L 12 SO 15/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
12
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 16 SO 166/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 SO 15/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 35/10 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 28.04.2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt zusätzlich zu dem ihm gewährten Regelsatz und den Kosten für die Unterkunft und Heizung einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung.

Der am 00.00.1959 geborene Kläger leidet u.a. an Diabetes mellitus Typ II und einer Fettstoffwechselstörung. Er bezog bis Ende Februar 2007 Arbeitslosengeld II (Bescheid vom 20.09.2006). Dort wurde ihm ein ernährungsbedingter Mehrbedarf in Höhe von 35,79 EUR zuerkannt.

Am 06.03.2007 beantragte der Kläger die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII. Mit Bescheid vom 10.05.2007 bewilligte der Beklagte dem Kläger ab dem 01.05.2007 für 12 Monate Leistungen nach dem SGB XII in Höhe von 686,07 EUR. Dabei entfielen 345,00 EUR auf den Regelsatz und 341,07 EUR auf Miete, Nebenkosten und Heizkosten ohne Warmwasseranteile. Ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung bei Diabetes mellitus wurde mit Schreiben vom gleichen Tag (10.05.2007) abgelehnt.

Mit Schreiben vom 01.06.2007 beantragte der Kläger unter Bezug auf das Ablehnungsschreiben vom 10.05.2007 erneut die Bewilligung eines Mehrbedarfes für Diabetes mellitus. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 06.06.2007 ab. Auf den eingelegten Widerspruch hin holte der Beklagte eine Stellungnahme des Amtsarztes Dr. T vom 10.09.2007 ein. Dieser führte aus, dass ein Mehrbedarf bei insulinpflichtigem Diabetes mellitus nicht anerkannt werden könne. Die ebenfalls beim Kläger bestehende Fettstoffwechselstörung bedürfe einer vollwertigen Ernährung. Hierfür reiche eine gesundheitsfördernde Mischkost aus. Die Voraussetzungen zur Gewährung einer kostenaufwändigen Ernährung lägen auch in Bezug auf die aktenkundige Fettstoffwechselstörung nicht vor. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.10.2007 unter Hinweis auf die Begründung von Dr. T zurück. Die Kosten für eine vollwertige Ernährung seien im Regelbedarf enthalten.

Am 19.10.2007 hat der Kläger beim Sozialgericht in Duisburg Klage erhoben und für die Zeit ab 01.06.2007 einen Mehrbedarf wegen der Diabetes-mellitus-Erkrankung begehrt. Eine richtige Ernährung sei in seinem Falle die Vollkornkost. Er hat auch darauf hingewiesen, dass der Mehrbedarf vom Jobcenter F bei der Gewährung von Arbeitslosengeld II berücksichtigt worden sei. Es seien keine Änderungen eingetreten, so dass eine Weitergewährung schon aus Gleichbehandlungsgründen geboten sei.

Nach Klageerhebung hat die Beklagte die Leistungen für den Kläger mit Bescheid vom 23.10.2007 für die Zeit ab 01.11.2007 und mit Bescheid vom 21.11.2007 für die Zeit ab 01.12.2007 neu festgesetzt. Bewilligt wurden 741,85 EUR ab November und 815,44 EUR ab Dezember 2007. Ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung blieb jeweils unberücksichtigt. Gegen beide Bescheide hat der Kläger jeweils rechtzeitig Widerspruch eingelegt, die Nichtgewährung des Mehrbedarfes gerügt und auf das laufende Klageverfahren hingewiesen. Mit Schreiben vom 30.01.2008 bzw. 01.02.2008 einigten sich der Kläger und der Beklagte darauf, dass ein Widerspruchsbescheid nicht gefertigt werden solle. Man wolle das gerichtliche Verfahren abwarten und das Ergebnis dann auch auf die Zeit ab 01.11.2007 übertragen.

Das Sozialgericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. In zwei Befundberichten vom 11.02. und 27.05.2008 hat der Internist Dr. M mitgeteilt, dass ein Diabetes mellitus Typ II a vorliege, der Kläger eine Blutzuckerdiät einhalten müsse und ein Mehrbedarf erforderlich sei. Der Facharzt für Allgemeinmedizin O hat mit Befundbericht vom 02.04.2008 mitgeteilt, dass der Kläger unter Diabetes mellitus Typ II b leide, weshalb eine strikte Diät einzuhalten sei. Er solle unbedingt stark zuckerhaltige Nahrungsmittel, stark fetthaltige Nahrungsmittel, alkoholische Getränke und stark zuckerhaltige Getränke meiden. Der Kläger solle in vermindertem Umfang kohlenhydratreiche Lebensmittel mit wenig Ballaststoffen, zuckerreiche Obstsorten, fettarme Milchprodukte sowie fettarme Eiweißprodukte essen. Bevorzugt solle er kohlenhydratreiche Nahrungsmittel mit viel Ballaststoffen, ballaststoffreiche Nahrungsmittel wie Gemüse und Salat und zuckerfreie Getränke zu sich nehmen. Es sei bei Einhaltung der strengen Diät bei vorliegender Fettstoffwechselstörung ein Mehrbedarf weiterhin erforderlich. Der Kläger hat ergänzend für eine Woche eine Aufstellung der von ihm verzehrten Nahrungsmittel sowie eine Kostenaufstellung hierfür vorgelegt.

Vor dem Sozialgericht hat der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 06.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2007 sowie unter Änderung des Bescheides vom 10.05.2007 und aller nachfolgend ergangenen Bewilligungsbescheides zu verurteilen, ihm für die Zeit ab 01.06.2007 einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 51,13 EUR monatlich zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat an der im Verwaltungsverfahren getroffenen Auffassung festgehalten. Nach mittlerweile vorherrschenden medizinischen Erkenntnissen bestehe bei einer Diabetes- mellitus-Erkrankung kein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung.

Mit Urteil vom 28.04.2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung wörtlich ausgeführt:

" Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf.

Streitiger Zeitraum ist vorliegend die Zeit vom 01.06.2007 (entsprechend dem Antrag des Klägers) bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung (28.04.2009). Dies ergibt sich daraus, dass dem Kläger mit Bescheid vom 10.05.2007 "ab 01.05.2007" Leistungen gewährt worden sind und es sich damit um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt. Die nachfolgend ergangenen weiteren Bewlligungsbescheide stellen insoweit lediglich Änderungsbescheide dar, die ebenfalls Gegenstand der vorliegenden Klage geworden sind. Darüber hinaus ist mit gesondertem Bescheid vom 06.06.2007 der beantragte Mehrbedarf ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt worden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 11.12.2007 - Az.: 8/9b SO 12/06 R) ist damit zulässigerweise die gesamte bis zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitraum verstrichene Zeit Gegenstand des Verfahrens geworden.

Darüber hinaus ist Gegenstand des Verfahrens ausschließlich die Frage, ob ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung zu gewähren ist, denn die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend angegeben, dass die Bescheide im Übrigen nicht beanstandet werden.

In dem genannten Zeitraum hat der Kläger keinen Anspruch auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf im Sinne des § 30 Abs. 5 SGB XII. Danach wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt für kranke, genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen. Die vorliegende Ernährung des Klägers bedingt keinen Kostenmehraufwand.

Nach den, den Beteiligten bekannten, Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zur Gewährung von Krankenkostenzulagen in der Sozialhilfe vom 01.10.2008 (nachfolgend Empfehlungen des DV) erfordern die bei dem Kläger diagnostizierten Erkrankungen keinen Mehrbedarf. Sowohl der Diabetes mellitus Typ II, als auch die Fettstoffwechselstörung erfordern nach aktuellem Stand der Ernährungsmedizin als Kostform die Vollkost (Empfehlungen des DV, Punkt II.4). Dies wird auch vom Kläger in seiner Klageschrift eingeräumt. Bei dieser Kostform handelt es sich in ihrer Zusammensetzung um eine solche, die für die gesamte Bevölkerung empfohlen wird (Empfehlungen des DV, Punkt III.1).

Die Aufwendungen für diese Kostform sind vom Regelsatz gedeckt. Insoweit weist das Gericht auf die ausführlichen Erläuterungen des Deutschen Vereins in den genannten Empfehlungen hin sowie auf die wissenschaftliche Ausarbeitung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. zum Thema Lebensmittelkosten im Rahmen einer vollwertigen Ernährung vom April 2008 (nachfolgend DEG 2008), auf welche sich die Empfehlungen des Deutschen Vereins beziehen. Danach beträgt der den Bedarf eines Erwachsenen deckende durchschnittliche Aufwand für Vollkost täglich 6,21 EUR (DEG 2008, S. 8, Übersicht 1). Da das fürsorgerechtliche Ziel auf die Sicherung des soziokulturellen Existemzminimus beschränkt ist und nicht die Gewährleistung eines durchschnittlichen Lebensstandards zum Gegenstand hat, ist ein solcher Mittelwert nicht der relevante Bezugspunkt (vgl. Empfehlungen des DV, Punkt III.2). Bei einer preisbewussten Einkaufsweise ist eine Vollkost mit einem Aufwand von ca. vier Euro täglich zu finanzieren (Empfehlungen des DV, Punkt III.2 sowie DEG 2008, S. 7). Im Regelsatz sind für die Ernährung 4,52 Euro enthalten (Empfehlungen des DV, Punkt III.2), so dass die auch für den Kläger empfohlene Vollkost mit dem Regelsatz finanziert werden kann.

Das Gericht hat - entgegen der Ansicht des Klägers - keine Bedenken, die Empfehlungen des DV auf den vorliegenden Fall anzuwenden, denn es sind keine Umstände ersichtlich, die ein Abweichen von diesen Ernährungsempfehlungen im vorliegenden Einzelfall erforderlich machen würden. Darüber hinaus bestätigen die weiteren Ermittlungen des Gerichts den Umstand, dass ein Mehrbedarf nicht erforderlich ist.

Soweit die behandelnden Ärzte des Klägers angeben, dass dieser unter Diabetes mellitus Typ II b leide, scheidet ein Mehrbedarf bereits nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins aus dem Jahr 1997 sowie nach gefestigter medizinischer Erkenntnis und nach der ständigen Rechtsprechung (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30.11.2005, Az.: L 20 B 25/05 SO und Beschluss vom 22.03.2007, Az.: L 12 AS 8/06) aus. Bei Vorliegen eienr Diabetes-mellitus-Typ II b-Erkrankung ist keine spezielle Diät einzuhalten, die eine Diabetes-Kost erfordert. Vielmehr erfordert diese Erkrankung eine Reduktionskost, weil hier die Gewichtsreduktion im Vordergrund der Therapie steht. Auch der Befundbericht von Herrn O belegt, dass der Kläger eine strikte Diät einzuhalten hat, wobei er vor allem fett- und zuckerhaltige Nahrungsmittel melden solle und stattdessen vermehrt frisches Obst und Gemüse essen soll. Soweit Herr O aufgrund dieser Diät einen Mehrbedarf annimmt, ist dies nicht schlüssig dargelegt. Insbesondere könne durch die Reduktion von fett- und zuckerhaltige Nahrungsmittel Einsparungen eintreten, so dass diese Geldbeträge zusätzlich zu den im Regelsatz bereits enthaltenen Beträgen für den Erwerb von frischem Obst und Gemüse eingesetzt werden können. Die Empfehlungen des DV aus dem Jahr 1997 gehen sogar bei einer Diabetes-mellitus-Typ II b- Erkrankung von einem Minderbedarf aus.

Soweit die behandelnden Ärzte einen Diabetes mellitus Typ II a diagnostizieren, besteht nach den genannten Empfehlungen des Deutschen Vereins aus dem Jahr 2008 - wie bereits dargelegt - kein Anspruch auf einen ernährungsbedingten Mehrbedarf. Auch die vom Gericht in gleich gelagerten Fällen eingeholten medizinischen Gutachten gelangten bei dieser Art der Erkrankung stets zu dem Ergebnis, dass kein Mehrbedarf erforderlich sei. Dies ergibt sich darüber hinaus auch aus der vorgelegten Ernährungsaufstellung des Klägers. Die dort aufgeführten Nahrungsmittel entsprechen denjenigen, die auch die übrige Bevölkerung im allgemeinen zu sich nimmt. Besondere Nahrungsmittel, die einen erhöhten Aufwand bedingen, ergeben sich hieraus nicht. Soweit der Kläger insoweit auf seine Kostenaufstellung Bezug nimmt, weist das Gericht darauf hin, dass diese nicht schlüssig ist. Insoweit ist für das Gericht nicht ersichtlich, aus welchen Gründen für Reis ein Betrag von 6,78 Euro aufzuwenden ist. Auch ist für das Gericht nicht ersichtlich, wie sich die Beträge für Kaffee (in Höhe von 5,49 Euro) und Süßstoff (in Höhe von 4,19 Euro) erklären. Auch muss der Kläger sich fragen lassen, ob er tatsächlich Garnelen zu einem Preis von 9,99 Euro und Thunfischfilets zu einem Preis von 5,99 Euro für eine ausgewogene Ernährung zu sich nehmen muss. Insoweit kämen ersatzweise auch günstigere Lebensmittel, wie Seelachsfilet, in Betracht und würden dem dem Kläger zur Verfügung stehenden Budget eher entsprechen.

Unerheblich ist des Weiteren, dass der Kläger im Rahmen des Arbeitslosengeld-II-Bezuges einen Mehrbedarf erhalten hat. Insoweit weist das Gericht darauf hin, das jedenfalls nach den hier vorliegenden Erkenntnissen ein solcher Mehrbedarf nicht ansteht, so dass bereits fraglich ist, ob der gewährte Mehrbedarf im Rahmen des Arbeitslosengeld-II-Bezuges rechtmäßig war. Aus einem ungerechtfertigten Leistungsbezug ergibt sich jedenfalls kein Anspruch auf Gleichbehandlung.

Darüber hinaus gilt das Gleichbehandlungsgebot des Artikel 3 Grundgesetz lediglich innerhalb desselben Leistungssystems. Vorliegend erhält der Kläger die Hilfe zum Lebensunterhalt jedoch vom Sozialhilfeträger und damit von einem anderen Leistungsträger, der auch ein anderes Leistungsgesetz anzuwenden hat. Ihm steht darüber hinaus ein eigener Beurteilungsspielraum zu. Bereits aus diesem Grunde scheidet die Anwendung des Gleichbehandlungsgebots aus."

Gegen dieses ihm am 11.05.2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 10.06.2009 eingegangene Berufung des Klägers. Er rügt unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27.02.2008 (B 14/7b AS 64/06 R), dass das Sozialgericht die Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 01.10.2008 angewendet habe, ohne ein Sachverständigengutachten einzuholen. Das Sozialgericht hätte vielmehr im Einzelfall auf den Kläger eingehen müssen. Dann hätte es zu dem Ergebnis kommen müssen, dass ein Mehrbedarf für den Kläger aufgrund seiner Erkrankung notwendig sei. Zumindestens hätte ein neutrales Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen. Die bei dem Kläger notwendige Vollkosternährung könne nicht allein aus dem Regelsatz aufgebracht werden. Mit den jüngsten Empfehlungen des Deutschen Vereins werde "der Drops gelutscht". Der anerkannte Bedarf, sich auch einmal außerhalb der eigenen vier Wände bewirten zu lassen, sei kein Ernährungsbedarf, sondern Integrationsbedarf, und falle damit für den ausschließlich interessierenden Regelbedarf für Ernährung heraus. Die Studie des deutschen Vereins habe den Integrationsgedanken überhaupt nicht im Blick gehabt. Sie gehe davon aus, dass die Verpflegung im Rahmen einer vollwertigen Ernährung "Innerhaus erfolgt". Auch die Position für alkoholische Getränke und Tabakwaren könnten nicht in den Regelbedarf für Vollkosternährung einbezogen werden. Tatsächlich stehe aus dem Regelbedarf für eine Vollkosternährung lediglich 3,80 EUR täglich zur Verfügung. Eine vollwertige Ernährung aus dem Regelbedarf sei nur dann zahlbar, wenn keine Ausgaben für Tabakwaren und alkoholische Getränke angesetzt würden. Wegen des genauen Wortlauts des Klägervortrages wird auf die Schriftsätze vom 12.06.2009, 21.08.2009 und 02.11.2009 Bezug genommen.

Zur mündlichen Verhandlung am 24.03.2010 ist vom Senat kein Dolmetscher für den Kläger geladen worden. Der Kläger ist mit seiner Deutsch sprechenden Tochter zum Termin erschienen. Weder der Kläger noch sein Vertreter haben zu Beginn der Verhandlung gerügt, dass kein Dolmetscher geladen worden sei. Die Tochter hat dem Kläger den wesentlichen Gang der Verhandlung übersetzt. Erst nachdem der Senat sich zu einer Zwischenberatung zurückgezogen und mitgeteilt hatte, dass die Berufung für zulässig, aber für unbegründet gehalten werde, hat der Vertreter des Klägers - nicht der Kläger selbst, dem die Auffassung des Senats von der Tochter übersetzt worden war - gerügt, dass kein Dolmetscher geladen worden sei. Wenn der Senat ihn nicht anhöre, dann müsse er jetzt rügen, dass der Kläger hier ohne Dolmetscher der Verhandlung folgen müsse. Die Sache müsse vertagt und ein Dolmetscher geladen werden.

Ergänzend beantragt der Vertreter des Klägers,

das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 28.04.2009 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 06.06.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2007 und den Bescheid vom 10.05.2007 und alle nachfolgend ergangenen Bewilligungsbescheide zu ändern und dem Kläger für die Zeit ab 01.06.2007 einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 51,13 EUR monatlich zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Den Empfehlungen des Deutschen Vereins komme die Rechtsnatur eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu. Sowohl der Diabetes mellitus Typ II wie auch eine Fettstoffwechselstörung erforderten als Kostform die Vollkost. Diese führe nicht zu einem erhöhten Ernährungsaufwand, weil der auf der Grundlage der Einkommens- und Verbraucherstichprobe 2003 bemessene Regelsatz den für diese Ernährungsform notwendigen finanziellen Aufwand abdecke. Bei preisbewusster Einkaufsweise sei eine Vollkost von ca. 4,00 EUR täglich zu finanzieren. Dass dies nur möglich sei, wenn man den im Regelsatz enthaltenen Betrag für den Genuss von Tabak und Alkohol mit zum Ernährungsaufwand hinübernehme, sei unerheblich. Der Kläger dürfe aus gesundheitlichen Gründen ohnehin keinen Alkohol und keinen Tabak zu sich nehmen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte entscheiden und musste die Sache nicht wegen Fehlens eines Dolmetschers vertagen. Der Senat stellt zunächst fest, dass ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Kläger ein Recht auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren hat. Hierzu gehört in der Regel, dass ein Dolmetscher hinzuzuziehen ist, wenn bekannt ist oder wird, dass der Kläger der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Wenn zu Beginn der Verhandlung darauf hingewiesen worden wäre, dass der Kläger der deutschen Sprache nicht mächtig sei und auf der Hinzuziehung eines Dolmetschers bestehe, hätte der Senat versucht, kurzfristig einen ortsansässigen Dolmetscher zu beschaffen oder aber er hätte die Sache sofort, ohne überhaupt den Sachverhalt vorzutragen, vertagt. So war es aber nicht. Der Kläger ist vielmehr im Beisein seiner Deutsch sprechenden Tochter erschienen. Der Senat konnte sich selbst davon überzeugen, dass die Tochter fließend Deutsch spricht und willens und in der Lage war, ihrem Vater den Gang der Verhandlung zu übersetzen. Der Senat konnte und musste daher davon ausgehen, dass dem Kläger und seinem Vertreter die Anwesenheit der Tochter ausreichend erschien und auf die Ladung eines Dolmetschers verzichtet werde. Auch während der Verhandlung und im Rechtsgespräch kam zu keinem Zeitpunkt der Verdacht auf, die Tochter könnte mit der Übersetzung überfordert sein. Hätten sich hierfür Anzeichen ergeben, hätte der Senat die Verhandlung sofort abgebrochen, vertagt und zu einem neuen Termin einen Dolmetscher geladen. Das Verhalten des Vertreters des Klägers, erst nach Mitteilung der Auffassung des Senats zur Erfolgsaussicht der Berufung auf der Hinzuziehung eines Dolmetschers zu bestehen, hält der Senat für rechtsmissbräuchlich, zumal die Tochter auch zu diesem Zeitpunkt nicht bekundet hat, dass sie mit der Situation überfordert sei und ihrem Vater das Ergebnis der Zwischenberatung nicht vermitteln könne. Der Antrag, den Rechtsstreit zu vertagen und unter Ladung eines Dolmetschers neu zu terminieren, brauchte der Senat in diesem Stadium der Verhandlung somit nicht zu entsprechen. Es konnte weiter verhandelt und entschieden werden.

Die Berufung ist zulässig, obwohl der Streitwert bei richtiger Betrachtungsweise nur 255,65 EUR betragen hätte. Der Kläger begehrt einen monatlichen Mehrbedarf von 51,13 EUR für die Zeit ab Juni 2007. Für die Zeit ab November 2007 haben die Beteiligten einen außergerichtlichen Vergleich dahingehend geschlossen, den Ausgang des vorliegenden Streitverfahrens auch auf die Zeit ab November 2007 zu übertragen. Streitig war somit lediglich die Zeit von Juni bis Oktober 2007, also 5 x 51,13 EUR = 255,65 EUR. Durch den Abschluss des außergerichtlichen Vergleichs vom 31.01./01.02.2008 unterscheidet sich der Fall von der vom Sozialgericht entschiedenen BSG-Entscheidung vom 11.12.2007, wonach bei ablehnenden Entscheidungen ohne zeitliche Begrenzung der gesamte Zeitraum von der Ablehnung bis zur mündlichen Verhandlung Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens wird. Wird dagegen durch Bescheid für die Zeit nach Antragstellung die Angelegenheit erneut (ablehnend) geregelt, so wird dieser Bescheid nicht Gegenstand des Verfahrens (Orientierungssatz 2 der oben genannten Entscheidung). Gleiches muss für einen außergerichtlichen Vergleich gelten. Bei richtiger Auslegung der BSG-Rechtsprechung hätte das SG somit nur über die Zeit vom 01.06. bis 31.10.2007 befinden dürfen. Tatsächlich hat es aber alle nachfolgenden Bescheide einbezogen und somit über die Zeit vom 01.06.2007 bis zum Tage der mündlichen Verhandlung (= 28.04.2009) entschieden. Damit hat es über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr entschieden, so dass die Berufung schon nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG zulässig ist. Der Senat folgt nach Überprüfung der zunächst geäußerten eigenen entgegenstehenden Meinung der Auffassung des Klägers aus dem Schriftsatz vom 24.03.2010. Die Zulässigkeit der Berufung kann nicht davon abhängig sein, welche Auffassung die Berufungsinstanz vom Streitgegenstand vertritt, sondern richtet sich danach, worüber das Sozialgericht tatsächlich - wenn auch unter Verkennung der Rechtslage - entschieden hat.

Die Berufung ist allerdings nicht begründet. Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts zur Unbegründetheit der Klage, wonach der Kläger unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zur Gewährung von Krankenkostenzulagen in der Sozialhilfe vom 01.10.2008 (Empfehlungen des DV) keinen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 5 SGB XII hat. Hierzu verweist der Senat, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die diesbezüglich für zutreffend erachteten Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung, die er sich in diesem Punkte nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Vorbringen in der Berufungsinstanz gibt zu keiner anderen Entscheidung Anlass. Soweit der Kläger rügt, das Sozialgericht hätte ein zusätzliches Sachverständigengutachten einholen müssen, so folgt der Senat dem nicht. Die Mehrbedarfsempfehlungen von 2008 haben in ihrer nunmehr vorliegenden Form die Bedeutung eines antizipierten Sachverständigengutachtens. Die aktuellen Empfehlungen berücksichtigen die derzeitigen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Weitere Ermittlungen sind im Einzelfall nur dann erforderlich, wenn Besonderheiten, insbesondere von den Mehrbedarfsempfehlungen abweichende Bedarfe geltend gemacht werden (vgl. Beschluss des LSG NRW vom 22.07.2009 - L 19 AS 41/08 - mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Nach der aktuellen Fassung der Mehrbedarfsempfehlungen erfordern die beim Kläger bestehenden Erkrankungen Diabetes mellitus Typ II a/b und Fettstoffwechselstörung beide lediglich eine Vollkost, deren Beschaffung keine erhöhten Kosten verursacht ... Die Kritik des Klägers, die Mehrbedarfsempfehlungen berücksichtigten nicht den Integrationsbedarf (auswärtige Essensaufnahme) und den Umstand, dass der Regelsatz auch Aufwendungen für Alkohol und Tabak vorsehe, teilt der Senat ebenfalls nicht. Der Kläger kann angesichts seiner Erkrankungen zugemutet werden, auf Alkohol und Tabak zu verzichten und auswärtige Essensaufnahme auf ein Mindestmaß zu reduzieren.

Das angefochtene Urteil war somit in vollem Umfange zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die hierfür in § 160 Abs. 2 Ziffer 1 und Ziffer 2 aufgezeigten Voraussetzungen nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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