch habe er bislang keine Leistungen erhalten.

Mit Bescheid vom 10. Dezember 2009 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 80 v.H. der Regelleistung abzüglich des Kindergeldes und unter Berücksichtigung der Versicherungspauschale von 30,- Euro, somit für die Zeit vom 18. bis zum 30. Juni 2009 in Höhe von 63,70 Euro und für die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. August 2009 in Höhe von monatlich 153,- Euro. Mit weiterem Bescheid vom selben Tag gewährte er ihm auf derselben Grundlage für die Zeit vom 1. September bis zum 31. Dezember 2009 Leistungen in Höhe von 153,- Euro monatlich und für die Zeit vom 1. Januar bis zum 28. Februar 2010 in Höhe von 133,- Euro monatlich. Leistungen für Unterkunft und Heizung versagte der Antragsgegner unter Hinweis darauf, dass der Antragsteller die in seinem Fall erforderliche vorherige Zustimmung des zuständigen kommunalen Trägers nicht eingeholt habe; aus diesem Grund erhalte er auch nur 80 v.H. der Regelleistung.

Mit Beschluss vom 15. Januar 2010 hat das Sozialgericht Berlin den Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig einen weiteren Betrag in Höhe von 144,- Euro sowie zum 1. Februar 2010 über die mit dem Bescheid vom 10. Dezember 2009 gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hinaus einen weiteren Betrag in Höhe von 72,- Euro zu zahlen; die Beträge stellten die Differenz zwischen der Regelleistung in Höhe von 359,- Euro abzüglich des Kindergeldes und den zugesagten Leistungen dar. Im Übrigen hat es den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen und zur Begründung insbesondere ausgeführt, soweit der Antragsteller Leistungen für die Zeit vor der Antragstellung bei Gericht begehre, fehle es an einem Anordnungsgrund, da im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich keine Leistungen für vergangene Zeiträume geltend gemacht werden könnten. Auch sei nicht dargetan, dass der Antragsteller insoweit nicht in zumutbarer Weise auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden könne. Soweit der Antragsteller vorgetragen habe, geliehenes Geld zurückzahlen zu müssen, sei nicht ersichtlich, dass die Darlehensgeberin ernsthafte Schritte unternommen habe, um die Zahlung herbeizuführen.

In Ausführung des Beschlusses änderte der Antragsgegner für den Zeitraum vom 1. Dezember 2009 bis zum 28. Februar 2010 die Leistungshöhe mit Bescheid vom 22. Januar 2010 vorläufig auf 225,- Euro für den Monat Dezember 2009 und 205,- Euro monatlich für Januar und Februar 2010. Mit Bescheid vom 28. Januar 2010 hob er den Bescheid vom 3. September 2009 auf.

Wegen der Versagung der Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung legte der Antragsteller gegen die Bescheide vom 10. Dezember 2009 und 22. Januar 2010 Widerspruch ein. Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. Januar 2010 verwarf der Antragsgegner mit Bescheid vom 25. Februar 2010 als unzulässig; der Bescheid sei ausdrücklich vorläufig ergangen.

Gegen den Beschluss des Sozialgerichts hat der Antragsteller am 28. Januar 2010 "Teil-Beschwerde" eingelegt, mit welcher er sich gegen die "Gewährung von nur 72,- EUR für den Monat Februar und die Versagung des Mietzuschusses für den Zeitraum vom 18.06.09 -03.12.09" wendet. Er führt aus, das Sozialgericht habe zwar für die Monate Juni 2009 bis Januar 2010 ordnungsgemäß weitere 144,- Euro bewilligt. Es sei aber unverständlich, warum es den Antragsgegner bezüglich des Monats Februar 2010 nur zur Zahlung von 72,- Euro verpflichtet habe, obwohl sich an seiner Situation nichts verändert habe. Im Übrigen könne man von seiner Schwester nicht verlangen, dass sie die Miete einfordere und die Familie deshalb kaputt gehe. Seine Schwester habe darauf vertraut, dass er zahlen werde. Nun könne sie die Wohnung nicht mehr bezahlen; die sie deshalb gekündigt habe.

Der Antragsgegner hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners (Gz.: ) verwiesen, der Gegenstand der Beratung gewesen ist.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Sie ist zwar nach §§ 172 Abs. 1 und 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, sie ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hinsichtlich der vorläufigen Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 18. Juni bis zum 3. Dezember 2009 und der einstweiligen Bewilligung weiterer 72,- Euro zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Monat Februar 2010 zurückgewiesen.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung [ZPO]).

Die zu treffende Eilentscheidung kann, wie das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung in Zusammenhang mit Leistungen nach dem SGB II bzw. nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) betont hat (Beschluss vom 12. Mai 2005, NVwZ 2005, S. 927 ff), sowohl auf eine Folgenabwägung (Folgen einer Stattgabe gegenüber den Folgen bei Ablehnung des Eilantrages) als auch alternativ auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Im Vordergrund steht dabei für den Senat die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache (Anordnungsanspruch), ergänzt um das Merkmal der Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund), um differierende Entscheidungen im Eil- und Hauptsacheverfahren möglichst zu vermeiden. In diesem Zusammenhang ist das Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern im Rahmen des im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Möglichen abschließend zu prüfen, besonders wenn das einstweilige Verfahren im Wesentlichen oder vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und einem Beteiligten eine endgültige Grundrechtsbeeinträchtigung droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Unter Beachtung der auf dem Spiel stehenden Grundrechte dürfen dabei die Anforderungen an die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, a.a.O.).

Hieran gemessen hat der Antragsteller für die von ihm noch begehrte einstweilige Anordnung weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund in einem die (zeitweise) Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Maße glaubhaft gemacht.

Soweit der Antragsteller die Gewährung eines Betrags in Höhe von 72,- Euro für den Monat Februar 2010 begehrt, beruht sein Antrag im Beschwerdeverfahren offenbar auf der irrigen Vorstellung, das Sozialgericht habe den Antragsgegner zur vorläufigen Gewährung weiterer Leistungen in Höhe von 144,- Euro monatlich verpflichtet. Wie dem Beschluss jedoch zu entnehmen ist, ist der Antragsgegner vorläufig verpflichtet worden, für die Zeit vom 1. Dezember 2009 bis zum 28. Februar 2010 monatlich weitere 72,- Euro an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren. Der im Tenor genannte Betrag von 144,- Euro ist die Summe der Beträge für Dezember 2009 und Januar 2010; für den - im Zeitpunkt der Beschlussfassung in der Zukunft liegenden - Monat Februar 2010 sollten dann erneut 72,- Euro gewährt werden. Mit dem den Beschluss des Sozialgerichts ausführenden Bescheid vom 22. Januar 2010 hat der Antragsgegner dem Antragsteller für Februar 2010 insgesamt 205,- Euro, nämlich 359,- Euro Regelleistung abzüglich 184,- Euro Kindergeld und zuzüglich 30,- Euro Versicherungspauschale, an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährt. Für die Zeit vom 1. Dezember 2009 bis zum 28. Februar 2010 ist dem Begehren des Antragstellers insoweit vollumfänglich entsprochen worden, so dass weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund bestehen kann.

Schließlich ist im Übrigen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes in keiner Weise ersichtlich. Der Antragsteller hat eine anders als durch eine gerichtliche Eilentscheidung nicht zu beseitigende Notlage nicht glaubhaft gemacht. Zutreffend hat das erstinstanzliche Gericht darauf hingewiesen, dass kein wesentlicher Nachteil erkennbar ist, der im Wege der einstweiligen Anordnung abzuwenden wäre. Aus dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes folgt ein spezifisches Dringlichkeitselement, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05, NVwZ 2005, 803 = info also 2005, 166 = NJW 2005, 2982). Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich oder vom Antragsteller geltend gemacht. Es ist im Übrigen nicht nachvollziehbar, dass seine Schwester den Mietzins für die von ihr allein angemietete Wohnung von November 2007 bis zu seinem Einzug im Sommer des vergangenen Jahres allein tragen konnte und sich nunmehr wegen der ausbleibenden Zahlungen ihres Bruders zur Kündigung veranlasst gesehen haben soll.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war wegen der fehlenden Erfolgsaussicht des Beschwerdeverfahrens in Anwendung von § 73 a SGG in Verbindung mit §§ 114 ff Zivilprozessordnung (ZPO) abzulehnen.

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Sie trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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