L 7 VG 1/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
7
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 1 VG 37/05
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 VG 1/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Psychische Schädigung infolge Mordversuch
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1975 geborene Klägerin begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i. V. m. den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Am ... 2002 beantragte die 1975 geborene Klägerin unter ihrer damaligen Wohnanschrift in W. beim Beklagten Leistungen nach dem OEG. Sie gab an, der von ihr seit September 2001 getrennt lebende damalige Ehemann K. habe sie und ihren Vater, der sie begleitet habe, am Morgen des ... 2002 auf dem Weg zum Auto plötzlich angegriffen und durch Messerstiche schwer verletzt. Als Gesundheitsschäden machte sie die Folgen von fünf Messerstichen sowie ein Angstsyndrom geltend.

Vom 14. bis zum 29. März 2002 war die Klägerin wegen mehrerer Stichverletzungen im Unterleib und einer Stichwunde in der linken Gesichtshälfte in der Klinik f. Chirurgie der A.-Kreiskrankenhäuser W.-H. stationär behandelt worden. Nach dem Krankenhausbericht vom 2. Mai des Jahres war bei einer Laparotomie (operative Eröffnung der Bauchhöhle) am Tag der Einlieferung eine Verletzung von Gefäßen im Magenbereich als Ursache einer starken Blutung festgestellt, eine Verletzung der Milz, der Niere und des Darms sowie eine Rückenmarksbeteiligung aber ausgeschlossen worden. Vom 9. bis 30. Oktober 2002 befand sich die Klägerin mit ihrer 1994 geborenen Tochter zur Rehabilitation für Mutter und Kind in der S.-Klinik Z ... Im Abschlussbericht vom 30. des Monats wurde vor allem ein depressiv getönter psychovegetativer Erschöpfungszustand genannt. Die psychosoziale Stressbelastung habe insbesondere durch Entspannungsübungen reduziert werden können.

Der Beklagte zog die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft H. (Az. 500 Js 203142/02) bei. Gegen K. ist wegen der Tat vom ... 2002 Anklage wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen erhoben worden. Der Anklageschrift zufolge ist er wegen Körperverletzungsdelikten mehrfach vorbestraft. Zuletzt sei er am 13. März 2002 vom Amtsgericht L. aufgrund einer belastenden Zeugenaussage der Klägerin wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden. Dafür habe er sich durch die Tat am folgenden Tag rächen wollen. Er habe sich hinter seinem PKW verborgen, bis die Klägerin und ihr Vater nahe genug gekommen seien und habe dann mit Tötungsvorsatz mit dem Messer auf die Klägerin und ihren Vater eingestochen. Der weitere Verlauf des Strafverfahrens ist aus den vorliegenden Akten nicht ersichtlich.

Im Oktober 2003 holte der Beklagte Befundberichte der Ärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. K. und der Psychologischen Psychotherapeutin Dipl.-Psychologin R. ein. Dipl.-Med. K. bezeichnete die bestehende Gesundheitsstörung als reaktive Depression und verwies im Übrigen auf die von ihr beigefügten Krankenhausberichte vom 2. Mai und 30. Oktober 2002. Dipl.-Psych. R. stellte in ihrem Bericht vom 26. Oktober 2003 die Diagnose "depressive Verstimmung mittleren Grades mit ausgeprägter Angstsymptomatik und diversen funktionellen Beschwerden bei vorwiegend hysterisch-depressiver Persönlichkeitsstruktur vor dem Hintergrund einer neurotischen Entwicklung in emotionalem Mangelmilieu". Die Klägerin sei bei ihr seit April 2002 in psychotherapeutischer Behandlung. Nach der Anamnese und dem bisherigen Therapieverlauf könnte zwar vermutet werden, dass die Beschwerden der Klägerin durch den Mordversuch des Ehemannes ausgelöst worden sind, die tatsächliche Ursache sei jedoch eine Persönlichkeitsfehlentwicklung in der Kindheit.

Schließlich holte der Beklagte von dem Chefarzt des Psychiatrischen Krankenhauses H. Dr. L. das fachpsychiatrische Gutachten vom 14. September 2004 ein. Bei der Untersuchung am 25. August des Jahres berichtete die Klägerin dem Sachverständigen, K. habe ihr seit der Trennung fast täglich morgens vor der Tür aufgelauert. Sie habe vor ihm, der ihr gewalttätige Rache angedroht habe, Angst gehabt und sich deshalb am Tattag auf dem Weg zum Auto von ihrem Vater begleiten lassen. K. sei nach der Tat zunächst flüchtig gewesen und habe ihr schriftlich Rache angedroht. Sie habe daher weiterhin vor ihm Angst gehabt. Auch nach seiner Inhaftierung und Verurteilung in erster Instanz bestehe die Gefahr fort. Er habe ihr in der mündlichen Verhandlung durch eine Geste den Tod angedroht. Sie befürchte, er könne durch Komplizen, etwa Landsleute, Rache nehmen. Sie habe deshalb alle Kontakte zu früheren Freunden und Bekannten abgebrochen und halte ihre neue Adresse geheim. Aus Angst vor Nachstellungen habe sie auch im Juli 2003 ihr Arbeitsverhältnis gekündigt. Seitdem nehme sie an einer vom Arbeitsamt geförderten Umschulung teil. Im September 2002 sei sie eine neue Partnerschaft eingegangen. Die Ehe mit K. sei im Juli 2003 geschieden worden. Sie habe nach der Tat ein Gefühl der Sinnlosigkeit mit Suizidgedanken gehabt und das Interesse für ihre Umwelt verloren. Auch aus Pflichtgefühl gegenüber ihrer Tochter habe sie nach etwa einem Jahr diesen Zustand überwunden. Jetzt habe sie manchmal noch Alpträume, in denen sie zwar auch träume, wie sie der Verurteilte etwa durch Türen jage, aber nicht den Vorfall am ... 2002 wieder erlebe. Eine im Mai 2002 begonnene psychotherapeutische Behandlung sei nach einer Dauer von eineinhalb Jahren im Grunde abgeschlossen. Vor dem Ereignis vom ... 2002 sei sie nie aus psychiatrischen Gründen fachärztlich behandelt worden. Panikattacken kenne sie nicht. Sie habe Angst davor, abends im Dunkeln alleine draußen herum zu laufen, sei dadurch aber praktisch nicht eingeschränkt, da sie sich ggf. begleiten lassen könne.

Der Sachverständige Dr. L. stellte bei der Exploration der Klägerin eine ausgeglichene Grundstimmung ohne Hinweise auf ein depressives oder manisches Syndrom und ohne Phobien fest. Ein etwas erhöhtes Angstniveau entspreche der tatsächlichen Bedrohung durch den Verurteilten. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, seit Sommer 2003 sei nach vorläufigem Abschluss der Psychotherapie eine relative Besserung und Stabilisierung im Befinden der Klägerin eingetreten. Eine relevante depressive Symptomatik bestehe seitdem nicht mehr. Eine posttraumatische Belastungsstörung liege bei ihr nicht vor. Vor der Tat habe sie trotz der Belastungen durch ihre familiäre Vorgeschichte nicht an einer nennenswerten psychiatrischen Symptomatik gelitten. Als Folge der Tat seien eine Anpassungsstörung in Form einer längeren depressiven Reaktion F 43.21 der ICD 10 (Klassifikation psychischer Störungen) aufgetreten, die inzwischen vollständig abgeklungen sei. Bleibende psychische Schäden habe er bei der Begutachtung nicht feststellen können. Im Übrigen bestünden als bleibende Schädigungsfolgen die Narben, von denen außer einem leichten witterungsbedingten Narbenschmerz keine funktionellen, sondern lediglich kosmetische Beeinträchtigungen ausgingen.

Nach Beteiligung seines ärztlichen Dienstes erließ der Beklagte den Bescheid vom 21. Oktober 2004, in dem er feststellte, die Klägerin sei am ... 2002 Opfer einer Gewalttat im Sinne des OEG geworden. Bei den weiteren Regelungen unterschied er zwischen den Zeiten vor und nach dem 1. Oktober 2003. Für die Zeit vom 1. März 2002 bis 30. September 2003 erkannte er die folgenden Schädigungsfolgen im Sinne der Entstehung an:

Anpassungsstörungen in Form von Ängsten und anhaltender depressiver Symptomatik, zwei etwa 1 bis 2 cm lange Narben am Rücken, eine etwa 18 cm lange, dünne Operationsnarbe am Oberbauch, eine etwa 2 cm lange Narbe am Unterkieferwinkel links

und bewilligte eine Grundrente nach § 30 Abs. 1 BVG nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v. H. Für die Zeit ab 1. Oktober 2003 lehnte er die Gewährung einer Beschädigtenrente ab, da die MdE aufgrund der verbliebenen Schädigungsfolgen in Form von reizlosen Narben am Rücken, am Oberbauch und am Unterkieferwinkel nicht um mindestens 25 v. H. gemindert sei. Dieser Bescheid wurde der Klägerin unter der im Rubrum bezeichneten Anschrift zugestellt.

Am 15. November 2004 legte die nun anwaltlich vertretene Klägerin gegen den Bescheid Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 14. Januar 2005 begehrte sie eine Beschädigtenrente nach einer MdE um 30 v. H ... auch für die Zeit vom 1. Oktober 2003 an und vertrat die Ansicht, auch für den Zeitraum vom 1. März 2002 bis 30. September 2003 seien die Schädigungsfolgen möglicherweise mit einer höheren MdE zu bewerten. Ihre psychischen Gesundheitsstörungen bestünden auch über den 30. September 2003 hinaus fort. Sie leide weiterhin unter aus Alpträumen resultierenden Schlafstörungen, Angstzuständen, einer starken Verunsicherung und einer Depression mittleren Grades. Wegen ihrer Ängste sei sie nicht mehr in der Lage, bei Dämmerung oder Dunkelheit ohne Begleitung das Haus zu verlassen. Der Befundbericht der Dipl.-Psych. R. vom 26. Oktober 2003 belege, dass sie noch zu diesem Zeitpunkt unter erheblichen psychischen Beeinträchtigungen gelitten habe. Auch aus ihren von dem Sachverständigen Dr. L. in seinem Gutachten wiedergegebenen Angaben bei der Untersuchung im August 2004 sei ersichtlich, dass die psychischen Beeinträchtigungen auch zu diesem Zeitpunkt noch vorgelegen hätten. Die gegenteiligen Feststellungen des Sachverständigen träfen nicht zu. Ihre psychotherapeutische Behandlung sei nicht, wie der Sachverständige angenommen habe, im Sommer des Jahres 2003 abgeschlossen worden, sondern habe bis März 2004 angedauert. Als Nachweis hat die Klägerin ein Schreiben der Therapeutin vom 10. Dezember 2003 an ihren Verfahrensbevollmächtigten zu den Akten gereicht, in dem diese bescheinigt, die Klägerin befinde sich seit dem 24. April 2002 in psychotherapeutischer Behandlung. Außerdem hat sie in dem Schreiben die Diagnose "F 43.1 posttraumatische Belastungsstörung" mitgeteilt. Mit Schriftsatz vom 4. März 2005 ließ die Klägerin vortragen, ihre psychischen Beeinträchtigungen seien so schwerwiegend, dass auch im Kalenderjahr 2005 eine Fortführung der Psychotherapie bei der Dipl.-Psych. R. notwendig sei.

Vom 14. bis zum 18. März 2005 wurde die Klägerin in der Abteilung für Chirurgie des Waldkrankenhauses "R. E." gGmbH wegen einer Narbenhernie im Oberbauch stationär behandelt. Nach dem vom Beklagten beigezogenen Krankenhausbericht vom 17. des Monats war im Bereich der reizlosen quer laufenden Laparotomienarbe nach der Messerstichverletzung eine walnussgroße Hernie hervorgetreten, die mit Fasciendraht (Hautfäden) chirurgisch versorgt worden war.

Der Beklagte forderte mit Schreiben vom 21. Januar, 3. März, 11. April und 13. Juli 2005 von der Dipl.-Psych. R. erfolglos einen aktuellen Befundbericht an. Nachdem die Klägerin eine Untätigkeitsklage angedroht hatte, wies er nach nochmaliger Beteiligung seines ärztlichen Dienstes den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2005 zurück und gab zur Begründung an, nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. L. habe bei der Klägerin aufgrund des Ereignisses am ... 2002 nur für die Dauer von etwa 18 Monaten eine psychische Beeinträchtigung in entschädigungspflichtigem Ausmaß vorgelegen. Der Sachverständige habe nachvollziehbar begründet, dass bei der Klägerin keine posttraumatische Belastungsstörung vorliege. Der Ansicht der Dipl.-Psych. R., die eine solche Störung bescheinigt habe, sei nicht zu folgen. Die im März 2005 stationär behandelte Narbenhernie stelle nur eine vorübergehende Gesundheitsstörung dar, die keinen Einfluss auf die MdE habe.

Am 29. September 2005 hat die Klägerin beim Sozialgericht Halle hiergegen Klage erhoben. Sie hat begehrt, den Bescheid vom 21. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. August 2005 abzuändern und "den Beklagten zu verurteilen, die anerkannten Schädigungsfolgen nach § 1 OEG auch für die Zeit ab 1. Oktober 2003 mit einer Gesamt-MdE von mindestens 30 % zu bewerten". Zur Begründung hat sie vorgebracht: Die psychischen Schädigungsfolgen, nämlich Angstzustände, Unruhe und Depression bei posttraumatischer Belastungsstörung hätten über den 30. September 2003 hinaus fortbestanden und rechtfertigten eine MdE um mindestens 30 v. H ... Sie sei bis einschließlich März 2004 von der Dipl.-Psych. R. behandelt worden. Als Beweis hat sie die Einholung einer Stellungnahme der Dipl.-Psych. R. und ein gerichtliches Sachverständigengutachten auf psychiatrischem und traumatologischem Gebiet angeregt. Das Sozialgericht hat die Strafakten 500 Js 203142/02 von der Staatsanwaltschaft H. beigezogen und den Sachverständigen Privatdozent (PD) Dr. B. (Chefarzt der Abteilung für psychiatrische Erkrankungen des S.-U.-Klinikums N.) zum Sachverständigen bestellt. Der Sachverständige hat ein fachärztliches Gutachten vom 30. August 2007 erstattet, die Ermittlungsakte ausgewertet und die Klägerin am 22. Mai 2007 über vier Stunden lang untersucht. Der Sachverständige hat ausgeführt: Aus dem Urteil der Ersten Großen Strafkammer des Landgerichts H. vom 8. November 2004 ergebe sich zur Vorgeschichte der Tat, dass der Angeklagte albanischer Staatsbürger sei und unter falschem Namen einen Asylantrag gestellt habe. Die Eltern der Klägerin seien wie die Klägerin selbst bekennende Zeugen Jehovas gewesen. Sie hätten die Beziehung zum Angeklagten nicht befürwortet. Die Klägerin sei nach ihrem 18. Geburtstag im März 1993 aus der elterlichen Wohnung ausgezogen, sei im Sommer 1993 vom Angeklagten schwanger geworden und habe am 9. April 1994 eine gemeinsame Tochter geboren. Am 31. Mai 1994 hätten beide geheiratet. Das eheliche Leben sei in erster Linie von der dominanten Persönlichkeit des Angeklagten geprägt gewesen. Zum Familienunterhalt habe er nichts beigetragen. Die Klägerin habe mehrere Geldstrafen des Angeklagten beglichen. Wegen seines cholerischen Charakters habe er gegenüber jeder Kritik der Klägerin aggressiv reagiert, wobei es zu verbalen und teilweise auch körperlichen Auseinandersetzungen gekommen sei. Im November 1996 habe es die erste Zuspitzung gegeben. Der Angeklagte habe einen kristallenen Aschenbecher zu Boden geworfen, ohne auf eine mögliche Verletzungsgefahr des in der Nähe spielenden Kleinkindes zu achten. Danach habe er der Klägerin beim Verlassen des Zimmers einen Schlag ins Gesicht versetzt. Infolge der Auseinandersetzung sei die Klägerin mit ihrem Kind zu ihren Eltern gezogen. Der Angeklagte sei wiederum gewalttätig bei den Eltern aufgetreten, was zu einer später zurückgenommenen Strafanzeige geführt habe. Anschließend habe er die Klägerin bei ihrer Arbeitsstelle aufgesucht, habe Besserung gelobt und eine zukünftige Änderung seines Verhaltens angekündigt. Die Klägerin kehrte mit ihrem Kind in den ehelichen Haushalt zurück. Wenig später sei der Angeklagte jedoch in seine alten Verhaltensmuster zurückgefallen. Da sie den Angeklagten geliebt, aber auch befürchtet habe, er würde seine Drohung wahr machen, ihr das gemeinsame Kind wegzunehmen, sei sie bei ihm geblieben. Der Angeklagte sei insbesondere wegen Körperverletzungsdelikten drei Mal vom Amtsgericht L. verurteilt worden. Im Sommer 2001 habe sich die familiäre Situation derart verschärft, dass die Klägerin im September 2001 beschlossen habe, den Angeklagten endgültig zu verlassen. Am 17. September 2001 habe er der Klägerin zwei Mal unerwartet mit der Faust ins Gesicht geschlagen, so dass diese Schwellungen und Hämatome erlitten habe. Danach sei die Klägerin, unter Zurücklassung vieler persönlicher Habseligkeiten, aus der ehelichen Wohnung ausgezogen und habe einige Tage im Frauenhaus verbracht. Auf ihre Initiative hin habe ihr das Amtsgericht Borna das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsame Tochter zugesprochen. Nach ihrem Umzug nach W. habe der Angeklagte wiederum versucht, Kontakt aufzunehmen. Die Klägerin habe sich jedoch nicht mehr von ihrer Scheidungsabsicht abbringen lassen. Wegen einer anstehenden Gerichtsverhandlung im März 2002 wegen des Vorfalls vom ... 2002 habe der Angeklagte unter Todesdrohungen versucht, die Klägerin von einer Aussage gegen ihn abzubringen. Er sei aufgrund der Zeugenaussage der Klägerin zu fünf Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden.

Nach Angaben des Sachverständigen ist das Urteil der Ersten Großen Strafkammer des Landgerichts H. vom 8. November 2004, mit dem der Angeklagte u. a. wegen versuchten Totschlages verurteilt worden ist, auf die Revision der Staatsanwaltschaft vom Bundesgerichtshof aufgehoben worden. Mit rechtskräftigem Urteil der 8. Strafkammer des Landgerichts H. vom 23. März 2006 wurde der Angeklagte u. a. wegen versuchten Mordes zu 12 Jahren Haft verurteilt. Zum Tatgeschehen enthält dieses Urteil u. a. folgende Feststellungen:

Der Angeklagte habe der Klägerin und ihrem Vater am Morgen des ... 2002 aufgelauert und sei plötzlich aus seiner Deckung gesprungen und schnellen Schrittes auf sie zugegangen. Hierbei habe er ein ca. 20 cm langes Küchenmesser gezogen und ihr mehrere Messerstiche versetzt. Auch dem Vater, der seine Tochter habe schützen wollen, habe er zahlreiche Schnittverletzungen zugefügt. Nach seiner Flucht sei der Angeklagte am 25. April 2002 in Mailand (Italien) verhaftet und an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert worden. Im Schreiben an die Eltern der Klägerin vom 15. Mai 2002 sowie in weiteren Schreiben an die Klägerin habe er u. a. angegeben, er sei nun mal verheiratet, bis der Tod sie scheide. Egal was passiere, er werde seine Tochter finden und bei dieser Suche niemals aufgeben. Ein Löwe sei unberechenbar und wörtlich habe er erklärt: "Lass es nicht für ein zweites Mal zurückzukommen die ... 2002. Weil ist nicht mehr mit Weglaufen, sondern sterben wir zusammen." In einem weiteren Schreiben vom August 2002 an die Eltern der Klägerin finde sich die Aussage, dass er nichts bereue. Er bete, den Tag des Wiedersehens zu erleben. Er habe nichts mehr zu verlieren.

Zur Untersuchung hat der Sachverständige ausgeführt: Die Klägerin habe einen neuen Namen angenommen und ihre Wohnanschrift geändert. Die Behandlung bei Dipl.-Psych. R. habe sie im April 2007 beendet. Die familiäre Situation sei derzeit schwierig. Die 13-jährige Tochter wohne bei den Eltern und mache ihr Vorhaltungen wegen der durch die Tat bedingten Umzüge mit Schulwechsel und Änderungen im persönlichen Umfeld. Bei der Tochter habe sich zudem ein Drogenproblem eingestellt (Methadon). Nach ihrem Wegzug aus W. habe sie eine Partnerschaft gehabt, diese jedoch wieder beendet. Der damalige Partner und ihre Tochter hätten sich nicht verstanden. Zum jetzigen Lebenspartner seien ihr Verhältnis und das der Tochter auch auf die Entfernung hin ganz gut, da es keine unmittelbare Konfliktlage gebe. Derzeit habe sie keine Beschwerden, jedoch häufig Kopfschmerzen. Aufgrund der Bauchnarbe könne sie so gut wie nichts mehr heben. Seelisch zeigten sich bei ihr große Schwankungen. Vor allem das schwierige Verhältnis zur Tochter belaste sie sehr. Auch habe sie Schuldgefühle wegen des Gesundheitszustandes ihres Vaters, der immer wieder wegen der Folgen des Angriffs des K. operiert werden müsse (zurzeit sieben bis acht Mal) und nicht mehr arbeiten könne. Sie bereue ihre damalige Trotzhaltung gegenüber ihren Eltern. Auch habe sie Angst, dass er (gemeint K.) sie irgendwann doch noch finde. Durch den Wohnortwechsel und den völligen Abbruch der damaligen Beziehungen habe sie praktisch wieder bei Null angefangen. Die Umschulung habe sie mit Erfolg bestanden. Zu einer Aufnahme an einem Zeugenschutzprogramm sei es entgegen ihrer anfänglichen Erwartungen nicht gekommen. Die Abschiebung des K. nach Verbüßung der Strafe wäre für sie das Schlimmste, da er mit Leichtigkeit wieder einreisen würde. Sie rechne mit seiner Rache. Auf das Thema Selbstverteidigung angesprochen erklärte sie, dass er das nächste Mal nicht so amateurhaft vorgehen werde. Früher sei sie Systemberaterin gewesen. Jetzt arbeite sie vollschichtig als Pharmazeutisch-technische Assistentin in einer Apotheke. Ihr Freund sei im Stahlwerk als Pulverbeschichter beschäftigt. Zukunftspläne habe sie nicht. Sie sei innerlich auf der Flucht und meide Bindungen, Wurzeln und tiefe Freundschaften. Ihr "Mann fürs Leben" müsse die gleiche Flexibilität mitbringen, aber daran habe sie noch nicht gedacht. Ohne die Tochter sei sie nun etwas risikobereiter geworden. Die Beziehungen innerhalb der Familie seien gut. Direkte Vorwürfe habe sie von dieser Seite nicht erfahren. Selbst sei sie sehr behütet in einem gläubigen und sehr konservativen Elternhaus aufgewachsen. Heute habe sie sich aus dem religiösen Umfeld gelöst. Auch ihre Eltern hätten die Zusammenkünfte der Glaubensgemeinschaft nicht mehr besuchen können und seien toleranter geworden. Die Gewalttätigkeit des Täters habe sie anfänglich nicht erkannt. Eigentlich sei es eine Flucht von einem goldenen Käfig in den Nächsten gewesen. Als ihre Persönlichkeitsstärken würde sie Zielstrebigkeit und Ehrgeiz nennen. Auch sei sie freundlich, nett und umgänglich. Rückschläge würden sie dagegen ziemlich weit runter ziehen. Sie brauche dann lange, um sich wieder zu motivieren. Daneben sei sie wegen des Vorfalls auch ängstlich geworden und habe ihre Unbefangenheit verloren. Durch den Vorfall sei ihre Tochter Bettnässerin geworden. Ob dies nach einer Kur deutlich besser geworden sei, wisse sie nicht. Seit 2002 habe sie eine Psychotherapie gemacht. Als der Täter noch auf freiem Fuß gewesen sei, habe sie weder allein einkaufen noch auf der Straße gehen können. Aktuell sei die Therapie "auf Probe" beendet. Dadurch sei sie wieder alltagsfähig geworden. Sie habe zunächst jede zweite Nacht starke Alpträume mit Verfolgungssituationen gehabt. Dies habe sich im Jahr 2002 gebessert. Ab Anfang Juni 2002 sei sie wieder arbeiten gegangen. In ihrem damaligen Job habe sie gut verdient, einen Firmenwagen gehabt und sich auch wohl gefühlt. Diesen Arbeitsplatz habe sie nur ungern aufgegeben. Der Schlaf sei nie gut. Häufiger werde sie nachts wach. Schlafmittel nehme sie selten. Als Schmerzmittel benötige sie häufig Ibuprofen oder Paracetamol an ein bis drei Tagen pro Woche. Ihr Sexualleben sei in Ordnung. Ausgeprägte Zwänge habe sie nicht. Depressive Zustände dauerten ein bis zwei Tage an, anfänglich sei das länger gewesen. Ein halbes bis ein Dreivierteljahr nach dem Ereignis habe sie sich ganz niedergeschlagen gefühlt und einen Suizidversuch mit Schlaftabletten und Alkohol unternommen. Derzeit bestehe in dieser Hinsicht kein Risiko.

Zum Untersuchungsbefund hat der Sachverständige angegeben: Die Klägerin sei in einem guten Allgemeinzustand. Es seien eine quer verlaufende Oberbauchnarbe, eine Oberbauchnarbe oberhalb des Nabels und drei reizlose Narben in der linken Flanke und eine reizlose Narbe am linken Kinnwinkel zu erkennen. Die Klägerin mache einen wachen, ansprechbaren, bewusstseinsklaren und allseits orientierten Eindruck. Im Kontakt sei sie zugewandt und offen. Es bestehe eine ausgeglichene Stimmungslage sowie eine affektive Schwingungsfähigkeit. Sie sei adäquat emotional beteiligt, aber auch in der Lage sich wieder zu fassen. Ein Verstimmungszustand oder eine Antriebstörung oder Suizidgefährdung bestehe nicht. Die Unterlagen der behandelnden Psychologin seien unergiebig und in sich widersprüchlich. So finde sich anfänglich der Hinweis auf eine Persönlichkeitsfehlentwicklung in der Kindheit und wenig später die Diagnose einer "posttraumatischen Belastungsstörung". Genaue Feststellungen, worauf die neue Diagnose gestützt werde, seien aus dem vorliegenden Attest nicht erkennbar. Die Psychologin habe zudem auf Anforderungen des Beklagten, weitere Behandlungsunterlagen vorzulegen, nicht reagiert. Auch aus einer Epikrise wegen eines erneuten chirurgischen Eingriffs lasse sich zum psychischen Zustand nichts herleiten. Anlässlich der Untersuchung von Dr. L. im Verwaltungsverfahren hätten keine belangvollen psychopathologischen Auffälligkeiten festgestellt werden können. Vielmehr sei dieser von einer abgeklungenen depressiven Reaktion ausgegangen. Auch die Untersuchung vom 22. Mai 2007 habe keine neurotischen Symptome gezeigt. Vielmehr lägen bei der Klägerin adäquate Reaktionen auf klar bestehende psychosoziale Belastungssituationen vor. Zu nennen seien die Konflikte mit der offenbar immer noch einnässenden Tochter, Schuldgefühle gegenüber den Eltern und vor allen Dingen die realistische Angst, eines Tages wieder von K. mit Tötungsvorsatz angegriffen zu werden. Vor dem ... 2002 habe die Klägerin nicht unter psychischen Beschwerden gelitten. Vielmehr sei von einem jugendtypischen innerfamiliären Konflikt auszugehen. Hinweise für eine "posttraumatische Belastungsstörung" fänden sich nicht. Diese sei symptomatisch mit dem "Wiedererleben der Belastung", mit einem "Vermeideverhalten" und "Hyperarousal" (Übererregung) verbunden. Die bei der Klägerin vorübergehend aufgetretenen Alpträume und ihr Vermeideverhalten ließen dabei die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht zu. Diese Verhaltensweisen hätten zu einer Zeit bestanden, als der Täter noch auf freiem Fuß gewesen sei, und hätten damit einen realen Hintergrund gehabt. Wie Dr. L. komme auch er zu der Auffassung, dass die unmittelbar nach dem Ereignis aufgetretene Anpassungsstörung in Gestalt einer ängstlich depressiven Reaktion abgeklungen sei. Gesundheitliche Folgen im engeren Sinne lägen nicht vor. Die Klägerin sei daher als gesund anzusehen. Hierbei sei angemerkt, dass es sich bei der Klägerin um eine bemerkenswert tüchtige, tapfere und energische Frau handele, die mit Tatkraft ihr Schicksal zu meistern suche. Die verbliebene Narbenhernie rechtfertige keine MdE.

Mit Zustimmung der Beteiligten hat das Sozialgericht Halle ohne mündliche Verhandlung die Klage mit Urteil vom 24. Oktober 2007 abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt: Der tätliche Angriff habe bei der Klägerin keine gesundheitlichen Folgen auf psychischem Gebiet über den 30. September 2003 hinaus gehabt. Die vom Sachverständigen festgestellte psychosoziale Belastung betreffe nicht den Schutzbereich des OEG. Nach den übereinstimmenden Bewertungen beider Sachverständigen lägen keine psychopathologischen Gesundheitsstörungen mehr vor. Die durch die Tat entstandenen Narben rechtfertigten keine MdE.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 3. Dezember 2007 zugestellte Urteil am 2. Januar 2008 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Sie hat geltend gemacht: Bei ihr bestünden Alpträume und Angstzustände als Schädigungsfolgen der Tat. Auch habe es die Vorinstanz versäumt, ausführliche Behandlungsberichte der Dipl.-Psych. R. einzuholen. Eine Langzeittherapie mache nur Sinn, wenn auch gesundheitliche Beeinträchtigungen vorliegen. Mit einer Stellungnahme der Dipl.-Psych. R. sowie mit einem weiteren Sachverständigengutachten gemäß §§ 103, 106 SGG könne daher nachgewiesen werden, dass sie weiterhin an schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen durch den tätlichen Angriff des K. leide, die mit einer MdE von mindestens 30 v.H. zu bewerten seien.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen, das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 24. Oktober 2007 aufzuheben, den Bescheid vom 21. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. August 2005 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, neben den anerkannten Schädigungsfolgen über den 30. September 2003 hinaus eine Anpassungsstörung in Form von Ängsten und anhaltender depressiver Symptomatik festzustellen und eine Beschädigtenversorgung nach einer MdE von mindestens 30 v.H. zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung der Vorinstanz sowie seine Bescheide für zutreffend.

Der Berichterstatter hat einen Befundbericht der Dipl.-Psych. R. vom 5. Juni 2008 sowie die Unterlagen der gesetzlichen Krankenkasse der Klägerin über die Psychotherapie eingeholt.

Dipl.-Psych. R. hat den Erstkontakt zur Klägerin auf den 7. Januar 2004 datiert und angegeben, die Klägerin habe zu Beginn der Behandlungen vorwiegend über die psychischen Folgen der Tat geklagt. Es hätten massive Angstzustände mit fast paranoid anmutenden Wahnvorstellungen vorgelegen, die ihre Lebensfähigkeit erheblich eingeschränkt hätten. Symptomatisch hätten eine Energie- und Lustlosigkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Schuldgefühle sowie Suizidphantasien bestanden. Sie hat eine depressive Verstimmung mittleren Grades diagnostiziert, die mit ausgeprägter Angstsymptomatik und diversen Beschwerden bei vorwiegend hysterisch depressiver Persönlichkeitsstruktur einhergehe und vor dem Hintergrund einer neurotischen Entwicklung in einem emotionalen Mangelniveau zu sehen sei. Insgesamt habe sich die Symptomatik im Verlauf der Behandlung verbessert. Die psychische Störung selbst sei dagegen grundsätzlich unveränderbar.

Darüber hinaus hat der Berichterstatter die beigezogenen Unterlagen dem von der Vorinstanz beauftragten Sachverständigen PD Dr. B. zu einer ergänzenden Stellungnahme vom 23. Februar 2009 vorgelegt. Dieser hat zur Chronologie der ambulanten Psychotherapie der Klägerin angegeben: Die psychotherapeutische Behandlung sei in insgesamt drei Abschnitte zu unterteilen. Ein Abschnitt mit 49 Sitzungen in einer zweiwöchigen Frequenz habe von April/Mai 2002 bis März 2004 stattgefunden. Eine Wiederaufnahme des Kontakts sei im Februar/März 2005 erfolgt und habe zu einer nachgeholten Einzelsitzung am 15. April 2005 geführt. Eine psychotherapeutische Krisenintervention sei von Juli bis September 2005 mit weiteren Gesprächen in etwa monatlichen Abständen bis Februar 2007 erfolgt. Dazwischen habe es eine längere Unterbrechung im Frühjahr 2006 gegeben. Unter Berücksichtigung der eingeholten Unterlagen ergebe sich kein Anhaltspunkt für eine länger als sechs Monate andauernde Gesundheitsstörung auf psychiatrischem Fachgebiet ab dem 1. Oktober 2003. Die bis März 2004 durchgeführte Psychotherapie sei kein hinreichender Beleg für das Vorliegen einer seelischen Gesundheitsstörung. Nach den Unterlagen der Therapeutin habe die Bearbeitung einer "Mutterproblematik" im Vordergrund gestanden. Die Behandlung im Sommer 2005 sei wegen heftiger Angstsymptome wieder aufgenommen worden. Als Auslöser dieser Behandlung werde eine akute Lebenskrise im Rahmen eines Partnerkonflikts genannt. Die Behandlungsdaten sprächen auch für eine kurzzeitige Krise bis September 2005. Anschließend habe es nur noch eine ambulante Psychotherapie mit niedriger Gesprächsfrequenz gegeben.

Die Klägerin hat hiergegen eingewandt: Die Durchführung einer umfangreichen Dauertherapie von zwei Jahren erfolge nicht grundlos und belege hinreichend ihre seelische Gesundheitsstörung. Auch die Behandlung ab Sommer des Jahres 2005 stehe mit der Gewalttat in Zusammenhang.

Der Sachverständige hat in einer weiteren Stellungnahme vom 14. August 2009 hierzu ausgeführt: Die Berichte der Therapeutin der Klägerin seien wenig aussagefähig, ließen jedoch den Rückschluss auf ein psychodynamisches Konzept zu, dass von einer Persönlichkeitsfehlentwicklung der Klägerin seit der Kindheit ausgehe. Hierfür spreche auch die darauf bezogene Diagnose der Therapeutin. Aus dem Fortführungsantrag von August 2005 ergebe sich, dass die Therapeutin eine Loslösung der Klägerin von ihren Eltern angestrebt habe. Die Dauer einer Therapie sei kein sicherer Hinweis für das Vorliegen einer seelischen Erkrankung. Im Bericht der Therapeutin von Juni 2005 werde von Veränderungen des Partners der Klägerin nach der Aufnahme einer eigenen Therapie berichtet. Daneben fänden sich Hinweise für die Fortsetzung früherer Verhaltens- und Beziehungsmuster in einer neuen Beziehung und über eine notwendige Loslösung aus der Abhängigkeit vom derzeitigen Partner. Für eine deutliche Stabilisierung der Klägerin spreche der offenbar erfolgreiche Abschluss der Therapie, die erfolgreiche berufliche Umorientierung und der Aufbau einer neuen Partnerschaft. Zum Zeitpunkt der eigenen Untersuchung (Mai 2007) und zum Zeitpunkt der Untersuchung von Dr. L. (August 2004) sei der psychopathologische Befund jeweils unauffällig gewesen.

Am 22. Oktober 2009 hat die Klägerin und am 4. November 2009 der Beklagte einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung des Senats. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) entscheiden, da sich beide Beteiligte hiermit einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Halle erweist sich als rechtens und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Das Landessozialgericht Sachsen–Anhalt ist hier gemäß §§ 28, 29 Abs. 1 i. V. m. § 57 SGG zuständiges Berufungsgericht, da das Sozialgericht Halle in erster Instanz entschieden hat (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, RndNr. 1a zu § 57). Ein etwaiger Wohnortwechsel der Klägerin in ein anderes Bundesland hätte auf die Zuständigkeit des Senats keinen Einfluss (vgl. auch BSG, Beschluss v. 16.11.2006, B 12 SF 4/06 S, zitiert nach juris). Für die Prüfung der Frage, ob wegen eines Wohnsitzwechsels der Klägerin in ein anderes Bundesland ein Wechsel der Zuständigkeit des Beklagten kraft Gesetzes eingetreten ist, wäre § 6 Abs. 1 Nr. 1 OEG i. v. m. § 3 Abs. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung heranzuziehen. Allerdings ist nur aktenkundig, dass die Klägerin aus W. weggezogen ist. Für einen Wechsel in ein anderes Bundesland liegen keine sicheren Hinweise vor, die die Prüfung eines Wechsels kraft Gesetzes auf der Beklagtenseite veranlassen könnten. An einer Sachaufklärung sieht sich der Senat aus Opferschutzgründen gehindert.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG beschwert. Die Verwaltungsentscheidung ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung weiterer Gesundheitsstörungen für die Zeit nach dem 30. September 2003 und die Gewährung einer Beschädigtenrente nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i. V. m. § 31 Abs. 1 BVG, da der rechtswidrig tätliche Angriff des K. bei ihr keine weiteren gesundheitlichen Schädigungen auf psychiatrischem Gebiet hinterlassen hat.

Ein Anspruch auf Entschädigung (Versorgung) nach dem OEG setzt nach dessen § 1 Abs. 1 Satz 1 allgemein voraus, dass eine natürliche Person ("wer") im (räumlichen) Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Außerdem ist ein wirksamer Antrag ("auf Antrag") eine weitere materiell-rechtliche Voraussetzung.

Für die Zeit ab dem 1. Oktober 2003 vermag der Senat keine gesundheitliche Schädigung der Klägerin mehr auf psychiatrischem Gebiet festzustellen. Dies ergibt sich aus den übereinstimmenden und auch in sich widerspruchsfreien Bewertungen der Sachverständigen Dr. L. im Verwaltungsverfahren und PD Dr. B. im gerichtlichen Verfahren.

Bei der Prüfung von traumatischen Ereignissen wie dem Mordversuch an der Klägerin finden die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 1996" (AHP 1996) ebenso wie die nach den 2004 und 2008 herausgegebenen Neufassungen Anwendung. Diese gelten auch nach Einführung der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) ab dem 1. Januar 2009 noch fort. Hiernach ist entsprechend den Festlegungen in Kap. 71 der AHP 1996 (S. 251 ff); AHP 2004/2008 (S 205 ff.) von Folgendem auszugehen:

(1) Durch psychische Traumen bedingte Störungen kommen sowohl nach langdauernden psychischen Belastungen (z.B. in Kriegsgefangenschaft, in rechtsstaatswidriger Haft in der DDR) als auch nach relativ kurzdauernden Belastungen (z.B. bei Geiselnahme, Vergewaltigung) in Betracht, sofern die Belastungen ausgeprägt und mit dem Erleben von Angst und Ausgeliefertsein verbunden waren. Bei der Würdigung der Art und des Umfangs der Belastungen ist also nicht nur zu beachten, was der Betroffene erlebt hat, sondern auch, wie sich die Belastungen bei ihm nach seiner individuellen Belastbarkeit und Kompensationsfähigkeit ausgewirkt haben. Die Störungen sind nach ihrer Art, Ausprägung, Auswirkung und Dauer verschieden: Sie können kurzfristigen reaktiven Störungen mit krankheitswertigen (häufig depressiven) Beschwerden entsprechen; bei einer Dauer von mehreren Monaten bis zu ein bis zwei Jahren sind sie in der Regel durch typische Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung charakterisiert, ohne diagnostisch auf diese begrenzt zu sein; sie treten gelegentlich auch nach einer Latenzzeit auf. Anhaltend kann sich eine Chronifizierung der vorgenannten Störungen oder eine Persönlichkeitsänderung (früher: erlebnisbedingter Persönlichkeitswandel) mit Misstrauen, Rückzug, Motivationsverlust, Gefühl der Leere und Entfremdung ergeben. Anhaltende Störungen setzen tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende und in der Regel langdauernde Belastungen voraus.

(2) Bei länger anhaltenden Störungen und chronisch verlaufenden (auch "neurotisch" genannten) Entwicklungen ist zu prüfen, ob die Schädigungsfaktoren fortwirken oder schädigungsunabhängige Faktoren für die Chronifizierung verantwortlich sind ("Verschiebung der Wesensgrundlage" [ ]). Gleiches gilt für psychogene Symptomverstärkungen oder Symptomfixierungen, die im Gefolge schädigungsbedingter organischer Gesundheitsstörungen auftreten. ( )"

Zunächst ist nach den insoweit übereinstimmenden und auch zutreffenden Bewertungen des Beklagten der von K. verübte Mordversuch als Gewalttat im Sinne des OEG bewertet worden. Dieser Angriff hat bei der Klägerin auch u. a. eine Anpassungsstörung in Form von Ängsten und anhaltender depressiver Symptomatik vom 1. März 2002 bis 30. September 2003 ausgelöst und rechtfertigte zunächst eine Grundrente mit einer MdE von 30 v. H. Die von der Klägerin angedeutete höhere MdE-Bewertung für diesen Zeitraum findet dagegen keine tragfähige Grundlage. Hinweise für schwere Störungen mit erheblichen sozialen Anpassungsstörungen, die einen MdE-Rahmen von 50 bis 70 (Kap. 26.3 S. 61 (AHP 1996); S. 48 (AHP 2004 und 2008)) hätten eröffnen können, liegen nicht vor. Hierbei ist auch zu beachten, dass die Klägerin nach der Inhaftierung des K. bereits im Juni 2002 ihre damalige berufliche Tätigkeit wieder aufnehmen konnte. Zudem haben weder Dr. L. im Verwaltungsverfahren noch PD Dr. B. im gerichtlichen Verfahren die Einschätzung des MdE-Grades bis zum 30. September 2003 als zu gering eingeschätzt.

Für die Zeit ab dem 1. Oktober 2003 kann der Senat nach Auswertung der Beweismittel dagegen keine Gesundheitsstörung der Klägerin mehr auf psychiatrischem Gebiet feststellen. Die Diagnose von Dipl.-Med. K. im Sinne einer reaktiven Depression ist ebenso wie die von Dipl.-Psych. R. gegenüber dem Prozessvertreter der Klägerin im Schreiben vom 10. Dezember 2003 angenommene Diagnose "F 43.1 posttraumatische Belastungsstörung" nicht hinreichend belegt. Diese ärztlichen Einschätzungen reichen für eine Bewertung, es habe auch nach dem 30. September 2003 noch eine schädigungsbedingte psychische Erkrankung vorgelegen, nicht aus. Beide Ärztinnen haben über die Diagnose hinaus keine eingehende Begründung für ihre Einschätzung gegeben. Außerdem setzt sich Dipl-Psych. R. mit dieser Diagnose in Widerspruch zu ihrer gegenteiligen Bewertung im Bericht vom 26. Oktober 2003, wonach bei der Klägerin eine "depressive Verstimmung mittleren Grades mit ausgeprägter Angstsymptomatik und diversen funktionellen Beschwerden bei vorwiegend hysterisch-depressiver Persönlichkeitsstruktur vor dem Hintergrund einer neurotischen Entwicklung in emotionalem Mangelmilieu" bestehe. Auch den im Berufungsverfahren von Dipl.-Psych. R. eingeholten Unterlagen mit Angaben zur Fortführung der psychotherapeutischen Behandlung der Klägerin sind nach Auswertung durch den Sachverständigen PD Dr. B. vom 14. August 2009 keine Hinweise zu entnehmen, die die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung stützen könnten. Vielmehr lassen die Berichte der Ärztin eher den Schluss auf die Durchführung eines psychodynamischen Konzepts zu, dem eine schädigungsunabhängige Persönlichkeitsfehlentwicklung in der Kindheit der Klägerin zugrunde lag. Hierfür spricht auch die ursprüngliche Diagnose der Therapeutin vom 26. Oktober 2003. Aus dem Fortführungsantrag von August 2005 ist die Zielsetzung der Therapeutin ableitbar, die Klägerin aus dem Abhängigkeitsverhältnis zu den Eltern zu lösen. Angesichts dieses Therapieansatzes ist die Dauer der Therapie kein Indiz für eine schwere seelische Erkrankung aufgrund der Gewalttat. Auch die von der Therapeutin eingeholten Berichte sprechen für schädigungsunabhängige Befunde. So werden im Juni 2005 Persönlichkeitsveränderungen des Partners der Klägerin nach der Aufnahme einer eigenen Therapie angegeben. Auch finden sich Angaben über fortgesetzte alte Verhaltens- und Beziehungsmuster in einer neuen Beziehung und über die Notwendigkeit einer Lösung aus der Abhängigkeit vom derzeitigen Partner, was zu einer Krisenintervention von Juli bis September 2005 geführt hatte. Diese psychotherapeutischen Behandlungsaspekte lassen nach der überzeugenden Bewertung des gerichtlichen Sachverständigen keinen unmittelbaren Zusammenhang zur eigentlichen Gewalttat mehr erkennen.

Auch die Einschätzungen von Dipl.-Psych. R. im Befundbericht vom 5. Juni 2008, sie habe zu Beginn der Behandlung massive Angstzustände mit fast paranoid anmutenden Wahnvorstellungen festgestellt, die die Lebensfähigkeit der Klägerin erheblich eingeschränkt hätten, sind, ebenso wie die von ihr berichteten Symptome von Energie- und Lustlosigkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Schuldgefühle sowie Suizidphantasien, vor dem Hintergrund einer realen Bedrohungssituation zu sehen. Wie der gerichtliche Sachverständige PD Dr. B. nach Auswertung der Strafakten nachvollziehbar festgestellt hat, ist K. aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur als hochgradig gefährlich anzusehen. Die Angst der von K. auch früher schon misshandelten Klägerin hatte damit eine tatsächliche und auch berechtigte Grundlage. Wahnvorstellungen sind vor diesem Hintergrund nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen damals unwahrscheinlich gewesen.

Wenig überzeugend ist auch die Darstellung von Dipl.-Psych. R., es sei einerseits zu einer behandlungsbedingten Besserung der Symptomatik gekommen, andererseits liege jedoch eine dauerhafte psychische Störung vor. Eine Begründung für diese Einschätzung hat sie nicht gegeben, sie ist auch nicht ersichtlich. Gegen eine tatbedingte psychische Gesundheitsstörung der Klägerin sprechen insbesondere die Bewertungen aus den umfassenden Explorationen von Dr. L. (August 2004) und vom gerichtlichen Sachverständigen PD Dr. B. (Mai 2007), die in Bezug auf psychopathologische Befunde jeweils unauffällig geblieben sind. Überzeugend sind vor allem die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen PD Dr. B., der sich mit der Diagnose und den Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung eingehend auseinandersetzt hat. Eine solche Erkrankung ist symptomatisch mit dem "Wiedererleben der Belastung", mit einem "Vermeideverhalten" und einer Übererregung verbunden. Weder Dr. L. noch PD Dr. B. haben diese Symptome bei der Klägerin festgestellt.

Gegen eine tatbedingte psychische Gesundheitsstörung nach dem 30. September 2003 sprechen auch die Gesichtspunkte, die jeweils eine deutliche psychische Stabilisierung der Klägerin bestätigen. Nach Inhaftierung des K. am 25. April 2002 in Mailand (Italien) hatte die unmittelbare Bedrohungssituation aus der Sicht der Klägerin, die den Aufenthaltsort und die weiteren Pläne des K. nicht wissen konnte, eine gewisse Beruhigung erfahren. Auch die Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit bereits im Juni 2002, ihre berufliche Neuorientierung im Juli 2003 und der Aufbau einer neuen Partnerschaft im September 2002 sprechen für eine deutliche stabilisierte Psyche der Klägerin. Auch die rechtskräftige Scheidung mit Urteil des Amtsgerichts W. vom 16. August 2003 dokumentiert eine weitere Klärung des Verhältnisses zu K ... Die Einschätzung von PD Dr. B., bei der Klägerin handele es sich um eine bemerkenswert tüchtige, tapfere und energische Frau, die mit Tatkraft ihr Schicksal zu meistern suche, hält der Senat vor diesem Hintergrund für zutreffend. Diese Einschätzung stimmt im Übrigen auch mit dem Selbstverständnis der Klägerin überein, das sie bei der Untersuchung durch PD Dr. B. preisgegeben hat. So hat sie ihre Stärken mit Zielstrebigkeit und Ehrgeiz bezeichnet und ihr Wesen als freundlich, nett und umgänglich beschrieben. Auch hat sie sich ohne ihre Tochter als risikobereiter bewertet und nach dem Jahr 2002 von seltener werdenden Alpträumen berichtet. Für eine Stabilisierung spricht auch ihre Beendigung der Therapie "auf Probe". Offenbar hat sie sich wieder als alltagsfähig angesehen und dies durch ihren neuen Lebensweg nach erfolgreicher Umschulung, Begründung einer neuen Partnerschaft und in einem neuen persönlichen Umfeld auch deutlich unterstrichen.

Die von PD Dr. B. festgestellte erhebliche psychosoziale Belastungssituation der Klägerin kann nicht mit einer Gesundheitsstörung im Sinne des OEG gleichgesetzt werden. Hierbei verkennt der Senat nicht, welchem Druck die Klägerin durch ihre Lebensumstände tatsächlich immer noch ausgesetzt ist. Die gravierenden Konflikte mit der Tochter (Bettnässerin, Drogenproblematik und spannungsreiches Verhältnis mit Vorwürfen gegen die Klägerin), die verständlichen Schuldgefühle gegenüber den Eltern und insbesondere gegenüber dem durch die Tat dauerhaft schwerverletzten Vater sowie die einschneidenden Veränderungen in der Lebensplanung und Lebensgestaltung mit einem bewussten Abbruch alter Beziehungen sowie ihre latente Gefährdung nach einer Entlassung des K. aus der Strafhaft sind als schwerwiegende psychosoziale Belastungsfaktoren anzusehen. Trotz dieser schwierigen Lebenssituation ist es der Klägerin jedoch gelungen, ohne Herausbildung einer psychischen Erkrankung ihr Leben "wieder in den Griff" zu bekommen und sich dabei aus alten Abhängigkeitsmustern sogar erfolgreich zu lösen. Aus den übereinstimmenden Bewertungen der Sachverständigen Dr. L. und PD Dr. B. ergeben sich keinerlei Hinweise mehr auf eine psychiatrische Gesundheitsstörung. Wegen dieser eindeutigen und auch übereinstimmenden Bewertung beider Sachverständigen musste der Senat den Beweisanregungen der Klägerin, weitere Sachverständigengutachten von Amts wegen einzuholen, nicht mehr nachgehen, da es an einem Ermittlungsbedarf fehlt. Einen Antrag nach § 109 SGG hat die Klägerin nicht gestellt.

Die bei der Klägerin verbliebenen Symptome wie Schlafstörungen, Ängste im Dunkeln auf der Straße, Alpträumen mit Verfolgungssituationen ohne Wiederholung des Tatgeschehens und Kopfschmerzen haben nach den übereinstimmenden Bewertungen der Sachverständigen, denen der Senat folgt, keinen Krankheitswert und sind daher nicht als Gesundheitsstörung im Sinne des OEG anzusehen. Die ab dem 1. Oktober 2003 bei der Klägerin verbliebenen Narben sowie die im Jahr 2005 operierte Narbenhernie am Oberbauch nach Schnittverletzung rechtfertigen nach der Einschätzung des Sachverständigen PD Dr. B. und den damit verbundenen Funktionseinschränkungen keine MdE in rentenberechtigender Höhe. Diese Einschätzung des Sachverständigen ist nach Auffassung des Senats zutreffend. Die Narben betreffen das Funktionssystem "Haut". Nach Ziffer 26.17 der AHP (1996) S. 128 f. bzw. AHP (2004, 2008) S. 106 f., sowie Ziffer 17 der VersMed V (2009), S. 97, bedarf es für eine Bewertung der MdE/des GdS funktionaler Einschränkungen, die hier nicht gegeben sind. Hinweise für eine Entstellung mit weiteren Folgen liegen ebenfalls nicht vor. Die im Jahr 2005 behandelte Narbenhernie am Oberbauch wurde erfolgreich operiert und hat deshalb nicht zu einer dauerhaften wesentlichen Beeinträchtigung geführt. Die von der Klägerin geschilderten Schwierigkeiten beim schweren Heben und Tragen sind nicht als erhebliche Beeinträchtigung zu werten. Nach Ziffer 26.11 der AHP (1996) S.103 f. bzw. AHP (2004, 2008) S. 86 f. sowie Ziffer 11 VersMed V (2009), S. 78, ist damit kein höherer MdE/GdS als 10 v. H. festzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegt nicht vor.

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt L 7 VG 1/08 S 1 VG 37/05 (Sozialgericht Halle) Aktenzeichen Im Namen des Volkes Urteil in dem Rechtsstreit Manuela Jentsch - Sozialer Dienst der Justiz Halle -, Martha-Brautzsch-Str. 17, 06108 Halle – Klägerin und Berufungsklägerin – Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Meyerhoff, Ebeling, Peineke & Kollegen, Eiermarkt 01, 38100 Braunschweig gegen Land Sachsen-Anhalt, vertreten durch das Landesversorgungsamt im Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt, Maxim-Gorki-Str. 7, 06114 Halle – Beklagter und Berufungsbeklagter –

Der 7. Senat des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt in Halle hat ohne mündliche Verhandlung am 31. März 2010 durch den Vizepräsidenten des Landessozialgerichts Fock, den Richter am Landessozialgericht Dr. Fechner und den Richter am Sozialgericht Boldt sowie die ehrenamtliche Richterin Sixdorf und den ehrenamtlichen Richter Kegel für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1975 geborene Klägerin begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i. V. m. den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Am ... 2002 beantragte die 1975 geborene Klägerin unter ihrer damaligen Wohnanschrift in W. beim Beklagten Leistungen nach dem OEG. Sie gab an, der von ihr seit September 2001 getrennt lebende damalige Ehemann K. habe sie und ihren Vater, der sie begleitet habe, am Morgen des ... 2002 auf dem Weg zum Auto plötzlich angegriffen und durch Messerstiche schwer verletzt. Als Gesundheitsschäden machte sie die Folgen von fünf Messerstichen sowie ein Angstsyndrom geltend.

Vom 14. bis zum 29. März 2002 war die Klägerin wegen mehrerer Stichverletzungen im Unterleib und einer Stichwunde in der linken Gesichtshälfte in der Klinik f. Chirurgie der A.-Kreiskrankenhäuser W.-H. stationär behandelt worden. Nach dem Krankenhausbericht vom 2. Mai des Jahres war bei einer Laparotomie (operative Eröffnung der Bauchhöhle) am Tag der Einlieferung eine Verletzung von Gefäßen im Magenbereich als Ursache einer starken Blutung festgestellt, eine Verletzung der Milz, der Niere und des Darms sowie eine Rückenmarksbeteiligung aber ausgeschlossen worden. Vom 9. bis 30. Oktober 2002 befand sich die Klägerin mit ihrer 1994 geborenen Tochter zur Rehabilitation für Mutter und Kind in der S.-Klinik Z ... Im Abschlussbericht vom 30. des Monats wurde vor allem ein depressiv getönter psychovegetativer Erschöpfungszustand genannt. Die psychosoziale Stressbelastung habe insbesondere durch Entspannungsübungen reduziert werden können.

Der Beklagte zog die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft H. (Az. 500 Js 203142/02) bei. Gegen K. ist wegen der Tat vom 14. März 2002 Anklage wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen erhoben worden. Der Anklageschrift zufolge ist er wegen Körperverletzungsdelikten mehrfach vorbestraft. Zuletzt sei er am 13. März 2002 vom Amtsgericht L. aufgrund einer belastenden Zeugenaussage der Klägerin wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden. Dafür habe er sich durch die Tat am folgenden Tag rächen wollen. Er habe sich hinter seinem PKW verborgen, bis die Klägerin und ihr Vater nahe genug gekommen seien und habe dann mit Tötungsvorsatz mit dem Messer auf die Klägerin und ihren Vater eingestochen. Der weitere Verlauf des Strafverfahrens ist aus den vorliegenden Akten nicht ersichtlich.

Im Oktober 2003 holte der Beklagte Befundberichte der Ärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. K. und der Psychologischen Psychotherapeutin Dipl.-Psychologin R. ein. Dipl.-Med. K. bezeichnete die bestehende Gesundheitsstörung als reaktive Depression und verwies im Übrigen auf die von ihr beigefügten Krankenhausberichte vom 2. Mai und 30. Oktober 2002. Dipl.-Psych. R. stellte in ihrem Bericht vom 26. Oktober 2003 die Diagnose "depressive Verstimmung mittleren Grades mit ausgeprägter Angstsymptomatik und diversen funktionellen Beschwerden bei vorwiegend hysterisch-depressiver Persönlichkeitsstruktur vor dem Hintergrund einer neurotischen Entwicklung in emotionalem Mangelmilieu". Die Klägerin sei bei ihr seit April 2002 in psychotherapeutischer Behandlung. Nach der Anamnese und dem bisherigen Therapieverlauf könnte zwar vermutet werden, dass die Beschwerden der Klägerin durch den Mordversuch des Ehemannes ausgelöst worden sind, die tatsächliche Ursache sei jedoch eine Persönlichkeitsfehlentwicklung in der Kindheit.

Schließlich holte der Beklagte von dem Chefarzt des Psychiatrischen Krankenhauses H. Dr. L. das fachpsychiatrische Gutachten vom 14. September 2004 ein. Bei der Untersuchung am 25. August des Jahres berichtete die Klägerin dem Sachverständigen, K. habe ihr seit der Trennung fast täglich morgens vor der Tür aufgelauert. Sie habe vor ihm, der ihr gewalttätige Rache angedroht habe, Angst gehabt und sich deshalb am Tattag auf dem Weg zum Auto von ihrem Vater begleiten lassen. K. sei nach der Tat zunächst flüchtig gewesen und habe ihr schriftlich Rache angedroht. Sie habe daher weiterhin vor ihm Angst gehabt. Auch nach seiner Inhaftierung und Verurteilung in erster Instanz bestehe die Gefahr fort. Er habe ihr in der mündlichen Verhandlung durch eine Geste den Tod angedroht. Sie befürchte, er könne durch Komplizen, etwa Landsleute, Rache nehmen. Sie habe deshalb alle Kontakte zu früheren Freunden und Bekannten abgebrochen und halte ihre neue Adresse geheim. Aus Angst vor Nachstellungen habe sie auch im Juli 2003 ihr Arbeitsverhältnis gekündigt. Seitdem nehme sie an einer vom Arbeitsamt geförderten Umschulung teil. Im September 2002 sei sie eine neue Partnerschaft eingegangen. Die Ehe mit K. sei im Juli 2003 geschieden worden. Sie habe nach der Tat ein Gefühl der Sinnlosigkeit mit Suizidgedanken gehabt und das Interesse für ihre Umwelt verloren. Auch aus Pflichtgefühl gegenüber ihrer Tochter habe sie nach etwa einem Jahr diesen Zustand überwunden. Jetzt habe sie manchmal noch Alpträume, in denen sie zwar auch träume, wie sie der Verurteilte etwa durch Türen jage, aber nicht den Vorfall am ... 2002 wieder erlebe. Eine im Mai 2002 begonnene psychotherapeutische Behandlung sei nach einer Dauer von eineinhalb Jahren im Grunde abgeschlossen. Vor dem Ereignis vom ... 2002 sei sie nie aus psychiatrischen Gründen fachärztlich behandelt worden. Panikattacken kenne sie nicht. Sie habe Angst davor, abends im Dunkeln alleine draußen herum zu laufen, sei dadurch aber praktisch nicht eingeschränkt, da sie sich ggf. begleiten lassen könne.

Der Sachverständige Dr. L. stellte bei der Exploration der Klägerin eine ausgeglichene Grundstimmung ohne Hinweise auf ein depressives oder manisches Syndrom und ohne Phobien fest. Ein etwas erhöhtes Angstniveau entspreche der tatsächlichen Bedrohung durch den Verurteilten. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, seit Sommer 2003 sei nach vorläufigem Abschluss der Psychotherapie eine relative Besserung und Stabilisierung im Befinden der Klägerin eingetreten. Eine relevante depressive Symptomatik bestehe seitdem nicht mehr. Eine posttraumatische Belastungsstörung liege bei ihr nicht vor. Vor der Tat habe sie trotz der Belastungen durch ihre familiäre Vorgeschichte nicht an einer nennenswerten psychiatrischen Symptomatik gelitten. Als Folge der Tat seien eine Anpassungsstörung in Form einer längeren depressiven Reaktion F 43.21 der ICD 10 (Klassifikation psychischer Störungen) aufgetreten, die inzwischen vollständig abgeklungen sei. Bleibende psychische Schäden habe er bei der Begutachtung nicht feststellen können. Im Übrigen bestünden als bleibende Schädigungsfolgen die Narben, von denen außer einem leichten witterungsbedingten Narbenschmerz keine funktionellen, sondern lediglich kosmetische Beeinträchtigungen ausgingen.

Nach Beteiligung seines ärztlichen Dienstes erließ der Beklagte den Bescheid vom 21. Oktober 2004, in dem er feststellte, die Klägerin sei am ... 2002 Opfer einer Gewalttat im Sinne des OEG geworden. Bei den weiteren Regelungen unterschied er zwischen den Zeiten vor und nach dem 1. Oktober 2003. Für die Zeit vom 1. März 2002 bis 30. September 2003 erkannte er die folgenden Schädigungsfolgen im Sinne der Entstehung an:

Anpassungsstörungen in Form von Ängsten und anhaltender depressiver Symptomatik, zwei etwa 1 bis 2 cm lange Narben am Rücken, eine etwa 18 cm lange, dünne Operationsnarbe am Oberbauch, eine etwa 2 cm lange Narbe am Unterkieferwinkel links

und bewilligte eine Grundrente nach § 30 Abs. 1 BVG nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v. H. Für die Zeit ab 1. Oktober 2003 lehnte er die Gewährung einer Beschädigtenrente ab, da die MdE aufgrund der verbliebenen Schädigungsfolgen in Form von reizlosen Narben am Rücken, am Oberbauch und am Unterkieferwinkel nicht um mindestens 25 v. H. gemindert sei. Dieser Bescheid wurde der Klägerin unter der im Rubrum bezeichneten Anschrift zugestellt.

Am 15. November 2004 legte die nun anwaltlich vertretene Klägerin gegen den Bescheid Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 14. Januar 2005 begehrte sie eine Beschädigtenrente nach einer MdE um 30 v. H ... auch für die Zeit vom 1. Oktober 2003 an und vertrat die Ansicht, auch für den Zeitraum vom 1. März 2002 bis 30. September 2003 seien die Schädigungsfolgen möglicherweise mit einer höheren MdE zu bewerten. Ihre psychischen Gesundheitsstörungen bestünden auch über den 30. September 2003 hinaus fort. Sie leide weiterhin unter aus Alpträumen resultierenden Schlafstörungen, Angstzuständen, einer starken Verunsicherung und einer Depression mittleren Grades. Wegen ihrer Ängste sei sie nicht mehr in der Lage, bei Dämmerung oder Dunkelheit ohne Begleitung das Haus zu verlassen. Der Befundbericht der Dipl.-Psych. R. vom 26. Oktober 2003 belege, dass sie noch zu diesem Zeitpunkt unter erheblichen psychischen Beeinträchtigungen gelitten habe. Auch aus ihren von dem Sachverständigen Dr. L. in seinem Gutachten wiedergegebenen Angaben bei der Untersuchung im August 2004 sei ersichtlich, dass die psychischen Beeinträchtigungen auch zu diesem Zeitpunkt noch vorgelegen hätten. Die gegenteiligen Feststellungen des Sachverständigen träfen nicht zu. Ihre psychotherapeutische Behandlung sei nicht, wie der Sachverständige angenommen habe, im Sommer des Jahres 2003 abgeschlossen worden, sondern habe bis März 2004 angedauert. Als Nachweis hat die Klägerin ein Schreiben der Therapeutin vom 10. Dezember 2003 an ihren Verfahrensbevollmächtigten zu den Akten gereicht, in dem diese bescheinigt, die Klägerin befinde sich seit dem 24. April 2002 in psychotherapeutischer Behandlung. Außerdem hat sie in dem Schreiben die Diagnose "F 43.1 posttraumatische Belastungsstörung" mitgeteilt. Mit Schriftsatz vom 4. März 2005 ließ die Klägerin vortragen, ihre psychischen Beeinträchtigungen seien so schwerwiegend, dass auch im Kalenderjahr 2005 eine Fortführung der Psychotherapie bei der Dipl.-Psych. R. notwendig sei.

Vom 14. bis zum 18. März 2005 wurde die Klägerin in der Abteilung für Chirurgie des Waldkrankenhauses "R. E." gGmbH wegen einer Narbenhernie im Oberbauch stationär behandelt. Nach dem vom Beklagten beigezogenen Krankenhausbericht vom 17. des Monats war im Bereich der reizlosen quer laufenden Laparotomienarbe nach der Messerstichverletzung eine walnussgroße Hernie hervorgetreten, die mit Fasciendraht (Hautfäden) chirurgisch versorgt worden war.

Der Beklagte forderte mit Schreiben vom 21. Januar, 3. März, 11. April und 13. Juli 2005 von der Dipl.-Psych. R. erfolglos einen aktuellen Befundbericht an. Nachdem die Klägerin eine Untätigkeitsklage angedroht hatte, wies er nach nochmaliger Beteiligung seines ärztlichen Dienstes den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2005 zurück und gab zur Begründung an, nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. L. habe bei der Klägerin aufgrund des Ereignisses am ... 2002 nur für die Dauer von etwa 18 Monaten eine psychische Beeinträchtigung in entschädigungspflichtigem Ausmaß vorgelegen. Der Sachverständige habe nachvollziehbar begründet, dass bei der Klägerin keine posttraumatische Belastungsstörung vorliege. Der Ansicht der Dipl.-Psych. R., die eine solche Störung bescheinigt habe, sei nicht zu folgen. Die im März 2005 stationär behandelte Narbenhernie stelle nur eine vorübergehende Gesundheitsstörung dar, die keinen Einfluss auf die MdE habe.

Am 29. September 2005 hat die Klägerin beim Sozialgericht Halle hiergegen Klage erhoben. Sie hat begehrt, den Bescheid vom 21. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. August 2005 abzuändern und "den Beklagten zu verurteilen, die anerkannten Schädigungsfolgen nach § 1 OEG auch für die Zeit ab 1. Oktober 2003 mit einer Gesamt-MdE von mindestens 30 % zu bewerten". Zur Begründung hat sie vorgebracht: Die psychischen Schädigungsfolgen, nämlich Angstzustände, Unruhe und Depression bei posttraumatischer Belastungsstörung hätten über den 30. September 2003 hinaus fortbestanden und rechtfertigten eine MdE um mindestens 30 v. H ... Sie sei bis einschließlich März 2004 von der Dipl.-Psych. R. behandelt worden. Als Beweis hat sie die Einholung einer Stellungnahme der Dipl.-Psych. R. und ein gerichtliches Sachverständigengutachten auf psychiatrischem und traumatologischem Gebiet angeregt. Das Sozialgericht hat die Strafakten 500 Js 203142/02 von der Staatsanwaltschaft H. beigezogen und den Sachverständigen Privatdozent (PD) Dr. B. (Chefarzt der Abteilung für psychiatrische Erkrankungen des S.-U.-Klinikums N.) zum Sachverständigen bestellt. Der Sachverständige hat ein fachärztliches Gutachten vom 30. August 2007 erstattet, die Ermittlungsakte ausgewertet und die Klägerin am 22. Mai 2007 über vier Stunden lang untersucht. Der Sachverständige hat ausgeführt: Aus dem Urteil der Ersten Großen Strafkammer des Landgerichts H. vom 8. November 2004 ergebe sich zur Vorgeschichte der Tat, dass der Angeklagte albanischer Staatsbürger sei und unter falschem Namen einen Asylantrag gestellt habe. Die Eltern der Klägerin seien wie die Klägerin selbst bekennende Zeugen Jehovas gewesen. Sie hätten die Beziehung zum Angeklagten nicht befürwortet. Die Klägerin sei nach ihrem 18. Geburtstag im März 1993 aus der elterlichen Wohnung ausgezogen, sei im Sommer 1993 vom Angeklagten schwanger geworden und habe am 9. April 1994 eine gemeinsame Tochter geboren. Am 31. Mai 1994 hätten beide geheiratet. Das eheliche Leben sei in erster Linie von der dominanten Persönlichkeit des Angeklagten geprägt gewesen. Zum Familienunterhalt habe er nichts beigetragen. Die Klägerin habe mehrere Geldstrafen des Angeklagten beglichen. Wegen seines cholerischen Charakters habe er gegenüber jeder Kritik der Klägerin aggressiv reagiert, wobei es zu verbalen und teilweise auch körperlichen Auseinandersetzungen gekommen sei. Im November 1996 habe es die erste Zuspitzung gegeben. Der Angeklagte habe einen kristallenen Aschenbecher zu Boden geworfen, ohne auf eine mögliche Verletzungsgefahr des in der Nähe spielenden Kleinkindes zu achten. Danach habe er der Klägerin beim Verlassen des Zimmers einen Schlag ins Gesicht versetzt. Infolge der Auseinandersetzung sei die Klägerin mit ihrem Kind zu ihren Eltern gezogen. Der Angeklagte sei wiederum gewalttätig bei den Eltern aufgetreten, was zu einer später zurückgenommenen Strafanzeige geführt habe. Anschließend habe er die Klägerin bei ihrer Arbeitsstelle aufgesucht, habe Besserung gelobt und eine zukünftige Änderung seines Verhaltens angekündigt. Die Klägerin kehrte mit ihrem Kind in den ehelichen Haushalt zurück. Wenig später sei der Angeklagte jedoch in seine alten Verhaltensmuster zurückgefallen. Da sie den Angeklagten geliebt, aber auch befürchtet habe, er würde seine Drohung wahr machen, ihr das gemeinsame Kind wegzunehmen, sei sie bei ihm geblieben. Der Angeklagte sei insbesondere wegen Körperverletzungsdelikten drei Mal vom Amtsgericht L. verurteilt worden. Im Sommer 2001 habe sich die familiäre Situation derart verschärft, dass die Klägerin im September 2001 beschlossen habe, den Angeklagten endgültig zu verlassen. Am 17. September 2001 habe er der Klägerin zwei Mal unerwartet mit der Faust ins Gesicht geschlagen, so dass diese Schwellungen und Hämatome erlitten habe. Danach sei die Klägerin, unter Zurücklassung vieler persönlicher Habseligkeiten, aus der ehelichen Wohnung ausgezogen und habe einige Tage im Frauenhaus verbracht. Auf ihre Initiative hin habe ihr das Amtsgericht Borna das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsame Tochter zugesprochen. Nach ihrem Umzug nach W. habe der Angeklagte wiederum versucht, Kontakt aufzunehmen. Die Klägerin habe sich jedoch nicht mehr von ihrer Scheidungsabsicht abbringen lassen. Wegen einer anstehenden Gerichtsverhandlung im März 2002 wegen des Vorfalls vom ... 2002 habe der Angeklagte unter Todesdrohungen versucht, die Klägerin von einer Aussage gegen ihn abzubringen. Er sei aufgrund der Zeugenaussage der Klägerin zu fünf Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden.

Nach Angaben des Sachverständigen ist das Urteil der Ersten Großen Strafkammer des Landgerichts H. vom 8. November 2004, mit dem der Angeklagte u. a. wegen versuchten Totschlages verurteilt worden ist, auf die Revision der Staatsanwaltschaft vom Bundesgerichtshof aufgehoben worden. Mit rechtskräftigem Urteil der 8. Strafkammer des Landgerichts H. vom 23. März 2006 wurde der Angeklagte u. a. wegen versuchten Mordes zu 12 Jahren Haft verurteilt. Zum Tatgeschehen enthält dieses Urteil u. a. folgende Feststellungen:

Der Angeklagte habe der Klägerin und ihrem Vater am Morgen des ... 2002 aufgelauert und sei plötzlich aus seiner Deckung gesprungen und schnellen Schrittes auf sie zugegangen. Hierbei habe er ein ca. 20 cm langes Küchenmesser gezogen und ihr mehrere Messerstiche versetzt. Auch dem Vater, der seine Tochter habe schützen wollen, habe er zahlreiche Schnittverletzungen zugefügt. Nach seiner Flucht sei der Angeklagte am 25. April 2002 in Mailand (Italien) verhaftet und an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert worden. Im Schreiben an die Eltern der Klägerin vom 15. Mai 2002 sowie in weiteren Schreiben an die Klägerin habe er u. a. angegeben, er sei nun mal verheiratet, bis der Tod sie scheide. Egal was passiere, er werde seine Tochter finden und bei dieser Suche niemals aufgeben. Ein Löwe sei unberechenbar und wörtlich habe er erklärt: "Lass es nicht für ein zweites Mal zurückzukommen die ... 2002. Weil ist nicht mehr mit Weglaufen, sondern sterben wir zusammen." In einem weiteren Schreiben vom August 2002 an die Eltern der Klägerin finde sich die Aussage, dass er nichts bereue. Er bete, den Tag des Wiedersehens zu erleben. Er habe nichts mehr zu verlieren.

Zur Untersuchung hat der Sachverständige ausgeführt: Die Klägerin habe einen neuen Namen angenommen und ihre Wohnanschrift geändert. Die Behandlung bei Dipl.-Psych. R. habe sie im April 2007 beendet. Die familiäre Situation sei derzeit schwierig. Die 13-jährige Tochter wohne bei den Eltern und mache ihr Vorhaltungen wegen der durch die Tat bedingten Umzüge mit Schulwechsel und Änderungen im persönlichen Umfeld. Bei der Tochter habe sich zudem ein Drogenproblem eingestellt (Methadon). Nach ihrem Wegzug aus W. habe sie eine Partnerschaft gehabt, diese jedoch wieder beendet. Der damalige Partner und ihre Tochter hätten sich nicht verstanden. Zum jetzigen Lebenspartner seien ihr Verhältnis und das der Tochter auch auf die Entfernung hin ganz gut, da es keine unmittelbare Konfliktlage gebe. Derzeit habe sie keine Beschwerden, jedoch häufig Kopfschmerzen. Aufgrund der Bauchnarbe könne sie so gut wie nichts mehr heben. Seelisch zeigten sich bei ihr große Schwankungen. Vor allem das schwierige Verhältnis zur Tochter belaste sie sehr. Auch habe sie Schuldgefühle wegen des Gesundheitszustandes ihres Vaters, der immer wieder wegen der Folgen des Angriffs des K. operiert werden müsse (zurzeit sieben bis acht Mal) und nicht mehr arbeiten könne. Sie bereue ihre damalige Trotzhaltung gegenüber ihren Eltern. Auch habe sie Angst, dass er (gemeint K.) sie irgendwann doch noch finde. Durch den Wohnortwechsel und den völligen Abbruch der damaligen Beziehungen habe sie praktisch wieder bei Null angefangen. Die Umschulung habe sie mit Erfolg bestanden. Zu einer Aufnahme an einem Zeugenschutzprogramm sei es entgegen ihrer anfänglichen Erwartungen nicht gekommen. Die Abschiebung des K. nach Verbüßung der Strafe wäre für sie das Schlimmste, da er mit Leichtigkeit wieder einreisen würde. Sie rechne mit seiner Rache. Auf das Thema Selbstverteidigung angesprochen erklärte sie, dass er das nächste Mal nicht so amateurhaft vorgehen werde. Früher sei sie Systemberaterin gewesen. Jetzt arbeite sie vollschichtig als Pharmazeutisch-technische Assistentin in einer Apotheke. Ihr Freund sei im Stahlwerk als Pulverbeschichter beschäftigt. Zukunftspläne habe sie nicht. Sie sei innerlich auf der Flucht und meide Bindungen, Wurzeln und tiefe Freundschaften. Ihr "Mann fürs Leben" müsse die gleiche Flexibilität mitbringen, aber daran habe sie noch nicht gedacht. Ohne die Tochter sei sie nun etwas risikobereiter geworden. Die Beziehungen innerhalb der Familie seien gut. Direkte Vorwürfe habe sie von dieser Seite nicht erfahren. Selbst sei sie sehr behütet in einem gläubigen und sehr konservativen Elternhaus aufgewachsen. Heute habe sie sich aus dem religiösen Umfeld gelöst. Auch ihre Eltern hätten die Zusammenkünfte der Glaubensgemeinschaft nicht mehr besuchen können und seien toleranter geworden. Die Gewalttätigkeit des Täters habe sie anfänglich nicht erkannt. Eigentlich sei es eine Flucht von einem goldenen Käfig in den Nächsten gewesen. Als ihre Persönlichkeitsstärken würde sie Zielstrebigkeit und Ehrgeiz nennen. Auch sei sie freundlich, nett und umgänglich. Rückschläge würden sie dagegen ziemlich weit runter ziehen. Sie brauche dann lange, um sich wieder zu motivieren. Daneben sei sie wegen des Vorfalls auch ängstlich geworden und habe ihre Unbefangenheit verloren. Durch den Vorfall sei ihre Tochter Bettnässerin geworden. Ob dies nach einer Kur deutlich besser geworden sei, wisse sie nicht. Seit 2002 habe sie eine Psychotherapie gemacht. Als der Täter noch auf freiem Fuß gewesen sei, habe sie weder allein einkaufen noch auf der Straße gehen können. Aktuell sei die Therapie "auf Probe" beendet. Dadurch sei sie wieder alltagsfähig geworden. Sie habe zunächst jede zweite Nacht starke Alpträume mit Verfolgungssituationen gehabt. Dies habe sich im Jahr 2002 gebessert. Ab Anfang Juni 2002 sei sie wieder arbeiten gegangen. In ihrem damaligen Job habe sie gut verdient, einen Firmenwagen gehabt und sich auch wohl gefühlt. Diesen Arbeitsplatz habe sie nur ungern aufgegeben. Der Schlaf sei nie gut. Häufiger werde sie nachts wach. Schlafmittel nehme sie selten. Als Schmerzmittel benötige sie häufig Ibuprofen oder Paracetamol an ein bis drei Tagen pro Woche. Ihr Sexualleben sei in Ordnung. Ausgeprägte Zwänge habe sie nicht. Depressive Zustände dauerten ein bis zwei Tage an, anfänglich sei das länger gewesen. Ein halbes bis ein Dreivierteljahr nach dem Ereignis habe sie sich ganz niedergeschlagen gefühlt und einen Suizidversuch mit Schlaftabletten und Alkohol unternommen. Derzeit bestehe in dieser Hinsicht kein Risiko.

Zum Untersuchungsbefund hat der Sachverständige angegeben: Die Klägerin sei in einem guten Allgemeinzustand. Es seien eine quer verlaufende Oberbauchnarbe, eine Oberbauchnarbe oberhalb des Nabels und drei reizlose Narben in der linken Flanke und eine reizlose Narbe am linken Kinnwinkel zu erkennen. Die Klägerin mache einen wachen, ansprechbaren, bewusstseinsklaren und allseits orientierten Eindruck. Im Kontakt sei sie zugewandt und offen. Es bestehe eine ausgeglichene Stimmungslage sowie eine affektive Schwingungsfähigkeit. Sie sei adäquat emotional beteiligt, aber auch in der Lage sich wieder zu fassen. Ein Verstimmungszustand oder eine Antriebstörung oder Suizidgefährdung bestehe nicht. Die Unterlagen der behandelnden Psychologin seien unergiebig und in sich widersprüchlich. So finde sich anfänglich der Hinweis auf eine Persönlichkeitsfehlentwicklung in der Kindheit und wenig später die Diagnose einer "posttraumatischen Belastungsstörung". Genaue Feststellungen, worauf die neue Diagnose gestützt werde, seien aus dem vorliegenden Attest nicht erkennbar. Die Psychologin habe zudem auf Anforderungen des Beklagten, weitere Behandlungsunterlagen vorzulegen, nicht reagiert. Auch aus einer Epikrise wegen eines erneuten chirurgischen Eingriffs lasse sich zum psychischen Zustand nichts herleiten. Anlässlich der Untersuchung von Dr. L. im Verwaltungsverfahren hätten keine belangvollen psychopathologischen Auffälligkeiten festgestellt werden können. Vielmehr sei dieser von einer abgeklungenen depressiven Reaktion ausgegangen. Auch die Untersuchung vom 22. Mai 2007 habe keine neurotischen Symptome gezeigt. Vielmehr lägen bei der Klägerin adäquate Reaktionen auf klar bestehende psychosoziale Belastungssituationen vor. Zu nennen seien die Konflikte mit der offenbar immer noch einnässenden Tochter, Schuldgefühle gegenüber den Eltern und vor allen Dingen die realistische Angst, eines Tages wieder von K. mit Tötungsvorsatz angegriffen zu werden. Vor dem ... 2002 habe die Klägerin nicht unter psychischen Beschwerden gelitten. Vielmehr sei von einem jugendtypischen innerfamiliären Konflikt auszugehen. Hinweise für eine "posttraumatische Belastungsstörung" fänden sich nicht. Diese sei symptomatisch mit dem "Wiedererleben der Belastung", mit einem "Vermeideverhalten" und "Hyperarousal" (Übererregung) verbunden. Die bei der Klägerin vorübergehend aufgetretenen Alpträume und ihr Vermeideverhalten ließen dabei die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht zu. Diese Verhaltensweisen hätten zu einer Zeit bestanden, als der Täter noch auf freiem Fuß gewesen sei, und hätten damit einen realen Hintergrund gehabt. Wie Dr. L. komme auch er zu der Auffassung, dass die unmittelbar nach dem Ereignis aufgetretene Anpassungsstörung in Gestalt einer ängstlich depressiven Reaktion abgeklungen sei. Gesundheitliche Folgen im engeren Sinne lägen nicht vor. Die Klägerin sei daher als gesund anzusehen. Hierbei sei angemerkt, dass es sich bei der Klägerin um eine bemerkenswert tüchtige, tapfere und energische Frau handele, die mit Tatkraft ihr Schicksal zu meistern suche. Die verbliebene Narbenhernie rechtfertige keine MdE.

Mit Zustimmung der Beteiligten hat das Sozialgericht Halle ohne mündliche Verhandlung die Klage mit Urteil vom 24. Oktober 2007 abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt: Der tätliche Angriff habe bei der Klägerin keine gesundheitlichen Folgen auf psychischem Gebiet über den 30. September 2003 hinaus gehabt. Die vom Sachverständigen festgestellte psychosoziale Belastung betreffe nicht den Schutzbereich des OEG. Nach den übereinstimmenden Bewertungen beider Sachverständigen lägen keine psychopathologischen Gesundheitsstörungen mehr vor. Die durch die Tat entstandenen Narben rechtfertigten keine MdE.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 3. Dezember 2007 zugestellte Urteil am 2. Januar 2008 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Sie hat geltend gemacht: Bei ihr bestünden Alpträume und Angstzustände als Schädigungsfolgen der Tat. Auch habe es die Vorinstanz versäumt, ausführliche Behandlungsberichte der Dipl.-Psych. R. einzuholen. Eine Langzeittherapie mache nur Sinn, wenn auch gesundheitliche Beeinträchtigungen vorliegen. Mit einer Stellungnahme der Dipl.-Psych. R. sowie mit einem weiteren Sachverständigengutachten gemäß §§ 103, 106 SGG könne daher nachgewiesen werden, dass sie weiterhin an schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen durch den tätlichen Angriff des K. leide, die mit einer MdE von mindestens 30 v.H. zu bewerten seien.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen, das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 24. Oktober 2007 aufzuheben, den Bescheid vom 21. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. August 2005 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, neben den anerkannten Schädigungsfolgen über den 30. September 2003 hinaus eine Anpassungsstörung in Form von Ängsten und anhaltender depressiver Symptomatik festzustellen und eine Beschädigtenversorgung nach einer MdE von mindestens 30 v.H. zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung der Vorinstanz sowie seine Bescheide für zutreffend.

Der Berichterstatter hat einen Befundbericht der Dipl.-Psych. R. vom 5. Juni 2008 sowie die Unterlagen der gesetzlichen Krankenkasse der Klägerin über die Psychotherapie eingeholt.

Dipl.-Psych. R. hat den Erstkontakt zur Klägerin auf den 7. Januar 2004 datiert und angegeben, die Klägerin habe zu Beginn der Behandlungen vorwiegend über die psychischen Folgen der Tat geklagt. Es hätten massive Angstzustände mit fast paranoid anmutenden Wahnvorstellungen vorgelegen, die ihre Lebensfähigkeit erheblich eingeschränkt hätten. Symptomatisch hätten eine Energie- und Lustlosigkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Schuldgefühle sowie Suizidphantasien bestanden. Sie hat eine depressive Verstimmung mittleren Grades diagnostiziert, die mit ausgeprägter Angstsymptomatik und diversen Beschwerden bei vorwiegend hysterisch depressiver Persönlichkeitsstruktur einhergehe und vor dem Hintergrund einer neurotischen Entwicklung in einem emotionalen Mangelniveau zu sehen sei. Insgesamt habe sich die Symptomatik im Verlauf der Behandlung verbessert. Die psychische Störung selbst sei dagegen grundsätzlich unveränderbar.

Darüber hinaus hat der Berichterstatter die beigezogenen Unterlagen dem von der Vorinstanz beauftragten Sachverständigen PD Dr. B. zu einer ergänzenden Stellungnahme vom 23. Februar 2009 vorgelegt. Dieser hat zur Chronologie der ambulanten Psychotherapie der Klägerin angegeben: Die psychotherapeutische Behandlung sei in insgesamt drei Abschnitte zu unterteilen. Ein Abschnitt mit 49 Sitzungen in einer zweiwöchigen Frequenz habe von April/Mai 2002 bis März 2004 stattgefunden. Eine Wiederaufnahme des Kontakts sei im Februar/März 2005 erfolgt und habe zu einer nachgeholten Einzelsitzung am 15. April 2005 geführt. Eine psychotherapeutische Krisenintervention sei von Juli bis September 2005 mit weiteren Gesprächen in etwa monatlichen Abständen bis Februar 2007 erfolgt. Dazwischen habe es eine längere Unterbrechung im Frühjahr 2006 gegeben. Unter Berücksichtigung der eingeholten Unterlagen ergebe sich kein Anhaltspunkt für eine länger als sechs Monate andauernde Gesundheitsstörung auf psychiatrischem Fachgebiet ab dem 1. Oktober 2003. Die bis März 2004 durchgeführte Psychotherapie sei kein hinreichender Beleg für das Vorliegen einer seelischen Gesundheitsstörung. Nach den Unterlagen der Therapeutin habe die Bearbeitung einer "Mutterproblematik" im Vordergrund gestanden. Die Behandlung im Sommer 2005 sei wegen heftiger Angstsymptome wieder aufgenommen worden. Als Auslöser dieser Behandlung werde eine akute Lebenskrise im Rahmen eines Partnerkonflikts genannt. Die Behandlungsdaten sprächen auch für eine kurzzeitige Krise bis September 2005. Anschließend habe es nur noch eine ambulante Psychotherapie mit niedriger Gesprächsfrequenz gegeben.

Die Klägerin hat hiergegen eingewandt: Die Durchführung einer umfangreichen Dauertherapie von zwei Jahren erfolge nicht grundlos und belege hinreichend ihre seelische Gesundheitsstörung. Auch die Behandlung ab Sommer des Jahres 2005 stehe mit der Gewalttat in Zusammenhang.

Der Sachverständige hat in einer weiteren Stellungnahme vom 14. August 2009 hierzu ausgeführt: Die Berichte der Therapeutin der Klägerin seien wenig aussagefähig, ließen jedoch den Rückschluss auf ein psychodynamisches Konzept zu, dass von einer Persönlichkeitsfehlentwicklung der Klägerin seit der Kindheit ausgehe. Hierfür spreche auch die darauf bezogene Diagnose der Therapeutin. Aus dem Fortführungsantrag von August 2005 ergebe sich, dass die Therapeutin eine Loslösung der Klägerin von ihren Eltern angestrebt habe. Die Dauer einer Therapie sei kein sicherer Hinweis für das Vorliegen einer seelischen Erkrankung. Im Bericht der Therapeutin von Juni 2005 werde von Veränderungen des Partners der Klägerin nach der Aufnahme einer eigenen Therapie berichtet. Daneben fänden sich Hinweise für die Fortsetzung früherer Verhaltens- und Beziehungsmuster in einer neuen Beziehung und über eine notwendige Loslösung aus der Abhängigkeit vom derzeitigen Partner. Für eine deutliche Stabilisierung der Klägerin spreche der offenbar erfolgreiche Abschluss der Therapie, die erfolgreiche berufliche Umorientierung und der Aufbau einer neuen Partnerschaft. Zum Zeitpunkt der eigenen Untersuchung (Mai 2007) und zum Zeitpunkt der Untersuchung von Dr. L. (August 2004) sei der psychopathologische Befund jeweils unauffällig gewesen.

Am 22. Oktober 2009 hat die Klägerin und am 4. November 2009 der Beklagte einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung des Senats. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) entscheiden, da sich beide Beteiligte hiermit einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Halle erweist sich als rechtens und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Das Landessozialgericht Sachsen–Anhalt ist hier gemäß §§ 28, 29 Abs. 1 i. V. m. § 57 SGG zuständiges Berufungsgericht, da das Sozialgericht Halle in erster Instanz entschieden hat (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, RndNr. 1a zu § 57). Ein etwaiger Wohnortwechsel der Klägerin in ein anderes Bundesland hätte auf die Zuständigkeit des Senats keinen Einfluss (vgl. auch BSG, Beschluss v. 16.11.2006, B 12 SF 4/06 S, zitiert nach juris). Für die Prüfung der Frage, ob wegen eines Wohnsitzwechsels der Klägerin in ein anderes Bundesland ein Wechsel der Zuständigkeit des Beklagten kraft Gesetzes eingetreten ist, wäre § 6 Abs. 1 Nr. 1 OEG i. v. m. § 3 Abs. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung heranzuziehen. Allerdings ist nur aktenkundig, dass die Klägerin aus W. weggezogen ist. Für einen Wechsel in ein anderes Bundesland liegen keine sicheren Hinweise vor, die die Prüfung eines Wechsels kraft Gesetzes auf der Beklagtenseite veranlassen könnten. An einer Sachaufklärung sieht sich der Senat aus Opferschutzgründen gehindert.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin wird durch den angefochtenen Bescheid nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG beschwert. Die Verwaltungsentscheidung ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung weiterer Gesundheitsstörungen für die Zeit nach dem 30. September 2003 und die Gewährung einer Beschädigtenrente nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i. V. m. § 31 Abs. 1 BVG, da der rechtswidrig tätliche Angriff des K. bei ihr keine weiteren gesundheitlichen Schädigungen auf psychiatrischem Gebiet hinterlassen hat.

Ein Anspruch auf Entschädigung (Versorgung) nach dem OEG setzt nach dessen § 1 Abs. 1 Satz 1 allgemein voraus, dass eine natürliche Person ("wer") im (räumlichen) Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Außerdem ist ein wirksamer Antrag ("auf Antrag") eine weitere materiell-rechtliche Voraussetzung.

Für die Zeit ab dem 1. Oktober 2003 vermag der Senat keine gesundheitliche Schädigung der Klägerin mehr auf psychiatrischem Gebiet festzustellen. Dies ergibt sich aus den übereinstimmenden und auch in sich widerspruchsfreien Bewertungen der Sachverständigen Dr. L. im Verwaltungsverfahren und PD Dr. B. im gerichtlichen Verfahren.

Bei der Prüfung von traumatischen Ereignissen wie dem Mordversuch an der Klägerin finden die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz, herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 1996" (AHP 1996) ebenso wie die nach den 2004 und 2008 herausgegebenen Neufassungen Anwendung. Diese gelten auch nach Einführung der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) ab dem 1. Januar 2009 noch fort. Hiernach ist entsprechend den Festlegungen in Kap. 71 der AHP 1996 (S. 251 ff); AHP 2004/2008 (S 205 ff.) von Folgendem auszugehen:

(1) Durch psychische Traumen bedingte Störungen kommen sowohl nach langdauernden psychischen Belastungen (z.B. in Kriegsgefangenschaft, in rechtsstaatswidriger Haft in der DDR) als auch nach relativ kurzdauernden Belastungen (z.B. bei Geiselnahme, Vergewaltigung) in Betracht, sofern die Belastungen ausgeprägt und mit dem Erleben von Angst und Ausgeliefertsein verbunden waren. Bei der Würdigung der Art und des Umfangs der Belastungen ist also nicht nur zu beachten, was der Betroffene erlebt hat, sondern auch, wie sich die Belastungen bei ihm nach seiner individuellen Belastbarkeit und Kompensationsfähigkeit ausgewirkt haben. Die Störungen sind nach ihrer Art, Ausprägung, Auswirkung und Dauer verschieden: Sie können kurzfristigen reaktiven Störungen mit krankheitswertigen (häufig depressiven) Beschwerden entsprechen; bei einer Dauer von mehreren Monaten bis zu ein bis zwei Jahren sind sie in der Regel durch typische Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung charakterisiert, ohne diagnostisch auf diese begrenzt zu sein; sie treten gelegentlich auch nach einer Latenzzeit auf. Anhaltend kann sich eine Chronifizierung der vorgenannten Störungen oder eine Persönlichkeitsänderung (früher: erlebnisbedingter Persönlichkeitswandel) mit Misstrauen, Rückzug, Motivationsverlust, Gefühl der Leere und Entfremdung ergeben. Anhaltende Störungen setzen tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende und in der Regel langdauernde Belastungen voraus.

(2) Bei länger anhaltenden Störungen und chronisch verlaufenden (auch "neurotisch" genannten) Entwicklungen ist zu prüfen, ob die Schädigungsfaktoren fortwirken oder schädigungsunabhängige Faktoren für die Chronifizierung verantwortlich sind ("Verschiebung der Wesensgrundlage" [ ]). Gleiches gilt für psychogene Symptomverstärkungen oder Symptomfixierungen, die im Gefolge schädigungsbedingter organischer Gesundheitsstörungen auftreten. ( )"

Zunächst ist nach den insoweit übereinstimmenden und auch zutreffenden Bewertungen des Beklagten der von K. verübte Mordversuch als Gewalttat im Sinne des OEG bewertet worden. Dieser Angriff hat bei der Klägerin auch u. a. eine Anpassungsstörung in Form von Ängsten und anhaltender depressiver Symptomatik vom 1. März 2002 bis 30. September 2003 ausgelöst und rechtfertigte zunächst eine Grundrente mit einer MdE von 30 v. H. Die von der Klägerin angedeutete höhere MdE-Bewertung für diesen Zeitraum findet dagegen keine tragfähige Grundlage. Hinweise für schwere Störungen mit erheblichen sozialen Anpassungsstörungen, die einen MdE-Rahmen von 50 bis 70 (Kap. 26.3 S. 61 (AHP 1996); S. 48 (AHP 2004 und 2008)) hätten eröffnen können, liegen nicht vor. Hierbei ist auch zu beachten, dass die Klägerin nach der Inhaftierung des K. bereits im Juni 2002 ihre damalige berufliche Tätigkeit wieder aufnehmen konnte. Zudem haben weder Dr. L. im Verwaltungsverfahren noch PD Dr. B. im gerichtlichen Verfahren die Einschätzung des MdE-Grades bis zum 30. September 2003 als zu gering eingeschätzt.

Für die Zeit ab dem 1. Oktober 2003 kann der Senat nach Auswertung der Beweismittel dagegen keine Gesundheitsstörung der Klägerin mehr auf psychiatrischem Gebiet feststellen. Die Diagnose von Dipl.-Med. K. im Sinne einer reaktiven Depression ist ebenso wie die von Dipl.-Psych. R. gegenüber dem Prozessvertreter der Klägerin im Schreiben vom 10. Dezember 2003 angenommene Diagnose "F 43.1 posttraumatische Belastungsstörung" nicht hinreichend belegt. Diese ärztlichen Einschätzungen reichen für eine Bewertung, es habe auch nach dem 30. September 2003 noch eine schädigungsbedingte psychische Erkrankung vorgelegen, nicht aus. Beide Ärztinnen haben über die Diagnose hinaus keine eingehende Begründung für ihre Einschätzung gegeben. Außerdem setzt sich Dipl-Psych. R. mit dieser Diagnose in Widerspruch zu ihrer gegenteiligen Bewertung im Bericht vom 26. Oktober 2003, wonach bei der Klägerin eine "depressive Verstimmung mittleren Grades mit ausgeprägter Angstsymptomatik und diversen funktionellen Beschwerden bei vorwiegend hysterisch-depressiver Persönlichkeitsstruktur vor dem Hintergrund einer neurotischen Entwicklung in emotionalem Mangelmilieu" bestehe. Auch den im Berufungsverfahren von Dipl.-Psych. R. eingeholten Unterlagen mit Angaben zur Fortführung der psychotherapeutischen Behandlung der Klägerin sind nach Auswertung durch den Sachverständigen PD Dr. B. vom 14. August 2009 keine Hinweise zu entnehmen, die die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung stützen könnten. Vielmehr lassen die Berichte der Ärztin eher den Schluss auf die Durchführung eines psychodynamischen Konzepts zu, dem eine schädigungsunabhängige Persönlichkeitsfehlentwicklung in der Kindheit der Klägerin zugrunde lag. Hierfür spricht auch die ursprüngliche Diagnose der Therapeutin vom 26. Oktober 2003. Aus dem Fortführungsantrag von August 2005 ist die Zielsetzung der Therapeutin ableitbar, die Klägerin aus dem Abhängigkeitsverhältnis zu den Eltern zu lösen. Angesichts dieses Therapieansatzes ist die Dauer der Therapie kein Indiz für eine schwere seelische Erkrankung aufgrund der Gewalttat. Auch die von der Therapeutin eingeholten Berichte sprechen für schädigungsunabhängige Befunde. So werden im Juni 2005 Persönlichkeitsveränderungen des Partners der Klägerin nach der Aufnahme einer eigenen Therapie angegeben. Auch finden sich Angaben über fortgesetzte alte Verhaltens- und Beziehungsmuster in einer neuen Beziehung und über die Notwendigkeit einer Lösung aus der Abhängigkeit vom derzeitigen Partner, was zu einer Krisenintervention von Juli bis September 2005 geführt hatte. Diese psychotherapeutischen Behandlungsaspekte lassen nach der überzeugenden Bewertung des gerichtlichen Sachverständigen keinen unmittelbaren Zusammenhang zur eigentlichen Gewalttat mehr erkennen.

Auch die Einschätzungen von Dipl.-Psych. R. im Befundbericht vom 5. Juni 2008, sie habe zu Beginn der Behandlung massive Angstzustände mit fast paranoid anmutenden Wahnvorstellungen festgestellt, die die Lebensfähigkeit der Klägerin erheblich eingeschränkt hätten, sind, ebenso wie die von ihr berichteten Symptome von Energie- und Lustlosigkeit, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Schuldgefühle sowie Suizidphantasien, vor dem Hintergrund einer realen Bedrohungssituation zu sehen. Wie der gerichtliche Sachverständige PD Dr. B. nach Auswertung der Strafakten nachvollziehbar festgestellt hat, ist K. aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur als hochgradig gefährlich anzusehen. Die Angst der von K. auch früher schon misshandelten Klägerin hatte damit eine tatsächliche und auch berechtigte Grundlage. Wahnvorstellungen sind vor diesem Hintergrund nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen damals unwahrscheinlich gewesen.

Wenig überzeugend ist auch die Darstellung von Dipl.-Psych. R., es sei einerseits zu einer behandlungsbedingten Besserung der Symptomatik gekommen, andererseits liege jedoch eine dauerhafte psychische Störung vor. Eine Begründung für diese Einschätzung hat sie nicht gegeben, sie ist auch nicht ersichtlich. Gegen eine tatbedingte psychische Gesundheitsstörung der Klägerin sprechen insbesondere die Bewertungen aus den umfassenden Explorationen von Dr. L. (August 2004) und vom gerichtlichen Sachverständigen PD Dr. B. (Mai 2007), die in Bezug auf psychopathologische Befunde jeweils unauffällig geblieben sind. Überzeugend sind vor allem die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen PD Dr. B., der sich mit der Diagnose und den Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung eingehend auseinandersetzt hat. Eine solche Erkrankung ist symptomatisch mit dem "Wiedererleben der Belastung", mit einem "Vermeideverhalten" und einer Übererregung verbunden. Weder Dr. L. noch PD Dr. B. haben diese Symptome bei der Klägerin festgestellt.

Gegen eine tatbedingte psychische Gesundheitsstörung nach dem 30. September 2003 sprechen auch die Gesichtspunkte, die jeweils eine deutliche psychische Stabilisierung der Klägerin bestätigen. Nach Inhaftierung des K. am 25. April 2002 in Mailand (Italien) hatte die unmittelbare Bedrohungssituation aus der Sicht der Klägerin, die den Aufenthaltsort und die weiteren Pläne des K. nicht wissen konnte, eine gewisse Beruhigung erfahren. Auch die Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit bereits im Juni 2002, ihre berufliche Neuorientierung im Juli 2003 und der Aufbau einer neuen Partnerschaft im September 2002 sprechen für eine deutliche stabilisierte Psyche der Klägerin. Auch die rechtskräftige Scheidung mit Urteil des Amtsgerichts W. vom 16. August 2003 dokumentiert eine weitere Klärung des Verhältnisses zu K ... Die Einschätzung von PD Dr. B., bei der Klägerin handele es sich um eine bemerkenswert tüchtige, tapfere und energische Frau, die mit Tatkraft ihr Schicksal zu meistern suche, hält der Senat vor diesem Hintergrund für zutreffend. Diese Einschätzung stimmt im Übrigen auch mit dem Selbstverständnis der Klägerin überein, das sie bei der Untersuchung durch PD Dr. B. preisgegeben hat. So hat sie ihre Stärken mit Zielstrebigkeit und Ehrgeiz bezeichnet und ihr Wesen als freundlich, nett und umgänglich beschrieben. Auch hat sie sich ohne ihre Tochter als risikobereiter bewertet und nach dem Jahr 2002 von seltener werdenden Alpträumen berichtet. Für eine Stabilisierung spricht auch ihre Beendigung der Therapie "auf Probe". Offenbar hat sie sich wieder als alltagsfähig angesehen und dies durch ihren neuen Lebensweg nach erfolgreicher Umschulung, Begründung einer neuen Partnerschaft und in einem neuen persönlichen Umfeld auch deutlich unterstrichen.

Die von PD Dr. B. festgestellte erhebliche psychosoziale Belastungssituation der Klägerin kann nicht mit einer Gesundheitsstörung im Sinne des OEG gleichgesetzt werden. Hierbei verkennt der Senat nicht, welchem Druck die Klägerin durch ihre Lebensumstände tatsächlich immer noch ausgesetzt ist. Die gravierenden Konflikte mit der Tochter (Bettnässerin, Drogenproblematik und spannungsreiches Verhältnis mit Vorwürfen gegen die Klägerin), die verständlichen Schuldgefühle gegenüber den Eltern und insbesondere gegenüber dem durch die Tat dauerhaft schwerverletzten Vater sowie die einschneidenden Veränderungen in der Lebensplanung und Lebensgestaltung mit einem bewussten Abbruch alter Beziehungen sowie ihre latente Gefährdung nach einer Entlassung des K. aus der Strafhaft sind als schwerwiegende psychosoziale Belastungsfaktoren anzusehen. Trotz dieser schwierigen Lebenssituation ist es der Klägerin jedoch gelungen, ohne Herausbildung einer psychischen Erkrankung ihr Leben "wieder in den Griff" zu bekommen und sich dabei aus alten Abhängigkeitsmustern sogar erfolgreich zu lösen. Aus den übereinstimmenden Bewertungen der Sachverständigen Dr. L. und PD Dr. B. ergeben sich keinerlei Hinweise mehr auf eine psychiatrische Gesundheitsstörung. Wegen dieser eindeutigen und auch übereinstimmenden Bewertung beider Sachverständigen musste der Senat den Beweisanregungen der Klägerin, weitere Sachverständigengutachten von Amts wegen einzuholen, nicht mehr nachgehen, da es an einem Ermittlungsbedarf fehlt. Einen Antrag nach § 109 SGG hat die Klägerin nicht gestellt.

Die bei der Klägerin verbliebenen Symptome wie Schlafstörungen, Ängste im Dunkeln auf der Straße, Alpträumen mit Verfolgungssituationen ohne Wiederholung des Tatgeschehens und Kopfschmerzen haben nach den übereinstimmenden Bewertungen der Sachverständigen, denen der Senat folgt, keinen Krankheitswert und sind daher nicht als Gesundheitsstörung im Sinne des OEG anzusehen. Die ab dem 1. Oktober 2003 bei der Klägerin verbliebenen Narben sowie die im Jahr 2005 operierte Narbenhernie am Oberbauch nach Schnittverletzung rechtfertigen nach der Einschätzung des Sachverständigen PD Dr. B. und den damit verbundenen Funktionseinschränkungen keine MdE in rentenberechtigender Höhe. Diese Einschätzung des Sachverständigen ist nach Auffassung des Senats zutreffend. Die Narben betreffen das Funktionssystem "Haut". Nach Ziffer 26.17 der AHP (1996) S. 128 f. bzw. AHP (2004, 2008) S. 106 f., sowie Ziffer 17 der VersMed V (2009), S. 97, bedarf es für eine Bewertung der MdE/des GdS funktionaler Einschränkungen, die hier nicht gegeben sind. Hinweise für eine Entstellung mit weiteren Folgen liegen ebenfalls nicht vor. Die im Jahr 2005 behandelte Narbenhernie am Oberbauch wurde erfolgreich operiert und hat deshalb nicht zu einer dauerhaften wesentlichen Beeinträchtigung geführt. Die von der Klägerin geschilderten Schwierigkeiten beim schweren Heben und Tragen sind nicht als erhebliche Beeinträchtigung zu werten. Nach Ziffer 26.11 der AHP (1996) S.103 f. bzw. AHP (2004, 2008) S. 86 f. sowie Ziffer 11 VersMed V (2009), S. 78, ist damit kein höherer MdE/GdS als 10 v. H. festzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegt nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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